I. Der Antrag vom 01.04.2019, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig mit Cannabisblüten zu versorgen, wird abgelehnt.
II. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist in der Hauptsache (S 6 KR 17/19) ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten streitig.
Die Antragstellerin ist Mitglied der Antragsgegnerin.
Am 06.03.2018 verordnete die behandelnde Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. D., der Antragstellerin Cannabisblüten der Sorte Pedanios. Die Verordnung begründete sie mit den Diagnosen: Depression, ADHS, Schmerzsyndrom auf dem Boden einer Osteochondrose LW4.S 1. Hierauf beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Versorgung mit den verordneten Cannabinoiden. Nach Einholung eines sozialmedizinischen Kurzgutachtens vom 09.05.2018 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag mit Bescheid vom 17.05.2018 ab.
Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 23.05.2018 Widerspruch ein unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der behandelnden Psychiaterin vom 03.07.2018. In diesem wurde mitgeteilt, dass sich die Antragstellerin seit Behandlung mit Cannabisblüten deutlich stabilisiert habe. Sie sei im Alltag strukturierter, gelassener im Umgang mit den Kindern, weniger impulsiv und schwingungsfähiger. Der Schlaf habe sich verbessert, was sich ebenfalls positiv auf die affektive Schwingungsfähigkeit auswirke. Die Antragstellerin könne wieder regelmäßig essen und sie habe ihr Gewicht stabilisieren können. Allein dies würde schon ausreichen, um von einem positiven Ansprechen auf die Behandlung mit Cannabisblüten zu sprechen. In den letzten Jahren seien immer wieder "leitliniengerechte" Behandlungsversuche mit zum Beispiel Medikinet oder Strattera bei ADHS bzw. einem SSRI bei Depression gemacht worden. Stets sei es bereits unter sehr geringen Dosierungen zu schweren UAWs wie vermehrte Reizbarkeit und Ähnliches gekommen, die weder zumutbar noch ethisch seien. Dazu holte die Antragsgegnerin ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK vom 27.08.2018 ein sowie ein weiteres vom 31.10.2018 und wies anschließend den Widerspruch zurück.
Am 02.04.2019 hat der Bevollmächtigte beim Sozialgericht Augsburg einen Antrag auf einer einstweiligen Anordnung gestellt. Diesen hat er damit begründet, dass bei der Antragstellerin eine schwere Erkrankung im Sinne des Gesetzes aufgrund der Zusammenschau aller Diagnosen vorläge. Es bestehe eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, eine rezidivierende depressive Störung, mittelgradig, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine nichtorganische Insomnie sowie rechtsseitige, erosive Osteochondrose sowie degenerativen Diskopathie mit nicht neural-kompressiven Bandscheibenvorwölbungen in beiden Segmenten. Die Antragstellerin habe seit ihrer frühen Jugend unter anderem die Medikamente Mediknet, Ritalin, Strattera im Hinblick auf die Krankheit ADHS und zuletzt Sertralin im Herbst 2017 bezüglich ihrer Depression erfolglos eingenommen, sowie unter anderem auch Zopiclon und Quetiapin bezüglich der Schlafstörung. Trotz Absolvierung der gängigen Therapieverfahren habe keine Stabilisierung stattgefunden. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen seien bereits unter sehr niedrigen Dosierungen aufgetreten. Erst seit der Behandlung mit Cannabisblüten seit ca. einem Jahr habe sich die Antragstellerin deutlich stabilisiert. Die Antragstellerin könne sich die Kosten für das dringend benötigte Medizinalcannabis nicht leisten. Für 5 g medizinischen Cannabis bezahle die Antragstellerin bis zu 120,00 EUR. Eine alternative Medikation sei der Antragstellerin aufgrund der Vielzahl unerwünschte Arzneimittelwirkungen nicht zumutbar. Alternative Therapiekonzepte wie stationäre und ambulante Behandlungen, medikamentöse Behandlungen mit Cipralex, Venalfaxin und Lamotrigin seien bereits sämtlich erprobt und wegen Erfolglosigkeit beendet worden.
Die Antragsgegnerin hat hierauf mit Schreiben vom 15.04.2019 erwidert, dass ein Anordnungsanspruch vorliegend nicht erkennbar sei. Der Antrag wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten nach der neuen Regelung des § 31 Abs. 6 SGB V habe. Der Antrag werde weiterhin damit begründet, dass sich seit der Behandlung mit Cannabisblüten seit ca. einem Jahr der Gesundheitszustand der Antragstellerin deutlich stabilisiert habe. Der MDK habe in seinen Gutachten vom 09.05.2018, 27.08.2018 und 31.10.2018 jedoch ausgeführt, dass anhand der übermittelten Unterlagen nicht bestätigt werden könne, dass die Voraussetzungen nach § 31 Abs. 6 SGB V kumulativ erfüllt seien. Aus gutachterlicher Sicht sei nicht nachvollziehbar, dass eine allgemein anerkannte dem medizinischen Standard entsprechende Therapiealternative nicht zur Verfügung stehe oder nicht zur Anwendung kommen könne. Zur Behandlung eines ADHS im Erwachsenenalter existierten Behandlungsmöglichkeiten, die in der Regel im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts angewandt würden. Es stünden neben der Psychotherapie und Ergotherapie etablierte medikamentöse Maßnahmen, wie Ritalin, Medikinet Adult und Strattera zur Verfügung. Im Arztbericht Februar 2015 würden als Diagnosen ein THC Missbrauch sowie anamnestisch ein multipler Substanzmissbrauch angegeben. Die behandelnde Psychiaterin habe angegeben, dass der THC Missbrauch zur Behandlung des ADHS erfolgt sei. In der AWMF-Leitlinie ADHS werde festgestellt, dass eine Behandlung mit Cannabinoiden nicht erfolgen solle (negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis). Für die Behandlung der Depression stünden ebenfalls etablierte medikamentöse und psychotherapeutische Maßnahmen zur Verfügung. Aus den Unterlagen gehe nicht hervor, dass vorliegend ein multimodales Therapiekonzept angewandt worden sei. Die Antragstellerin berichte subjektiv von "schweren Nebenwirkungen" auf sämtliche medikamentöse Maßnahmen. In der beigefügten Liste würden unspezifische Nebenwirkungen ausgeführt. Ärztliche Berichte, anhand derer die Nebenwirkungen den Medikamenten zugeordnet und objektiviert würden, lägen nicht vor. Auch eine Meldung des behandelnden Arztes über aufgetretene unerwünschte Nebenwirkungen an die Arzneimittelkommission liege nicht vor.
Zu weiterer Sachverhaltsaufklärung hat das Sozialgericht Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und zwar von der C. vom 07.06.2019 und von Frau Dr. D. vom 06.06.2019, eingegangen beim Sozialgericht Augsburg am 01.07.2019. Zu den von Frau Dr. D. eingereichten medizinischen Behandlungsunterlagen gehörte auch ein Bericht des Bezirkskrankenhaus G. vom 17.10.2017. In diesen wurden folgende Diagnosen mitgeteilt: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ und schädlicher Gebrauch von Cannabis. Weiter ist in diesem Bericht ausgeführt worden, dass die Antragstellerin Überforderungsgefühle angegeben habe. Sie käme mit dem neuen Leben nur als Mutter nicht zurecht. Aktuell bestünden Schlafstörungen, aber auch durch die Kinder bedingt. Insgesamt hätte im Vordergrund eine depressive Symptomatik mit Überforderung im Alltag gestanden. Die Antragstellerin habe sich überlastet gefühlt und habe auch das Gefühl gehabt, vor allem ihrem Sohn nicht gerecht zu werden und sie fühlte sich durch sein Schreien und Weinen hilflos. Schwere Selbstverletzungen hätten nicht stattgefunden auch eine Gefährdung der Kinder habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Die Antragstellerin hätte aber gute Ressourcen durch Badmintonspielen und Einschlagen auf einen Boxsack die inneren Anspannungen abzubauen. Die Antragstellerin sei durch Überbesorgtheit und Übergenauigkeit aufgefallen. Sie sei gut reflektiert gewesen. Die wichtigste Entlastungsmaßnahme sei die Einrichtung einer Haushaltshilfe gewesen, die die Patientin im Alltag stark unterstütze. Als Therapie werde eine ambulante Psychotherapie empfohlen. Weiter lag den Unterlagen von Frau Dr. D. eine Bestätigung der Diplom-Psychologin G. vom 12.08.2016 bei. Nach dieser hat sich die Antragstellerin in der Zeit von Januar 2015 bis August 2016 in regelmäßigen ambulanten psychotherapeutischer Behandlung befunden. Als Diagnose gestellt wurden: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode und Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die Antragstellerin sei pünktlich und zuverlässig zu den vereinbarten Terminen erschienen und habe sich intensiv um kontinuierlich mit den Erkrankungen und mit dem die Erkrankung bedingenden Faktoren auseinandergesetzt.
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig mit Cannabisprodukten zu versorgen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist unbegründet.
Rechtsgrundlage für die von der Antragstellerin begehrte vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin, sie mit Cannabisblüten zu versorgen, stellt hier § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz dar. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht.
Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage hat die Antragstellerin hier aber einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Der geltend gemachte Versorgungsanspruch ergibt sich vorliegend hier nämlich nicht aus § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V. Danach besteht nach der gesetzlichen Regelung ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten, wenn
eine allgemein anerkannte, die medizinischen Standard entsprechende Leistung entweder nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Nach Ansicht des Gerichts, kann im Fall der Klägerin aber bereits nicht von einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V ausgegangen werden. Eine solche ist nur anzunehmen, wenn die Erkrankung einer lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung im Sinne des § 2 Absatz 1a SGB V entspricht oder zumindest wertungsgemäß einer vergleichbaren Erkrankung. Nach Aktenlage leidet zwar die Klägerin an einer psychischen Erkrankung, die sicherlich ihre Lebensqualität beeinträchtigt. Aus dem Bericht des BKH vom 17.10.2017 lässt sich aber gerade nicht entnehmen, dass diese Erkrankung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung im Sinne des § 2 Absatz 1a SGB V gleichzusetzen wäre. Vielmehr wurde in diesem weder eine Selbstgefährdung der Antragstellerin selbst noch ihrer Kinder festgestellt und zudem der Antragstellerin bescheinigt, dass sie über gute Ressourcen verfüge, ihre innere Anspannungen abzubauen. Überwiegend wird zudem "nur" eine Verschlechterung des psychischen Zustands angesichts einer persönlich empfundenen Überforderungssituation geschildert. Auch dass lediglich eine ambulante Psychotherapie als Therapieempfehlung ausgesprochen worden ist, spricht gegen eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 2 Absatz 1a SGB V. Soweit weiter von der behandelnden Psychiaterin bei der Antragstellerin die Diagnosen eines ADHS, einer chronischen Schmerzstörung und einer Schlafstörung gestellt worden sind, werden diese Diagnosen weder im Befundbericht der behandelnden Hausärzte noch in dem Bericht des BKH vom 17.10.2017 erwähnt. Das Gericht kann daher nicht schlüssig nachvollziehen, inwieweit diese Diagnosen eine schwer wiegende Erkrankung im Sinne des Gesetzes darstellten, zumal auch die behandelnde Psychiaterin, Frau Dr. D., in Ihrem Befundbericht vom 06.06.2019 keine überzeugenden medizinischen Begründungen hierfür angibt, also inwieweit und in welcher Weise diese Diagnosen gleichwertig einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung die Lebensqualität der Antragstellerin beeinträchtigt. Insgesamt fehlt es daher nach Ansicht des Gerichts an der Glaubhaftmachung einer Erkrankung im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V.
Hinzu kommt, dass das Gericht es nach Aktenlage nicht für glaubhaft hält, dass es sich bei der von Frau Dr. D. verordneten Cannabisblütentherapie tatsächlich um ein für die Antragstellerin geeignetes Therapieverfahren handelt. So hatte die Antragsgegnerin zu Recht in Ihrem Schreiben vom 15.04.2019 darauf hingewiesen, dass nach der AVMF-Leitlinie ADHS eine Kontraindikation für den Einsatz von Cannabis als Therapiemittel im Fall dieser Erkrankung besteht. Darüber hinaus ergibt sich auch aus der Verordnung der behandelnden Psychiater zudem nicht, weshalb trotz des bei der Antragstellerin diagnostizierten früheren schädlichen Gebrauchs von Cannabis die jetzt beantragte Therapie mit Cannabisblüten für die Antragstellerin geeignet sein sollte.
Insgesamt war daher der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Erstellt am: 18.11.2020
Zuletzt verändert am: 18.11.2020