I. Die Klage gegen den Bescheid vom 19. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 3. Juni 2016 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten streitig ist die Höhe des festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).
Auf Erstantrag des am 1955 geborenen Klägers hatte der Beklagte zunächst mit Bescheid vom 30.04.2013 einen GdB von 30 festgestellt, anschließend mit Änderungsbescheid vom 10.03.2015 einen GdB von 40 bei seelischer Krankheit, Alkoholkrankheit, Teil-GdB 30; Schwerhörigkeit beidseits mit Ohrgeräuschen, Teil-GdB 20; funktionelle Behinderung der Wirbelsäule mit degenerativen Veränderungen und Bandscheibenschäden, Teil-GdB 20; Bluthochdruck Teil-GdB 10.
Am 30.12.2015 beantragte der Kläger eine Neufeststellung des GdB mit mindestens 50. Geltend gemacht wurde eine Verschlimmerung der bisherigen gesundheitlichen Störungen sowie ein Hinzutreten eines Schlafapnoe-Syndroms.
Der Beklagte zog Behandlungsberichte der Orthopädin Dr. E. und des Kardiologen Dr. N. bei, sowie Krankenhausberichte der Bezirksklinik S. und der Waldhausklinik D …
Nach versorgungsmedizinischer Auswertung der beigezogenen medizinischen Unterlagen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 19.01.2016 eine höhere Feststellung des GdB als 40 ab. Neu zu berücksichtigen seien neben den bereits anerkannten Störungen ein Schlafapnoesyndrom, welches mit einem Teil-GdB von 20 ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibe.
Hiergegen erhob der Klägerbevollmächtigte am 04.02.2016 Widerspruch. Der Widerspruch wurde nach erfolgter Akteneinsicht nicht begründet. Nach erneuter versorgungsmedizinischer Auswertung der im Verwaltungsverfahren beigezogenen Unterlagen wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.06.2016 als unbegründet zurück. In Auswertung der Unterlagen habe sich noch eine Funktionsbehinderung der Hüftgelenke beidseits mit beginnenden degenerativen Veränderungen und Fußfehlform beidseits herausgestellt, welche mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten sei und ebenfalls nicht zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB von weiterhin 40 führe.
Hiergegen erhob der Klägerbevollmächtigte am 01.07.2016 Klage mit dem Antrag, beim Kläger mindestens einen GdB von 50 festzustellen. Die Klage wurde trotz mehrfacher Aufforderung erst am 07.12.2016 begründet. Nicht hinreichend berücksichtigt seien Folgeerscheinungen in Form von Herzrhythmusstörungen und Hypertonie bei Schlafapnoe, Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen Beschwerden, funktionelle Auswirkungen in zwei Abschnitten, ein Zustand nach Kreissägenverletzung der linken Hand mit Taubheit und Kraftminderung sowie Fußschmerzen trotz Einlagen.
Das Gericht zog aktualisierte Befunde des Kardiologen Dr. N. und des HNO Arztes Dr. J. bei. Außerdem beigezogen wurden Befunde der Orthopädin Dr. E. und des Allgemeinarztes Dr. F …
Zu den eingeholten Befunden nahm der Beklagte mit versorgungsmedizinischer Stellungnahme des Dr. S. vom 16.02.2017 Stellung. Dieser bestätigte die weiter bestehende Gültigkeit der Feststellungen im Verwaltungsverfahren.
Daraufhin beauftragte das Gericht Dr. C. mit der Erstellung des nervenärztlichen Fachgutachtens vom 29.03.2017. In Auswertung der aktenkundigen Vorbefunde auf neurologisch-psychiatrischem, orthopädischem und kardiologisch-internistischem Fachgebiet und nach ambulanter Untersuchung des Klägers bestätigte der Sachverständige im Ergebnis die streitgegenständliche Verwaltungsentscheidung, dass der GdB weiterhin mit 40 zutreffend festgesetzt sei. Die seelische Störung mit Anpassungsstörungen und Abhängigkeitssyndrom durch Alkoholgebrauch sei mit Teil-GdB 30 zu berücksichtigen, das Schlafapnoe-Syndrom mit Teil-GdB 20, hinsichtlich des Wirbelsäulenleiden fänden sich im Bereich der HWS und LWS nur geringe funktionelle Auswirkungen, so dass sich für die Wirbelsäule kein höherer GdB als 10 ergebe, was auch für das Impingementsyndrom der rechten Schulter und den Bluthochdruck gelte. Für die Schwerhörigkeit sei ein GdB von 20 deckend.
Auf das gerichtliche Schreiben vom 18.04.2017, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen die Klage aufrechterhalten werde, ging keine Antwort ein.
Daraufhin hörte das Gericht die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an, Einwendungen hiergegen wurden nicht erhoben.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 105 SGG, weil der Sachverhalt geklärt ist, keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist und die Beteiligten zuvor gehört wurden.
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40.
Dabei stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung, den GdB sowie die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen fest, § 69 Abs. 1, 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX).
Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX). Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). In welchem Grad sich die einzelnen Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit auswirken, ist durch eine natürliche wirklichkeitsorientierte funktionelle Betrachtungsweise festzustellen, die auf medizinischen Erkenntnissen beruht (Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 15.03.1979, SozR 3870 § 3 SchwbG Nr. 4).
Bei der Bewertung des GdB kommt den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AP) die Qualität antizipierter Sachverständigengutachten zu (BSG, SGb 1993, 579).
Mit der Versorgungsmedizinverordnung (VMV) vom 10.12.2008, in Kraft getreten zum 01.01.2009, wurde die bisherige höchstrichterlich anerkannte Verfahrensweise bei der Ausrichtung der GdB-Beurteilung nach den Richtlinien der Anhaltspunkte durch Schaffung der "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) auf eine verordnungsrechtliche Grundlage gestellt. In der Anlage zu § 2 der VMV vom 10.12.2008 werden dabei die bisherigen Richtlinien nach den Anhaltspunkten bis auf einige Aktualisierungen und Ergänzungen im Wesentlichen inhaltsgleich zu den bisherigen Anhaltspunkten übernommen. Soweit die Sachverständigen bei ihrer Beurteilung noch die Richtlinien der Anhaltspunkte zu Grunde gelegt haben, ergibt sich durch die VMG keine relevante Änderung.
Ist bereits in der Vergangenheit bindend über den GdB entschieden worden, ist nach § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) der entsprechende Verwaltungsakt aufzuheben bzw. abzuändern, wenn eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eingetreten ist. Eine solche Änderung im Ausmaß der Behinderung ist gegeben, wenn der Vergleich des gegenwärtigen mit einem verbindlich festgestellten Gesundheitszustand des Klägers eine GdB-Differenz von mindestens 10 ergibt. Dabei ist auf den Gesundheitszustand des Klägers und die dadurch bedingten Funktionsbehinderungen zum Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung, hier des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2016, abzustellen. Dieser Gesundheitszustand ist mit dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Vergleichsbescheides, hier des Bescheides vom 10.03.2015, zu vergleichen (BSG, Urteil vom 23.06.1993, 9/9a RVs 1/92).
Zur Bildung des Gesamt-GdB ist festzuhalten, dass dazu regelmäßig von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen ist, die den höchsten Einzel-GdB bedingt. Dann ist im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Dabei führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (VMG Teil A Ziffer 3 d, ee).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist der GdB des Klägers weiterhin mit 40 zu-treffend.
Dabei stützt sich das Gericht im Wesentlichen auf das eingeholte Gutachten des Dr. C … Der erfahrene Gutachter hat sich auftragsgemäß insbesondere mit der Frage befasst, ob die zusammentreffenden Behinderungen des Klägers insgesamt bereits den Status der Schwerbehinderung begründen.
Dr. C. kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass beim Kläger führend ein Abhängigkeitssyndrom durch Alkoholgebrauch mit Anpassungsstörungen durch depressive Grundstimmung und verminderter psychophysischer Belastbarkeit vorliegt, außerdem ein Schlafapnoe-Syndrom, eine beidseitige Schwerhörigkeit und Belastungsminderung der Hals- und Lendenwirbelsäule ohne Hinweis für bestehende Nervenwurzelreiz- oder Kompressionssymptomatik sowie Belastungsminderung der rechten Schulter bei Impingementsyndrom. Unter Berücksichtigung des geschilderten Tagesablaufs, der Vorbefunde der behandelnden Ärzte und der Beschwerdeanamnese mit verminderter psychischer Belastbarkeit und leichter Störung der Affektivität sieht Dr. C. für den nervlich-seelischen Funktionsbereich insgesamt den Teil-GdB-Grad von 30 entsprechend einer stärker beginnenden Störung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit erreicht, VMG Teil B Ziffer 3.7.
Die Bewertung des Schlafapnoesyndroms mit Teil-GdB 20 bei erfolgreicher nächtlicher Überdruckbeatmung entspricht den Vorgaben nach VMG Teil B Ziffer 8.7.
Der Teil-GdB von 20 für die Schwerhörigkeit ergibt sich in Auswertung der von Dr. M. erstellten Audiogramme vom 21.06.2016 eine geringe Schwerhörigkeit auf beiden Ohren, welche insgesamt unter Einbeziehung der Ohrgeräusche einen Teil-GdB von 20 rechtfertigt.
Hinsichtlich der Wirbelsäulenfunktion stellte Dr. C. bei fehlenden Hinweisen auf eine Wurzelreizsymptomatik oder radikulärer Ausfallerscheinungen oder motorischer Störungen aufgrund degenerativer Veränderungen leichte Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten fest, welche nach VMG, Teil B Ziffer 18.9. insgesamt nur einen Teil-GdB von 10 rechtfertigen können. Dabei fanden sich keine Hinweise auf wesentliche Bewegungseinschränkungen oder Anzeichen für Instabilitäten der Wirbelsäule.
Hinsichtlich der rechten Schulter stellte Dr. C. keine messbare Einschränkung der Gelenkbeweglichkeit bei schmerzbedingter Bewegungshemmung fest, was gemäß Teil B 18.13 der VMG allenfalls einen Teil-GdB von 10 rechtfertigt, gleiches gilt gemäß Teil B Ziffer 9.3 VMG für die leichte Form der Hypertonie ohne Organbeteiligung oder Leistungsbeeinträchtigungen. Demgegenüber stellte Dr. C. an der linken Hand bei Zustand nach Sehnenverletzung nur eine geringgradige Einschränkung der Fingerbeugung ohne messbaren Teil-GdB fest.
Zur Bemessung des Gesamt-GdB führte Dr. C. für das Gericht gut nachvollziehbar aus, dass sich die Einstufung der seelischen Störung mit 30 im oberen Ermessensbereich befindet, also der Teil-GdB mit 30 nur knapp erfüllt ist. Dies ergibt sich aus dem Fehlen der Notwendigkeit einer engmaschigen nervenärztlichen Behandlung mit entsprechender Medikation und den fehlenden Anzeichen für Rückzugstendenzen.
Die Schlafapnoe ist mit der nächtlichen Überdruckbeatmung teilweise kompensiert, der Teil-GdB von 20 führt unter Heranziehung des weiteren Teil-GdB von 20 für die Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen zu einer Höherbewertung des Gesamt-GdB auf 40. Eine weitere Höherbewertung ergibt sich durch die weiteren nebenbefundlichen Behinderungen nicht, insbesondere erreicht die Funktionsstörung der Wirbelsäule insgesamt gerade nicht eine mittelgradige Störung. Es fehlt insoweit an Instabilitäten, anhaltenden Bewegungseinschränkungen oder häufig rezidivierenden, langanhaltenden Wirbelsäulensyndromen.
Der Status der Schwerbehinderung wird daher in der Gesamtwürdigung der vorliegenden Behinderungen noch nicht erreicht. Der zuerkannte GdB von 40 ist noch voll deckend.
Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Erstellt am: 30.08.2019
Zuletzt verändert am: 30.08.2019