I. Der Bescheid vom 27. Februar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2006 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet ab 1. Februar 2010 bis 31. Januar 2011 zu gewähren.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu 1/6 zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.
Die am 1954 geborene Klägerin hat von 1969 bis 1971 den Beruf der Bürogehilfin erlernt. Anschließend war die Klägerin als Bürogehilfin, Stenotypistin, Stenokontoristin, Kassiererin und Metzgereiverkäuferin tätig. Die Tätigkeit als Metzgereiverkäuferin musste die Klägerin nach eigenen Angaben wegen starker Gelenkschmerzen im Oktober 2005 aufgeben. Seitdem hat die Klägerin keine Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt.
Am 19.12.2005 stellte die Klägerin bei der Beklagten Antrag auf die begehrte Rentenleistung. Dabei wies sie u.a. auf Knorpelschäden beider Kniegelenke, Polyarthrose beider Hände, Hüftschmerzen, defekte Schultergelenke, einen Ermüdungsbruch linker Fuß, Schwerhörigkeit beider Ohren und eine Wirbelsäulenveränderung hin.
Der von der Beklagten beauftragte Orthopäde Dr. K. kam in seinem Gutachten vom 08.02.2006 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin noch sechs Stunden und mehr täglich erwerbstätig sein könne. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.02.2006 den Antrag auf die begehrte Rentenleistung ab, da die Klägerin weder teilweise noch voll erwerbsgemindert sei. Auch liege keine teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit vor, da die Klägerin in ihrem bisherigen Beruf als Verkäuferin noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne.
Mit Schreiben vom 17.03.2006 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Aufgrund der erheblichen orthopädischen Erkrankungen sowie einer Asthmaerkrankung und erheblicher Allergien könne sie weder in ihrem bisherigen Beruf als Verkäuferin noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich tätig sein. Nach Einholung von Befundberichten wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.2006 den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bestehe nicht, da die Klägerin zwar ihren bisherigen Beruf als Fleischereiverkäuferin nicht mehr verrichten könne, ihr Leistungsvermögen jedoch ausreiche, die während des Erwerbslebens erlangten Kenntnisse und Fähigkeiten in einer Beschäftigung als Bürogehilfin zu verwerten und diese Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Diese Tätigkeit sei der Klägerin sozial zumutbar.
Hiergegen richtet sich die am 12.10.2006 zum Sozialgericht Augsburg erhobene Klage, die damit begründet wurde, dass die Beklagte das Restleistungsvermögen der Klägerin falsch eingeschätzt habe: Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch weniger als sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Sie genieße auch Berufsschutz. Eine Tätigkeit als Bürogehilfin sei der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich.
Zur medizinischen Sachverhaltsermittlung holte das Gericht Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte ein, nämlich von Dr. P. (internistisch/allergologisch) vom 12.12.2006, von Dr. K. (HNO-fachärztlich) vom 10.01.2007 und von Dr. S. (allgemeinärztlich) vom 10.02.2007. Zudem wertete das Gericht zahlreiche weitere ärztliche Befundunterlagen sowie ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen in Bayern (MDK) vom 11.08.2006 aus.
Sodann erhob das Gericht Beweis durch ein orthopädisches Sachverständigengutachten von Dr. E. vom 10.05.2007. Der Facharzt stellte in seinem Gutachten fest, dass die Klägerin an den folgenden wesentlichen Gesundheitsstörungen leide:
– Einschränkung der Geh- und Stehfähigkeit bedingt durch beidseitige Gonarthrose, vor allem rechtsseitig stärker ausgeprägt, mit einem Beugedefizit, weiter eine retropatellare Arthrose, ebenfalls beidseits, ausgeprägter Knorpelschaden dominierend am rechten Kniegelenk. Zusätzliche Einschränkung der Geh- und Stehfähigkeit durch Großzehengrundgelenksarthrose beidseits und Spreizfüße
– Bewegungs- und Belastungsdefizit linkes Schultergelenk bei deutlichen Anzeichen für ein subacromiales Engesyndrom (Impingementsyndrom) mit entsprechenden Korrelaten in Form eines Humeruskopfhochstandes, einer Sklerosierung im Bereich des Tuberculum majus und einer beginnenden Arthrose des Acromioclaviculargelenkes
– Bewegungs- und Belastungsdefizit der Wirbelsäule – u.a. fortgeschrittene degenerative Veränderungen am Übergang der Brust- zur Lendenwirbelsäule (siehe radiologischer Befund)
– Mischasthma Grad 1 bei Pollenallergie
– Hörminderung aufgrund einer Schallleitungsschwerhörigkeit sowie chronische Sinusitis maxillaris.
Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien leichte Tätigkeiten über sechs Stunden ohne gesundheitliches Risiko zumutbar. Die Gehfähigkeit der Klägerin habe sich innerhalb der letzten drei bis vier Jahre deutlich verringert. Eine viermalige Gehstrecke von 500 Meter täglich sei nicht zumutbar.
In der mündlichen Verhandlung am 24.04.2008 erklärte die Klägerin wie bereits zuvor schriftsätzlich, dass sie zwar im Besitz eines Führerscheins sei, jedoch seit etwa Februar 2006 kein Kraftfahrzeug mehr fahre. Grund hierfür seien Schmerzen in den Kniegelenken, in den Füßen und nun auch in beiden Schultergelenken, die unvermittelt auftreten würden. Zudem könne sie auch wegen der Schmerzmitteleinnahme kein Kraftfahrzeug mehr fahren.
Im zweiten orthopädischen Gutachten des Sachverständigen Dr. E., dem auch eine ergotherapeutische Testung (Ergotherapeut S.) zugrunde gelegt wurde, stellte der Sachverständige Dr. E. (Gutachten vom 19.06.2008) fest, dass von orthopädischer und ergotherapeutischer Seite davon ausgegangen werden könne, dass die Klägerin einen normalen PKW mit Schalt- oder Automatikgetriebe ohne gesundheitliche Risiken fahren könne. Anhaltspunkte für kognitive Einschränkungen hätten sich weder bei der Begutachtung vom April 2007 noch im Rahmen der jetzigen Befundung feststellen lassen. Daher sei davon auszugehen, dass es zu keinen wesentlichen unerwünschten Auswirkungen – sowohl kognitiv als auch hinsichtlich des Reaktionsvermögens – der Schmerzmittel gekommen sei. Anderenfalls wäre, so der Gutachter, von ärztlicher Seite eine Umstellung vorgenommen worden.
Sodann beauftragte das Gericht auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Facharzt für internistische Rheumatologie Dr. D. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Dr. D. kam in seinem Gutachten vom 22.05.2009 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin an den folgenden Gesundheitsstörungen leide:
– Dem Alter voranschreitender primärer Verschleiß beider Kniegelenke (primäre Gonarthrose) mit arthroskopischem Nachweis drittgradiger Knorpelschäden, anhaltenden Beschwerden und sonographisch nachweisbarem Reizerguss beidseits.
– Impingement-Symptomatik der Schultergelenke beidseits bei kernspintomographisch gesicherter Degeneration der Rotatorenmanschette links.
– Chronisch-rezidivierendes Wirbelsäulensyndrom bei dem Alter voranschreitender Spondylarthrose und Bandscheibendegeneration im Bereich des thorakolumbalen Überganges.
– Chronifiziertes Schmerzsyndrom vom Fibromyalgietyp. Kein Hinweis auf das Vorliegen einer entzündlichrheumatischen Erkrankung.
Die Klägerin könne weiterhin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes täglich sechs Stunden und mehr verrichten; in ihrem derzeitigen Zustand könne die Klägerin nicht viermal täglich einen Weg von mehr als 500 Meter in ca. 20 Minuten zurücklegen. In Übereinstimmung mit dem orthopädischen Vorgutachten sei jedoch festzustellen, dass die Klägerin einen PKW selbstständig benutzen könne.
Im folgenden Verlauf des Verfahrens legte die Klägerin eine Erklärung bezüglich der Abgabe ihres Führerscheins und des Verzichts auf die am 09.06.1972 erteilte Fahrerlaubnis der Klasse 3 vom 10.07.2009 vor, die am 21.07.2009 vom Landratsamt Oberallgäu, Fahrerlaubnisbehörde, Sonthofen, entgegengenommen wurde.
Mit Schriftsatz vom 12.08.2009 wies die Beklagte darauf hin, dass die gegenwärtige Einschränkung der Wegefähigkeit auf eine Reizergussbildung in beiden Kniegelenken zurückzuführen und nicht als überdauernd zu betrachten sei. Die Klägerin habe aus persönlichen Gründen von der Nutzung ihres PKW Abstand genommen. Darauf hat die Klägerin entgegnet, dass sie den Führerschein ausschließlich aus gesundheitlichen Gründen zurückgegeben habe.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2006 zu verurteilen, der Klägerin ab Rentenantragstellung Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 SGG form- und fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig. Sie erweist sich teilweise auch als begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 27.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit darin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für den Zeitraum (auch) ab 01.02.2010 bis 31.01.2011 abgelehnt wird.
Die Klägerin hat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens für den genannten Zeitraum Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000.
Nach § 43 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor dem Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Diese Voraussetzungen sind bei der Klägerin allesamt erfüllt.
Die Klägerin hat zum Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung im Juli 2009 sowohl die Wartezeit als auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2, Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 SGB VI für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erfüllt. Dies ergibt sich aus dem von der Beklagten vorgelegten Versicherungsverlauf vom 02.11.2009, in dem die rentenrechtlich relevanten Zeiten der Klägerin zur Überzeugung der Kammer nachgewiesen sind.
Zudem ist die Klägerin auch voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 SGB VI. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). So liegt es auch hier. Die Klägerin kann nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein. Denn der Arbeitsmarkt gilt ab Juli 2009 für die Klägerin als verschlossen, weil es dieser nach Abgabe ihres Führerscheins nicht mehr möglich ist, einen geeigneten Arbeitsplatz zu erreichen ("Wegefähigkeit"). Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch die Fähigkeit, eine Arbeitsstelle zu erreichen, denn in der Regel ist eine Erwerbstätigkeit nur außerhalb der Wohnung möglich (z.B. Bundessozialgericht – BSG – vom 19.11.1997 – B 5 RJ 16/97 R). Nach der Rechtsprechung des BSG kann von einer ausreichenden Wegefähigkeit dann nicht mehr ausgegangen werden, wenn der Betroffene viermal werktäglich eine Wegstrecke von 500 Meter zu Fuß mit zumutbarem Aufwand nicht mehr zurücklegen kann (z.B. BSG vom 19.08.1997 – B 13 RJ 89/96 R). Unter Berücksichtigung der im Übrigen ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass die Bewältigung der genannten Wegstrecke unzumutbar ist, wenn der Betroffene dafür jeweils mehr als 20 Minuten benötigen würde.
So liegt es auch hier. Aufgrund der im Verwaltungs- und insbesondere im Klageverfahren eingeholten ärztlichen Berichte und Gutachten ist der Sachverhalt in medizinischer Hinsicht hinreichend geklärt. Danach wird die Erwerbsfähigkeit der Klägerin vor allem auf orthopädischem Fachgebiet beeinträchtigt. Die Wegefähigkeit der Klägerin im o.g. Sinne ist aufgrund vor allem der Kniegelenkserkrankungen aufgehoben. Die Klägerin kann jeden-falls seit der ersten Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. E. die Wegstrecke von 500 Meter nicht mehr viermal werktäglich in ca. 20 Minuten zurücklegen. Dieses Leistungsvermögen bzw. Gehvermögen ergibt sich aus den nachvollziehbaren und fundierten Sachverständigengutachten von Dr. E. und von Dr. D … In diesen Gutachten sind die Gesundheitsstörungen der Klägerin und insbesondere ihre Auswirkungen auf die Wegefähigkeit zur Überzeugung der Kammer nachgewiesen.
Danach steht außer Frage, dass – anders als die Beklagte vorgetragen hat – die Einschränkung der Wegefähigkeit als überdauernd zu betrachten ist. Sie ist gerade nicht ausschließlich auf die Reizergussbildung in den Kniegelenken zurückzuführen. Dies zeigt u.a. das Gutachten von Dr. E. vom 10.05.2007, in der er die Einschränkung der Wegefähigkeit mit pathomorphologischen Veränderungen im Bereich beider Kniegelenke und der Füße erklärt. Weiter ergibt sich dies ausdrücklich auch aus dem zweiten Gutachten des Sachverständigen vom 19.06.2008, in dem dieser gerade keinen Reizzustand und keine Ergussbildung oder Schwellung feststellt, jedoch nicht von der Wiederherstellung der Wegefähigkeit berichtet, sondern vielmehr von einem verlangsamten Gehen der Klägerin. Auch die Feststellungen des Gutachters Dr. D. zur Aufhebung der Wegefähigkeit zeigen, dass nicht die Rede davon sein kann, die Gehfähigkeit sei ausschließlich wegen der Reizergussbildung limitiert. Die festgestellten Diagnosen hinsichtlich der Gehfähigkeit durch die Gutachter bieten keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass hier lediglich vorübergehende, also nur zeitweise auftretende Beschwerden vorliegen würden.
Ab 21.07.2009 ist der Arbeitsmarkt für die Klägerin verschlossen, da diese einen potentiellen Arbeitsplatz mit Hilfe eines Kraftfahrzeuges nicht mehr erreichen kann (z.B. BSGE 24, 142). Seit Abgabe des Führerscheins und der Verzichtserklärung der Klägerin kann diese – zumindest ohne sich strafbar zu machen – kein Kraftfahrzeug mehr fahren. Sie müsste den Führerschein (erneut) erwerben. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kommt es jedoch gerade darauf bei der Beurteilung der Wegefähigkeit an. Die Wegefähigkeit bezüglich der PKW-Benutzung ist solange nicht hergestellt, wie der Betroffene mangels Fahrerlaubnis tatsächlich außer Stande ist, den Arbeitsplatz zu erreichen (vgl. z.B. BSG vom 21.03.2006 – B 5 RJ 51/04 R).
Dem auf der Aufhebung der Wegefähigkeit gründenden Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit steht auch nicht eine analoge Anwendung von § 103 SGB VI entgegen. Nach dieser Vorschrift haben Anspruch auf eine solche Rente Personen nicht, die die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt haben. Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf den vorliegenden Sachverhalt kommt nach Ansicht der Kammer nicht in Betracht. Hierfür maßgeblich sind weniger generelle Bedenken gegen eine analoge Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften, die sich zu Ungunsten bzw. zu Lasten des Bürgers oder des Versicherten auswirken. Die These eines generellen Analogieverbots für belastende Regelungen im öffentlichen Recht (z.B. Konzak, NVwZ 1997, 872, m.w.N.) wird – in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG SozR 3-4100 § 59 e Nr. 1) – von der Kammer nicht vertreten, auch wenn hinsichtlich einer solchen Anwendung größtmögliche Zurückhaltung zu üben ist. Maßgeblich ist vorliegend vielmehr, dass die Voraussetzungen für eine Analogie nicht vorliegen. Denn es fehlt jedenfalls an einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte. In den Fällen des § 103 SGB VI kommt es dem Handelnden gerade darauf an, die gesundheitliche Beeinträchtigung herbeizuführen; dabei ist dolus directus erforderlich (siehe z.B. Niesel, in: Kasseler Kommentar, § 103, RdNr. 5). Dabei muss der Eintritt der Erwerbsminderung nicht das eigentliche Motiv des Versicherten sein. Vorliegend hat die Klägerin zwar auch zielgerichtet den Führerschein zurückgeben. Eine Gleichstellung mit dem von § 103 SGB VI erfassten Sachverhalt ist jedoch im Hinblick auf die unterschiedlichen Handlungsunwerte beider Handlungen nicht vorzunehmen. Dies ergibt sich daraus, dass Selbstverletzungshandlungen auch unter ethisch-moralischen Aspekten anders zu bewerten sind, als die Rückgabe von (bloßen) Erlaubnissen der öffentlichen Hand. Zudem ist die Rückgabe des Führerscheins durch die Klägerin nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewissermaßen "von redlichen Motiven getragen". Maßgeblich dürfte für die Klägerin neben dem Aspekt der Verkehrssicherheit auch die Unzumutbarkeit von Schmerzen bzw. körperlichen Unannehmlichkeiten bei der Führung eines PKW sein. Denn dass diese grundsätzlich vorliegen, dürfte unstreitig sein. Streitig ist der Grad der Beeinträchtigung. Auch entsprechend des Grundsatzes, dass das absichtliche Unterlas-sen der möglichen Beseitigung einer (nicht absichtlich herbeigeführten) verminderten Erwerbsfähigkeit, z.B. durch Verweigerung einer ärztlichen Behandlung, den Anwendungs-bereich von § 103 SGB VI nicht eröffnet, ist hier nicht von einem absichtlichen Herbeiführen der aufgehobenen Wegefähigkeit im Sinne der genannten Vorschrift auszugehen.
Auch eine analoge Anwendung von § 162 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) oder von § 242 BGB kann vorliegend nicht erfolgen. Denn zum einen wäre anderenfalls die Regelung des § 103 SGB VI entbehrlich. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber dieser Vorschrift lediglich deklaratorischen Charakter beimessen wollte. Zum anderen kann im Hinblick auf die oben ausgeführten Erwägungen von einem Handeln wider Treu und Glauben der Klägerin vorliegend nicht die Rede sein.
Dem Rentenanspruch stehen somit rechtliche Gründe nicht entgegen. Insbesondere kann die Beklagte im Hinblick auf die Mitwirkungspflichten der Klägerin die Leistung auch nicht gemäß § 66 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verweigern (vgl. BSG SozR 2200 § 1277 Nr. 2), auch wenn dies grundsätzlich das richtige Instrument der Beklagten in den Fällen ist, in denen wie hier durch tatsächliches Handeln die Wegefähigkeit aufgehoben wird. Es sind vorliegend die Voraussetzungen für eine Versagung der Rentenleistung gemäß § 66 Abs. 3 SGB I nicht gegeben. Ein Hinweis der Beklagten und eine Fristsetzung sind nicht erfolgt. Richtiger Weg, um die Wegefähigkeit der Klägerin ggf. wieder herzustellen, könnten – selbstverständlich neben medizinischen Maßnahmen – daher Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zur Wiedererlangung des Führerscheins sein. In diesem Zusammenhang könnte die Beklagte dann die Mitwirkung der Klägerin zumindest grundsätzlich erzwingen.
Für die Klägerin besteht jedoch vor der Abgabe des Führerscheins kein Anspruch auf die begehrte Rentenleistung wegen Aufhebung der Wegefähigkeit, da sie bis Juli 2009 zwar nicht mehr viermal werktäglich eine Wegstrecke von 500 Meter zu Fuß in ca. 20 Minuten zurücklegen, jedoch einen potentiellen Arbeitsplatz mit Hilfe eines PKW erreichen konnte. Dies ergibt sich – anders als die Klägerin meint – aus den nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen Dr. E. in seinem Gutachten vom 19.06.2008. Der Sachverständige hat ausführlich dargestellt, dass die leichte Beugeeinschränkung im Bereich des rechten Kniegelenks nicht so ausgeprägt ist, dass die Betätigung des Gaspedals von der Gelenkstellung und auch von dem auszuübenden Druck her betrachtet ein Hindernis oder gesundheitliches Risiko darstellen könnte. Gleiches gelte bei der Betätigung des Bremspedals. Die beobachteten Bewegungsausmaße seien auch hinsichtlich der Lenkradsteuerung ausreichend und auch die Betätigung eines Schalthebels sei von Seiten orthopädischer Parameter möglich. Nach dem Gutachten ergeben sich auch keine Hinweise darauf, dass der Klägerin aufgrund der Einnahme der Medikamente das Fahren eines Kraftfahrzeugs nicht möglich bzw. untersagt gewesen wäre. So sind die von der Klägerin eingenommenen Medikamente in der sog. Roten Liste regelmäßig mit dem Standardhinweis V gekennzeichnet. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass die Arzneimittel das Reaktionsvermögen in jedem Fall soweit beeinträchtigen, dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr beeinträchtigt wird. Es liegen aufgrund der ausdrücklichen Hinweise im Gutachten von Dr. E. gerade keine Nachweise darüber vor, dass bei der Klägerin ein entsprechend verändertes Reaktionsvermögen gegeben gewesen wäre.
Die Klägerin hat im streitgegenständlichem Zeitraum von Rentenantragstellung bis Juli 2009 im Übrigen auch nicht deshalb einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente, da ihr Leistungsvermögen gemäß § 43 SGB VI auf unter sechs Stunden täglich herabgesunken gewesen wäre. Denn das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin in diesem Zeitraum war lediglich qualitativ eingeschränkt. Dies ergibt sich – wovon auch die Klägerin ausgeht – insbesondere aus den überzeugenden Sachverständigengutachten von Dr. E. und von Dr. D … Ein sog. Summierungsfall liegt nicht vor. Nähere Darlegungen sind daher nicht er-forderlich.
Gleiches gilt für einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI (in Verbindung mit § 43 SGB VI) in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000. Denn die Klägerin ist nicht berufsunfähig. Sie genießt keinen Berufsschutz als Metzgereiverkäuferin. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Klägerin nach eigenen Angaben für ihre Tätigkeit bei der Firma B. GmbH, Fleischereifachgeschäft, lediglich jeweils eine Woche in den Betrieben in Z. und O. eingewiesen worden ist. Die Klägerin hat denn auch das Vorliegen von Berufsunfähigkeit im Klageverfahren nicht weiter geltend gemacht.
Die Klage hatte daher (nur) hinsichtlich des Zeitraums vom 01.02.2010 bis 31.01.2011 Erfolg. Sie war daher im Übrigen abzuweisen.
Die Befristung ergibt sich aus der zwingenden gesetzlichen Vorschrift des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI bzw. aus der Erwartung der Kammer, dass die Wiederherstellung der Wegefähigkeit nicht unwahrscheinlich ist. Der festgelegte Rentenbeginn folgt aus den o.a. Gründen bzw. aus § 101 Abs. 1 SGB VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG bzw. auf der Erwägung, dass die Klage nur teilweise erfolgreich war. Unter Berücksichtigung des zeitlichen bzw. sachlichen Umfangs des zuerkannten Anspruchs waren die außergerichtlichen Kosten im Hinblick auf das geltende Erfolgsprinzip in dem angegebenen Verhältnis aufzuteilen.
Erstellt am: 18.12.2009
Zuletzt verändert am: 18.12.2009