I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Juni 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2004 verpflichtet, beim Kläger "Lungenkrebs durch Zusammenwirken von Asbest-faserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen" als Berufskrankheit anzuerkennen und ihm ab 1. April 2001 Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 100 v.H. zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Entschädigung der Lungenkrebserkrankung des Klägers wie eine Berufskrankheit (BK).
Der 1939 geborene Kläger hat den Beruf Maurer/Verputzer erlernt. Im Anschluss an die am 01.03.1954 bei der Firma D. begonnene Maurerlehre blieb er dort bis 31.12.1959 als Maurergeselle tätig. Vom 08.03.1960 bis 31.12.1982 arbeitete er als Maurer und Verputzer bei der Firma B., wechselte am 05.04.1983 als Verputzer wieder zur Firma D., wo er bis 30.11.1985 beschäftigt blieb. Vom 24.02.1986 bis 01.01.1995 arbeitete er als Maschinist bei der Firma H. und zuletzt vom 03.04.1995 bis 31.12.1996 als Maurer bei der Firma R … Dem Versicherungsverlauf des Klägers sind in der gesamten Zeit seiner Beschäftigung 30 Kalendermonate wegen Arbeitslosigkeit, Schlechtwettergeld und Krankheit zu entnehmen. In der Zeit bis zum Beginn der Altersrente im April 1999 war er ebenfalls arbeitslos.
Mit Asbest kam der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit für die Firma B. (3/1960 bis 12/1982) in Kontakt. Er hat dort Wände gemauert, verputzt, Schalungen errichtet, Decken und Kellerwände betoniert, Abbruch- und Umbauarbeiten vorgenommen, Isolierarbeiten mit Glaswolle, Steinwolle, Teerpech und Bitumen beziehungsweise Bitumendachbahnen durchgeführt, Kunststoff- und Tonrohre verlegt sowie Dächer von Werkhallen, Scheunen und Garagen mit Asbestzementplatten gedeckt. Im Rahmen dieser Arbeiten hat er Asbestzementplatten, Abstandhalter aus Asbestzement, Asbestzementrohre für Entlüftung und für den Rauchabzug von Öfen mit der Flex geschnitten und eingebaut sowie alte Dachplatten aus Asbestzement abgenommen. Der Präventionsdienst der Beklagten errechnete unter Zugrundelegung des Berufskrankheiten (BK) -Reports 1/97 "Faserjahre" eine Asbestbelastung im Umfang von 16,4 Faserjahren.
Gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) war der Kläger zunächst in der Lehrzeit exponiert, wenn er in der Winterzeit (November bis Dezember) damit beauftragt war, zum Ausheizen der Rohbauten die Koksöfen in Betrieb zu halten. Es folgten weitere Belastungen im Rahmen von Asphaltierungsarbeiten, (Dach-) Abdichtung von Bauwerken mit Teerprodukten beziehungsweise mit teerverschnittenem Bitumen sowie Kühlraum-Isolierarbeiten mit Kork-Teer–Massen. Auf der Grundlage des BK-Reports 2/99 "Benzo(a)pyren-Jahre" und unter Einbeziehung des Ermittlungsergebnisses der Beklagten im Verwaltungsverfahren, den Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten sowie im Erörterungstermin vom 10.05.2005 bestimmte der Präventionsdienst der Beklagten für die berufliche Tätigkeit des Klägers schließlich in seiner zusammenfassenden Stellungnahme vom 24.11.2005 24,3 Benzo(a)pyren-Jahre.
Im Verwaltungsverfahren (angestoßen durch die BK-Anzeige der A.-Klinik vom 12.08.2004) hatte die Beklagte einen Leistungsauszug der Krankenkasse des Klägers sowie Befunde der A.-Klinik, die Ergebnisse der arbeitsmedizinischen Untersuchungen seit 1988, den Reha-Entlassungsbericht (Maßnahme Mai bis Juni 2001) sowie pathologische Befunde beigezogen. Abweichend von seinen späteren Feststellungen (siehe oben) errechnete der Präventionsdienst der Beklagten eine Belastung gegenüber PAK im Volumen von 0,49 Benzo(a)pyren-Jahren. Gestützt auf das pathologische Gutachten des Prof. Dr. M. vom 04.03.2004, wonach keine hinreichende Wahrscheinlichkeit bezüglich einer BK Nummer 4104 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) bestehe, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.06.2004 die Gewährung von Leistungen ab. Zur Begründung führte sie aus, dass weder die Voraussetzungen der Nummer 4104 der Anlage zur BKV erfüllt seien noch liege eine Erkrankung vor, die gemäß § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) wie eine Berufskrankheit anerkannt werden könne. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 26.10.2004 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 26.11.2004 Klage erhoben. Er ist weiterhin der Auffassung, dass seine Lungenkrebserkrankung als Berufskrankheit anzuerkennen sei. Außerdem hat er auf eine Einschätzung des Dr. W. aus der A.-Klinik vom 17.02.2005 verwiesen, der darin für den Kläger von einer Exposition gegenüber Asbest von kumulativ mindestens 20 Jahren und mindestens summativ gegenüber Benzo(a)pyren von mindestens 100 BaP-Jahren ausgeht. Das Gericht hat vom Hausarzt des Klägers (Dr. B.) einen Befundbericht beigezogen und den Kläger im Erörterungstermin vom 10.05.2005 zu seinen beruflichen Expositionen befragt. Der Präventionsdienst der Beklagten hat daraufhin eine neue Berechnung angestellt (Stellungnahme vom 24.11.2005; siehe oben).
Mit Beschluss vom 07.07.2006 hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens angeordnet, nachdem die Beklagte über laufende Beratungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" zur Problematik eines berufsbedingten Lungenkrebses durch Synkanzerogenese von Asbest in Verbindung mit PAK berichtet hatte.
Nach Abschluss seiner Beratung hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" empfohlen, in die Anlage zur BKV folgende neue Berufskrankheit aufzunehmen: "Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen" (Bekanntmachung des BMAS vom 01.02.2007; GMBl 2007, 474 ff).
Nun hat die Kammer unter Fortsetzung des Verfahrens Prof. Dr. N. mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Unter Berücksichtigung des von der A.-Klinik für das Gericht am 10.04.2008 erstellten Befundberichts kommt er in seinem Gutachten vom 04.07.2008 zu der Einschätzung, dass beim Kläger eine Lungenkrebserkrankung durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und PAK im Sinne der Bekanntmachung des BMAS vom 01.02.2007 vorliege und dessen Lungenkrebserkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch den beruflichen Kontakt mit Asbest und dem Zusammenwirken mit PAK verursacht sei. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hierfür schätzt er ab Erstdiagnose des Lungenkrebses im April 2001 mit 100 v.H. ein. Unter Zugrundelegung von 17 Asbestfaserjahren und 25 Benzo(a)pyren-Jahren errechne sich eine Verursachungswahrscheinlichkeit von 52%. Da Studien – wie in der wissenschaftlichen Begründung des Sachverständigenbeirats ausgeführt – eher das multiplikative Modell zur Risikoberechnung nahelegten, sei dies auch im Fall des Klägers zu favorisieren. Der Sachverständigenbeirat habe in seine Empfehlung sowohl das additive wie auch das multiplikative Modell aufgenommen. Explizit werde aber darauf hingewiesen, dass nach dem derzeitigen Kenntnisstand das gleichzeitige Einwirken von Asbestfaserstaub und PAK in der Regel zu einer mindestens additiven Erhöhung des Lungenkrebsrisikos führe.
Die Beklagte hat sich der gutachterlichen Beurteilung des Sachverständigen nicht angeschlossen. Die wissenschaftliche Begründung des Sachverständigenbeirats eröffne keinen Raum für eine multiplikative Berechnung, weil sie sich insgesamt für den konservativen Ansatz der Risikoaddition ausspreche. Auch habe der Präventionsdienst die Abschätzung der Benzo(a)pyren-Jahre nicht nach der Realität, sondern nach einer worst-case-Berechnung vorgenommen.
In der mündlichen Verhandlung hat die Bevollmächtigte des Klägers beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.06.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2004 zu verpflichten, beim Kläger als Berufskrankheit anzuerkennen: "Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK)" und ihm deswegen Verletztenrente nach einer MdE von 100 v.H. ab 01.04.2001 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Beigezogen waren die Verwaltungsakte der Beklagten. Sie waren ebenso wie die Gerichtsakte Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 16.06.2004 und 26.10.2004 waren rechtswidrig und deshalb aufzuheben. Die Lungenkrebserkrankung des Klägers ist durch die berufsbedingte Exposition gegenüber den zusammenwirkenden Stoffen Asbestfaserstaub und PAK hervorgerufen und gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII als Berufskrankheit festzustellen und zu entschädigen. Die MdE beträgt 100 v.H., die Leistung ist ab 01.04.2001 zu erbringen.
Beim Kläger liegt unstreitig keine Berufskrankheit im Sinne von § 9 Abs. 1 SGB VII in Verbindung mit der Anlage zur BKV vor; Rechtsgrundlage für seinen Anspruch ist § 9 Abs. 2 SGB VII. Danach haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII erfüllt sind. Es muss also die so genannte Verordnungsreife beziehungsweise BK-Reife vorliegen (BSGE 59, 295 ff). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat mit Bekanntmachung vom 01.02.2007 (GMBl 2007, 474) die Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" veröffentlicht, in die Anlage zur BKV als neue Berufskrankheit "Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK)" aufzunehmen. Damit ist die BK-Reife eingetreten. Der Anwendung von § 9 Abs. 2 SGB VII steht nicht entgegen, dass die damit veröffentlichten neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse im Zeitpunkt der Erkrankung des Klägers im April 2004 sich noch nicht zur Verordnungsreife verdichtet hatten, weil ausreicht, dass dies im Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Anspruch (mündliche Verhandlung vom 30.10.2008) der Fall war (Bundessozialgericht – BSG – vom 04.06. 2002, B 2 U 16/01 R mit weiteren Nachweisen).
Die Anwendung von § 9 Abs. 2 SGB VII setzt darüber hinaus weiter voraus, dass eine bestimmte Personengruppe bei ihrer Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die generell geeignet sind, Krankheiten dieser Art zu verursachen.
Hierzu hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat in seiner Empfehlung an das BMAS festgeschrieben, dass als bestimmte Personengruppe, die durch ihre Arbeit der besonderen Krebseinwirkung von Asbestfaserstaub und gleichzeitig oder nacheinander polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen in erheblich höherem Maße als die übliche Bevölkerung ausgesetzt sind, Versicherte gelten, deren Lungenkrebsrisiko infolge dieser beiden gentoxischen Kanzerogene mindestens verdoppelt ist. Der positive Wahrscheinlichkeitsbeweis der arbeitsbedingten synkanzerogenen Verursachung gilt dann als geführt, wenn die Berechnung der Verursachungswahrscheinlichkeit (VW) ergibt, dass der Lungenkrebs mit gleicher oder überwiegender Verursachungswahrscheinlichkeit (VW &8807; 50%) auf die Einwirkung von Asbest und PAK zurückzuführen ist. Zur Validierung der VW diskutiert der Sachverständigenbeirat sowohl ein additives wie auch ein multiplikatives Modell. Dabei verweist er einmal auf Studien, die bei gleichzeitigem Einwirken von Asbestfaserstaub und PAK für das gemeinsame relative Risiko für ein Lungenkarzinom eher das multiplikative Modell nahe legen (GMBl 2007, 485). Durchgängig (a.a.O., 477, 485) formuliert er, dass im Falle der Synkanzerogenese durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und PAK in der Regel eine "mindestens additive" Erhöhung des Lungenkrebsrisikos besteht. Abschließend gewährt er dann mit der Begründung, dass sich die zum multiplikativen Modell ergebenden Unterschiede gering sind, dem konservativen Ansatz der Risikoaddition den Vorrang.
In Anwendung und Übertragung dieser Grundsätze und Erkenntnisse auf den Kläger leidet er an einem berufsbedingten "Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK)".
Die Krebserkrankung machte sich im März 2001 mit zunehmendem Husten und blutigem Auswurf erstmals bemerkbar und führte noch im April 2001 zu einem operativen Eingriff.
Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass der Kläger in seinem Berufsleben sowohl Einwirkungen gegenüber Asbest wie auch gegenüber PAK ausgesetzt war. Er hat – vor allem in der Zeit von März 1960 bis Dezember 1982 – Asbestzementplatten, Abstandhalter aus Asbestzement, Asbestzementrohre für Entlüftung und für den Rauchabzug von Öfen mit der Flex geschnitten und eingebaut sowie alte Dachplatten aus Asbestzement abgenommen. Denn neben dem Mauern und Verputzen von Wänden hat er auch Kunststoff- und Tonrohre verlegt sowie Dächer von Werkhallen, Scheunen und Garagen mit Asbestzementplatten gedeckt. Zeitgleich war er gegenüber PAK exponiert, wenn er in der Lehrzeit (1954 bis 1957) in den Wintermonaten November bis Dezember zum Austrocknen der Rohbauten die Koksöfen in Betrieb halten musste. Bei der Abdichtung von Bauwerken (bis Ende 1978 mit Teerprodukten beziehungsweise teerverschnittenem Bitumen; bis Ende 1982 mit Heißbitumen), Kühlraum-Isolierarbeiten mit Kork-Teer-Massen und schließlich Asphaltierungsarbeiten mit Teer beziehungsweise Bitumen (1950 bis 01.01.1995) erfolgten weitere Belastungen gegenüber PAK.
In der Summe war der Kläger bei diesen Tätigkeiten im Volumen von 16,4 Faserjahren und 24,3 Bezo(a)pyren-Jahren exponiert. Zwar arbeitete er auch nach seinen eigenen Angaben Zeit seines Berufslebens in erster Linie als Maurer beziehungsweise Verputzer. Dies hat der Präventionsdienst der Beklagten bei der Bestimmung der Expositionsanteile in seiner Stellungnahme vom 24.11.2005 für Asbest beziehungsweise PAK nachvollziehbar berücksichtigt: Für das Schneiden von Asbestzementplatten wurden 20 Tage im Jahr, für das Ablängen von Abstandhalter 30 Minuten pro Monat, für das Schneiden von Asbestzementrohren mit der Flex in geschlossenen Räumen vier Stunden pro Monat und den Abbruch von Asbestzementbauteilen 5 Tage im Jahr angesetzt. Die Belastung mit PAK wurde für die Tätigkeit der Abdichtungen mit einer Schicht pro Monat und für die Exposition bei Asphaltierungsarbeiten mit durchschnittlich einer Schicht jeden zweiten Monat angenommen. Die PAK-Belastung bei Kühlraum-Isolierarbeiten setzte er mit insgesamt 10 Tagen an.
Für die Kammer sind diese Expositionszeiten nachgewiesen. Das Gericht hatte von der Beklagten nach Anhörung des Klägers im Erörterungstermin eine erneute Bestimmung der Faserjahre und der Benzo(a)pyren-Jahre erbeten. Der Kläger hat diese Berechnung und ihre tatsächlichen Grundlagen nicht bestritten. Das Gericht hat daher keine Bedenken, die darauf fußende Bestimmung der Benzo(a)pyren-Jahre (mit 24,3) sowie der Faserjahre (mit 16,4) als Entscheidungsgrundlage zu verwerten.
Die Berechnung wurde der Kammer am 05.12.2005 zur Verfügung gestellt. Es ist schon sehr verwunderlich, wenn die Beklagte dann fast drei Jahre später, nachdem das auf diese Berechnungen aufbauende für den Kläger positive Gutachten vorliegt, ihre eigenen Berechnungen wieder in Frage stellt und diese als nicht der Realität entsprechend bezeichnet. Hierzu stellt die Kammer fest, dass eine andere als eine gerichtsfeste, das heißt "realistische" Berechnung zu keinem Zeitpunkt gefordert war. Der Präventionsdienst der Beklagten hat sich kritisch mit den persönlichen Angaben des Klägers auseinander gesetzt und unter Einbeziehung seines Erfahrungswissens auch Korrekturen "zu dessen Nachteil" vorgenommen (vergleiche zum Beispiel: Nichtberücksichtigung einer behaupteten Exposition gegenüber Asbest beim Tragen von Zementsäcken; zeitliche Begrenzung der Exposition gegenüber PAK beim Heizen der Koksöfen auf die Monate November/De- zember abweichend von den Angaben des Klägers; zeitlich begrenzte Belastung mit PAK bei Teer- und Abdichtungsarbeiten, weil aus technischen Gründen zum Beispiel Dachabdichtungen ab 1979 "erfahrungsgemäß" nicht mehr mit Teerpech hergestellt wurden).
Der Kläger war im Sinne von § 9 SGB VII in seinen versicherten Tätigkeiten auch in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung der Einwirkung von Asbest und PAK ausgesetzt, weil bei ihm eine VW von jedenfalls 50 % nachgewiesen ist. Mit dieser Einschätzung stützt sich die Kammer auf die vom BMAS veröffentlichte Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten". Zur Bestimmung der VW diskutiert er einerseits das additive Modell und andererseits das multiplikative Modell. Übertragen auf diesen Rechtsstreit ist festzustellen, dass ausgehend von den Expositionswerten des Klägers nur die Anwendung des multiplikativen Modells zu einer VW von &8807; 50% führt. Die der Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beigefügte Tab. 7 ("Verursachungswahrscheinlichkeit in Prozent (gerundet) bei additiver Kombinationswirkung") nennt bei 17 Asbestfaserjahren und 24 BaP-Jahren einen Prozentsatz von 48; berechnet nach der multiplikativen Kombinationswirkung liegt die VW demgegenüber bei 52% (Tab. 6: "Verursachungswahrscheinlichkeit in Prozent (gerundet) bei multiplikativer Kombinationswirkung").
Die Beklagte verneint nun – gestützt auf das additive Modell – eine Risikoverdoppelung beim Kläger. Dieser Einschätzung folgt das Gericht aber nicht. Dabei ist nicht zu bestreiten, dass der Sachverständigenbeirat am Ende seiner Ausführungen eine Empfehlung für den konservativen Ansatz der Risikoaddition ausspricht. Allerdings macht er dies mit dem einschränkenden Hinweis – und dies übersieht die Beklagte -, dass die sich zum multiplikativen Modell ergebenden Unterschiede so gering seien, dass deshalb der Konservativität die Präferenz gegeben wird.
Grundlage der Empfehlungen des Sachverständigenbeirats sind verschiedene wissenschaftliche Studien zur Synkanzerogenese von Asbest und PAK. Darin wird das multiplikative Modell befürwortet. Dieser Einschätzung schließt sich der Sachverständigenbeirat zwar nicht an, betont aber in seiner Empfehlung mehrfach (a.a.O. S. 477, 485), dass nach gegenwärtigem Kenntnisstand die Zweierkombination Asbestfaserstaub und PAK hinsichtlich der Tumorauslösung im Bereich der Atemwege zu einer "mindestens" additiven Erhöhung des Krebsrisikos führt. Unklar bleibt, welcher Spielraum mit der Formulierung "mindestens" eröffnet wird. Als gesichert nimmt die Kammer jedoch an, dass nach der Vorstellung des Sachverständigenbeirates und insbesondere dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisstand die VW mit dem streng additiven Wert nicht zutreffend erfasst wird und zu erhöhen ist. Nachdem der additive Wert von 48 % nur zwei Prozentpunkte von der für notwendig erachteten VW entfernt ist, hat die Kammer keine Bedenken in freier Beweiswürdigung die notwendige Risikoverdoppelung (VW &8807; 50%) beim Kläger festzustellen.
Nachdem der Sachverständigenbeirat beide Methoden diskutiert und generell feststellt, dass die unterschiedlichen Berechnungsmethoden nur zu "gering" abweichenden Ergebnissen führen, hielt es die Kammer auch für gerechtfertigt, den Wert der VW aus dem Mittelwert beider Berechnungsmodelle zu ermitteln. Vorliegend ergäbe dies einen VW von 50% ((48% + 52%): 2 = 50%).
Wenn die Kammer hier die VW bejaht, sieht sie sich im Übrigen auch im Einklang mit dem an den Empfehlungen des Sachverständigenrates beteiligt gewesenen gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. N … Auch er gelangt zu einer VW von wenigstens 50 %, allerdings unter klarer Berechnung nach dem multiplikativen Kombinationsmodell.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die Lungenkrebserkrankung des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch den beruflichen Kontakt mit Asbeststaub und dem Zusammenwirken mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen verursacht wurde und hierfür aufgrund der Schwere der Erkrankung mit bereits erfolgter Metastasierung (von der Beklagten nicht bestritten) eine MdE von 100 v.H. besteht. Die Verletztenrente steht dem Kläger ab der Erstdiagnose des Lungenkrebses April 2001 zu. Mangels gesetzlicher Regelung war eine Begrenzung der Rückwirkung nicht auszusprechen (BSG 14.11.1996, 2 RU 9/96).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Erstellt am: 05.01.2009
Zuletzt verändert am: 05.01.2009