I. Der Bescheid des Beklagten vom 20. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2008 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, das Elterngeld unter Berücksichtigung des Lohnsteuerklassenwechsels im Dezember 2006 neu zu berechnen und zu verbescheiden.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des an die Klägerin zu zahlenden Elterngeldes. Die Klägerin ist die Mutter des am 2007 geborenen Kindes M … Sie beantragte am 24.07.2007 die Gewährung von Elterngeld für die ersten 12. Monate nach der Geburt des Kindes. Sie wechselte im Dezember 2006 die Lohnsteuerklasse von V auf III. Dies begründete sie damit, dass sie ein höheres Nettoentgelt für sich erzielen wollte.
Mit Bescheid vom 20.09.2007 wurde der Antrag bewilligt und ein Elterngeld in Höhe von 1122,17 Euro/mtl. gezahlt. Der Lohnsteuerklassenwechsel der Klägerin wurde nicht berücksichtigt. Das Elterngeld wurde nach der Lohnsteuerklasse V berechnet.
Dagegen legte die Klägerin, durch ihre Bevollmächtigte fristgerecht Widerspruch ein. Diesen begründete Sie damit, dass die Berechnung rechtswidrig sei, weil nicht auf das tatsächlich bezogene Einkommen der Klägerin zurückgegriffen worden sei. Der Steuerberater der Klägerin habe dieser mitgeteilt, dass ein Wechsel in die Klasse IV ohne weiteres anerkannt worden wäre. In Rheinland –Pfalz werde jeder Wechsel der Steuerklassen akzeptiert. Mit Bescheid vom 28.02.2008 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Die Klägerin hat durch ihre Bevollmächtigte fristgerecht Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben.
Sie bezog sich darauf, dass die Wahl der Lohnsteuerklasse vom Gesetzgeber zugelassen sei. Es müsse auch das durchschnittlich erzielte Einkommen und kein fiktives Einkommen herangezogen werden. Das von dem Beklagten zitierte Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) befasse sich mit der Frage der Verjährung und sei nicht einschlägig. Es könne auch nicht sein, dass in Bayern das Gesetz anders angewandt werde.
Die Bevollmächtigte der Klägerin beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 20.09.2007 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2008 das Elterngeld für das Kind Marlene, geboren 10.07.2007, neu unter Berücksichtigung der Lohnsteuer- klasse III zu berechnen.
der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Meinung, dass die Grundsätze einer rechtsmissbräuchlichen Rechtsausübung -die auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zurückzuführen seien- anzuwenden sind. Ein schutzwürdiges Interesse für den Steuerklassenwechsel könne er nicht erkennen.
Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte des Beklagten sowie auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 20.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2008 verletzt die Klägerin hinsichtlich der Heranziehung der Lohnsteuerklasse V für die Berechnung des Elterngeldes in ihren Rechten und war daher aufzuheben.
Nach dem am 01.01.2007 in Kraft getretenen § 2 Abs. 1 BEEG (Bundeselterngeld-Gesetz) wird Elterngeld in Höhe von 67 % des in den 12 Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 EUR monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist die Summe der positiven Einkünfte aus Land und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 Nummer 1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes nach Maßgabe der Abs. 7 bis 9 zu berücksichtigen.
Gemäß § 2 Abs. 7 BEEG ist als Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Personen einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte Überschuss der Einnahmen in Geld oder Geldeswert über die mit einem Zwölftel des Pauschbetrages nach § 9 a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusetzenden Werbungskosten zu berücksichtigen. Nach Satz 2 sind als auf die Einnahmen entfallenden Steuern, die abgeführte Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer, im Falle einer Steuervorauszahlung der auf die Einnahmen entfallenden monatlichen Anteil anzusehen. Grundlage der Einkommensermittlung sind die entsprechenden monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers. Danach hat die Klägerin seit Dezember 2006 ein höheres Nettogehalt bezogen. Insofern müsste dieses grundgesetzlich der Berechnung des Elterngeldes zu Grunde gelegt werden. Dafür spricht allein der Wortlaut des Gesetzes, der von der abgeführten Lohnsteuer spricht.
Der Beklagte hat aber nach § 2 Abs. 1 und Abs. 7 BEEG für die Klägerin ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1674,88 EUR angesetzt. Dabei hat er den Wechsel in die Lohnsteuerklasse III, welcher im Dezember 2006 erfolgte, unberücksichtigt gelassen. Dies ergibt sich aus dem Gesetz zunächst nicht. Der Gesetzgeber hat im BEEG keinerlei Einschränkungen hinsichtlich des Lohnsteuerklassenwechsels vorgenommen. Der § 2 BEEG zielt nur auf das durchschnittliche monatlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit ab. Grundlage der Berechnung ist demnach das tatsächlich zugeflossene Nettoeinkommen. Hätte der Gesetzgeber hier Einschränkungen vornehmen wollen, so hätte er diese ohne Weiteres in das Gesetz aufnehmen können, wie er das in § 133 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) auch getan hat.
Der Beklagte beruft sich bei der Nichtanerkennung des Steuerklassenwechsels auf die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erlassenen Richtlinien zum Bundeselterngeld. Der Parlamentsvorbehalt besagt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), dass staatliches Handeln in grundlegenden Bereichen durch Parlamentsgesetz legitimiert sein muss. Der parlamentarische Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen in ihren Grundzügen selbst zu treffen und darf dies nicht anderen Normgebern oder der Exekutive überlassen. (vgl BVerfGE 83, 130, 142; 95, 267, 307 f; 98, 218, 251; 108, 282, 311 f, jeweils mwN). Verfassungsrechtlich bedenklich ist es daher, wenn aufgrund einer Richtlinie der Exekutive und damit reinen verwaltungsinternen Durchführungsbestimmungen ohne Außenwirkung, ein Eingriff in Rechte des Bürgers erfolgt. Denn eine außenwirksame Rechtsetzung darf einer dazu nicht befugten Verwaltungsinstanz nicht überlassen werden, denn damit würde der Gewaltenteilungsgrundsatz verletzt.
Wenn, wie festgestellt, nach dem Gesetz Einschränkungen nicht vorgesehen sind, kommen die allgemeinen Grundsätze des Rechts zur Anwendung. Zu diesen allgemeinen Grundsätzen gehört auch der im § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zum Ausdruck kommende Grundsatz von Treu und Glauben. Der Beklagte kann sich demnach auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben berufen, wenn ein Rechtsmissbrauch vorgelegen hat. In der Rechtsprechung des BSG (vgl.BSG 10. Senat vom 22.03.1995, Az.:10 RAr 1/94). ist grundsätzlich anerkannt, dass ein Recht auf eine Sozialleistung nicht geltend gemacht werden kann, wenn dies sozial unangemessen geschieht und wenn es der rechtsethischen Funktion des Rechts widerspricht. Der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs orientiert sich am Schutzzweck der Norm, wobei grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Berechtigte den ihm zustehenden Anspruch im gesetzlich vorgegebenen Rahmen mit legalen Mitteln ausschöpfen kann (vgl BSG vom 27. November 1986, BSGE 61, 54, 58 = SozR 2200 § 583 Nr 5; allgemein zum Rechtsmissbrauch, BSG vom 23. Oktober 1984, BSGE 59, 40, 45 = SozR 3800 § 1 Nr 5; BSG vom 19. Mai 1978, BSGE 46, 187, 189 = SozR 2200 § 315a Nr 7, jeweils mwN)
Die Kammer konnte ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin durch den Wechsel der Lohnsteuerklasse aber nicht erkennen. Dies ergibt eine Abwägung zwischen dem Schutzzweck des Elterngeldes und den legalen Mitteln, welche die Eltern ausgeschöpft haben.
Für die Kammer war dabei auch ausschlaggebend, dass ein Wechsel der Lohnsteuerklasse ein grundsätzlich zulässiges Verhalten darstellt.
Insbesondere flossen in die Überlegungen der Kammer auch die Tatsachen ein, dass bei den Beratungen in der zweiten und dritten Lesung zum Bundeselterngeldgesetz im Bundestagsprotokoll eindeutige Aussagen zu einem Lohnsteuerklassenwechsel enthalten sind. Danach haben sowohl die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium als auch Vertreterinnen von CDU/CSU und SPD des Ausschusses für Familie, Senioren Frauen und Jugend ausdrücklich zu einem Lohnsteuerklassenwechsel geraten. Debattiert wurde dabei die Frage, ob Frauen, welche mit Lohnsteuerklasse V besteuert werden durch die Berechnung des Elterngeldes benachteiligt sind. Dabei wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jederzeit ein Wechsel der Lohnsteuerklasse für die Zukunft möglich ist ( vgl. Protokoll der 55. Sitzung vom 29.09.2006 S. 5356).Explizit wurde von Fachpolitikerinnen der Koalition sogar gesagt, dass dann, wenn eine Frau eine andere Steuerklasse wählt, dies auch der Berechnung des Elterngeldes zugrunde gelegt wird. Die Kammer folgert daraus, dass dem Gesetzgeber die Problematik der Berechnung des Lohnsteuerklassenwechsels beim Elterngeld durchaus bewusst gewesen ist, er sich aber dennoch einer gesetzlichen Regelung verschlossen hat.
Das Bundeselterngeld unterliegt bei der Besteuerung dem Progressionsvorbehalt. Das Bundeselterngeld ist damit zwar nicht selbst steuerpflichtig, erhöht aber den Steuersatz des zu versteuernden Einkommens. Dies entspricht nach Berechnungen des Steuerberaterverbands Berlin-Brandenburg einer faktischen Steuer von 13 % auf das Elterngeld. Dies gilt sowohl für zusammen veranlagte Ehepaare als auch für alleinstehende Elterngeldbezieherinnen, die einen Teil des Jahres vor oder nach dem Elterngeldbezug steuerpflichtiges Einkommen erzielt haben. Damit besteht in fast allen Fällen eine durch das Elterngeld ausgelöste höhere Steuerpflicht, welche sich besonders hoch bei Niedrigverdienern auswirkt. Dies resultiert aus der Tatsache, dass der Steuersatz hier überproportional ansteigt. Viele Eltern werden deshalb hier noch unangenehme Überraschungen erleben. Es kann daher nach Überzeugung der Kammer den Elterngeldberechtigten nicht angelastet werden, wenn sie im Gegenzug im Vorfeld die Steuerklassen wechseln.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Elterngeld über einen Zeitraum von 12 Monaten vor der Geburt berechnet wird, so dass sich der Lohnsteuerklassenwechsel nie während des gesamten Berechnungszeitraums auswirken kann. Im hier streitigen Fall erfolgte der Wechsel der Lohnsteuerklasse im Monat Dezember 2006 und damit wirkte er sich nur für sieben Monate in der Berechnung aus.
Der Sachverhalt liegt damit völlig anders, als bei der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Bezug von Mutterschaftsgeld. Dieses wird aufgrund des Einkommens der letzten drei Monate vor der Geburt berechnet. Aus diesem Grund wirkt sich ein Lohnsteuerklassenwechsel, der nur für drei Monate von den Ehepartnern getragen werden muss, auch sofort und in beträchtlicher Höhe auf die Berechnung des Mutterschaftsgeldes aus. Das BAG hat sich in der Entscheidung vom 18.09.1991, Az: 5 AZR 581/90 auch auf den § 113 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) als Argumentationshilfe gestützt. Gleichwohl, hat es dann aber wegen der Unterschiede im Sozial- und Arbeitsrecht betont, dass es bei dieser Entscheidung allein auf § 242 BGB ankam und § 113 AFG keinesfalls analog angewendet wurde. Dies wurde damit begründet, dass wegen der schnelleren Berechnungs- und Auszahlungsnotwendigkeit im Sozialrecht und der dort vorherrschenden Massenverwaltung, Missbrauchstatbestände klar und eindeutig gefasst werden müssen, um sie in der Verwaltungspraxis handhabbar zu machen. Das Urteil des BAG spricht daher für die Auffassung der Kammer, dass der Gesetzgeber hier eine klare gesetzliche Grundlage hätte schaffen müssen, wenn er den Wechsel der Lohnsteuerklasse hätte ausschließen wollen.
Die Entscheidung des BSG betraf nach Meinung der Kammer einen völlig anders gelagerten Fall und befasste sich mit der Rechtsmissbräuchlichkeit der Verjährungseinrede. Wobei das BSG dabei einen Rechtsmissbrauch nur bei einem grob treuwidrigen Verhalten angenommen hätte.
Der Beklagte hat damit zu Unrecht den Steuerklassenwechsel im Dezember 2006 unberücksichtigt gelassen. Die Weigerung des Beklagten führte ansonsten in diesem Fall auch zu dem befremdlichen Ergebnis, dass die Ehegatten, welche beide in Besoldungsstufe A 13 eingruppiert sind, in ihrer Rechtsposition erheblich beeinträchtigt werden. Die Klägerin hat noch bis zum Juli 2006 in Vollzeit gearbeitet, erst danach hat sie auf eine Teilzeittätigkeit umgestellt. Damit hätten die Ehepartner aber problemlos die Lohnssteuerkombination IV/IV wählen können. Eine solche Kombination wäre aber auch nach der Einlassung des Beklagten zu akzeptieren gewesen. Das Elterngeld der Klägerin wäre damit aber höher als das von der Beklagten zuerkannte. Die Klägerin wird damit durch die Weigerung des Beklagten schlechter gestellt. Im o.g. Urteil des BAG wurde der Lohnsteuerklassenwechsel der Klägerin in die Klasse III zwar als rechtsmissbräuchlich angesehen, gleichwohl wurde der Arbeitgeber aber dazu verurteilt, die Lohnsteuerklasse IV zu Grunde zu legen. Aber selbst dies hat der Beklagte verweigert. Da die Kammer aber davon überzeugt ist, dass ein Rechtsmissbrauch hier nicht anzunehmen ist, war der Beklagte zu verpflichten, einen neuen Bescheid über die Höhe des Elterngeldes unter Berücksichtigung des Lohnsteuerklassenwechsels ab Dezember 2006 zu erlassen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Die Kammer hat die (Sprung-)Revision zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 161 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 02.12.2008
Zuletzt verändert am: 02.12.2008