Der Bescheid vom 13.09.2000 in der Geschalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2000 wird aufgehoben und der Beklagte wird verurteilt, bei der Klägerin ab dem 10.07.2000 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" festzustellen. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" vorliegen.
Bei der geborenen Klägerin hatte der Beklagte mit Bescheid vom 22.09. 1999 einen GdB von 100 und die Nachteilsausgleiche "G" und "B" festgestellt, insbesondere wegen einer rheumatischen Arthritis, Schuppenflechte, Wirbelsäulenleiden, Bluthochdruck und einer seelischen Erkrankung.
Am 10.07.2000 beantragte die Klägerin die Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG", da sie aufgrund der rheumatischen Erkrankungen nur noch kurze Strecken gehen könne. Daraufhin holte der Beklagte einen Befundbericht von ein. Nach Auswertung durch den versorgungsärztlichen Dienst lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Feststellung des Nachteilsausgleiches "aG" mit Bescheid vom 13.09.2000 ab, da die Gehfähigkeit der Klägerin nicht so stark eingeschränkt sei, wie bei Querschnittsgelähmten, Doppelober- oder Doppelunterschenkelamputierten oder bei einseitig Oberschenkelamputierten, die Außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und reichte zur Stützung ihres Begehrens ein Attest von zu den Akten. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 21.11.2000 zurück, da die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" weiterhin nicht gegeben seien.
Mit der am 21.12.2000 erhobenen Klage wiederholt die Klägerin im Wesent- lichen ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 13.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2000 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr ab dem 10.07.2000 das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "aG" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens von dem Facharzt für Orthopädie und Rheumatologie aus Dortmund. Dieser sieht die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "aG" als gegeben an. Die Gehfähigkeit der Klägerin sei durch die rheumatische Arthritis auf das Schwerste eingeschränkt, weshalb die Klägerin mit der Vergleichsgruppe der Doppeloberschenkel- oder unterschenkelamputierten und der Querschnittsgelähmten gleichzustellen sei. Wegen des weiteren Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens vom 17.05.2001 und auf den Inhalt der ergänzenden Stellungnahme vom 09.08.2001 Bezug genommen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn sie hat einen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "aG".
Das Versorgungsamt hat nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG) die Voraussetzungen für den begehrten Nachteilsausgleich festzustellen und das Merkzeichen "aG" in den Schwerbehindertenausweis einzutragen. Das Schwerbehindertenrecht legt nicht fest, wer als außergewöhnlich gehbehindert anzusehen ist, sondern verweist auf den durch straßenverkehrsrechtliche Vorschriften definierten Begriff. Danach ist außergewöhnlich gehbehindert, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Fahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen: Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkel- oder Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind. Außerdem andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsrechtlicher Feststellung dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind (allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Straßenverkehrsordnung – StVOVwV – vom 19.03.1992 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO).
Die Klägerin gehört nicht zu dem in der Verwaltungsvorschrift zur StVO ausdrücklich genannten Personenkreis. Ihre Gehfähigkeit ist aber so stark eingeschränkt, daß sie nach Auffassung der Kammer mit der dargestellten Personengruppe vergleichbar ist.
Eine Gleichstellung erfordert vorrangig, dass bei dem Behinderten, der die Anerkennung als außergewöhnlich gehbehindert anstrebt, in funktioneller Hinsicht eine Einschränkung vorliegt, die ebenso schwerwiegend ist, wie bei dem ausdrücklich bezeichneten Personenkreis. Der Leidenszustand muß also ebenfalls wegen einer außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken (BSG vom 13.12.1994 – 9 RVs 3/94 -; BSG vom 17.12.1997 – 9 RVs 16/96 -). Der Klägerin muß der unausweichliche Fußweg zwischen einem ordnunsgemäß haltenden oder parkenden Fahrzeug und dem angestrebten Ziel in ähnlicher Weise außerordentlich schwerfallen. Dabei ist zu beachten, daß jede Ausweitung des Kreises der Berechtigten sich nachteilig auf den zu schützenden Personenkreis auswirken würde, denn innerstädtische Parkflächen können nicht beliebig vermehrt werden (BSG vom 29.01.1993 – 9a RVs 4/90 -; BSG vom 17.12.1997 a.a.O.).
Die Klägerin leidet an einer schweren rheumatischen Arthritis, die für sich einen GdB von 80 bedingt. Es bestehen radiologisch nachgewiesene schwere Veränderungen sowie synovitische Schwellungen der Kniegelenke, Bewegungseinschränkungen der oberen Sprunggelenke, arthritische Veränderungen der Knöchelgelenke, der Zehengelenke und der Füße. Erhebliche Schwellungen und Bewegungseinschränkungen bestehen zusätzlich an den Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenken sowie in den Fingergelenken bei entsprechenden röntgenologischen Veränderungen. Trotz regelmäßig starker rheumatischer Medikamentation leidet die Klägerin permanent unter starken Schmerzen, Gelenkentzündungen und Schwellungen. Der Gang zu ebener Erde ist nur hinkend unter Zurhilfenahme von Gehstützen möglich. Dabei wirkt zusätzlich erschwerend, daß die notwendige Zurhilfenahme von Unterarmgehstützen ebenfalls kaum möglich ist, da auch der Bereich der oberen Extremitäten stark durch die Psoriasis-Arthritis betroffen ist. Die Klägerin kann ohne fremde Hilfe lediglich eine Gehstrecke von 20 bis 30 m zurücklegen, wobei alle Bewegungen unter Schmerzen ausgeführt werden. Damit ist die Klägerin zwar nicht zwangsläufig an einen Rollstuhl gebunden, allerdings ist die Benutzung eines Rollstuhles zur Fortbewegung dringend geboten. Da die Klägerin ebenso wie die Vergleichsgruppe der Doppeloberschenkel- oder Doppelunterschenkelamputierten oder Querschnittsgelähmten ohne Hilfsmittel nahezu fortbewegungsunfähig ist, ist ihre Gehfähigkeit im gleichen Maße auf das Schwerste eingeschänkt.
Mit dieser Feststellungen zum Gesundheitszustand der Klägerin folgt die Kammer den schlüssig begründeten Ausführungen des Sachverständigen. Dieser ist als erfahrener Facharzt aufgrund eingehender Untersuchung, ausführlicher und sorgfältiger Anamnese- und Befunderhebung unter Berücksichtigung der zum Untersuchungszeitpunkt vorliegenden medizinischen
Unterlagen sowie unter Beachtung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 zu der von ihm vorgenommenen Bewertung gelangt. Die Kammer hatte daher keine Bedenken, das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen zur medizinischen Grundlage ihrer Entscheidung zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Erstellt am: 28.09.2003
Zuletzt verändert am: 28.09.2003