I. Die Klage gegen den Bescheid vom 19. Juni 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2007 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR).
Die am 1945 geborene Klägerin nahm erstmals am 01.08.1959 eine Erwerbstätigkeit auf. Mit Rentenantrag vom 08.05.2006 beantragte sie Altersrente für Frauen, die ihr mit Bescheid vom 28.06.2006 für die Zeit ab 01.09.2006 bewilligt wurde. Die Klägerin gab in der Meldung zur KVdR zunächst an, von 1977 bis 1982 bei der AOK, danach seit 1983 laufend bei der Beklagten Mitglied gewesen zu sein. Auf Nachfrage der Beklagten erklärte sie dann, im Zeitaum vom 15.11.1985 – 31.12.1989 privatversichert gewesen zu sein bei der Postbeamten-Krankenkasse. Die Beklagte verneinte mit Bescheid vom 19.06.2006 eine Pflichtversicherung in der KVdR, da in der 2. Hälfte der Rahmenfrist die notwendige Vorversicherungszeit nicht erfüllt sei. Nach der Berechnung der Beklagten fehlen 665 Tage. Die Klägerin hat sich zur Sicherung ihres Krankenversicherungsschutzes bei der Beklagten ab 25.08.2006 (Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld) freiwillig weiterversichert. Mit Bescheid vom 05.09.2006 hat die Beklagte die Höhe des Beitrages zur Krankenversicherung festgestellt und ist dabei von monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen von 1.794,80 EUR ausgegangen mit einem Gesamtbeitrag von 253,04 EUR. Die Beklagte berücksichtigte dabei zum einen die eigene Rente der Klägerin mit 594,80 EUR sowie Unterhaltszahlungen des geschiedenen Ehemannes von 1.200,00 EUR.
Am 22.09.2006 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 05.09.2006 ein. Sie begründete dies damit, dass sie nach 41 Jahren Beitragsleistung als Pflichtmitglied in der Rente nicht einfach ausgeschlossen werden könne. Die Beklagte hat diesen Widerspruch sinngemäß auch als Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.06.2006 behandelt und mit Widerspruchsbescheid vom 10.01.2007 zurückgewiesen.
Die Klägerin hat dann am 24.01.2007 Klage beim Sozialgericht Augsburg erhoben. Ihre Bevollmächtigten haben zur Begründung vorgetragen, dass sich die Klägerin im Jahr 1985 nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes bei ihrem Ehemann habe mitversichern müssen, der als Beschäftigter der Telekom bei der Postbeamten-Krankenkasse krankenversichert war. Dabei handle es sich tatsächlich um eine staatliche Krankenkasse mit Beihilfeberechtigung und nicht um eine private Krankenversicherung. Zielsetzung der Vorversicherungszeit sei, wie der Klägerin auch mit einem Schreiben der Bundesgesundheitsministerin vom 16.11.2006 bestätigt worden sei, dass nur Personen Zugang zur KVdR erhalten, die sich zuvor als aktive Mitglieder ausreichend lange an der Tragung der Solidarlasten beteiligt haben. Davon sei bei der Klägerin auszugehen, da sie insgesamt 41 Jahre aktiv Pflichtmitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gewesen sei. Es liege eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vor im Vergleich zu anderen Rentnern, die insgesamt eine weit geringere Zeit in der GKV pflichtversichert gewesen seien und die weniger an aktiver Solidarleistung für die GKV erbracht hätten. Der Gesetzgeber sei gehalten gewesen für Fälle langjähriger Mitglieder der GKV (über 40 Jahre) eine Regelung zu schaffen, wonach auch diese in die KVdR aufgenommen werden könnten.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 19.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2007 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin ab 25.08.2006 nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V pflichtversichertes Mit- glied der Beklagten ist.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 57 Abs. 1, 51 Abs. 1, 8 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich und sachlich zuständig. Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 19.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.01.2007 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, ab 25.08.2006 als pflichtversichertes Mitglied der Beklagten in der KVdR aufgenommen zu werden.
Die Beklagte hat die Aufnahme der Klägerin in die KVdR (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V) anlässlich der Rentenantragstellung zutreffend abgelehnt. Voraussetzung für die Aufnahme in die KVdR ist, dass der Rentenantragsteller gerechnet von der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrages mindestens 9/10 der zweiten Hälfte dieses Zeitraumes Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung oder nach § 10 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) familienversichert war. Diese Voraussetzungen hat die Klägerin unstreitig nicht erfüllt, da sie in der zweiten Hälfte der Rahmenfrist im Zeitraum vom 15.11.1985 bis 31.12.1989 nicht in der GKV versichert war und damit die notwendige Vorversicherungszeit von 9/10 in der zweiten Hälfte der Rahmenfrist nicht erfüllt. Die Klägerin war im Zeitraum vom 15.11.1985 – 31.12.1989 nach eigenen Angaben über ihren Ehemann in der Postbeamten-Krankenkasse familienversichert. Zwar stellt die Postbeamten-Krankenkasse keine private Krankenversicherung im eigentlichen Sinne dar, jedoch zählt sie auch nicht zu den gesetzlichen Krankenkassen (siehe § 21 Abs. 2 SGB I). Die Vorversicherungszeit ist jedoch nur bei Mitgliedschaft in der GKV erfüllt.
Das von der Klägerin gewünschte Ergebnis kann auch nicht über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erreicht werden. Eine unzureichende oder falsche Beratung der Klägerin im Jahr 1985 durch die Beklagte liegt nicht vor, da damals die mit Einführung des SGB V im Jahre 1989 vorgenommene Gesetzesänderung mit Einführung der Vorversicherungszeit von 9/10 in der zweiten Hälfte der Rahmenfrist nicht absehbar war.
Dass die Mitgliedschaft in der KVdR an einer Vorversicherungszeit von 9/10 innerhalb der zweiten Hälfte der Rahmenfrist der Erwerbstätigkeit anknüpft, ist aus Sicht des Gerichts auch nicht verfassungswidrig, weshalb keine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Grundgesetz (GG) erforderlich ist.
In Betracht käme lediglich ein Verstoß gegen den Gleichbehand- lungsgrundsatz des Art. 3 GG, worauf auch die Argumentation der Klägerseite abzielt. Art. 3 Abs. 1 GG ist zur Überzeugung des Gerichts jedoch nicht verletzt.
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleichzubehandeln. Ein Verstoß hiergegen liegt dann vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe von Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 78, 232 f.; BVerfGE 87, 1 f.). Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Prüfung eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundatz ist also die Frage, ob eine Personengruppe gegenüber einer anderen ohne hinreichenden sachlichen Grund unterschiedlich behandelt wird.
In Betracht käme ein Vergleich derjenigen Gruppe der eine Rente nach dem SGB VI beziehenden Frauen, die in ihrem Erwerbsleben pflichtversichert oder über ihren Ehemann in der gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert waren mit einer Gruppe derjenigen Rentenbezieherinnen, die pflichtversichert, während eines Zeitraumes der Familienversicherung aber nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung waren, weil der Ehemann Beamter ist. Zu letzterer Gruppe würde die Klägerin gehören. Eine Ungleichbehandlung ist darin jedoch nicht zu erkennen, da die Differenzierung der Gruppen aus sachlichen Gründen erfolgt. Beamte sind nämlich nach § 6 SGB V grundsätzlich versicherungsfrei, können sich jedoch freiwillig versichern. Die familienversicherte Ehefrau teilt das Schicksal des Ehemannes, der sich im Falle der Klägerin gegen eine gesetzliche Krankenversicherung entschieden hatte. Die sachliche Differenzierung beruht auf der Beamtenstellung des Ehemannes.
Auch hatte es die Klägerin selbst in der Hand, in der Zeit ab 15.11.1985 als Mitglied in der GKV zu verbleiben. Denn sie hätte sich nach Ende des Arbeitslosengeldbezuges gemäß § 313 Abs. 1 und 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) freiwillig weiterversichern können. Dass sie dies nicht getan hat, wohl weil die Absicherung als Familienversicherte in der Postbeamten-Krankenkasse günstiger war, kann jetzt nicht zu einer Gleichstellung mit einer Gruppe derjenigen führen, die sich freiwillig weiterversichert hatten.
Eine Ungleichbehandlung kann auch nicht darin gesehen werden, dass nach der jetzigen gesetzlichen Regelung des § 192 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) die Mitgliedschaft von Frauen in der gesetzlichen Krankenversicherung bestehen bleibt, während sie Erziehungsgeld beziehen, während dagegen die Generation der Klägerin diese Möglichkeit nicht hatte. Denn für das 1966 geborene Kind der Klägerin war die Zeit der Kindererziehung bereits abgeschlossen, als es in der zweiten Hälfte der Rahmenfrist zur Familienversicherung beim Ehemann kam.
Von Klägerseite wird zum Vergleich eine Gruppe von Rentenbeziehern herangezogen, die insgesamt geringere Mitgliedschaftszeiten und eine geringere Beitragstragung als die Klägerin aufweisen, jedoch deshalb in der KVdR pflichtversichert sind, weil (zufällig) während der zweiten Hälfte der Rahmenfrist die 9/10-Belegung erfüllt ist. Diese unterschiedliche Behandlung ist indes zur Überzeugung des Gerichts durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt. § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V stellt bei der Berechnung der Vorversicherungszeit auf die individuelle Erwerbsbiographie des jeweiligen Rentners ab. Rentner sind grundsätzlich nur dann versichert, wenn sie mindestens 9/10 der zweiten Hälfte "ihres" individuellen Erwerbslebens der GKV angehört haben. Durch die Zugangsverschärfung mit Einführung des SGB V wollte der Gesetzgeber den Gedanken der Solidarität stärker als bisher betonen und vermeiden, die Versichertengemeinschaft mit Krankheitskosten von Personen zu belasten, die während der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens der gesetzlichen Krankenversicherung nicht längere Zeit angehört haben (Bundestags-Drucks. 11/2237). Das Kriterum der Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft ist dabei eines der Prinzipien, die den Gesetzgeber bei der Einrichtung einer Pflichtversicherung insgesamt leiten und kann ein Anhaltspunkt für die Sachgerechtigkeit einer Grenzziehung mit der Folge unterschiedlicher Beitragslast sein (BVerfGE, Beschluss vom 15.03.2000 – 1 BvL 16/96 u.a. – in SozR 3-2500 § 5 Nr. 42). Bei der Verschärfung des Zugangs zur KVdR aus dem gewichtigen Grund der Stabilisierung der finanziellen Situation der gesetzlichen Krankenversicherung hätte der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten gehabt. Er hätte für den Zugang zur Pflichtversicherung auch auf die (absolute) Anzahl der Beiträge bzw. die Dauer der Versicherungszeit abstellen können. Tatsächlich hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Vorversicherungszeit aber auf die individuelle Erwerbsbiographie abgestellt und zudem den Schwerpunkt auf die zweite Hälfte des individuellen Erwerbslebens gelegt. Nur diejenigen sind als schutzbedürftig einbezogen worden, die nach ihrer individuellen Erwerbsbiographie längere Zeit in der zweiten Hälfte ihres Berufslebens der Solidargemeinschaft angehört haben. Letzteres erscheint sachgerecht, weil die zweite Hälfte des Erwerbslebens zeitlich näher an den jeweiligen Leistungsfall heranreicht als die erste Hälfte des Erwerbslebens. Verfassungsrechtlich bedenklich wäre die Regelung indes dann, wenn aufgrund der vorgegebenen Berechnung der Vorversicherungszeit (nach der individuellen Erwerbsbiographie) Personengruppen nicht einbezogen worden wären, die wegen ihrer niedrigen Einkünfte eines Schutzes für den Fall der Krankheit auch im Rentenalter bedürfen. Durch die in § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V getroffene Reglung können aber gerade auch Versicherte mit kürzerer Vorversicherungszeit (z.B. bei Eintritt von Erwerbsunfähigkeit in jungen Lebensjahren) in den Schutzbereich der KVdR einbezogen werden. Die getroffene Regelung ist unter dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit des Einzelnen einer Regelung vorzuziehen, die auf die absolute Anzahl der Versicherungsjahre bzw. Beiträge abstellt. Im Übrigen ist auch schon nach der gemäß § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO in der Fassung durch das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz vom 27.06.1977 für den Zugang zur KVdR erforderlichen "Halbbelegung" das individuelle Erwerbsleben des jeweiligen Rentners maßgeblich gewesen. Hinsichtlich des Erfordernisses der sog. Halbbelegung hat das Bundesverfassungsgericht keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben (BVerfGE 69, 272; 72, 84).
Soweit die Klägerin eine Ergänzung der Regelung über den Zugang zur KVdR anstrebt für Personen, die mindestens 40 Jahre Mitgliedschaftszeit aufweisen, und ohne eine derartige Regelung von Verfassungswidrigkeit ausgeht, vermag dem das Gericht nicht zu folgen. Denn bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht verpflichtet, jede erwägenswerte Fallgestaltung zu regeln. Vielmehr ist er befugt, das aus den vorliegenden Erfahrungen gewonnene Gesamtbild seiner Normsetzung zugrunde zu legen. Deshalb darf auch eine Regelung generalisieren, typisieren und pauschalieren, sofern die damit verbundenen Härten und Ungerechtigkeiten nur bei einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Personen auftreten und der Gleichheitssatz nicht wesentlich verletzt ist. Dabei sind auch praktische Erwägungen der Verwaltung von Bedeutung (vgl. BVerfGE 87, 234, 255 f.). Die vom Gesetzgeber gewählte Regelung der Vorversicherungszeiten verwirklicht die naheliegende Forderung, dass der Zugang zur KVdR nur bei einer sowohl hinreichend dauerhaften als auch aktuellen Verbindung zur gesetzlichen Krankenversicherung eröffnet werden soll (BSG vom 26.06.1996 – 12 RK 8/95 in SozR 3-2500 § 5 Nr. 29). Im Übrigen ist für das Gericht auch nicht nachvollziehbar, warum der Anknüpfungspunkt für eine Sonderregelung ausgerechnet eine 40-jährige Pflichtbeitragszeit bzw. Mitgliedschaftszeit sein soll, nachdem vergleichsweise die Härteregelung für den vorzeitigen Bezug einer Altersrente für langjährig Versicherte (§ 236 SGB VI) an einer Pflichtbeitragszeit von 45 Jahren anknüpft.
Die Klage war daher insgesamt abzweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 20.11.2007
Zuletzt verändert am: 20.11.2007