I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 3. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2005 verurteilt, für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis 3. November 2005 monatlich (für November anteilig) 549,50 Euro zu gewähren, für die Zeit vom 4. November 2005 bis 31. Dezember 2005 monatlich 469,50 Euro (für November anteilig) zu gewähren.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Ablehnung (bzw. das Angebot der nur darlehensweisen Gewährung) von Arbeitslosengeld II vom 01.07.2005 bis 31.12.2005.
Die Klägerin, geboren 1979, hatte bis 03.11.2004 Arbeitslosengeld bezogen (monatlich 642,76 Euro).
Zum 01.01.2005 beantragte sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II). Dem Antrag wurde für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 in Höhe von 549,50 Euro entsprochen. Dabei waren die Kosten der Heizung und die Nebenkosten der selbst bewohnten Eigentumswohnung mit einer Wohnfläche von 75 qm (3 Zimmer, Küche, Bad) in Höhe von 151,00 Euro monatlich berücksichtigt.
Im Weiteren wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass diese Eigentumswohnung nicht länger als angemessene Eigentumswohnung im Sinne von § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II angesehen werden könne, ab 01.07.2005 nur noch eine darlehensweise Leistungsgewährung in Betracht komme. Die Klägerin schloss daraufhin mit ihrem Vater bezüglich eines Zimmers der Eigentumswohnung zum 01.07.2005 einen Untermietvertrag (15 qm) mit einer Nettomiete von 50,00 Euro.
Der Antrag auf Weiterbewilligung vom 20.05.2005 wurde mit Bescheid vom 03.08.2005 abgelehnt, weil die Klägerin wegen der Eigentumswohnung von nicht angemessener Größe nicht hilfebedürftig sei.
Der Widerspruch vom 16.08.2005 wurde im Weiteren mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2005 zurückgewiesen. Für einen Ein-Personen-Haushalt sei allenfalls eine Wohnfläche von 60 qm angemessen. Bei dem Untermietvertag mit dem Vater handele es sich um ein nicht berücksichtigungsfähiges Scheingeschäft. Aus der Gesetzessystematik ergebe sich, dass auch kein Fall der besonderen Härte im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II vorliege. Es käme nur die von der Klägerin abgelehnte darlehensweise Leistungsgewährung in Betracht.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 04.10.2005 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 03.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2005 zu verurteilen, für die Zeit vom 01.07.2005 bis 03.11.2005 wei- terhin monatlich 549,50 Euro Leistungen zu gewähren und dann in der Höhe des verminderten Zuschlages nach § 24 SGB II bis 31.12.2005.
Der Vertreter der Beklagten beantragte im Termin die Klageabweisung.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Leistungsakte der Beklagten sowie der Klageakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Erwerbsfähige Hilfebedürftige erhalten als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Nr. 1 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus zu berücksichtigendem Vermögen sichern kann (§ 9 Abs. 1 SGB II). Ist der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich, sind die Leistungen als Darlehen zu erbringen (§ 9 Abs. 4 SGB II). Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II). Als Vermögen sind nicht zu berücksichtigen ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung (§ 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II).
Aus der von § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII abweichenden Formulierung ergibt sich, dass sich die Angemessenheit allein nach der Größe richtet (Brühl in LBK-SGB II § 12 Rdnr 43, Mecke in Eicher/ Spellbrink, Kommentar SGB II § 12 Rdnr 70). Schutzzweck ist nicht der Schutz der Immobilie als Vermögensgegenstand, sondern allein der Schutz der Wohnung im Sinne Erfüllung des Grundbedürfnisses "Wohnen" und als räumlicher Lebensmittelpunkt (BSGE SozR 3-4220 § 6 Rdnr 7). Die Auslegung des Begriffes "angemessene Größe" ist vom Gesetzgeber offensichtlich der Rechtsprechung überlassen (Adolph in Linhart/Adolph Kommentar SGB II, SGB XII, AsylbLG § 12 Rdnr 26).
Nachdem es sich beim SGB II nach seiner Zielsetzung mit Schwerpunkt um die Fortsetzung der bisherigen Arbeitslosenhilferegelung handelt, ist primär auf die Rechtsprechung zur Arbeitslosenhilfe zurückzugreifen. Das Gesetz geht davon aus, dass in der Regel Kurzzeitarbeitslose möglichst schnell wieder in eine Erwerbstätigkeit gebracht werden sollen. Die gesetzliche Zielvorgabe sind kurze Leistungszeiträume, wie sich auch aus der Regelleistungsdauer von nur 6 Monaten ergibt (§ 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Die Leistung ist grundsätzlich auf die Zeit des Berufslebens beschränkt (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB II). Die Regelung wirkt sich entgegen der bisherigen Regelungen der Arbeitslosenhilfe und des Bundessozialhilfegesetzes nicht nur in wenigen Ausnahmefällen aus, sondern droht wegen der Verkürzung der Regeldauer des Arbeitslosengeldes auf 12 Monate ab 2006 durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 zu einem Massenproblem zu werden. Bei der Interpretation sind somit die Anforderungen einer Massenverwaltung zu berücksichtigen. Es sind einfache pauschalierte Grenzen notwendig.
Von den Leistungsempfängern wird erwartet, dass sie alle Selbsthilfemöglichkeiten ausschöpfen, bevor sie die Hilfe der Allgemeinheit in Anspruch nehmen (§§ 2, 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II). Bei der Unterstützung sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu berücksichtigen (ausformuliert in § 3 Abs. 1 Satz 4, § 14 Satz 3 SGB II). Es macht also keinen Sinn Leistungsempfänger, die prinzipiell möglichst nur kurze Zeit arbeitslos bleiben sollten, durch enge Angemessenheitsgrenzen zur Aufgabe einer Eigentumswohnung zu zwingen. Bei einer Eigentumswohnung fallen keine Kosten für die Unterkunft selbst an. Es fallen keine Kosten für Umzug und dergleichen an. Eine weite Interpretation der Angemessenheitsgrenze entspricht also auch der gesetzlichen Vorgabe der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. Der Erwerb und der Verkauf von Eigentumswohnungen sind nicht mit gleicher Flexibilität möglich wie das bei Mietwohnungen der Fall ist. In der Phase des aktiven Berufslebens sind auch Änderungen in der Zusammensetzung der Familie/ der Bedarfsgemeinschaft eher die Regel. Auch deswegen ist es nicht angemessen, nur vom Augenblickstand bei Antragstellung auszugehen. Es ist auch hier zutreffend durch eine weite pauschalierte Angemessenheitsgrenze Spielraum zu lassen.
Welche Größe angemessen ist, ließ sich bis zum 31.12.2001 in Anlehnung an die bis dahin in § 88 Abs. 2 Nr. 7 Satz 3 BSHG enthaltene Verweisung auf das Zweite Wohnungsbaugesetz bestimmen. Danach galten Familienheime mit einer Wohnfläche bis zu 130 qm und Eigentumswohnungen mit bis zu 120 qm nicht als unangemessen groß. Diese Grenzen legt auch die Dienstanweisung der Agentur für Arbeit zu SGB II zugrunde. Zur Wahrung eines im Rahmen der Massenverwaltung handhabbaren bundeseinheitlichen Maßstabs sollte weiterhin auf die Werte des Zweiten Wohnungsbaugesetzes zurückgegriffen werden (Mecke a.a.O. § 12 Rdnr 71; ebenso Beschluss LSG Baden-Württemberg vom 01.08.2005, L 7 AS 2875/05 ER-B). Eine weitere Abstufung danach, von wieviel Personen aktuell die selbstbewohnte Eigentumswohnung bewohnt wird, ist zu Gunsten einer Pauschalierung nicht durchzuführen. Insbesondere sind die Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit (angemieteter) Unterkunftskosten nach § 22 SGB II kein geeignetes Kriterium für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II.
Damit handelt es sich bei der von der Klägerin bewohnten Eigentumswohnung um nicht verwertbares Vermögen. Es kann also auch nicht auf eine bloß darlehensweise Gewährung nach § 9 Abs. 4 SGB II verwiesen werden. Mit einer großzügig pauschalierenden Interpretation werden die Beteiligten auch nicht zu – aus der Sicht der Betroffenen nachvollziehbaren – aber rechtlich evtl. problematischen "Notlösungen" gezwungen. Dabei wäre die von der Klägerin gewählte Lösung der Untervermietung an ein Elternteil anzuerkennen, nachdem der Vertrag nach den Kriterien abgewickelt wird, nach denen steuerrechtlich ein Mietvertrag unter Familienangehörigen anerkannt wird.
Der gebotene individuelle "Korrekturfaktor" für evtl. unangemessene durch die Eigentumswohnung verursachte Unterkunftskosten liegt in § 22 SGB II; z.B. durch sehr hohe Zinsbelastung kann sich ergeben, dass die selbstbewohnte Eigentumswohnung "teurer" ist als eine nach § 22 Abs. 1 SGB II angemessene Mietwohnung. Für diesen Fall sind entsprechend der Vorgabe des § 22 Abs. 1 SGB II die tatsächlichen Kosten der Unterkunft im Regelfall nur für 6 Monate zu übernehmen. Darüber hinaus ist die Eigenverantwortung des Leistungsempfängers gefordert, auf Dauer nicht haltbare Situationen zu korrigieren. Im Fall der Klägerin fallen für die Eigentumswohnung nur 150,00 Euro monatlich für Heizung und Nebenkosten an. Dies ist zweifelsfrei weit günstiger als es die Kosten einer Mietwohnung für eine Person wären.
Damit war dem Klageantrag zu entsprechen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Es war der Erfolg der Klage zu berücksichtigen.
Erstellt am: 10.03.2006
Zuletzt verändert am: 10.03.2006