I. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 2.360,18 EUR zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von 2.360,18 EUR, die anlässlich der Durchführung einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in Bad G. in der Zeit vom 18.03. bis 08.04.2004 zu Gunsten der Beigeladenen Frau R. H. verauslagt worden sind.
Mit Klageschrift vom 16.12.2004 hat die Klägerin vorgetragen, dass die Beigeladene Frau R. H. bei der AOK Bayern – Direktion Donauwörth am 14.11.2003 einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gestellt habe, der am 02.12.2004 bei der BfA Berlin (nunmehr: Deutsche Rentenversicherung Bund) eingegangen sei. Da der letzte Beitrag zur Arbeiterrentenversicherung entrichtet worden sei, habe die Deutsche Rentenversicherung Bund den Antrag mit Telefax vom 10.12.2003 an die Klägerin weiter geleitet. – Diese habe mit Bescheid vom 22.12.2003 die Maßnahme bewilligt, obgleich die Beigeladene Frau R. H. bei Antragstellung nur 132 Beitragsmonate anstatt der geforderten 180 Beitragsmonate belegt gehabt habe. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) seien nicht erfüllt gewesen; nach medizinischer Beurteilung sei eine verminderte Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit nicht zu erwarten gewesen. Nachdem auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI nicht gegeben gewesen seien, habe die Klägerin ihren Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Diese habe sich mit Schreiben vom 12.05.2004 geweigert, die Kosten für die Maßnahme zu übernehmen, da nach dortiger Meinung die Wartezeit für die Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme erfüllt gewesen sei. – Sinngemäß: Nachdem eine außergerichtliche Einigung nicht möglich gewesen sei, sei Klage zu erheben gewesen. Der Erstattungsanspruch werde auf § 14 Abs. 4 Satz 1 des Sozialgesetzbuches – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) gestützt.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 22.03.2005 erwidert, dass zum einen bisher die Frage ungeklärt sei, inwieweit die Klägerin nach der Sachverhaltsdarstellung als zweitangegangener Rehabilitationsträger anzusehen sei. Folge man der vom Sozialgericht Augsburg im Urteil vom 15.11.2004 – S 10 KR 250/03 vertretenen Auffassung, wäre die Deutsche Rentenversicherung Bund als zweitangegangener Rehabilitationsträger anzusehen, so dass eine erneute Weiterleitung an die Klägerin ausscheide. Dies führe dazu, dass die insoweit erfolgte Weiterleitung von Seiten der Klägerin hätte zurückgewiesen werden müssen, jedenfalls aber kein Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 SGB IX bestehe. – Darüber hinaus scheitere der Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten daran, dass ausweislich des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 27.08.2004 eine erhebliche Minderung der Erwerbsfähigkeit gegeben gewesen sei, und somit aufgrund der allgemeinen Wartezeit die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI vorgelegen hätten.
Beide Beteiligten stellten dem Gericht ihre Unterlagen zur Verfügung. – Das Sozialgericht Augsburg lud die Betroffene Frau R. H. mit Beschluss vom 13.04.2005 gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bei.
Die Beklagte übermittelte nochmals mit Nachricht vom 20.05.2005 das Gutachten des MDK vom 27.08.2004. – Im Folgenden verzögerte sich das hiesige Verfahren aufgrund der erheblichen Arbeitsüberlastung des Sozialgerichts Augsburg als Spiegel der allgemeinen sozialen Lage.
In der mündlichen Verhandlung vom 07.04.2006 stellt die Bevollmächtigte der Klägerin die Anträge aus der Klageschrift vom 16.12.2004:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.360,18 EUR zu zahlen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
Beide Beteiligte beantragen vorsorglich, die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten und den der beigezogenen Unterlagen der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Sozialgericht Augsburg ist gemäß §§ 51 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) örtlich und sachlich zuständig. Die allgemeine Leistungsklage der Klägerin ist zulässig.
Die Klage erweist sich auch als begründet. Die Beklagte hat der Klägerin 2.360,18 EUR gemäß § 105 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren (SGB X) zu erstatten, die anlässlich der Durchführung einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in Bad G. in der Zeit vom 18.03. bis 08.04.2004 zu Gunsten der Beigeladenen Frau R. H. verauslagt worden sind.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass aktenkundig zwei Anträge auf Leistungen zur Rehabilitation für Versicherte vorliegen. Zum einen hat die Beigeladene Frau R. H. am 18.11.2003 auf einem Antragsformular der BfA Berlin (nunmehr: Deutsche Rentenversicherung Bund) einen Antrag gestellt, der dort am 02.12.2003 eingegangen ist. – Der weitere Antrag der Beigeladenen Frau R. H. vom 23.12.2003 auf einem Antragsformular der LVA Schwaben (nunmehr: Deutsche Rentenversicherung Schwaben) ist ebenfalls weitergeleitet worden. – Der erstgenannte Antrag ist von der Deutschen Rentenversicherung Bund bereits mit Telefax vom 10.12.2003 an die Klägerin weitergeleitet worden.
Unabhängig von der doppelten Antragstellung ist festzustellen, dass die Beklagte "erstangegangener" Träger im Sinne von § 14 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) ist. Denn die Aushändigung und Prüfung von Antragsformularen der Rentenversicherungsträger durch die Beklagte beinhaltet, dass diese für sich eine Leistungspflicht verneint hat. Findet eine Prüfung der Zuständigkeit wie hier statt, hat die Beklagte den Antrag der Beigeladenen nicht lediglich als Bote im Sinne von § 16 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil (SGB I) entgegengenommen und weitergeleitet.
Somit ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts die Deutsche Rentenversicherung Bund als "zweitangegangener" Träger im Sinne von § 14 Abs. 1 und 4 SGB IX anzusehen (vgl. Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15.11.2004 – S 10 KR 250/03). Von dort aus hätte der Vorgang nicht erneut an die hiesige Klägerin weitergeleitet werden dürfen.
In diesem Zusammenhang kann offen gelassen werden, ob die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Deutsche Rentenversicherung Schwaben nunmehr als Einheit anzusehen sind oder nicht. Denn es handelt sich hier um einen Vorgang, der vor der Umstrukturierung der Rentenversicherungsträger eingeleitet und abgeschlossen worden ist.
Aus der Sicht des erkennenden Gerichts handelt es sich bei der hiesigen Beklagten vielmehr um den "drittangegangenen" Leistungsträger. Eine solche Fallkonstellation ist in § 14 Abs. 1 und 4 SGB IX nicht geregelt. Der Erstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich vielmehr aus § 105 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren (SGB X): Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat …
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VI sind nicht erfüllt: Die Klägerin hat den Beruf einer Bankkauffrau erlernt. Sie ist zuletzt als Postzustellerin (Mini-Job) tätig gewesen. Der aktenkundige Versicherungsverlauf vom 01.06.1999 weist an beitragspflichtigen Zeiten 132 Monate auf, nicht jedoch die gesetzlich geforderten 15 Jahre (= 180 Monate).
Soweit sich die Beklagte mit Schriftsätzen vom 22.03.2005 und 20.05.2005 auf das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 27.08.2004 stützt, begründet dies keine Leistungspflicht der Klägerin nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI: Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass die Beigeladene Frau R. H. an einem Morbus Bechterew leidet. Ausweislich des Reha-Entlassungsberichtes des Gesundheitszentrums Johannesbad GmbH/Bad G. vom 08.04.2004 ist eine Spondylarthritis im Stadium einer ISG-Arthritis diagnostiziert worden. Dies bedingt, dass die Beigeladene Frau R. H. nur noch leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung zeitweilig im Stehen, im Gehen und im Sitzen in Tagesschicht verrichten kann. Entsprechende Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind ohne zeitliche Einschränkung vollschichtig ausführbar. Mit anderen Worten: Die Beigeladene Frau R. H. könnte aus medizinischer Sicht in ihrem erlernten Beruf als Bankkauffrau wieder vollschichtig tätig werden. Gleiches gilt für entsprechend leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. – Entgegen den rechtlichen Schlussfolgerungen des MDK mit Gutachten vom 27.08.2004 nach Aktenlage ist daher zum damaligen Zeitpunkt nicht zu erwarten gewesen, dass die Beigeladene Frau R. H. "in absehbarer Zeit vermindert erwerbsfähig sein wird". Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne von § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI haben somit nicht vorgelegen.
Vielmehr wird aus den Angaben der Beigeladenen Frau R. H. vom 18.11.2003 deutlich, dass die in Bad G. durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme aus medizinischen Gründen durchgeführt worden ist: "Ich habe eine pflegebedürftige Schwiegermutter! Durch die Schmerzen wird bei mir diese Pflege erheblich erschwert! Außerdem belastet dies auch psychisch!". – Nachdem von der Pflegekasse der Schwiegermutter der Beigeladenen Frau R. H. keine Leistungen zur sozialen Sicherung der Pflegeperson gemäß § 44 des Sozialgesetzbuches – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) erbracht werden, ist nicht die Klägerin, sondern die Beklagte der zuständige Leistungsträger für die in der Zeit vom 18.03. bis 08.04.2004 in Bad G. durchgeführten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gewesen.
Nach alledem ist der Klage stattzugeben gewesen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit §§ 154 ff. der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen gewesen: Die Problematik eines "erstangegangenen", "zweitangegangenen" oder "drittangegangenen" Trägers bzw. die sich hieraus ergebenden Fragen der "Weiterleitung" im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB IX bzw. § 16 Abs. 2 SGB I sind bislang höchstrichterlich nicht geklärt.
Erstellt am: 24.04.2006
Zuletzt verändert am: 24.04.2006