I. In Abänderung der Festsetzung vom 5. März 2009 werden die von der Staatskasse vorzuschießenden Kosten auf 166,60 EUR festgesetzt.
II. Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe des dem beigeordneten Rechtsanwalt zustehenden Vorschusses aus der Staatskasse.
Der Erinnerungsführer (Ef) wurde mit Beschluss vom 20.08.2007 seiner Mandantin als Rechtsanwalt beigeordnet. Mit der Klage vom März 2005 macht diese die Zahlung einer Witwenrente ohne Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte geltend. Der Ef hat Sachanträge gestellt und das Begehren der Klägerin auf einer Seite begründet. Mit Beschluss vom 10.12.2007 wurde auf übereinstimmende Anträge der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens bis zum Abschluss der verfassungsgerichtlichen Überprüfung angeordnet. Zwischenzeitlich ist das Verfahren als nach der Aktenordnung erledigt ausgetragen.
Mit Schriftsatz vom 23.01.2009 beantragte der Ef die Gebührenfestsetzung im Wege des Prozesskostenhilfevorschusses und machte eine Rahmengebühr nach Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) von 250 EUR abzüglich der Anrechnung von 35 EUR gemäß Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG, zuzüglich Entgelt für Post – und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 VV RVG) von 20 EUR und Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 44,65 EUR, insgesamt 279,65 EUR geltend. Die Kostenbeamtin setzte den Vorschuss auf 124,95 EUR fest. Abweichend vom Antrag des Ef legte sie, da der Ef bereits im Vorverfahren tätig gewesen war, eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103 VV RVG zu Grunde und bestimmte diese auf 120 EUR.
In seiner Erinnerung gegen diesen Beschluss rügte der Ef eine quasi "doppelte Anrechnung" durch Anwendung der Nrn. 3103 und 2503 VV RVG. Im Übrigen sei die Mittelgebühr angebracht.
II.
Die zulässige Erinnerung ist teilweise begründet. Dem Ef steht ein Vorschuss ohne Anrechnung der hälftigen Beratungshilfe gemäß Nr. 2503 VV RVG zu. Im Übrigen war die Erinnerung unbegründet und deshalb zurückzuweisen.
Rechtsgrundlage für den beantragten Vorschuss auf die Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt ist § 47 RVG. Danach kann der Rechtsanwalt, dem wegen seiner Vergütung ein Anspruch gegen die Staatskasse zusteht, für die entstandenen Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen aus der Staatskasse einen angemessenen Vorschuss fordern.
1. Der Ef hat Anspruch auf eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103 VV RVG. Dies ist tatbestandlich zwingend dadurch bedingt, dass er für seine Mandantin in dieser Angelegenheit bereits im Verwaltungsverfahren bzw. im weiteren der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienenden Verwaltungsverfahren tätig war. Es ist allgemein anerkannt und unstreitig, dass mit diesem Gebührentatbestand und der darin vorgesehenen verminderten Rahmengebühr berücksichtigt werden soll, dass dem Bevollmächtigte aufgrund früherer Befassung mit der streitgegenständlichen Thematik die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren erleichtert wird (Synergieeffekt). Für die darüber hinausgehende Interpretation des Ef, dass der Gesetzgeber den reduzierten Gebührenrahmen nur für den Fall vorgesehen habe, dass der Anwalt die anlässlich der vorausgegangenen Tätigkeit fällig werdenden Gebühren (Nr. 2400/2401 VV RVG) auch tatsächlich erhalten habe, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Soweit er sich deswegen auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsens beruft ist dies schon deshalb unbehelflich, weil in dem dortigen Verfahren nicht über die speziell für das sozialgerichtliche Verfahren entwickelten Gebührentatbestände Nr. 3102 bzw. 3103 VV RVG zu befinden war.
Der Gesetzgeber knüpft für den reduzierten Gebührenrahmen mit der Nr. 3103 VV RVG unzweifelhaft an das " Tätig – gewesen – sein" des Rechtsanwalts in einem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren an. Die Anwendungsbereiche der Nrn. 3102 VV RVG und 3103 VV RVG sind folglich allein nach den tatsächlichen Verhältnissen abzugrenzen. Für den hier zur Beurteilung stehenden Sachverhalt kommt es deshalb allein auf die spezialgesetzliche Norm der Nr. 3103 VV RVG an. Zu fragen ist nicht, ob der in einem dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangenen Verwaltungsverfahren tätig gewesene Rechtsanwalt für sein Tun vom Mandanten auch tatsächlich eine Vergütung erhalten hat. Wortlaut, aber auch Sinn und Zweck der Nr. 3103 VV RVG lassen ein solches Verständnis des Gebührentatbestandes nicht zu. Auch die Begründung im Gesetzentwurf zum Kostenrechts-Modernisierungsgesetz (Bt-Ds 15/1971, 212) belegt, dass hiermit allein der durch die vorausgegangene Tätigkeit ersparte Aufwand berücksichtigt werden soll.
Das Verständnis des Ef würde darüber hinaus zu einem vom Gesetzgeber mit Sicherheit nicht gewollten und mit § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht zu vereinbarenden Ergebnis führen. Die Anwendung der Nr. 3103 VV RVG hinge dann nämlich davon ab, ob der Anwalt die ihm aus der vorausgegangenen Tätigkeit zum Beispiel im Verwaltungsverfahren (also einer Tätigkeit, welche nach allgemeiner Auffassung nicht Teil der außergerichtlichen Kosten im Sinne von § 193 SGG darstellt) zustehende Vergütung auch tatsächlich vom Mandanten erhalten hat bzw. zu erhalten vermag. Wäre dies nicht der Fall müsste die beklagte Seite im Falle des Unterliegens über die Anwendung der Nr. 3102 VV RVG im Ergebnis allein in die Sphäre des Bevollmächtigten fallende wirtschaftliche Risiken (mit -) tragen. Die Grundnorm des § 193 SGG verteilt das Kostenrisiko aber allein nach dem Umfang von obsiegen bzw. unterliegen in der Streitsache selbst.
2. Die (vorschussweise zu gewährende) Vergütung steht dem Ef ohne Anwendung der Anrechnungsvorschrift der Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG zu. Nach diesem Gebührentatbestand ist auf die Gebühr für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren die im Rahmen der Beratungshilfe aus der Staatskasse gezahlte Geschäftsgebühr zur Hälfte anzurechnen. Das Gericht versteht diese Vorschrift dahingehend, dass hier berücksichtigt werden soll, dass der Anwalt mit der Thematik im Rahmen der Beratungshilfe bereits befasst war und deshalb einen gebührenrechtlich durch die nachfolgende Anrechnung zu erfassenden Vorteil daraus hat. Denn er ist in dieser Situation für das nachfolgende Gerichtsverfahren durch das aus der Beratungshilfe bereits erlangte Wissen und Kennen besser gestellt, als wenn er mit der Angelegenheit erstmals kurz vor Klagerhebung konfrontiert würde. Für das Klageverfahren erhält er deshalb eine (um die anteilige Beratungshilfe) verminderte Vergütung.
Den gleichen Mechanismus regelt der Gesetzgeber spezialgesetzlich für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit über die Gebührentatbestände Nrn. 3102 und 3103 VV RVG (siehe oben). Die allgemeine Anrechnungsregelung in Abs. 2 der Nr. 2503 VV RVG wird durch diese Sondervorschriften als leges speciales verdrängt.
3. Das Gericht stimmt mit der Kostenbeamtin darin überein, dass dem Ef ein Vorschuss in Höhe der Mittelgebühr (hier: 170 EUR) nicht zusteht. Grundsätzlich ist festzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Mittelgebühr in Verfahren mit durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem Aufwand und durchschnittlicher Bedeutung für den durchschnittlich begüterten Mandanten zusteht. Eine gewisse Orientierung bieten hier Streitverfahren um die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung. Es ist ständige kostenrechtliche Praxis, dass ein Bevollmächtigter z.B. in einem solchen Rentenstreitverfahren für seine Tätigkeiten (Klagerhebung, Besprechung mit Mandant, Auswertung von Befundberichten und einem oder mehreren Sachverständigengutachten) die Mittelgebühr erhält. Nicht selten dauern derartige Verfahren ein Jahr oder länger und der Rechtsanwalt ist dementsprechend lang mit dem Fall befasst. Die Mittelgebühr hat der Gesetzgeber für den durchschnittlichen Rechtsstreit, also den "Normalfall" vorgesehen. Entscheidend ist eine Gesamtabwägung: Es müssen sämtliche, den Gebührenanspruch potentiell beeinträchtigenden Faktoren miteinander im Einzelfall abgewogen werden. Rentenstreitverfahren (wie vorstehend beschrieben), also Verfahren betreffend einen Anspruch auf existenzsichernde Sozialleistungen, sind der Normalfall vor den Sozialgerichten.
Gemessen daran kann vorliegend zwar davon ausgegangen werden, dass das Hauptsacheverfahren für die Mandantin des Ef von durchschnittlicher Bedeutung ist. Andererseits – und das belegt zweifelsfrei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung – liegen bei ihr weit unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse vor. Auch, wenn man berücksichtigt, dass im Hauptsacheverfahren eine rechtlich schwierige Thematik zu bearbeiten ist, darf nicht übersehen werden, dass sich der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit (die notwendigen Besprechungen mit der Mandantin eingerechnet) – bisher – in der Fertigung eines eineinhalbseitigen Schriftsatzes (Anträge und Begründung) erschöpft.
Der im Rahmen von § 47 RVG zu gewährende angemessene Vorschuss kann nur für entstandene Gebühren verlangt werden. Vorschussweise zu vergüten ist somit die bisher geleistete Arbeit. Wenn – wie oben ausgeführt – für die vollständige Abarbeitung eines Verfahrens betreffend einer Rente wegen Erwerbsminderung eine Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr anzusetzen ist, ist es nicht gerechtfertigt, die bis zum Ruhensbeschluss aus der Prozessakte erkennbaren anwaltlichen Tätigkeiten gleichermaßen zu vergüten. Die von der Kostenbeamtin getroffene Bestimmung erscheint nicht ermessensfehlerhaft, denn es ist ungewiss, ob das Verfahren im Anschluss an die noch ausstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fortgesetzt wird und welche anwaltlichen Aktivitäten noch entfaltet werden. Ein Vorschuss auf künftige Leistungen sieht § 47 RVG aber nicht vor.
4. Das Gericht hat die Beschwerde zugelassen, obwohl der Beschwerdegegenstand 200 EUR nicht übersteigt. Es ist von grundsätzlicher Bedeutung zu klären, ob die Anrechnungs- vorschrift der Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG auch im Falle des Gebührentatbestandes Nr. 3103 VV RVG zur Anwendung kommt.
Erstellt am: 19.05.2009
Zuletzt verändert am: 19.05.2009