I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 21. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2006 verurteilt über den 30. November 2005 Leistungen in Höhe von 169,67 Euro monatlich bis 31. Mai 2005 weiter zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Ablehnung der Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II ab 01.12.2005.
Der Kläger, geboren 1981, ist seit 02.06.2005 für voraussichtlich ein Jahr in der Therapieeinrichtung T. zu Drogenentwöhnungsmaßnahme aufgenommen ("Therapie statt Strafe"). Der Kläger wohnt bei einer Familie und hilft in deren Landwirtschaft mit. Die Betreuungskosten werden nach § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX – Hilfe zum selbstbestimmten Wohnen – von der Stadt Augsburg – Amt für soziale Leistungen – getragen und sind mit Bescheid vom 10.10.2005 bis 31.05.2006 bewilligt.
Mit Bescheid vom 23.06.2005 hat die Beklagte unter Berücksichtigung der in den Betreuungskosten enthaltenen Leistungen Arbeitslosengeld II in Höhe von 169,67 Euro monatlich bis 30.11.2005 bewilligt. Auf den Weiterbewilligungsantrag wurde unter Bezug auf das Therapiekonzept davon ausgegangen, dass sich der Kläger länger als sechs Monate in einer vollstationären Einrichtung befinde, damit der Anspruch auf Leistungen nach SGB II nach § 7 Abs. 4 SGB II ausgeschlossen sei. Mit Bescheid vom 21.12.2005 wurde die Weiterbewilligung von Leistungen bis zum Ende der Therapiemaßnahme abgelehnt.
Dagegen legte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 29.12.2005 Widerspruch ein unter Bezug auf die Vereinbarung gemäß §§ 75 ff. SGB XII zwischen dem Träger der Therapieeinrichtung und dem Bezirk Oberbayern. Nach dieser Vereinbarung handle es sich um eine ambulante Maßnahme – Betreutes Einzelwohnen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2006 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach dem Therapiekonzept der Maßnahmeträger die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Klägers übernehme, damit ein Aufenthalt in einer stationären Einrichtung vorliege.
Dagegen legte der Kläger am 02.02.2006 durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Augsburg ein.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 08.03.2006 wurde der Dipl.-Sozialpädagoge Herr R. von T. als Zeuge einvernommen. Insoweit wird auf die Terminsniederschrift Bezug genommen.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragte im Termin,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 21.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.01.2006 zu verurteilen auch für die Zeit vom 01.12.2005 bis 31.05.2006 Alg II in bisheriger Höhe weiter zu bewilligen.
Der Vertreter der Beklagten beantragte im Termin die Klageabweisung.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wid auf den Inhalt der Leistungsakte der Beklagten sowie der Klageakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Die Stadt Augsburg – Amt für soziale Leistungen – war nicht zum Verfahren beizuladen, da die Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht erfüllt sind. Es handelt sich weder um einen anderen Versicherungsträger noch um einen Fall des sozialen Entschädigungsrechts.
Arbeitslosengeld II erhalten erwerbsfähige Hilfbedürftige (§ 19 SGB II). Erwerbsunfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Jedenfalls für den streitigen Zeitraum hat der Kläger voll in einer Landwirtschaft mitgearbeitet, sodass an einer Erwerbsfähigkeit im Sinn von § 8 SGB II kein Zweifel besteht. Soweit noch Defizite bezüglich einzelner Fähigkeiten für den ersten Arbeitsmarkt bestanden hätten liegen solche einzelnen Defizite auch beim Langzeitarbeitslosen (Verlust der Tagesstruktur, Verlust von einzelnen Arbeitskompetenzen) vor, ohne dass dadurch z.B. die Verfügbarkeit im Sinn von § 119 SGB III in Zweifel gezogen würde.
Es besteht beim Kläger auch noch eine teilweise Hilfebedürftigkeit in Höhe des von der Beklagten im ersten Bewilligungsbescheid anerkannten Teiles des Regelsatzes.
Die Leistung ist auch nicht nach § 7 Abs. 4 SGB II ausgeschlossen. Danach erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. § 7 Abs. 4 SGB II wurde auf Anregung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit nachträglich in § 7 eingefügt mit dem Ziel der "Harmonisierung" mit dem Sprachgebrauch der stationären Unterbringung – jetzt § 35 SGB XII – (Bundestags-Drucksache 15/1749 S. 31). Die Regelung ist eine der Geheimnisse des SGB II (Brühl in LPK-SGB II § 7 RdNr. 54).
Das SGB II definiert den Begriff der stationären Einrichtung nicht. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII sind stationäre Einrichtungen Einrichtungen, in denen Leistungsberechtigte leben und die erforderlichen Hilfen erhalten. Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB XII haben ambulante Leistungen Vorrang vor teilstationären oder stationären Leistungen. Für eine stationäre Einrichtung ist im Gegensatz zur ambulanten Leistungserbringung ein Vollaufenthalt des Leistungsberechtigten und die geeignete sozialhilferechtliche Betreuung zusammengefasst in einer besonderen Organisationsform von personellen und tatsächlichen Mitteln (Wahrendorf in Rube/Wahrendorf, Kommentar SGB XII § 13 RdNr. 7). Für die Interpretation des Begriffs der stationären Einrichtung in § 7 SGB II ist auf das SGB XII zurückzugreifen (Fasselt in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung S. 1019). Durch die Regelung werden Hilfebedürftige aus dem persönlichen Geltungsbereich des SGB II ausgeschlossen, die grundsätzlich erwerbsfähig im Sinn von § 8 wären, aber für die wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung der fordernde und fördernde Ansatz des SGB II nicht in Frage kommt (Fasselt a.a.O.). Die Vollzugshinweise der Agentur für Arbeit greifen demgegenüber auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 100 BSHG zurück. Am 24.02.1994 hatte der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in mehreren Entscheidungen zu § 100 Abs. 1 BSHG (Az.: 5 C 13/91; 5 C 17/91; 5 C 42/91) entschieden, dass der Begriff der stationären Einrichtung auch im Rahmen einer "mobilen Betreuung" bei dezentraler Unterkunft, bei Unterkunft in Familien erfüllt sei. Es reiche aus, wenn nach Maßgabe des angewandten Therapiekonzepts die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Hilfeempfängers vom Träger der Maßnahme übernommen werde.
Es ist zum einen die völlig andere Zielrichtung der Entscheidungen zu berücksichtigen. Es ging offensichtlich um die Klärung von Zuständigkeiten. Zu diesem Zweck wurde der Wortsinn "stationär" bis in Grenzbereiche ausgeweitet.
Bei § 7 Abs. 4 SGB II handelt es sich aber um völlig andere Abgrenzungsfragen. Es ist für die Interpretation primär auf den Wortlaut und die Legaldefinition des § 13 Abs. 1 SGB XII abzustellen. Maßgeblich ist, ob wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung der fördernde oder fordernde Ansatz des SGB II nicht in Betracht kommt. Wenn bei ambulanter Unterbringung die Eingliederung in das Erwerbsleben möglich ist, würde die Nichtgewährung von Leistungen nach SGB II der Zielsetzung der Grundsicherung für Arbeitssuchende entgegenstehen (Löschau/Marschner, Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Praxishandbuch SGB II, S. 44).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme befindet sich der Kläger in einer ambulanten Maßnahme. Er ist bei einer Familie untergebracht und arbeitet in deren Landwirtschaft mit. Es besteht keinerlei besondere Organisationsform, in die der Kläger im Sinn eines Vollaufenthaltes in einer Einrichtung eingebunden wäre. Es bestehen nur Regelvorgaben und eine zeitlich begrenzte (mehrere Stunden einmal pro Woche) therapeutische Begleitung. Ansonsten ist der Aufenthalt bei der Familie allein von der Willensentscheidung des Klägers abhängig. Schon nach dem Wortsinn befindet sich der Kläger nicht in einer stationären Einrichtung.
Während der Maßnahme werden gerade die Ziele der Grundsicherung für Arbeitssuchende erfüllt. Es wird die Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen verbessert/wiederhergestellt. Es wird damit gezielt die Dauer der Hilfebedürftigkeit verkürzt bzw. der Umfang der Hilfebedürftigkeit verringert (§ 1 Abs. 1 SGB II). Im Fall des Klägers ist nach der Aussage des Zeugen bereits der konkrete Weg zurück in ein Arbeitsverhältnis vorgeklärt. Für den streitigen Zeitraum werden gerade die fordernden und fördernden Zielvorgaben des SGB II erfüllt.
Damit war dem Klageantrag zu entsprechen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Es war der Erfolg der Klage zu berücksichtigen.
Erstellt am: 01.03.2007
Zuletzt verändert am: 01.03.2007