I. Der Bescheid vom 22. Juli 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Januar 2006 wird insoweit aufgehoben, als dieser die Aufhebung des Bescheids vom 31. Juli 1997 rückwirkend, somit für die Zeit ab 1. Dezember 2002 bis 31. Juli 2005, und die Erstattung der in diesem Zeitraum entstandenen Überzahlung anordnet.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Rückforderung der überzahlten Erziehungsrente i.H.v. derzeit noch 9.986 EUR streitig.
Die Beklagte gewährte der Klägerin auf deren Antrag vom 26.09.1996 hin mit Bescheid vom 31.07.1997 Erziehungsrente, beginnend am 01.09.1996 i.H.v. monatlich 1.199,25 DM (Zahlbetrag). In dem Rentenbescheid war unter der Rubrik "Rentenart" erläutert, dass die Klägerin Anspruch auf Erziehungsrente habe, da ihr früherer Ehegatte verstorben sei und sie mindestens ein Kind erziehe bzw. für ein behindertes Kind sorge. Unter "Mitteilungspflichten" wurde die Klägerin in dem Bescheid darauf hingewiesen, dass die Erziehung eines Kindes vor Vollendung des 18. Lebensjahres ende, wenn das Kind nicht mehr der uneingeschränkten Personensorge der Klägerin unterliege, z.B. wenn es heirate. Die Sorge für ein behindertes Kind ende, wenn die Behinderung wegfalle oder das Kind selbst für seinen Unterhalt aufkommen könne.
Am 29.11.2002 vollendete das jüngste Kind der Klägerin, Herr W. S., sein 18. Lebensjahr. Mit Schreiben vom 01.08.2002 an die Klägerin ermittelte die Beklagte die weitere Bezugsberechtigung der Waisenrente des Genannten und bat darum, dessen Schul- oder Berufsausbildung ab 01.12.2002 zu bestätigen. Unter anderem wurde in dem Schreiben darauf hingewiesen, dass mit der Volljährigkeit der Waise nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Waisenrente an die Waise selbst auszuzahlen sei.
Am 08.03.2004 und 13.05.2004 erließ die Beklagte hinsichtlich der Erziehungsrente der Klägerin zwei Bescheide wegen Änderungen bei der Beitragszahlung zur Kranken- und Pflegeversicherung aus der Rente bzw. wegen einer Beitragssatzänderung der Krankenversicherung. Mit Schreiben vom 12.05.2005 hörte die Beklagte die Klägerin an, nachdem das letztgeborene Kind der Klägerin am 29.11.2002 das 18. Lebensjahr vollendet habe: Somit liege seit dem 01.12.2002 keine Erziehung eines Kindes mehr vor. Die Rentenzahlung werde daher vorsorglich Ende Mai 2005 eingestellt. Es sei beabsichtigt, den Bewilligungsbescheid vom 31.07.1997 bereits ab Änderung der Verhältnisse, also mit Wirkung ab 01.12.2002, aufzuheben und die Überzahlung der Zeit seit 01.12.2002 i.H.v. 19.973,18 EUR zurückzufordern. Bei der daraufhin erfolgten Vorsprache der Klägerin bei der Auskunfts- und Beratungsstelle Augsburg der Beklagten wies die Klägerin darauf hin, dass sie die Gründe für den Wegfall der Erziehungsrente nicht hätte erkennen müssen. Es sei von Rentenbeginn an bekannt gewesen, wann das letztgeborene Kind das 18. Lebensjahr vollende. Die Rente hätte daher befristet werden müssen. Ihr Sohn W. S. besuche weiterhin die Schule und lebe in ihrem Haushalt. Mit Bescheid vom 22.07.2005 hob die Beklagte den Rentenbescheid vom 31.07.1997 mit Wirkung ab 01.12.2002 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf. Die entstandene Überzahlung i.H.v. 19.973,18 EUR sei nach § 50 SGB X zu erstatten.
Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 01.08.2005. Dabei wies die Klägerin erneut auf die Kenntnis der Beklagten von der Vollendung des 18. Lebensjahres ihres Sohnes sowie darauf hin, dass ihr aus finanziellen Gründen eine Rückerstattung des geforderten Betrages nicht möglich sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.01.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin im Bescheid vom 31.07.1997 ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass ein Anspruch auf Erziehungsrente bestehe, weil sie mindestens ein Kind erziehe. Die Klägerin habe daher wissen müssen, dass ihr die Erziehungsrente ab 01.12.2002 nicht mehr zustehe. Die Verletzung einer gesetzlichen Mitteilungspflicht werde der Klägerin nicht vorgeworfen. Die Fristen des § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 3 und 4 SGB X seien gewahrt; ein "Kennenmüssen" löse den Beginn der Ein-Jahres-Frist nicht aus. An der Überzahlung treffe die Beklagte jedoch ein Mitverschulden. Daher werde der Erstattungsanspruch im Wege der Ermessensausübung auf den Betrag von 9.986 EUR begrenzt. Zunächst stunde die Beklagte die Forderung ohne Ratenzahlung bis August 2006.
Hiergegen richtet sich die am 09.02.2006 zum Sozialgericht Augsburg erhobene Klage. In der umfangreichen Klagebegründung wurde u.a. darauf verwiesen, dass der teilweise aufgehobene Rentenbescheid insgesamt äußerst irreführend formuliert worden sei. Hätte die Beklagte die Klägerin auf den Beendigungszeitpunkt klar hinweisen wollen, hätte sie formulieren sollen, dass der Anspruch ende, sobald das jüngste Kind das 18. Lebensjahr vollende. Die Beklagte habe dabei zu beachten gehabt, dass der Bescheid von juristisch ungeschulten Versicherten gelesen werde. Die Klägerin sei überzeugt gewesen, dass sie Erziehungsrente erhalten könne, solange ihr jüngstes Kind sich in Schulausbildung befinde. Diese Fehlvorstellung sei weiter durch das Schreiben der Beklagten vom August 2002 hinsichtlich der Waisenrente des Kindes verstärkt worden. Weiter sei die maßgebliche Frist des § 48 Abs. 4 SGB X nicht eingehalten worden, die Beklagte habe spätestens im August 2002 positive Kenntnis der Tatsachen gehabt. Letztlich habe die Beklagte auch das eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 22.07.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.01.2006 insoweit aufzuheben, als dieser die Aufhebung des Bescheids vom 31.07.1997 rückwirkend zum 01.12.2002 und die Er- stattung der in diesem Zusammenhang entstandenen Überzahlung anordnet.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig.
Sie erweist sich auch als begründet.
Der Bescheid vom 22.07.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.01.2006 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, als diese Bescheide die Aufhebung des Bescheids vom 31.07.1997 rückwirkend, somit für die Zeit ab 01.12.2002 bis 31.07.2005, und die Erstattung der in diesem Zeitraum (01.12.2002 bis 31.05.2005) entstandenen Überzahlung anordnen.
Nach dem bestandskräftigen Rentenbewilligungsbescheid vom 31.07.1997 hatte die Klägerin Anspruch auf Gewährung der Erziehungsrente auch in dem streitgegenständlichen Zeitraum. Ein Widerruf, eine Rücknahme oder eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides war der Beklagten rechtlich verwehrt.
Insbesondere konnte die Beklagte den Bescheid nicht gemäß § 48 SGB X aufheben. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm sind vorliegend nicht erfüllt.
Gemäß § 48 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dann mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines solchen Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit 1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Die Klägerin hat keine Pflicht zur Mitteilung für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse verletzt. Eine solche Pflicht ergibt sich weder unmittelbar aus den gesetzlichen Vorschriften noch hat der Bewilligungsbescheid der Beklagten eine solche Pflicht festgesetzt. Eine solche Pflichtverletzung wird auch von der Beklagten nicht geltend gemacht.
Auch der Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ist vorliegend nicht erfüllt. So ergeben sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens keinerlei Hinweise darauf, dass die Klägerin positive Kenntnis von dem Wegfall ihres Anspruchs auf Erziehungsrente gehabt hat. Sie hat jedoch auch die ihr obliegende Sorgfalt nicht in besonders schwerem Maße verletzt.
Denn eine solche besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung (grobe Fahrlässigkeit) wird nach der Rechtsprechung nur begründet durch zutreffende, deutliche und für den Betroffenen verständliche Belehrungen über Wegfalltatbestände im Bewilligungsbescheid (z.B. Bundessozialgericht – BSG – SozR 1300 § 48 Nr. 47). Ein solcher deutlicher und unmissverständlicher Hinweis ist – wie die Klägerin über ihren Bevollmächtigten zutreffend hervorhebt – in dem Bewilligungsbescheid aus dem Jahr 1997 oder in sonstigen Bescheiden der Beklagten gerade nicht enthalten. Klar darauf hingewiesen wird die Klägerin zwar, dass sie die Rente aufgrund der Erziehung ihres Kindes erhält. Was unter den Be-griff der "Erziehung" fällt, wird in dem Bescheid jedoch nicht näher ausgeführt. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass die Erziehung in Ausnahmefällen auch vor dem 18. Lebensjahr des Kindes enden kann. Welche Bedeutung der Eintritt der Volljährigkeit auf den Begriff der Erziehung bzw. den Rentenanspruch hat und welche Regelung gilt, wenn die äußeren Umstände trotz Vollendung des 18. Lebensjahres völlig unverändert bleiben, darüber schweigt der Bescheid, obwohl es ein Leichtes wäre, einen entsprechenden Hinweis in Erziehungsrentenbescheiden anzubringen.
Nach der Rechtsprechung liegt grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X nicht schon dann vor, wenn der Betroffene mit dem relevanten Umstand lediglich rechnen musste. Vorausgesetzt wird vielmehr, dass er den Umstand "aufgrund einfachster und ganz naheliegender Überlegungen" hätte erkennen können bzw. dass "dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen" (Steinwedel in KassKomm, § 45 SGB X, Rdnr 39, i.V.m. § 48 SGB X, Rdnr 54 m.w.N.). Daraus ergibt sich, dass der Klägerin der Vorwurf zu machen sein mag, dass sie die Sorgfalt in leichtem Maße verletzt hat, indem sie Überlegungen aus dem Weg gegangen sein dürfte, wie lange genau die Erziehungsrente bezogen werden durfte. Eine von der Aufhebungsvorschrift zwingend geforderte besonders schwere Sorgfaltspflichtverletzung ist jedoch – wie dargelegt – nicht gegeben. Aufgrund der undeutlichen Hinweise bzw. der nur Andeutungen im Bescheid kann in keinem Fall davon ausgegangen werden, dass der Wegfall des Erziehungsrentenanspruchs "jedem hätte einleuchten müssen". Die Auslegung des Begriffs "Erziehung" führt – gerade auch für juristisch ungeschulte Laien – zu keinem offenkundigen Ergebnis. Insbesondere konnte die Klägerin nicht davon ausgehen, dass ihre Erziehung mit Eintritt der rechtlichen Volljährigkeit ihres Sohnes abrupt endet. Denn wie die allgemeine Lebenserfahrung zeigt, endet die tatsächliche Erziehung durch die Eltern in keinem Fall exakt mit dem Tag des Erreichens der Volljährigkeit. In vielen Fällen wird die Erziehung lange vor dem 18. Lebensjahr enden bzw. abgebrochen werden. Im Gegensatz hierzu endet für Viele die Erziehung durch ihre Eltern nie, so wie sie auch immer Kinder ihrer Eltern bleiben. Aufgrund der Hinweise des Bescheids unter der Rubrik "Mitteilungspflichten" konnte die Klägerin auch nicht erkennen, dass die Erziehung bei weiterhin unterhaltsberechtigten Kindern (z.B. wegen weiterer Ausbildung) aufgrund der Volljährigkeit endet. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte hinsichtlich des Waisenrentenanspruchs durch ihre Nachfrage genau darauf hingewiesen hat, dass bei Ausbildung ein längerer Rentenbezug – wenn auch hinsichtlich der anderen Rentenart – möglich ist. Auf die rechtliche Definition des Begriffs Erziehung kommt es somit nicht an (z.B. Gürtner in KassKomm, § 46 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI -, Rdnr 23).
Es kann daher offen bleiben, ob die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X von der Beklagten eingehalten und ob das Ermessen rechtmäßig ausgeübt wurde.
Auch wenn der Klägerin unter materiellen Gesichtspunkten die Rentenleistung im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zustand, konnte die Beklagte die zu Unrecht bezogenen Leistungen nicht rechtmäßig zurückfordern. Die rechtswidrigen Verwaltungsakte der Beklagten waren aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 17.12.2008
Zuletzt verändert am: 17.12.2008