I. Der Bescheid vom 24. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. November 2004 wird insoweit aufgehoben, als Unfallfolgen nicht anerkannt und die Gewährung von Verletztenrente abgelehnt worden ist.
II. Die Beklagte wird verurteilt, als Folge des Arbeitsunfalls vom 30. Oktober 2002 einen Tinnitus beidseits anzuerkennen und mit einer Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 20 v.H. zu entschädigen.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten streitig, zu welchen gesundheitlichen Schäden der Unfall vom 30.10.2002 geführt hat und ob sich daraus ein Anspruch des Klägers auf Verletztenrente ergibt.
Der am 1951 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt von Beruf Kraftfahrer.
Am 30.10.2002 fiel ihm bei Abladearbeiten ein Kantholz mit einem Gewicht von rund 9 kg auf den Kopf. Der Kläger war danach benommen, hatte starke Schmerzen und litt unter Übelkeit. Von einem Arbeitskollegen wurde er zum Hausarzt gefahren, der ihn umgehend nach der Erstbehandlung ins Kreiskrankenhaus K. überwies.
Dort wurde der Kläger vom 30. bis zum 31.10.2002 zur stationären Beobachtung aufgenommen. Es wurde am Schädel eine diskrete Schürfung mit geringer Schwellung der Umgebung festgestellt. Der Kläger litt unter Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindel. Die Anfertigung von Röntgenaufnahmen ergab keine frische Verletzung. Es wurde die Diagnose einer Schädelprellung mit Verdacht auf Commotio cerebri und einer oberflächlichen Schürfung gestellt. Am 31.10.2002 erfolgte die Entlassung, da der Gesundheitszustand des Klägers unauffällig war.
Am 05.11.2002 stellte sich der Kläger erneut zur ambulanten Behandlung im Kreiskrankenhaus K. vor. Er klagte über zunehmende Schmerzen zwischen den Schulterblättern mit Ausstrahlung in beide Arme (Diagnose: HWS-Distorsion). Zudem fühle er sich seit dem Unfall immer etwas schwindelig und habe ein helles Pfeifen in beiden Ohren.
Die am 07.11.2002 angefertigte Kernspintomographie ergab keine strukturellen Verletzungen, aber degenerative Veränderungen.
Die von der gesetzlichen Krankenversicherung des Klägers eingeholte Leistungsauskunft enthielt eine rund einmonatige Arbeitsunfähigkeitszeit im Jahre 1996 u.a. wegen eines HWS-Syndroms.
Am 02.11.2002 wurde der Kläger hals-nasen-ohren-ärztlich durch Dr. H. behandelt. Dieser stellte einen traumatischen Innenohrschaden in Form eines Tinnitus fest. Vom 19. bis zum 22.11.2002 wurde eine Infusionsbehandlung wegen des Tinnitus durchgeführt, wobei jedoch ein bleibender Erfolg nicht zu verzeichnen war. In der Folgezeit begab sich der Kläger wegen des Tinnitus auch in psychologische Behandlung.
Im Auftrag der Beklagten erstellte der Gutachter Dr. G. am 03.04.2003 ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage. Nach Ansicht des Gutachters sei durch das Auftreffen des Kantholzes eine Stauchung der HWS verursacht worden. Eine derartige Stauchung heile innerhalb überschaubarer Zeit folgenlos aus. Es sei von unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit vom 30.10.2002 bis zum 08.12.2002 auszugehen. Die ab dem 09.12.2002 vorliegende MdE liege unter 10 v.H …
Weiter holte die Beklagte ein Gutachten beim Hals-Hasen-Ohren-Arzt Dr. O. vom 14.05.2003 ein. Dieser stellte einen Tinnitus bei 1500 Hz fest. Der Gutachter wies darauf hin, dass Traumen der Halswirbelsäule als mögliche Auslöser von Tinnitus gelten würden. Ein Auftreten des Tinnitus mit einer Latenz wie im vorliegenden Fall (erst bei der Nachuntersuchung angegeben) sei nichts Ungewöhnliches. Es sei daher vom Vorliegen eines vertebragenen Tinnitus nach Verstauchung der HWS als Unfallfolge auszugehen. Die MdE (allein) wegen des Tinnitus sei auf 10 v.H. zu schätzen. Eine höhere MdE sei einer psychiatrischen Zusatzbegutachtung vorbehalten.
Zu diesem Gutachten holte die Beklagte eine fachärztliche Stellungnahme nach Aktenlage beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. G. vom 06.06.2003 ein. Dieser schloss sich der Einschätzung des Vorgutachters nicht an und begründete dies damit, dass dieser die einwandfrei nachgewiesenen HWS-Veränderungen, die seit fast 10 Jahren bestünden, nicht berücksichtigt habe. Eine zusätzliche psychiatrische Begutachtung sei nicht erforderlich.
Mit Bescheid vom 24.06.2003 erkannte die Beklagte den Unfall vom 30.10.2002 als Arbeitsunfall an; die Gewährung von Rente lehnte sie jedoch ab.
Dagegen erhoben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 02.07.2003 Widerspruch. Zur Begründung des Widerspruchs wurde auf das eingeholte hals-nasen-ohren-ärztliche Gutachten und die Erforderlichkeit der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens hingewiesen.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte ein weiteres hals-nasen-ohren-ärztliches Gutachten bei Dr. K. vom 31.03.2004 ein. Nach dessen Bewertung sei der Tinnitus beidseits als Unfallfolge mit einer MdE in Höhe von 10 v.H. anzuerkennen. Aufgrund der Akzentuierung des Tinnitus sei eine Zusatzbegutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet angeraten.
Zu diesem Gutachten äußerte sich im Auftrag der Beklagten die HNO-Ärztin Dr. B. mit Schreiben vom 02.05.2004 wie folgt: Nach der maßgeblichen Literatur könne ein Tinnitus nur Folge eines Traumas sein, wenn gleichzeitig andere objektivierbare pathologische Befunde aufgetreten seien, z.B. Hörschäden. Ein Tinnitus als alleiniges Symptom lasse sich in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge darstellen. Posttraumatische Funktionsstörungen bei HWS-Schädigungen seien u.U. schwer zu deuten. Gefügestörungen der HWS könnten aber zu einer Innenohr-Symptomatik (u.a. Tinnitus) führen. Gegen einen unfallbedingten Tinnitus beim Kläger spreche, dass der beim Kläger diagnostizierte Hörschaden wohl auf eine chronische Lärmexposition des Klägers (10 Jahre Tätigkeit in einem Sägewerk) zurückzuführen sei. Zudem lägen beim Kläger ausgeprägte degenerative HWS-Veränderungen vor. Dem Schädeltrauma vom 30.10.2002 könne allenfalls eine zusätzliche und untergeordnete Bedeutung zugebilligt werden.
Der zu dieser Stellungnahme befragte Gutachter Dr. K. wies in seinem Schreiben vom 28.07.2004 darauf hin, dass zwar eine Vorschädigung der Halswirbelsäule gegeben sei, der Zusammenhang mit dem Unfall aber als sicher angesehen werden müsse.
In einer weiteren, von der Beklagten eingeholten Stellungnahme nach Aktenlage äußerte sich der HNO-Arzt Dr. G. am 07.10.2004 dahingehend, dass bezüglich der Verursachung des Tinnitus das Trauma vom 30.10.2002 als untergeordnet gegenüber den seit Jahrzehnten vorbestehenden HWS-Schädigungen zu bezeichnen sei, da der Kläger unmittelbar nach dem Unfall keine subjektiven Ohrgeräusche bemerkt habe, nicht bewusstlos gewesen sei und erst am nächsten Tag zur stationären Überwachung kurzzeitig aufgenommen und beobachtet worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Ohrgeräusche stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall.
Dagegen erhoben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 23.11.2004 Klage.
Nach der Einholung von Befundberichten bei den behandelnden Ärzten gab das Gericht ein hals-nasen-ohren-ärztliches Gutachten bei Prof. Dr. Sch. in Auftrag. Diese stellte in ihrem Gutachten vom 24.10.2005 fest, dass der Tinnitus des Klägers beidseits mit einem 2000 Hz-Ton verglichen worden sei. Zudem stellte sie eine periphere Gleichgewichtsstörung fest. Nach den Angaben des Klägers bei der Untersuchung habe er schon am Unfalltag Geräusche in beiden Ohren gehört; als diese nicht besser geworden seien, habe er sie nach 4 Wochen gegenüber seinem Hausarzt erwähnt.
Bei den von der Gutachterin vorgenommenen Messungen zur Hörfähigkeit ließen sich zuverlässige Aussagen über das tatsächliche Ausmaß der beim Kläger vorliegenden Schwerhörigkeit nicht treffen, da der dringende Verdacht auf eine Pseudohypakusis vorliege.
Zum Tinnitus führte die Gutachterin Folgendes aus: Ein Tinnitus sei bei stumpfen Schädeltraumen in gleicher Weise möglich wie bei einem Knalltrauma. Beim Schädeltrauma gelange die einmalige schädigende Druckwelle auf dem Knochenleitungsweg an das Innenohr. In derartigen Fällen liege der Tinnitus in der Regel bei 4000 bis 6000 Hz. Hier sei eindeutig ein tieferer Ton bei 2000 Hz (früher: 1500 Hz) gegeben. Dies sei ein uncharakteristischer Bereich für stumpfe Schädeltraumen. Jedoch sei eine Frequenz von 1500 bis 2000 Hz häufig bei zervikalem Tinnitus gegeben, der durch eine HWS-Schädigung entstanden sei. Als Grundlage der Schädigung seien sowohl eine degenerative Entwicklung als auch ein Schleudertrauma möglich. Hier liege eine Verstauchung der HWS vor. Zudem sei ein zeitlicher Zusammenhang des Auftretens des Tinnitus zum Unfall gegeben. Der Tinnitus sei aber nur im Sinne einer abgrenzbaren Verschlimmerung, nicht der Entstehung, als Unfallfolge anzuerkennen. Dies sei damit zu begründen, dass der Kläger bereits seit 1990 an Wirbelsäulenbeschwerden mit Ausstrahlung in Schulter und Kopf leide und zudem bereits ein Bandscheibenvorfall in der HWS gegeben gewesen sei. Aus dem beim Kläger vorliegenden geringfügigen Hörverlust ergebe sich keine messbare MdE, zumal ein Vorschaden wegen Lärm am Arbeitsplatz anzunehmen sei. Zusammenfassend stellte die Gutachterin fest, dass der Tinnitus als abgrenzbare Verschlimmerung als Unfallfolge anzuerkennen sei, wobei der Begriff "abgrenzbar" nur den Entstehungsmechanismus betreffe. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ohne Berücksichtigung der Genese 10 v.H., abzüglich des Vorschadens unter 10 v.H … Bei psychovegetativen Begleiterscheinungen sei auch eine höhere MdE möglich; es sei daher evtl. ein psychiatrisches Gutachten angebracht.
Zu diesem Gutachten äußerte sich die Beklagte im Schreiben vom 06.02.2006 dahingehend, dass aus ihrer Sicht der Tinnitus nicht unfallbedingt sei. Die beim Unfall vom 30.10.2002 erlittene Verletzung sei bagatellartig. Zudem seien der Vorschaden an der HWS zu berücksichtigen und der uncharakteristische Frequenzbereich des Tinnitus. Eine Verschlimmerung sei nur möglich, wenn ein klinisch manifester Vorschaden vorgelegen habe. Es wäre daher allenfalls möglich, den Tinnitus im Sinne der Entstehung als unfallbedingt zu betrachten, wobei dies die Gutachterin verneint habe.
Im Auftrag des Gerichts erstellte der Nervenarzt Dr. A. am 27.04.2006 ein Gutachten. Bei der Untersuchung stellte er eine depressiv getönte Stimmungslage, eine Interessensminderung, eine soziale Rückzugsneigung sowie einen Antriebsmangel fest. Es sei von einem depressiven Syndrom im Sinne einer depressiven Anpassungsstörung auszugehen. Ursache dafür seien die anhaltenden körperlichen Beschwerden, insbesondere der Tinnitus. Die mit einem Tinnitus verbundene Schlafstörung könne die Ausprägung des depressiven Syndroms begünstigen. Bei der Bewertung der anhaltenden körperlichen Beschwerden sei die depressive Erkrankung zu berücksichtigen, da sie zu einem verstärkten Empfinden der körperlichen Beschwerden führe. Sofern der Tinnitus als unfallbedingt zu betrachten sei, sei die MdE des Tinnitus bei Berücksichtigung der Folgen auf nervenärztlichem Gebiet auf 20 v.H. statt 10 v.H. für den Tinnitus isoliert zu schätzen.
In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 16.06.2006 folgte die Gutachterin Prof. Dr. Sch. der Einschätzung des Nervenarztes Dr. A. dahingehend, dass die MdE durch den Tinnitus unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf nervenärztlichem Fachgebiet unberücksichtigt der Genese mit 20 v.H. zutreffend sei. Die unfallbedingte MdE infolge des Tinnitus sei auf 10 v.H. zu schätzen, da der Tinnitus zwar nach der Verstauchung der HWS durch den Unfall aufgetreten sei, jedoch zumindest nicht in diesem Ausmaß entstanden wäre, wenn die Halswirbelsäule nicht vorgeschädigt gewesen wäre. Der Tinnitus sei daher nur im Sinne der abgrenzbaren Verschlimmerung anzuerkennen.
Mit Schreiben vom 05.07.2006 führte die Beklagte unter Hinweis auf das Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 14.04.2005, Az.: L 1 U 108/03, aus, dass die Anerkennung des Tinnitus als Unfallfolge mangels objektivierbarer pathologischer Befunde nicht möglich sei.
In der Sitzung vom 25.09.2006 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers, den Bescheid vom 24.06.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.11.2004 aufzuheben und dem Kläger unter Anerkennung des Tinnitus als Unfallfolge eine Verletztenrente wegen des Unfalls vom 30.10.2002 zuzusprechen.
Der Vertreter der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten des Gerichts und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Der beim Kläger vorliegende Tinnitus beidseits ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 30.10.2002 zurückzuführen. Er begründet unter Einbeziehung der sich daraus ergebenden psychischen Auswirkungen eine MdE in Höhe von 20 v.H …
Ein Arbeitsunfall ist gemäß § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII) ein Versicherungsfall. Dabei sind nach § 8 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Das äußere Ereignis muss mit der die Versicherteneigenschaft begründenden Tätigkeit rechtlich wesentlich zusammenhängen. Dabei bedürfen alle rechtserheblichen Tatsachen des vollen Beweises, d. h. sie müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben (vgl. BSGE 45, 285, 287). Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann (vgl. BSGE 58, 80, 83; 61, 127, 128). Hingegen genügt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen der schädigenden Einwirkung und der Gesundheitsstörung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSGE 58, 80; 61, 127, 129).
Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSGE 45, 285, 286; 60, 58, 59).
Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 280). Daran fehlt es, wenn eine Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte (vgl. BSGE 62, 220, 221).
Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten möchte, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des Klägers (vgl. BSGE 6, 70, 72).
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Sofern die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mindestens 10 v. H. beträgt, ist bei Vorliegen mehrerer Versicherungsfälle eine Berücksichtigung im Rahmen einer Stützrente möglich (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII).
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Dabei kommt es nicht auf die Schwere der beim versicherten Unfall ursprünglich erlittenen Verletzungen an. Entscheidend ist vielmehr, welcher Gesundheitsschaden aufgrund des Unfalls verblieben ist und welche Funktionsbeeinträchtigungen in Sinne einer Beeinträchtigung körperlicher oder geistiger Fähigkeiten sich aus diesem verbliebenen Schaden ergeben. Auch auf den bisherigen Beruf oder die bisherige Tätigkeit kommt es grundsätzlich nicht an (vgl. Ricke, in: Kasseler Kommentar, § 56 SGB VII, RdNr. 16). Damit ist sichergestellt, dass bei identischen Unfallfolgen die MdE aller Verletzten unabhängig von der individuellen beruflichen Tätigkeit prinzipiell die selbe ist. Bei der Festlegung der MdE ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (vgl. BSGE 21, 63, 66), wobei für die MdE die Erwerbsfähigkeit jedes Versicherten vor dem Versicherungsfall mit 100 anzusetzen ist (vgl. BSGE 43, 209, 210).
Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Bei der Bewertung der MdE sind die von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung in jedem Einzelfall bindend sind, aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22 m.w.N.).
Die ärztlichen Schätzungen zur MdE sind für das Gericht bedeutsame, oft unentbehrliche Anhaltspunkte, ohne dass das Gericht daran gebunden wäre (vgl. Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, S. 154). So hat das Bundessozialgericht mehrfach (vgl. z.B. Beschluss vom 22.08.1989, Az.: 2 BU 101/89) darauf hingewiesen, dass die Bewertung der MdE nicht die eigentliche Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen ist. Dessen Sachkunde bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit sich derartige Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben daher keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen.
Auf den hier zu entscheidenden Fall übertragen bedeutet dies Folgendes:
Sämtliche Gutachter, die den Kläger untersucht haben, nämlich im Verwaltungsverfahren die HNO-Ärzte Dr. O. und Dr. K. sowie im Gerichtsverfahren die HNO-Ärztin Prof. Dr. Sch. gehen davon aus, dass der Tinnitus des Klägers auf die Verstauchung der HWS beim Unfall vom 30.10.2002 zurückzuführen ist. Dieser Einschätzung schließt sich das Gericht an.
Lediglich die von der Beklagten gehörten Beratungsärzte stellen die Kausalität in Abrede, wobei dies aus den in der Folge aufgezeigten Gründen nicht nachvollziehbar erscheint:
In seiner Stellungnahme vom 06.06.2003 verneint Dr. G. einen Unfallzusammenhang allein wegen vorbestehender HWS-Veränderungen. Eine weitergehende Begründung enthält seine Stellungnahme nicht. Ein vorbestehender Schaden, der möglicherweise einen Tinnitus verursachen kann, schließt jedoch eine Verursachung des Tinnitus durch einen Unfall nicht aus.
Eingehendere Ausführungen enthält die Stellungnahme von Dr. B. vom 02.05.2004. Diese zeigt unter Bezugnahme auf die Begutachtungsliteratur auf, welche Kriterien bei der Abwägung des Ursachenzusammenhangs bei einem Tinnitus zu beachten sind. Aus ihrer Sicht spricht im Wesentlichen gegen einen Zusammenhang, dass ein degenerativer Vorschaden vorliegt und weitere objektivierbare Befunde, wie sie für einen unfallbedingten Tinnitus erforderlich wären, nicht gegeben sind, da der Hörschaden des Klägers wohl eher lärmbedingt sein dürfte. Dieser Gewichtung kann das Gericht jedoch nicht folgen. Zwar trifft es zu, dass beim Kläger – lärmbedingt – bereits von einer vorbestehenden Hörschädigung auszugehen ist; es ist aber nach sämtlichen gutachtlichen Ausführungen nicht eindeutig belegt, dass durch den Unfall nicht eine weitergehende (geringfügige) Hörverschlechterung hinzugekommen ist, so dass nur schwer abgrenzbar ist, ob und inwiefern sich das Hörvermögen auch durch den Unfall verschlechtert hat. Aufgrund dieser objektiven Differenzierungsprobleme darf jedenfalls der Gesichtspunkt des Fehlens gleichzeitig anderer objektivierbarer Befunde (wie Hörschäden) nicht überbewertet werden, da sich dieser Gesichtspunkt letztlich nicht definitiv aufklären lässt. Zudem kann das Gericht den Ausführungen von Dr. B. auch deshalb nicht folgen, da nach der maßgeblichen Begutachtungsliteratur bei einem traumabedingten Tinnitus ein Hörverlust nicht zwingend eintreten muss (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 443). Weiter ist den Ausführungen von Dr. B. zu dem Gesichtspunkt, dass gleichzeitig neben dem Tinnitus andere objektivierbare Befunde vorliegen müssen, entgegenzuhalten, dass der Kläger bereits am Unfalltag über Schwindelgefühle geklagt hat, die bis heute anhalten. Diese Schwindelgefühle sind nach dem Gutachten von Prof. Dr. Sch. auf eine periphere Gleichgewichtsstörung zurückzuführen; Hinweise auf eine zentrale Gleichgewichtsstörung fehlen. Insofern können auch in diesem Gesichtspunkt anderweitige objektivierbare Befunde neben dem Tinnitus gesehen werden. Zu den Ausführungen der Dr. B. zu den degenerativen Vorschäden kann auf das bereits oben Ausgeführte verwiesen werden.
Der Stellungnahme des Dr. G. vom 07.10.2004 ist – wie oben – entgegenzuhalten, dass er das Vorliegen vorbestehender Beschwerden im Bereich der HWS überbewertet und den Gesichtspunkt einer möglichen Mitursächlichkeit des Unfalls für den Tinnitus vollkommen übersieht. Wenn er zudem gegen einen unfallbedingten Tinnitus einwendet, dass dieser erst mit (erheblicher) zeitlicher Verzögerung eingetreten sei, so ist dazu darauf hinzuweisen, dass dieser bereits in den Verwaltungsakten erstmals am 05.11.2002 dokumentiert ist und nach den Angaben des Klägers bei der gutachtlichen Untersuchung durch Prof. Dr. Sch. bereits am Unfalltag gegeben war. Aber auch unter Zugrundelegung der Annahme, dass der Tinnitus erstmals erst am 05.11.2002 (und nicht schon am Unfalltag) aufgetreten ist, spricht dies nicht gegen einen Unfallzusammenhang, wie dies die Gutachterin Prof. Dr. Sch. ausdrücklich festgestellt hat, sondern eher dafür.
Insofern ist das Gericht zu der Überzeugung gekommen, dass der Tinnitus hinreichend wahrscheinlich eine Folge des Unfalls vom 30.10.2002 darstellt.
Nach der Einschätzung sämtlicher Gutachter und der maßgeblichen Begutachtungsliteratur (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 442) ist ein Tinnitus mit einer – allein auf hals-nasen-ohren-ärztlichem Fachgebiet festzustellenden – MdE in Höhe von 10 v.H. zu bewerten. Sofern psychische Folgen des Tinnitus vorliegen, erhöht sich die wegen des Tinnitus anzusetzende MdE auf 20 v.H., wenn nicht unbedeutende psychische Folgeerscheinungen vorliegen.
Der gerichtliche Gutachter Dr. A. hat überzeugend ausgeführt, dass beim Kläger infolge des Tinnitus ein depressives Syndrom im Sinne einer depressiven Anpassungsstörung vorliegt. Die beim Tinnitus vorliegenden Schlafstörungen begünstigen die Ausprägungen des depressiven Syndroms und erzeugen Wechselwirkungen. Die körperlichen Beschwerden werden verstärkt empfunden. Die sich beim Kläger aus dem Tinnitus ergebenden begleitenden depressiven Reaktionen, die Schlafstörung und die Folgesymptomatik, die sich insbesondere aus der Tagesmüdigkeit und den Konzentrationsstörungen zusammensetzt, führen dazu, dass der Tinnitus mit einer MdE in Höhe von 20 v.H. einzuschätzen ist. Diese Einschätzung ist in Anbetracht der maßgeblichen Begutachtungsliteratur zu psychischen Erkrankungen (vgl. Schönberger, aaO, S. 246) plausibel und wird von der Gutachterin Prof. Dr. Sch. auch bestätigt, wenn diese der Einschätzung des Dr. A. zustimmt, dass der Tinnitus mit Blick auf die psychischen Folgeerkrankungen – unabhängig von der Genese – mit einer MdE in Höhe von 20 v.H … zu bewerten ist. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass eine MdE in Höhe von 20 v.H. für die unfallbedingten Leiden des Klägers angemessen, aber auch ausreichend ist.
Sofern die Gutachterin Prof. Dr. Sch. abweichend von der gerichtlichen Einschätzung von einer MdE in Höhe von 10 v.H. ausgeht, so kann das Gericht dieser Einschätzung nicht folgen.
Ganz abgesehen davon, dass das Gericht an die Bewertung der MdE durch die gerichtlichen Sachverständigen nicht gebunden ist (vgl. z.B. BSG, Beschluss vom 22.08.1989, Az.: 2 BU 101/89), kommt die Gutachterin zu ihrer MdE-Einschätzung in Höhe von 10 v.H. nur aufgrund einer fehlerhaften Anwendung der rechtlichen Grundsätze. Die Gutachterin legt ihrer MdE-Schätzung die Annahme zugrunde, dass der Tinnitus des Klägers nur im Sinne einer abgrenzbaren Verschlimmerung, nicht aber der Entstehung anzuerkennen sei. Sie begründet dies damit, dass der Kläger seit 1990 an Wirbelsäulenbeschwerden mit Ausstrahlung in Schulter und Kopf leide und einen Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule erlitten habe. Ihrer Ansicht nach sei der Tinnitus als abgrenzbare Verschlimmerung anzuerkennen, wobei der Begriff der Abgrenzbarkeit den Begriff des Entstehungsmechanismus betreffe. Unberücksichtigt der Genese schätzt sie die MdE doppelt so hoch ein als abzüglich des Vorschadens.
Diese Argumentation steht im Widerspruch zu den rechtlichen Vorgaben in der gesetzlichen Unfallversicherung. Erforderlich für die Feststellung einer Unfallfolge ist, dass der Unfall eine wesentliche Ursache oder Mitursache darstellt. Dies erfordert nicht, dass das schädigende Ereignis die alleinige oder überwiegende Bedingung ist. Haben mehrere Ursachen gemeinsam zum Gesundheitsschaden beigetragen, sind sie nebeneinander stehende Teilursachen im Rechtssinne, wenn beide Ursachen für den Eintritt des Erfolges wesentlich mitgewirkt haben. Kein Faktor hebt die Mitursächlichkeit des anderen auf (vgl. Schönberger, aaO, S. 80).
Wesentlich ist eine Ursache nicht erst dann, wenn sie überwiegend, gleichwertig oder annähernd gleichwertig ist. Nach der von Krasney geprägten Faustformel (vgl. Krasney in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3 Gesetzliche Unfallversicherung, 12. Auflage, Stand 2002, § 8, Rdnr 314) ist rechtlich wesentlich eine Bedingung nur dann nicht, wenn sie neben anderen Bedingungen an der Entstehung des Gesundheitsschadens nur mit einem Anteil von 10 v.H. beteiligt ist. Rechtlich wesentlich ist die Bedingung mit Sicherheit dann, wenn sie mindestens den Wert von einem Drittel aller sonst zu berücksichtigenden Umstände erreicht hat. Davon ist in dem hier vorliegenden Fall auszugehen. Wie sich auch aus den Ausführungen der Gutachterin Prof. Dr. Sch. zur Höhe der MdE ergibt, hält sie den vorliegenden Schaden zu rund der Hälfte für unfallbedingt. Dies ergibt sich unzweifelhaft daraus, dass die Gutachterin die MdE infolge des Tinnitus ohne Berücksichtigung der Unfallursächlichkeit auf 20 v.H., unter Berücksichtigung des Unfallzusammenhangs auf 10 v.H., also die Hälfte, schätzt. Dies belegt, dass sie den Unfall als gleichwertig mit dem vorbestehenden HWS-Schaden betrachtet.
Unter Zugrundelegung des Alles-oder Nichts-Prinzips (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 78, 84) ist die Kausalität für den gesamten bestehenden Schaden einheitlich zu beurteilen. Insofern kann der Anteil einer unfallfremden Mitverursachung nicht bei der Höhe der MdE herausgerechnet werden.
Auch der Annahme der Gutachterin, dass der Tinnitus (nur) als abgrenzbare Verschlimmerung auf den Unfall vom 30.10.2002 zurückzuführen sei, kann nicht gefolgt werden. Denn von einer Verschlimmerung ist – wie auch die Beklagte zutreffend angemerkt hat – nur dann auszugehen, wenn bereits vor dem Unfall ein klinisch manifester, mit objektivierbaren Veränderungen verbundener Krankheitszustand vorliegt (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 84 ff.). Dies war hier aber nicht der Fall. Der Tinnitus ist erstmals nach dem Unfall aufgetreten. Damit nicht verwechselt werden darf, dass bereits vor dem Unfall mögliche Ursachen für die Entstehung eines Tinnitus vorgelegen haben. Dies kann aber nicht im Rahmen einer Verschlimmerung Berücksichtigung finden, sondern ist bei den Überlegungen zur Kausalität zur Entstehung des Schadens zu berücksichtigen (vgl. oben).
Sofern das LSG Schleswig-Holstein in der von der Beklagten angeführten Entscheidung zu einer anderen Einschätzung bezüglich des Tinnitus in dem dort zu entscheidenden Fall gekommen ist, so ergibt sich daraus keinerlei Bindungswirkung für das hiesige Verfahren. Im Übrigen ist anzumerken, dass sich auch inhaltlich mit Blick auf diese Entscheidung keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der hier getroffenen Einschätzung ergeben, da es letztlich jeweils nur um die medizinische Beurteilung im Einzelfall geht, ohne dass sich daraus grundsätzliche Gesichtspunkte ergäben, die in den beiden Verfahren in Widerspruch stehen würden.
Dem Kläger war daher unter Anerkennung eines Tinnitus beidseits als weitere Unfallfolge eine Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 20 v.H. zuzusprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 12.06.2008
Zuletzt verändert am: 12.06.2008