I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller ab Zustellung des Beschlusses vorläufig bis zum 31.07.2009, längstens jedoch bis zum Abschluss des Vorverfahrens, Leistungen wie einem pflichtversicherten Mitglied nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a SGB V zu gewähren.
II. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Aufnahme als pflichtversichertes Mitglied bei der Antragsgegnerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zur Sicherung seiner laufenden Krankenbehandlung.
Der Antragsteller war bis 07.10.2007 bei der Beklagten pflichtversichert nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V als Bezieher von Arbeitslosengeld II. In der Zeit vom 08.10.2007 bis 14.05.2009 befand er sich in Strafhaft. Bei der Entlassung wurde ihm ein Guthaben von 977,24 EUR ausbezahlt, darin enthalten Überbrückungsgeld in Höhe von 966,82 EUR. Er wurde ab 14.05.2009 in das B.-Haus in A-Stadt aufgenommen, einem Wiedereingliederungszentrum für straffällige Männer. Der Bezirk Schwaben, Sozialverwaltung, lehnte mit Bescheid vom 04.05.2009 gegenüber dem B.-Haus die Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) ab, da in den ersten 28 Tagen nach Haftentlassung das Überbrückungsgeld anzurechnen sei. Er lehnte auch eine Anmeldung nach § 264 SGB V durch den Sozialhilfeträger ab aufgrund vorrangiger Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Der Bezirk Schwaben gewährt jedoch Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach § 67 SGB XII für die Maßnahme im B.-Haus.
Der Antragsteller gab am 19.05.2009 eine Anzeige zur Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ab. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20.05.2009 eine Pflichtversicherung ab, da die Voraussetzung "zuletzt gesetzlich krankenversichert" wegen des Anspruches auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz bis 14.05.2009 nicht erfüllt sei.
Am 25.05.2009 ist beim Sozialgericht Augsburg ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingegangen. Zur Begründung der Eilbedürftigkeit hat der Antragsteller vorgetragen, dass er Diabetiker sei und täglich Insulin spritzen müsse. Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass ein Anordnungsanspruch nicht besteht und beruft sich dabei auf ein Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.09.2008 (S 7 KR 530/07). Auch ein Anordnungsgrund fehle, weil die Gesundheitsvorsorge durch die Sozialhilfeverwaltung des Bezirks Schwaben sicherzustellen sei. Auch habe der Antragsteller bislang noch keinen Widerspruch eingelegt.
Das Gericht hat am 28.05.2009 den Bezirk Schwaben, Sozialverwaltung, beigeladen.
Der Antragsteller hat am 02.06.2009 ein Widerspruchs eingelegt. Er hat vorgetragen, bereits am Freitag den 29.05.2009 ein Privatrezept für Insulin in Höhe von 87 EUR mit seinem Taschengeld finanziert zu haben. Ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II sei nicht gestellt. Eine telefonische Rückfrage der Unterzeichnenden bei der Sozialarbeiterin im B.-Haus hat ergeben, dass beim Antragsteller zwar nicht formell Arbeitsunfähigkeit festgestellt ist, er jedoch in den Tagesablauf der Wiedereingliederungsmaßnahme integriert ist und daher tatsächlich auch nicht in dem Sinne vermittlungsfähig ist, dass er mindestens drei Stunden täglich eine Arbeit außerhalb des B.-Hauses verrichten könnte. Die Antragsgegnerin hat mitgeteilt, dass die nächste Sitzung des Widerspruchsausschusses voraussichtlich Ende Juni stattfinden werde.
Der Antragsteller beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen, ihn nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zu versichern.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Gewährung eines einstweiligen Rechtsschutzes abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine einstweilige Anordnung setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus. Das Gericht entscheidet aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage, ob ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorliegen und welche Maßnahmen unter Abwägung der Belange der Öffentlichkeit und des Antragstellers nötig erscheinen. Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht. Er ist identisch mit dem auch im Hauptsacheverfahren geltend zu machenden materiellen Anspruch. Anordnungsgrund ist die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Die Gerichte sind, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, in solchen Fällen gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen (BVerfG Beschluss v. 22.11.2002 – 1 BvR 1586/02 – NJW 2003, 1236; bestätigend BVerfG Beschluss v. 19.03.2004 – 1 BvR 131/04). Dreht es sich um existenziell bedeutsame Leistungen wie im Bereich der Krankenversicherung, muss die Sach- und Rechtslage abschließend geprüft werden. Ist im Eilverfahren diese gebotene vollständige Aufklärung jedoch nicht möglich, bilden die Erfolgsaussichten der Hauptsache keinen adäquaten Maßstab. Vielmehr ist eine Folgenabwägung vorzunehmen, bei welcher die grundrechtlichen Belange der Betroffenen den Belangen der Versichertengemeinschaft gegenüberzustellen sind (vgl. BVerfG Beschluss v. 06.02.2007 – 1 BvR 3101/06).
Ein Anordnungsgrund ist gegeben. Da der Kläger als Diabetiker täglich Insulin spritzen muss, ist er auf fortlaufende Krankenbehandlung und Versorgung mit Arzneimitteln angewiesen. Das Versicherungsverhältnis muss daher sofort geklärt werden. Er kann auch nicht auf einen nachrangigen Anspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger verwiesen werden, wenn tatsächlich ein Anordnungsanspruch gegeben ist.
Auch ein Anordnungsanspruch liegt vor. Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts nach Haftentlassung ab 14.05.2009 Pflichtversicherter nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a SGB V. Versicherungspflichtig sind nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a SGB V Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren. Dabei stellt § 5 Abs. 8a SGB V klar, dass nach Nr. 13 nicht versicherungspflichtig ist, wer nach Abs. 1 Nr. 1 bis 12 versicherungspflichtig, freiwilliges Mitglied oder nach § 10 versichert ist. Dies gilt entsprechend für Empfänger laufender Leistungen nach dem 3., 4., 6. und 7. Kapitel des SGB XII und für Empfänger laufender Leistungen nach § 2 AsylbLG. Der Kläger war zuletzt vor einer versicherungslosen Zeit bis 07.10.2007 bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er bezieht auch ab 14.05.2009 nach Haftentlassung kein Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe nach dem 3., 4., 6. oder 7. Kapitel des SGB XII. Denn das Überbrückungsgeld ist in den ersten 28 Tagen nach Haftentlassung zur Bestreitung des Lebensunterhalts heranzuziehen.
Das Gericht folgt nicht der von der Beklagten und vom Sozialgericht Nürnberg (Urteil v. 10.09.2008 – S 17 KR 530/07) vertretenen Auffassung, dass deshalb, weil der Kläger vor dem 14.05.2009 während der Haft durch Leistungen der Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz gegen Krankheit abgesichert war, er nicht "zuletzt" gesetzlich krankenversichert war. Zur Überzeugung des Gerichts widerspricht dies nicht nur dem erklärten Willen des Gesetzgebers. Vielmehr werden auch die Begriffe eines versicherungslosen und eines absicherungslosen Zeitraumes unzulässig vermengt. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war es, bislang nichtversicherte Personen in eine gesetzliche oder private Krankenversicherung zwangsweise einzubeziehen. Dies wird deutlich aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, wo als grundlegendes Ziel der anstehenden Gesundheitsreform an erster Stelle ein Versicherungsschutz für alle Einwohner ohne Absicherung im Krankheitsfall in der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung genannt ist (Drs. 755/06, S. 242 und 244). Durch die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V sollte das politische Ziel umgesetzt werden, dass in Deutschland niemand ohne Schutz im Krankheitsfall sein soll (Drs. 755/06, S. 264). Würde man Personen, die nach Haftentlassung vorübergehend ohne Absicherung im Krankheitsfall sind, weil sie durch den Bezug von Überbrückungsgeld zunächst weder Leistungen nach dem SGB II noch Leistungen zur Bestreitung des laufenden Lebensunterhalt nach dem SGB XII beziehen können, keine Pflichtversicherung nach der Nr. 13 zubilligen, dann würde dies diametral dem erklärten Willen des Gesetzgebers widersprechen, alle Nichtversicherten in eine Krankenversicherung einzubeziehen. Die historische Auslegung spricht also eindeutig für einen Versicherungsschutz des Klägers nach Nr. 13.
Die Auslegung, dass bei Absicherung im Krankheitsfall im Sinne des § 5 Abs. 8a SGB V nach der Pflichtversicherung und vor der absicherungslosen Zeit der Versicherte nicht mehr "zuletzt" gesetzlich krankenversichert gewesen wäre, ist mit der systematischen Stellung des § 5 Abs. 8a SGB V nicht vereinbar. Der Ausschluss des Eintritts der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V durch anderweitige Absicherung nach § 5 Abs. 8a SGB V, zu der entgegen der wörtlichen Aufzählung in Absatz 8a nach der Gesetzesbegründung auch die Absicherung während des Strafvollzuges durch Anspruch auf Leistungen der Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz gehört (Drs. 755/06 S.265), tritt nach der systematischen Stellung des Abs. 8a ein, wenn entsprechende Leistungen tatsächlich bezogen werden zu dem Zeitpunkt, zu dem die Versicherungspflicht ansonsten einsetzen würde. Diese Absicherung nach Abs. 8a wird damit jedoch gerade nicht mit einer Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung oder der privaten Krankenversicherung gleichgesetzt. "Zuletzt gesetzlich krankenversichert" ist im Sinne einer Zuständigkeitsregelung auszulegen, mit der klargestellt wird, ob die gesetzliche oder die private Krankenversicherung für die Aufnahme der versicherungslosen Person zuständig ist. "Zuletzt" ist daher so auszulegen, dass es darum geht, ob einer versicherungslosen Zeit, das heißt einer Zeit ohne Absicherung in einer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung, zuletzt eine gesetzliche Krankenversicherung vorausgegangen ist. Versicherungslose Zeit ist dabei nicht gleichzusetzen mit einer absicherungslosen Zeit, das heißt einer Zeit, in der auch keine Absicherung nach Absatz 8a bestand.
Unter Abwägung der Interessen des Antragstellers und der Antragsgegnerin, insbesondere im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit, war dem Begehren des Antragstellers in dem Sinne stattzugeben, dass er vorläufig bis zum Abschluss des Hauptverfahrens von der Antragsgegnerin Leistungen wie ein Pflichtversicherter erlangen kann. Gleichzeitig war eine Befristung bis längstens zum Abschluss des Vorverfahrens vorzunehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 29.07.2009
Zuletzt verändert am: 29.07.2009