I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu einer vollen Kostenübernahme für anwaltliche Tätigkeit in einem Widerspruchsverfahren verpflichtet ist.
Die 1939 geborene Klägerin ist 1984 aus ihrem Geburtsland Rumänien nach Deutschland zugezogen. Ein Vertriebenenausweis wurde ausgestellt. Mit Bescheid vom 01.12.1999 bewilligte ihr die Beklagte (auf der Grundlage von 36,1113 Entgeltpunkten) Altersrente für Frauen. Dabei berücksichtigte sie unter Berufung auf § 22 Abs. 4 Fremdrentengesetz (FRG) die aus den nach dem FRG anerkannten Beitrags- und Beschäftigungszeiten ermittelten Entgeltpunkte nur zu 60 %. Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch und trug vor, dass die 40-prozentige Kürzung grundrechtswidrig und die von der Beklagten zur Anwendung gebrachte Vorschrift des § 22 Abs. 4 FRG verfassungswidrig sei. Im Einvernehmen mit den Beteiligten wurde das Widerspruchsverfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ruhend gestellt.
Mit Beschluss vom 13.06.2006 (Az. u.a. BVL 9/00) stellte das BVerfG fest: "Die in § 22 Abs. 4 FRG 1996 vorgeschriebene Reduzierung der nach Abs. 1 und 3 der Vorschrift maßgeblichen Entgeltpunkte durch Multiplikation mit dem Faktor 0,6 ist mit dem Grundgesetz vereinbar." Weiter heißt es in der Entscheidung: "Es verstößt jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, dass § 22 Abs. 4 FRG 1996 auf Berechtigte, die bereits vor dem 1. Januar 1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland genommen haben und deren Rente nach dem 30. September 1996 beginnt, ohne eine Übergangsregelung für zum damaligen Zeitpunkt rentennahe Jahrgänge zur Anwendung kommt". Der Gesetzgeber erließ daraufhin Art. 16 Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz – RVAltGrAnpG) vom 20.04.2007 und änderte Art. 6 § 4c FANG mit Wirkung ab 01.10.1996. Mit Bescheid vom 27.06.2008 stellte die Beklagte daraufhin die Altersrente der Klägerin unter Berücksichtigung der Neufassung von Art. 6 § 4c FANG neu fest. Sie gewährte ihr für die Zeit bis 30.06.2000 einen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten in Höhe von 25 % aus (zusätzlichen) 11,0641 Entgeltpunkten, also Rente nach insgesamt 39,9719 Entgeltpunkten und berechnete für die Folgezeit die Altersrente auf der Basis von 37,3859 Entgeltpunkten. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 24.07.2002 ging bei der Beklagten die Kostennote des Bevollmächtigten der Klägerin ein. Mit Bescheid vom 01.09.2008 erklärte sich die Beklagte bereit, die der Klägerin durch das Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen zur Hälfte zu erstatten. Dem widersprach die Klägerin. Das BVerfG habe § 22 Abs. 4 FRG für verfassungswidrig erklärt, so dass eine volle Kostenübernahme gerechtfertigt sei. Mit Bescheid vom 16.12.2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage vom 14.01.2009. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass ihrem Widerspruch in vollem Umfang abgeholfen worden sei und sie deshalb Anspruch auf Kostenübernahme in voller Höhe habe. Sie stützt sich mit dieser Auffassung insbesondere auf einen Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 29.01.2009 (L 13 R 4021/08).
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2008 zu verpflichten, die Kosten des Vorverfahrens in vollem Umfang zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung ihrer Rechtsposition trägt sie vor, dass das BVerfG § 22 Abs. 4 FRG für verfassungsmäßig erklärt und lediglich den Gesetzgeber aufgefordert habe, eine Übergangsregelung einzuführen. Die Klägerin habe aber mit ihrem Widerspruch eine Rentengewährung ohne Anwendung von § 22 Abs. 4 FRG begehrt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Beigezogen war die Verwaltungsakte der Beklagten. Sie war ebenso wie die Gerichtsakte Gegenstand der Entscheidung. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) entscheiden, nachdem die Beteiligten dies übereinstimmend beantragt hatten.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin die vollen Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten, weil diese mit ihrem Widerspruch nur teilweise erfolgreich war.
Rechtsgrundlage ist § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat demjenigen, der Widerspruch erhoben hat die zur zweckentsprechende Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Beiziehung eines Bevollmächtigten für die Klägerin "notwendig" im Sinne von § 63 SGB X war. Aus dem "Soweit-Satz" der Vorschrift wird deutlich, dass es für den Umfang der Erstattungspflicht des Rechtsträgers einmal auf das sachliche Begehren des Widerspruchsführers und zum anderen darauf ankommt, inwieweit er damit Erfolg hatte. Soweit sich Widerspruchsbegehren und nachfolgende Abhilfe – bzw. Widerspruchsentscheidung in vollem Umfang decken, hat der Versicherte Anspruch auf volle Kostenübernahme, andernfalls kann er eben nur – entsprechend seiner Erfolgsquote – einen Anteil vom Versicherungsträger berechtigterweise fordern.
Die Beklagte hat der Klägerin nicht die vollen Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten. Denn entgegen ihrer Behauptung hat sich die Beklagte in ihrem Bescheid vom 01.12.1999 nicht auf eine verfassungswidrige Norm gestützt. Dabei stimmt die Kammer der auf die Prüfung eines Erstattungsanspruches nach § 63 SGB X sicher übertragbaren Kommentierung in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz-Kommentar, 9. Auflage, Rn. 13a, zu. Dort heißt es, dass dann, wenn das BVerfG ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt, als Grundsatz gilt, dass derjenige die Kosten trägt, der sich auf die verfassungswidrige Norm berufen hat. Im hier zu entscheidenden Fall sind diese Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt.
Die Beklagte hat sich bei ihrer Entscheidung mit Bescheid vom 01.12.1999 in der Anwendung von § 22 Abs. 4 FRG nicht auf eine verfassungswidrige Norm gestützt (a.A. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.01.2009, L 13 R 4021/08). Dies ergibt sich auf den ersten Blick schon daraus, dass § 22 Abs. 4 FRG in der zum Zeitpunkt dieser Entscheidung gültigen Fassung denselben Wortlaut hat wie bei Erlass des Bescheides der Beklagten am 01.12.1999: "Die nach den Abs. 1 und 3 maßgeblichen Entgeltpunkte werden mit dem Faktor 0,6 vervielfältigt."
Mit der Fortgeltung dieser Gesetzesnorm missachtet der Gesetzgeber aber keineswegs die Entscheidung des BVerfG. Entgegen der Behauptung der Klägerin, die Beklagte habe ihrem Bescheid vom 01.12.1999 auf eine verfassungswidrige Norm gestützt und dies habe das BVerfG auch so festgestellt, ist in dessen Beschluss vom 13.06.2006 explizit ausgeführt: "Die in § 22 Abs. 4 FRG 1996 vorgeschriebene Reduzierung der nach Abs. 1 und 3 der Vorschrift maßgeblichen Entgeltpunkte durch Multiplikation mit dem Faktor 0,6 ist mit dem Grundgesetz vereinbar." Dies verkennt die Klägerin.
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin mehr als die Hälfte der ihr im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten zu erstatten. Die Klägerin hatte mit ihrem Widerspruch gegen den Bescheid vom 01.12.1999 eine Altersrentengewährung ohne Kürzung der nach dem FRG nach den in Rumänien zurückgelegten Versicherungszeiten festgestellten Entgeltpunkte um 60 % und somit ohne Anwendung von § 22 Abs. 4 FRG begehrt, weil sie diese Vorschrift für verfassungswidrig hielt. Nach Überprüfung der Norm durch das BVerfG und Umsetzung der höchstrichterlichen Vorgaben zum Erlass von Übergangsvorschriften durch den Gesetzgeber erhielt sie mit Bescheid vom 27.06.2008 für die Zeit vom 01.12.1999 bis 30.6.2000 eine Nachzahlung von 863,03 DM (berechnet basierend auf einem vorübergehenden Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten von 11,0641) und für die Folgezeit eine gegenüber der früheren Berechnung (Bescheid vom 01.12.1999) etwas erhöhte Altersrente auf der Grundlage von 37,3859 Entgeltpunkten. Im Bescheid vom 01.12.1999 war die Beklagte bei der Rentenberechnung noch von 36,1113 Entgeltpunkten ausgegangen und hatte einen Zahlbetrag von monatlich 1.609,54 DM bestimmt. Mit Bescheid vom 27.06.2008 gewährte sie ab 01.07.2000 (bei einem von 48,29 DM auf 48,58 DM leicht erhöhten aktuellen Rentenwert) monatlich 1.676,36 DM netto.
Zusammenfassend ist daher festzustellen: Der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 01.12.1999 war offensichtlich nur zu einem (geringen) Teil erfolgreich. Eine höhere, als die von der Beklagten festgesetzte Erfolgsquote von 50 % ist rechtlich nicht darstellbar. Ein voller Erfolg, wie ihn die Klägerin behauptet, wäre nur dann eingetreten, wenn ihr die Beklagte rückwirkend ab Rentenbeginn und auf Dauer (so wie mit dem Widerspruch begehrt) Altersrente ohne Kürzung auf 60 %, d.h. dauerhaft auf der Grundlage von 39,9719 zahlen müsste. Dies war und ist nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.
Erstellt am: 09.06.2009
Zuletzt verändert am: 09.06.2009