I. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 266,85 EUR zu zahlen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beklagte trägt 2/3 der Kosten des Rechtsstreits, die Klägerin 1/3 der Kosten des Rechtstreits.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten 415,28 EUR anlässlich der Versorgung des Beigeladenen mit einer motorbetriebenen Kniebewegungsschiene im Zeitraum 01.08.2004 bis 23.08.2004.
Der Beigeladene ist gesetzlich krankenversichert. Bei ihm ist ein Kreuzbandersatz des rechten Kniegelenkes durchgeführt worden. Herr Dr. med. R. L. hat deswegen am 29.07.2004 eine motorbetriebene Kniebewegungsschiene (CPM) für die Dauer von 3 Wochen verschrieben, um eine passive Bewegungstherapie 3 bis 4 mal täglich sicherzustellen.
Die Klägerin ist eine gemäß § 126 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zugelassene Hilfsmittellieferantin und Mitglied im Fachverband für Orthopädie-Technik und Sanitätsfachhandel Bayern e.V … – Zwischen der AOK Bayern und diesem Verband existiert eine Vereinbarung im Sinne von § 127 SGB V vom 23.10.2003, wonach Mietzins für das in Rede stehende Hilfsmittel zu bezahlen ist.
Der Beigeladene ist am 29.07.2004 ambulant operiert worden. Die Klägerin hat die motorbetriebene Kniebewegungsschiene dem Beigeladenen am 01.08.2004 ausgehändigt. Der Beigeladene ist in die korrekte Handhabung des Geräts eingewiesen worden.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten an Mietzins 415,28 EUR für die vorstehend bezeichnete motorbetriebene Kniebewegungsschiene. – Die Beklagte stützt sich auf das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 06.09.2004. Danach sei auch unter den bis 07.08.2004 geltenden (rechtlichen) Bedingungen keine Indikation für den häuslichen Einsatz einer CPM-Schiene gegeben gewesen. Ein therapeutischer Nutzen der CPM-Schienen in dem genannten therapeutischen Kontext im ambulanten Bereich sei wissenschaftlich nicht abgesichert.
Die Bevollmächtigten der Beklagten haben mit Schriftsatz vom 19.11.2004 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Zur Begründung führten die Bevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 25.01.2005 im Wesentlichen aus, dass der vorstehend angesprochene Rahmenvertrag mit der AOK Bayern entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) mit Urteil vom 27.01.1996 – 3 RK 26/94 auch bei einer "grenzüberschreitenden" Hilfsmittellieferung anzuwenden sei.
Von Seiten des Gerichts wurden die Akten der Beklagten beigezogen. – Nachdem der Beigeladene vorab keine Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht erteilt hat, ist Herr Dr. med. N. erst in der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2005 gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gutachtlich gehört worden. Dieser führte nach anamnestischer Erhebung Folgendes aus: Im konkreten Fall des Beigeladenen hat sich eine rasche Besserung der Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes eingestellt, sodass die Versorgung mit einer Kniebewegungsschiene nur für zwei Wochen notwendig gewesen ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ab dem dritten Tag nach der Operation bereits eine krankengymnastische begleitende Therapie stattgefunden hat. Eine Doppelversorgung hat hier jedoch nicht stattgefunden, da sich die Physiotherapie vor allem auf einen notwendigen Muskelaufbau bezogen hat bzw. bezieht.
Auf Nachfrage erklärte der Beigeladene, dass er nach zwei Wochen das Kniegelenk noch nicht hat voll belasten dürfen, sondern nur mit etwa dem halben Körpergewicht.
Die Bevollmächtigte der Klägerin hält unter Hinweis auf das Gutachten des MDK vom 06.09.2004 daran fest, dass der Nachweis des therapeutischen Nutzens, wie er in § 135 SGB V gefordert werde, für den ambulanten Einsatz von fremdkraftbetriebenen Motorschienen nicht erbracht sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2005 werden 5 Streitsachen von insgesamt mittlerweile 175 vergleichbaren, am Sozialgericht Augsburg anhängigen Verfahren einer Entscheidung zugeführt. Es handelt sich um ähnlich gelagerte Angelegenheiten, die sich jedoch um Nuancen unterscheiden.
In dem hiesigen Verfahren stellt der Bevollmächtigte der Klägerin die Anträge aus der Klageschrift vom 19.11.2004:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 415,28 EUR zu zahlen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten und den der beigezogenen Unterlagen der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die allgemeine Leistungsklage zwischen der Klägerin als Leistungserbringer und der zuständigen gesetzlichen Krankenkasse des Beigeladenen ist gemäß §§ 51 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig; vor allem ist das Sozialgericht Augsburg gemäß § 57 Abs. 1 SGG örtlich zuständig.
Die Klage erweist sich dem Grunde nach als begründet; der Höhe nach ist die Forderung der Klägerin auf 266,85 EUR zu begrenzen gewesen.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 09.10.2001 – B 1 KR 6/01 R grundlegend entschieden: Die stationäre Notfallbehandlung eines Versicherten in einem nicht zugelassenen Krankenhaus ist eine Sachleistung der Krankenversicherung. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses richtet sich nicht gegen den Versicherten, sondern gegen die Krankenkasse. § 13 Abs. 3 SGB V gibt dem Versicherten keine Handhabe, die Feststellung der Leistungspflicht der Krankenkasse gegenüber dem Leistungserbringer zu betreiben. – Weiterhin hat das BSG mit Urteil vom 23.01.2003 – B 3 KR 7/02 R ausgeführt: Eine Krankenkasse darf einen Versicherten wegen der Versorgung mit einem Hilfsmittel, für das ein Festbetrag bestimmt ist (Hörgerät), nicht auf Leistungserbringer verweisen, mit denen Preisvereinbarungen oberhalb des Festbetrages bestehen, wenn ein anderer Leistungserbringer bereit ist, dieses Hilfsmittel in gleicher Qualität auf dem Versandweg zum Festbetrag zu liefern (sog. verkürzter Versorgungsweg). Die Zulassung eines Hilfsmittelerbringers durch die für die Betriebsstätte örtlich zuständigen Landesverbände der Krankenkassen wirkt bundesweit.
In Fortführung der vorstehend zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist hier die Beklagte passiv legitimiert. Die Klägerin hat sich wegen ihrer Forderung zutreffend an die Beklagte und nicht den Beigeladenen gewandt. Insoweit entfaltet die Vereinbarung zwischen der AOK Bayern und dem Fachverband für Orthopädie-Technik und Sanitätsfachhandel Bayern e.V. über die Lieferung von Rollstühlen und Rehabilitationsmitteln vom 23.10.2003 einen Rechtsreflex zu Gunsten der Klägerin. Mit den Worten des Bevollmächtigten der Klägerin: Bei grenzüberschreitender Hilfsmittellieferung ist der vorstehend angesprochene Rahmenvertrag mit der AOK Bayern entsprechend anzuwenden.
Im Folgenden ist von Bedeutung, dass entsprechend der Veröffentlichung im Bundesanzeiger Nr. 147 vom 07.08.2004 die fremdkraftbetriebenen Bewegungsschienen für Sprunggelenk, Knie, Hüfte, Ellbogen und Schulter aus dem Hilfsmittelverzeichnis gestrichen worden sind. – Hier ist der Beigeladene am 29.07.2004 ambulant operiert worden. Die Verordnung von Herrn Dr. med. R. L. ist ebenfalls am 29.07.2004 erfolgt. Der Beigeladene hat die motorbetriebene Kniebewegungsschiene am 01.08.2004 erhalten. – Mit anderen Worten: Die Vorgänge haben sich zeitlich gekreuzt.
Insoweit hat das BSG mit Urteil vom 03.11.1999 – B 3 KR 16/99 R ebenfalls grundlegend ausgeführt: … Der Anspruch der (dortigen) Klägerin auf Versorgung mit einem Elektromobil ergibt sich allerdings nicht bereits aus der vertragsärztlichen Verordnung vom 25.11.1998. Dies folgt schon daraus, dass nach § 275 Abs. 3 Nr. 2 SGB V die Krankenkassen vor Bewilligung eines Hilfsmittels in geeigneten Fällen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) prüfen lassen können, ob das Hilfsmittel erforderlich ist. – Hier hat sich der MDK erst mit Gutachten vom 06.09.2004 ablehnend geäußert, also zu einem Zeitpunkt, in dem die Versorgung mit der motorbetriebenen Schulterbewegungsschiene bereits abgeschlossen war.
Aus der Sicht des erkennenden Gerichts kann die Problematik der sich hier zeitlich überschneidenden Vorgänge offen gelassen werden. Denn in Übereinstimmung mit dem Urteil des BSG vom 03.11.1999 – B 3 KR 16/99 R ist grundsätzlich eine Genehmigung durch die gesetzliche Krankenkasse vorab einzuholen. Dies gilt jedoch nicht, wenn in Fällen wie dem vorliegenden anstelle einer stationären Versorgung eine ambulante Versorgung durchgeführt wird und sich aus der Natur der Sache heraus die Notwendigkeit einer Bewegungstherapie ergibt.
Kernproblem ist in diesem Zusammenhang, dass die Möglichkeiten eines ambulanten Operierens im Krankenhaus (vgl. § 115 b SGB V) zu einem wesentlichen Einsparpotenzial gegenüber stationären Behandlungsmaßnahmen geführt haben. Dies bedingt mittelbar, dass die sich anschließende notwendige Versorgung gesetzlich Krankenversicherter anderweitig sichergestellt werden muss, sei es durch Krankengymnastik oder wie hier durch eine Motorbewegungsschiene.
Hier sind sich die Beteiligten einig, dass die Beigeladene einer passiven Bewegungstherapie bedurft hat. Insoweit stimmen die Verordnung von Herrn Dr. med. R. L. vom 29.07.2004, die gutachterlichen Ausführungen von Herrn Dr. med. N. in der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2005 sowie die ergänzenden Hinweise der Bevollmächtigten der Beklagten überein.
Wenn Letztere hervorgehoben hat, dass der Beigeladene bereits am dritten Tag nach der Operation eine krankengymnastische begleitende Therapie erhalten hat, liegt hierin keine Doppelversorgung. Denn der Einsatz der motorbetriebenen Kniebewegungsschiene dient der passiven Bewegungstherapie. Die ebenfalls durchgeführte Physiotherapie hat sich vor allem auf einen notwendigen Muskelaufbau bezogen. – Es sind auch keine sonstigen Gesichtspunkte erkennbar, die einer Versorgung mit einer motorbetriebenen Kniebewegungsschiene entgegengestanden haben; insbesondere ist der Beigeladene von einem Mitarbeiter der Klägerin ordnungsgemäß in den Gebrauch der motorbetriebenen Kniebewegungsschiene eingewiesen worden.
Wenn die Beklagte unter Hinweis auf § 135 SGB V einen Nachweis des therapeutischen Nutzens fordert, ist dieser Nachweis in der Vergangenheit bereits erbracht worden. Denn die im Streit befindlichen motorbetriebenen Bewegungsschienen sind erst mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger Nr. 147 vom 07.08.2004 aus dem Hilfsmittelverzeichnis gestrichen worden. Es handelt sich somit hier nicht um eine "neue" Behandlungsmethode im Sinne von § 135 SGB V. – Hier hat die motorisierte Kniebewegungsschiene die nahezu parallel geführte Phyiotherpaie ergänzt und zu einem vergleichsweise raschen Heilungserfolg beigetragen.
Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2005 auf die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 29.01.2004 – L 4 KR 1/01 und des Sozialgerichts München vom 17.11.2004 – S 19 KR 1087/03 verweist, überzeugt dies im Ergebnis nicht. Denn die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Herrn Dr. med. N. in der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2005 zur grundsätzlichen Geeignetheit des Einsatzes motorbetriebener Knie- und Schulterbewegungsschienen ist zwischenzeitlich mit einer weiteren Studie "Schulter CPM Artromot-S2" bestätigt worden (vgl. "Zeitschrift für Orthopädie und ihre Grenzgebiete", Ausgabe 4/2005 vom 26.08.2005). Der die Studie begleitende Orthopäde Herr Dr. med. Martin Hübscher ist ebenfalls als Gerichtsgutachter erfahren bekannt. Die dortigen Ergebnisse haben den vorstehend bezeichneten ablehnenden Entscheidungen aufgrund des Zeitablaufs nicht zugrunde gelegt werden können. – Im Übrigen sind die wenn auch mit teilweise anderer Begründung klagestattgebenden Urteile des Sozialgerichts Braunschweig vom 21.04.2004 – S 6 KR 130/01 und des Sozialgerichts Augsburg vom 11.08.2005 – S 10 KR 119/04 in ähnlich gelagerten Fallkonstellationen rechtskräftig (dort sind mangels vertraglicher Vereinbarungen im Sinne von § 127 SGB V die jeweils betroffenen Patientinnen als Klägerinnen aufgetreten).
Als Zwischenergebnis ist daher festzustellen, dass die Klage dem Grunde nach begründet ist.
Die Klage erweist sich jedoch nur in Höhe von 266,85 EUR als erfolgreich. – Wird wie hier der Beklagten keine Möglichkeit eingeräumt, gemäß § 275 Abs. 3 Nr. 1 SGB V den MDK vorab zu konsultieren, trägt die Klägerin das Risiko einer Überversorgung.
Eine solche hat hier zweifelsfrei stattgefunden. Der gerichtlich bestellte Sachverständige Herr Dr. med. N. und der Beigeladene haben in der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2005 übereinstimmend bestätigt, dass die motorbetriebene Kniebewegungsschiene nur für zwei Wochen benötigt worden ist.
Der Forderung der Klägerin ist daher nur pro rata temporis stattzugeben gewesen: 2/3 = 276,85 EUR. Hiervon ist die bislang nicht von der Beigeladenen geforderte Zuzahlung in Höhe von 10,00 EUR abzusetzen gewesen (§§ 33 Abs. 2 und 61 SGB V).
Zur Angemessenheit des Mietzinses: Hier bietet die Vereinbarung zwischen der AOK Bayern und dem Fachverband für Orthopädie-Technik und Sanitätsfachhandel Bayern e.V. über die Lieferung von Rollstühlen und Rehabilitationsmitteln vom 23.10.2003 wertvolle Hinweise. Dort ist in Anlage 3 n für die Versorgung mit fremdkraftbetriebenen Sprunggelenk-, Knie-, Hüft-, Ellenbogen- oder Schulterbewegungsschienen ein Höchstbetrag von 552,00 EUR vorgesehen. – Dementsprechend ist die hiesige Forderung der Klägerin in Höhe von 415,28 EUR für den Zeitraum von 3 Wochen nicht unangemessen gewesen. – Dies korrespondiert mit den Ausführungen der Bevollmächtigten der Beklagten (AOK Hessen) in dem Parallelverfahren S 10 KR 428/04: Die Bevollmächtigte der (dortigen) Beklagten weist darauf hin, dass im Bereich der AOK Hessen eine Höchstpreis-Regelung besteht, nach welcher fremdkraftbetriebene Schulterbewegungsschienen mit 414,00 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt werden können. Entgegen den schriftlichen Unterlagen hat die (dortige) Bevollmächtigte der Beklagten die interne Auskunft erhalten, dass damit pauschal eine Nutzung von 2 bis 8 Wochen geregelt worden sei.
Nach alledem sind der Klägerin nur 266,85 EUR zuzusprechen und die Klage im Übrigen abzuweisen gewesen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 ff. der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen gewesen. Wie bereits erwähnt sind in der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2005 insgesamt 5 Verfahren einer Entscheidung zugeführt worden. Am Sozialgericht Augsburg sind insgesamt 175 vergleichbare Fälle noch anhängig.
Erstellt am: 27.01.2006
Zuletzt verändert am: 27.01.2006