I. Der Bescheid vom 30. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2015 wird bezüglich der Rückforderung für den Zeitraum 1. September 2014 bis 30. April 2015 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Streitig ist ein Aufhebungsbescheid wegen Neuberechnung der geleisteten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aufgrund eines durchgeführten Versorgungsausgleichs.
Der Kläger, geboren am 1958, bezog ab 01.09.1996 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Dieses wurde ab 01.01.1999 in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit umgewandelt. Aufgrund der Scheidung des Klägers wurde ein Versorgungsausgleich durchgeführt, die getroffene Entscheidung zum Ausgleich der Rentenanwartschaften ist seit 2002 rechtskräftig. Nachdem an die Ausgleichsberechtigte zunächst keine Rentenleistungen erbracht wurden, kam die Rente des Klägers ungekürzt zur Auszahlung.
Als bekannt wurde, dass die Ausgleichsberechtigte einen Rentenantrag gestellt hat, wurde der Kläger mit Anhörungsschreiben vom 21.08.2014 von der Pflicht des Rentenversicherungsträgers unterrichtet, im Falle einer Rentenzahlung an die Ausgleichsberechtigte seine eigene Rente aufgrund des Versorgungsausgleichs zu kürzen.
Nachdem ab 01.08.2014 an die Ausgleichsberechtigte eine Rente aus der Rentenversicherung gezahlt wurde, erging der Bescheid vom 30.03.2015. In diesem wurde zum einen eine Rückforderung wegen zu viel gezahlter Rente im Zeitraum 01.09.2014 bis 30.04.2015 geltend gemacht sowie eine Neuberechnung der Rente ab 01.05.2015, wobei sich nun ein geringerer Rentenbetrag monatlich ergab.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Durch die Kürzung sei sein monatliches Auskommen nicht mehr gegeben, auch die Rückzahlung könne er nicht aufbringen, da er am Existenzminimum lebe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 05.06.2015 wurde der Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen. Nach § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) gelte der Bescheid als am 03.04.2015 bekannt gegeben. Die Widerspruchsschrift sei jedoch erst am 08.05.2015 und somit verspätet bei der Beklagten eingegangen. Wiedereinsetzungsgründe würden nicht vorliegen.
Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht. Er habe sehr viele Ausgaben, sei Diabetiker und benötige teure Medikamente. Auch ein Darlehen habe er zu zahlen, sowie Heizmaterial. Die Beklagte verwies zunächst auf ihren Widerspruchsbescheid.
Das Gericht bat den Kläger um Mitteilung, wann ihm der Bescheid vom 30.03.2015 zugegangen sei. Der Kläger teilte daraufhin mit, dass der Zugang am 08.04.2015 gewesen sei. Da er von Geburt an eine Lese- und Schreibstörung habe, kümmere sich sein Bruder um diese Angelegenheiten. Er habe am 08.04.2015 seinen Bruder angerufen und ihm den Eingang des Schreibens mitgeteilt.
Das Gericht wies darauf hin, dass von einer Einhaltung der Widerspruchsfrist ausgegangen werden müsse und dass die Rückforderung für den Zeitraum 01.09.2014 bis 30.04.2015 nicht rechtmäßig erscheine aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG – (BSG, 26.02.2003, B 8 KN 6/02 R). Es sei davon auszugehen, dass durch das Anhörungsschreiben vom 21.08.2014 nicht die erforderliche Kenntnis des Klägers nach § 48 SGB X vorlag.
Die Beklagte erklärte sich daraufhin bereit, ohne eine grundsätzliche Diskussion über die Erfordernisse des Tatbestandsmerkmals des Kennenmüssens im Sinne von § 48 Abs. 1 Nr. 4 SGB X einzusteigen, den Bescheid insoweit aufzuheben, als eine Neufeststellung der Rente auch für die Vergangenheit vom 01.09.2014 bis 30.04.2015 vorgenommen wurde. Dies erscheine im Rahmen einer ausnahmefallgebotenen Ermessensabwägung vertretbar, da aus dem gesamten Vorbringen des Klägers zu schließen sei, dass er den Inhalt des Anhörungsschreibens in keiner Weise verstanden habe und anzunehmen sei, dass ihm dies aufgrund seiner subjektiven Fähigkeiten auch nicht vorzuwerfen sei. Außerdem sei glaubhaft, dass der Kläger die empfangenen Rentenleistungen für seinen Lebensunterhalt verbraucht habe. Für die Zeit ab 01.05.2015 müsse es aber aufgrund des durchgeführten Versorgungsausgleichs und des Wegfalls des so genannten Rentnerprivilegs des § 101 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) alter Fassung durch die Rentengewährung an die Ausgleichsberechtigte bei der Neufeststellung der Rente des Klägers verbleiben. Die Beklagte gab daher ein entsprechendes Vergleichsangebot ab.
Der Klägerbevollmächtigte lehnte das Vergleichsangebot ab. Der Kläger habe im Rahmen einer notariellen Vereinbarung von 2001 den Versorgungsausgleich ausgeschlossen. Mit Scheidungsurteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 07.03.2002 wurde der Versorgungsausgleich jedoch dennoch durchgeführt. Dies erfolgte, nachdem die Ehefrau des Klägers entgegen ihrer ursprünglichen Erwartungen aufgrund der zwischenzeitlich eingeholten Auskünfte der Rentenversicherungsträger ausgleichsberechtigt sei und daher eine Vereinbarung über den Ausschluss des Versorgungsausgleichs nicht mehr schließen wollte. Der Kläger habe monatliche Fixkosten in Höhe von etwa 688 EUR. Aufgrund des Versorgungsausgleichs erhalte er nun nur noch eine gekürzte Rente in Höhe von 754 EUR. Er könne seinen Lebensunterhalt daher nicht mehr bestreiten, der Bescheid der Beklagten sei daher rechtswidrig.
Die Beklagte wies darauf hin, dass der Versorgungsausgleich wirksam durchgeführt wurde und für die Zeit ab 01.05.2015 berücksichtigt werden müsse. Dem Kläger werde geraten, ergänzend Sozialhilfe zu beanspruchen, es existiere keine gesetzliche Möglichkeit, hier eine höhere Rente zu leisten.
Der Klägerbevollmächtigte wiederholte erneut sein Vorbringen, der Kläger sei aufgrund des Versorgungsausgleichs stark benachteiligt. Eine Annahme des Vergleichs erfolge nicht.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 30.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2015 aufzuheben und eine ungekürzte Rente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die vorliegenden Akten der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige insbesondere form- und fristgerechte Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet. Der Bescheid vom 30.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.06.2015 war bezüglich der Rückforderung vom 01.09.2014 bis 30.04.2015 rechtswidrig und verletzt insoweit den Kläger in seinen Rechten. Insoweit war der Bescheid daher aufzuheben. Hinsichtlich der Neufeststellung der Rente ab 01.05.2015 ist der Bescheid jedoch rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, so dass die Klage im Übrigen abzuweisen war.
Zunächst ist festzustellen, dass die Widerspruchsfrist vom Kläger nicht versäumt wurde. Nach seinem Vortrag ging der Bescheid vom 30.03.2015 am 08.04.2015 bei ihm ein. Einen früheren Zugang kann die Beklagte nicht beweisen. Auch die 3-Tages-Fiktion des § 37 SGB X führt vorliegend nicht dazu, dass die Widerspruchsfrist versäumt ist. Der Kläger hat insoweit glaubhaft vorgetragen, dass ihm der Bescheid erst am 08.04.2015 zuging. Der Widerspruch wurde daher fristgemäß eingelegt.
Hinsichtlich der Rückforderung für den Zeitraum 01.09.2014 bis 30.04.2015 ist der Bescheid rechtswidrig und war daher insoweit aufzuheben. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Rechtsgrundlage für die Neufeststellung der Rente in gekürzter Form war § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, also für die Vergangenheit, soll der Verwaltungsakt aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X.
Dessen Voraussetzungen liegen für den Zeitraum vom 01.09.2014 bis zum 30.04.2015 nicht vor. Hierfür fehlt es insoweit an dem erforderlichen "Wissen" des Klägers hinsichtlich der Rentenbewilligung an seine frühere Ehefrau. Insoweit hat er die erforderliche Kenntnis nicht durch das Schreiben der Beklagten vom 21.08.2014 erlangt. Darin wurde ihm lediglich die bestehende Rechtslage erläutert und mitgeteilt, dass es aufgrund der Rentenantragstellung durch seine frühere Ehefrau möglicherweise zu einer Rentenkürzung bei ihm kommen könne. Die Beklagte hat jedoch ausdrücklich angekündigt, über den Zeitpunkt der Rentenminderung und die tatsächlichen Auswirkungen des Versorgungsausgleichs erst nach der Entscheidung über den Rentenantrag aus der Versicherung der geschiedenen Ehefrau durch einen Bescheid zu entscheiden. Es wurde daher lediglich darauf hingewiesen, dass seine derzeitige Rente um den Versorgungsausgleich zu mindern sei, sofern der Rentenanspruch seiner früheren Ehefrau anerkannt werde. Es wurde ein voraussichtlicher Minderungsbetrag in Höhe von 158,17 EUR mitgeteilt. Durch dieses Schreiben hat der Kläger daher zwar gewusst, dass ihm möglicherweise eine Rentenminderung drohe. Die entscheidende Tatsache für die Minderung seines Rentenanspruches, d.h. ob und gegebenenfalls rückwirkend ab wann seiner früheren Ehefrau überhaupt aufgrund ihres Antrags eine Rente bewilligt werden würde, ist jedoch weiterhin unklar geblieben. Das nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X erforderliche positive Wissen bezieht sich jedoch nur auf die mit der Rentenbewilligung an die frühere Ehefrau tatsächlich eingetretene Kürzung der Rentenleistungen an ihn, das Wissen um die bloße Möglichkeit einer Kürzung der Leistungen an ihn genügt insoweit nicht (BSG vom 26.02.2003, B 8 KN 6/02 R, LSG Schleswig-Holstein vom 15.04.2004, L 5 RJ 130/03). Dem Kläger kann auch keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, denn vor dem entsprechenden Rentenbescheid habe niemand davon Kenntnis erlangen können, dass sich die Rente des Klägers entsprechend gemindert habe.
Vor diesem Hintergrund war daher die Rückforderung für den Zeitraum 01.09.2014 bis 30.04.2015 rechtswidrig und der streitgegenständliche Bescheid insoweit aufzuheben. Insoweit ergibt sich daher kein Rückforderungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger wegen zu viel gezahlter Rente.
Hinsichtlich des Zeitraums ab 01.05.2015 war der Bescheid dagegen rechtmäßig und die Klage insoweit abzuweisen. Durch den Bescheid der Beklagten vom 30.03.2015 hat der Kläger gewusst, dass aufgrund der Auswirkungen durch den durchgeführten Versorgungsausgleich sein Rentenanspruch nun verringert ist. Die Rente war ab diesem Zeitpunkt aufgrund des durchgeführten Versorgungsausgleichs und der Rentengewährung an die frühere Ehefrau des Klägers zwingend zu kürzen. Eine andere Beurteilung ergibt sich insoweit nicht daraus, dass der Kläger geltend macht, durch die Kürzung der Rente seine monatlichen Ausgaben nicht mehr bestreiten zu können. Die Beklagte hat insoweit zu Recht auf die Möglichkeit der Beantragung von Sozialhilfe hingewiesen (Bundesverfassungsgericht vom 28.02.1980, BVerfGE 53, 257 ff.). Dass der Kläger geltend macht, sein monatliches Auskommen sei dann nicht mehr gesichert, führt daher nicht dazu, dass der Versorgungsausgleich nicht durchzuführen wäre.
Eine andere Beurteilung ergibt sich außerdem auch nicht daraus, dass der Kläger geltend macht, dass im Rahmen einer notariellen Vereinbarung der Ausschluss des Versorgungsausgleichs mit seiner früheren Ehefrau vereinbart worden sei. Wie sich aus dem rechtskräftigen Scheidungsurteil des Amtsgerichts A-Stadt vom 07.03.2002 ergibt, wurde der Versorgungsausgleich durchgeführt. Die frühere Ehefrau des Klägers wollte demnach den Versorgungsausgleich nicht mehr ausschließen, nachdem sie entgegen ihrer ursprünglichen Erwartungen aufgrund der zwischenzeitlich eingeholten Auskünfte der Rentenversicherungsträger ausgleichsberechtigt sei. Aufgrund des Scheidungsurteils des Amtsgerichts A-Stadt steht fest, dass der Versorgungsausgleich durchzuführen ist. Hieran ist die Beklagte gebunden.
Insgesamt ist daher festzustellen, dass die Kürzung der Rente ab 01.05.2015 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Insgesamt war die Klage daher teilweise begründet.
Die Beklagte hat daher die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen, § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Erstellt am: 03.12.2018
Zuletzt verändert am: 03.12.2018