I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Juni 2012 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 58.543,84 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Gegenstand des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen eine Beitragsnachforderung in Höhe von 175.631,52 EUR. Die Antragstellerin begehrt die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22.06.2012, zugestellt am 09.08.2012.
Die Antragstellerin betreibt in A-Stadt ein Dienstleistungsunternehmen mit dem Schwerpunkt Personalvermittlung und Arbeitnehmerüberlassung. Die Leiharbeitnehmer sind bei der Antragstellerin angestellt und werden von dieser je nach Bedarf an Kunden überlassen. Die Antragstellerin verfügt über eine Erlaubnis nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Die Antragstellerin vereinbarte mit ihren Leiharbeitnehmern in den jeweiligen Arbeitsverträgen die Geltung des zwischen der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice Agenturen (CGZP) und dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) geschlossenen Tarifvertrages. Sie zahlte die dort geregelten Entgelte an ihre Leiharbeitnehmer und führte die sich insoweit ergebenden Sozialversicherungsbeiträge ab.
Mit Urteil vom 14.12.2010 (Az: 1 ABR 19/19) entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass die CGZP weder aktuell noch im zeitlichen Geltungsbereich ihrer früheren Satzungen vom 11.12.2002 und 05.12.2005 tariffähig war. Daraufhin führte die Antragsgegnerin vom 03.04. bis 13.06.2012 bei der Antragstellerin eine Betriebsprüfung durch. Wegen der Tarifunfähigkeit der CGZP seien die von dieser geschlossenen Tarifverträge auch mit Wirkung für die Vergangenheit unwirksam. Statt der unwirksamen Tariflöhne hätte in der Vergangenheit der höhere Lohn eines Stammmitarbeiters im Entleiherbetrieb gezahlt werden müssen (§ 10 Abs. 4 AÜG-Equal pay). Sämtlichen Leiharbeitnehmern stünden insoweit entsprechende Lohndifferenzen, der Sozialversicherung entsprechende Beitragsnachforderungen zu. Überprüft wurde der Zeitraum vom 01.12.2005 bis 31.12.2009.
Mit Bescheid vom 01.10.2009 hatte die Antragsgegnerin für den Prüfzeitraum vom 01.01.2005 bis 31.12.2008 nach Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 Viertes Sozialgesetzbuch (SGB IV) eine Nachforderung von 6.501,52 EUR festgesetzt. Mit Teilhabhilfebescheid vom 17.06.2010 wurde dem Widerspruch teilweise abgeholfen und die Nachforderung auf 6.052,23 EUR festgesetzt.
Auf der Grundlage – probenartiger – Überprüfung schätzte die Antragsgegnerin eine Lohndifferenz in Höhe von 441.553 EUR. Auf dieser Basis forderte sie mit streitgegenständlichem Bescheid 175.631,52 EUR nach.
Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin unter dem 30.08.2012 Widerspruch ein. Außerdem beantragte sie die sofortige Vollziehung des Beitragsbescheides auszusetzen. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass die Antragstellerin einen Tarifvertrag angewendet habe, der zu keinem Zeitpunkt von der Antragsgegnerin beanstandet worden sei. In diesem Zusammenhang sei auf das verfassungsrechtlich verbürgte Rückwirkungsverbot hinzuweisen. Ergänzend berufe sich die Antragstellerin auf Vertrauensschutz und erhebe den Einwand der Verwirkung. Selbst wenn man eine rückwirkende Unwirksamkeit der Tarifverträge, die die CGZP abgeschlossen habe, annehmen würde, führe dies nicht zu einem Beitragsanspruch für die Vergangenheit. Im Betrieb der Antragstellerin seien die Bestimmungen der Tarifverträge zwischen dem AMP und der CGZP nicht kraft beidseitiger Tarifbindung, sondern kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme angewendet worden. Die Tarifunfähigkeit der CGZP und die angebliche Unwirksamkeit der im streitgegenständlichen Zeitraum abgeschlossenen Tarifverträge bleibe vor diesem Hintergrund für die Arbeitsverhältnisse der Antragstellerin ohne Folgen. Denn die Inbezugnahme im Arbeitsvertrag beziehe sich auf die "jeweils gültigen Tarifverträge". Solche "gültigen" Tarifverträge gebe es nach wie vor. Unabhängig davon könnten Beitragsansprüche erst mit dem Zufluss des angeblichen Equal-pay-Lohns entstehen. Equal-pay-Ansprüche seien nämlich bis zur Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 noch nicht entstanden. Sie setzten zwingend einen Beschluss über die Tarifunfähigkeit der CGZP voraus. Eine solche Entgeltzahlung lange nach dem Zeitpunkt der Erwerbstätigkeit entspreche damit der Konstellation, für die § 22 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV das Zuflussprinzip ausdrücklich anordne: Einmalleistungen – typischerweise Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Tantiemen. Die Vorschrift sei auf nachträgliche Lohnerhöhungen, wie sie in Tarifverträgen für zurückliegende Zeiträume mitunter vereinbart werden, anwendbar. Des Weiteren seien die Nachforderungen für 2005, 2006 und 2007 am 31.12.2011 verjährt.
Es bestünden deshalb erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides, so dass dessen Aussetzung der Vollziehung entsprechend § 86a Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu erfolgen habe.
Mit Bescheid vom 19.09.2012 lehnte die Antragsgegnerin die Aussetzung der sofortigen Vollziehung ab.
Mit Schriftsatz vom 05.09.2012 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Augsburg die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22.06.2012 beantragt und vorgetragen, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes. Die Antragstellerin hat diese ebenfalls damit begründet, dass die fehlende Tariffähigkeit keinerlei Auswirkung auf die in dem Zeitraum 01.12.2005 bis 31.12.2009 gezahlten Gehälter und Sozialversicherungsbeiträge habe. Insoweit fehle es für den angegriffenen Bescheid an einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage für eine – alleine auf einer Änderung der Rechtsprechung beruhenden – Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Vergangenheit. Es fehle bereits an der in dem Bescheid angenommenen rückwirkenden Unwirksamkeit der angewendeten Tarifverträge. Ergänzend berufe sich die Antragstellerin auf Vertrauensschutz und erhebe den Einwand der Verwirkung. Unabhängig von arbeits- und tarifrechtlichen Überlegungen sei auch sozialrechtlich der mit dem angegriffenen Bescheid geltend gemachte Anspruch nicht gegeben. Der mögliche Nachzuzahlungsanspruch von Arbeitnehmern der Antragstellerin entstehe frühestens mit seiner Geltendmachung, dann aber in einer Summe. Es handle sich insoweit um eine "Einmalzahlung" im Sinne von § 23a Abs. 1 Ziffer 1 SGB IV, die "nicht für die Arbeit in einem einzelnen Entgeltabrechnungszeitraum gezahlt wird". Für dieses einmalig gezahlte Arbeitsentgelt gelte das Zuflussprinzip gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Unabhängig davon mache die Antragstellerin die Einrede der Verjährung geltend. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Beitragsansprüche in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Damit seien sämtliche Beitragsnachforderungen der Jahre 2005, 2006 und 2007 am 31.12.2011 verjährt. Des Weiteren sei der Bescheid vom 01.10.2009, der den Prüfzeitraum 01.01.2005 bis 31.12.2008 betreffe, bisher nicht aufgehoben worden.
Die Antragsgegnerin verwies auf ihren Bescheid vom 19.09.2012, mit dem sie den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung abgelehnt hatte. Mit Schreiben vom 22.10.2012 bot sie an, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen Vorlage einer unbefristeten selbstschuldnerischen Bürgschaft eines der deutschen Kreditaufsicht unterstehenden Kreditinstitutes in Höhe von 148.120,20 EUR wieder herzustellen.
Mit Schreiben vom 15.11.2012 lehnte die Antragstellerin das Angebot ab.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 30.08.2012 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22.06.2012, zugestellt am 09.08.2012, anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der Antrag der Antragstellerin ist begründet. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist für den Beitragszeitaum 01.12.2005 bist 31.12.2009 anzuordnen. Laut Auskunft der Antragsgegnerin vom 22.10.2012 beträgt die Höhe der Nachforderung für diesen Zeitraum 175.631,52 EUR.
Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen Abgaben einschließlich darauf entfallender Nebenkosten die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Es steht nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG im Ermessen des Gerichts, die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage herzustellen. Dabei hat eine Interessenabwägung stattzufinden zwischen den Belangen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin. Das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung ihrer Beitragsnachforderung ist dem Interesse der Antragstellerin an einer Aussetzung der Vollziehung vor endgültiger Klärung des Rechtsstreits gegenüber zu stellen. Entscheidend ist, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts
– BayLSG – vom 22.03.2012, L 5 R 138/12 B ER; BayLSG vom 31.07.2012, L 5 R 345/12 B ER).
Für den Zeitraum 01.12.2005 bis 31.12.2008 ist die aufschiebende Wirkung für die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen unter Bezugnahme auf die überzeugenden Ausführungen des BayLSG in oben genannten Beschlüssen anzuordnen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das BAG inzwischen rechtskräftig festgestellt hat, dass die CGZP auch im zeitlichen Geltungsbereich vom 01.12.2005 bis 31.12.2008 tarifunfähig war. Das BayLSG hat in seinen überzeugenden Ausführungen darauf abgestellt, dass eine Nachforderung von Beiträgen für die Zeit vor dem 01.01.2009 es erfordert, den ursprünglichen Beitragsbescheid nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückzunehmen. Dies ist nicht geschehen. Die Antragsgegnerin hat in ihrem Bescheid vom 22.06.2012 nicht auf den Bescheid vom 01.10.2009 Bezug genommen. Ausdrücklich folgt sie nicht der Rechtsansicht des BayLSG in o.g. Beschlüssen.
Damit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung der Antragsgegnerin, soweit die Beitragsjahre 2005 bis 2008 erfasst sind. Insoweit wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin angeordnet.
Aber auch hinsichtlich des Zeitraums 2009 bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von der Antragsgegnerin erhobenen Nachforderungen im Rahmen der hier angezeigten summarischen Prüfung. Die Antragstellerin hat diverse Rechtsfragen aufgeworfen, so ein Rückwirkungsverbot, Vertrauensschutz und Verwirkung. Hier ist zu beachten, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit die Bestimmungen der Tarifverträge zwischen dem AMP und der CGZP nicht kraft beiderseitiger Tarifbindung, sondern kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme angewendet hat. Es ist deshalb fraglich, welche Auswirkungen die Tarifunfähigkeit der CGZP vor diesem Hintergrund für die Arbeitsverhältnisse der Antragstellerin hat. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme bezieht sich jedoch auf die "jeweils gültigen" Tarifverträge. Die sich hieraus ergebenden Rechtsfragen können nicht im summarischen Verfahren abschließend geprüft werden.
Im Rahmen einer summarischen Prüfung ist allein festzustellen, wer vorläufig, d.h. bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens über die Rechtmäßigkeit der Beitragsnachforderung, das Risiko trägt, die Beitragsnachforderung ggf. später nicht mehr realisieren zu können (bei aufschiebender Wirkung des Widerspruchs: die Antragsgegnerin) oder im Gegensatz dazu, mit einer Vorleistung belastet zu werden, ohne dass diese in der rückwirkenden Betrachtung gerechtfertigt war (bei Sofortvollzug: die Antragstellerin). Der bereits im Eilverfahren eingeschränkte Prüfungsmaßstab der "ernstlichen Zweifel" an der Rechtmäßigkeit der Beitragsnachforderung stellt klar, dass keine abschließende Prüfung stattfindet. Beurteilt werden allein die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens in einem prognostischen Verfahren. Aufgrund der Tatsache, dass die Antragstellerin nicht selbst tarifgebunden war, und der damit zusammenhängenden Rechtsfragen ist offen, wie das Verfahren ausgeht.
In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass die Beitragsnachforderung für das Jahr 2009 bedeutend geringer ausgefallen ist als für die Vorjahre. Im Hinblick darauf, dass der Bescheid vom 22.06.2012 eine Gesamtsumme von 175.631,52 EUR betrifft, war eine Teilung der aufschiebenden Wirkung wegen der 27.511,32 EUR betreffenden Forderung für 2009 nicht angezeigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Feststellung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG).
Erstellt am: 09.02.2015
Zuletzt verändert am: 09.02.2015