Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 14.01.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2000 verurteilt, der Klägerin Erwerbsunfähigkeit nach Maßgabe der am 01.07.1999 geltenden Berechungsvorschriften des SGB VI zu gewähren. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Erwerbsunfähigkeitsrente streitig.
Die am 24.02.1960 geborene Klägerin bezieht Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit seit 01.01.1992 (Bescheid vom 10.06.1994). Die Renten waren zunächst befristet bis 30.06.1994 bzw. 30.06.1997, später, durch Bescheid vom 27.05.1997 wurde die Rente weiter bewilligt bis 30.06.1999.
Auf ihren Antrag in 1999, aufgrund dessen die Klägerin begutachtet worden war, bewilligte die Beklagte daraufhin durch Bescheid vom 10.05.1999 weitere Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit bis Juni 2002. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nur Zeitrente gewährt werden könne, weil die Klägerin noch halbschichtig arbeitsfähig sei und Erwerbsunfähigkeit auf dem verschlossenen Teilzeit- Arbeitsmarkt beruhe. Für die Berechnung der Rente bleibe der Bescheid vom 10.06.1994 maßgebend.
Hiergegen legte die Klägerin am 14.05.1999 Widerspruch ein, sie begehrte die Gewährung einer Dauerrente. Die Beklagte bewilligte nach weiteren medizinischen Ermittlungen durch Bescheid vom 14.01.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer.
Auch hiergegen legte die Klägerin am 20.01.2000 Widerspruch ein. Sie bat um Neuberechnung und nicht lediglich Weitergewährung der Rente und bezog sich dabei auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24.10.1996, nach dem bei Verlängerung der Zeitrente jeweils eine Berechnung nach neuem Recht zu erstellen sei.
Die Beklagte folgte dem BSG nicht: Dem Urteil läge die Überlegung zu grunde, dass aufgrund eines neuen Leistungsfalls ein neues eigenständiges Recht auf Versicherungsrente entstanden sei. Das sei nicht zutreffend, es verbleibe vielmehr bei dem bisherigen Eintritt der Erwerbsunfähigkeit. Eine Änderung sei nur insoweit eingetreten, als sich die bisherige Annahme, die Erwerbsunfähigkeit könne bis zum Wegfallzeitpunkt behoben sein, nicht bestätigt habe. Es werde daher nicht geprüft, ob erneut Erwerbsunfähigkeit vorliege, sondern nur, ob die bisherige Erwerbsunfähigkeit weiter bestehe.
Ein neuer Versicherungsfall läge daher nicht vor. Mit dieser Begründung wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 07.06.2000 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 19.06.2000 beim erkennenden Gericht erhobene Klage. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren weiter.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung war die Klägerin nicht erschienen, sie wurde auch nicht vertreten. Ihrem schriftsätzlichen Vorbringen ist zu entnehmen, dass sie beantragt,
unter Abänderung des Bescheides vom 14.01.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2000 die Beklagte zu verurteilen, ihr Erwerbsunfähigkeitsrente nach Maßgabe der am 01.07.1999 geltenden Berechnungsvorschriften des SGB VI zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erstellte eine Probeberechnung, aus der sich nach am 01.07.1999 geltenden Recht bei der Klägerin 37,9925 Entgeltpunkte errechnen, im Vergleich zu 37,7885 Entgeltpunkten aus dem Bescheid vom 10.06.1994.
Die Beklagte meint, bei der Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über den ursprünglichen Befristungszeitpunkt hinaus verbleibe es bei der für die bisherige Rente maßgebliche Rechtsanwendung. Es werde nur die im ursprünglichen Bescheid enthaltene Befristung verändert oder aufgehoben. Dem BSG-Urteil könne nicht gefolgt werden. Die dort vorgenommene Differenzierung zwischen Leistungsfall und Versicherungsfall sei im Gesetz nicht vorgesehen. Im Zeitpunkt der Erfüllung der Voraussetzungen sei sowohl der Versicherungsfall als auch der Leistungsfall eingetreten. Bei Auffassung des BSG wäre der Leistungsfall der sich aus §§ 99 und 101 SGB VI ergebende Rentenbeginn. Eine solche Trennung habe auch der Gesetzgeber nicht gewollt, dies schließt sie aus § 302 a Abs. 3 Satz 3 SGB VI. Dort sei festgelegt, dass die vor Überführung der Erwerbsminderungsrente maßgebende Erwerbsminderung bei Zeitrenten nur bis zum Ablauf der Frist gelte. Diese Regelung wäre nicht notwendig gewesen bei Annahme der Auffassung des BSG. Für ihre Auffassung spräche auch die ausdrückliche Festschreibung des bis Dezember 2000 geltenden Rechts der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit für Zeitrenten. Damit habe der Gesetzgeber ausdrücklich sicherstellen wollen, dass das bisherige Recht Anwendung finde. Eine entsprechende Regelung sei auch für Witwen/Witwer getroffen worden. Die Beklagte bezieht sich auch auf die Gesetzesbegründung zu § 302 b SGB VI.
Die Entscheidung des BSG sei auch nicht auf die Klägerin übertragbar. In dem dem BSG vorliegenden Fall sei die Weitergewährung der Rente nach Ablauf der Befristung beschieden worden, während sie hier über die Weitergewährung vor Ablauf der Befristung entschieden habe. Hier habe sich der vorangegangene Bescheid, der mit der Nebenbestimmung der Befristung versehen war, nicht erledigt. Die Befristung ist vor deren Ende geändert worden, so dass die Wirksamkeit des ursprünglichen Bescheides erhalten geblieben sei einschließlich der rechtlichen Gründe der Rentenberechnung.
Die Klägerin bezieht sich hingegen auf die Entscheidung des BSG, eine rechtskräftige Entscheidung der 16. Kammer des Sozialgerichts Dortmund sowie einer entsprechenden Entscheidung der 1. Kammer, in der die Beklagte die Berufung gegen das klagezusprechende Urteil zurückgenommen hatte.
Wegen des weiteren Inhalts des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte in der Sache aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden, da die Klägerin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Insbesondere ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage deshalb gegeben, weil sich durch die mit der Klage begehrte Anwendung neuen Rechts höhere Entgeltpunkte und damit höhere Rentenzahlungen für die Klägerin ergeben.
Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 SGG. Die Beklagte hat zu Unrecht die ab 01.07.1999 gewährte Rente nach den Rechtsvorschriften aus dem Jahre 1994 berechnet.
Die ab 01.07.1999 "weitergewährte" Rente ist vielmehr nach den an diesem Tag geltenden Vorschriften des SGB VI zu gewähren. Dies ergibt sich aus § 300 Abs. 1 SGB VI. Nach dieser Norm sind Vorschriften dieses Gesetzbuches von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Mit dieser Bestimmung hat der Gesetzgeber ausdrücklich (BT-Drucksache L/4124, Seite 296) eine Änderung des früheren Versicherungsfallprinzips hin zum Rentenbeginnprinzips vorgenommen. Dies bedeutet, dass grundsätzlich die Vorschriften anzuwenden sind, die beim Beginn der Rente, nicht die beim Eintritt des Versicherungsfalls bestanden haben. Diese Regelung gilt auch für künftige Rechtsänderungen, sofern das Gesetz selbst nichts anderes bestimmt, § 300 Abs. 5 SGB VI.
Nach Ablauf der bis 30.06.1999 gewährten Zeitrente ist Rentenbeginn für die nachfolgende Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer der 01.07.1999. Zu diesem Zeitpunkt hat die Klägerin einen neuen eigenständigen Anspruch erworben, der gleichzeitig die Bestimmung der Rentenhöhe nach dem Recht des Rentenbeginn erforderlich macht. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat dieser Rentenanspruch im Sinne des § 300 Abs. 1 auch nicht bereits im Jahre 1992 bestanden. Zu diesem Zeitpunkt ist der Leistungsfall eingetreten. Dieser begründete ein Stammrecht auf Erwerbsunfähigkeitsrente, das aus Gesetzes- gründen zeitlich begrenzt war und aus dem nur Ansprüche auf Einzelleistungen innerhalb dieses zeitlichen Rahmens entstehen konnten. Der Rentenbewilligungsbescheid aus 1994 (ebenso wie die folgenden Bewilligungsbescheide) waren zwar bindend, konnten aber in ihrer Wirkung nicht über den Zeitrahmen hinausgehen. Ihre Wirkung ist mithin zum Ablauf der Frist entfallen, unabhängig davon, ob zuvor oder danach weitere Entscheidungen erfolgen.
Es ist nicht zutreffend, wenn die Beklagte meint, wegen der Bewilligung der Dauerrente vor Ablauf der Zeitrente wäre die Wirksamkeit des vorangegangen Bewilligungsbescheides nicht vom 30.06.1999 weggefallen, sondern lediglich durch den Ersatz der Einzelbestimmung der Befristung durch jene Bestimmung der Dauerrentengewährung ersetzt worden. Die Befristung, mithin die Bestimmung des Bewilligungszeitraums, ist nämlich keine eigenständige und nachträglich isoliert von den übrigen Elementen des Rentenbescheides abänderbare Regelung (BSG, 24.10.1996, 4 RA 31/96; BSG SozR 3 – 1500 § 77 Nr. 1). Die Befristung ist vielmehr eine Eigenschaft des Anspruchs selbst, der alle Festlegungen des Verfügungssatzes in gleicher Weise trifft.
Der Auffassung der Beklagten, diese Ansicht wäre zumindest dann nicht anzuwenden, wenn über die Weiterbewilligung vor Ablauf der Zeitrente entschieden würde, geht auch fehl, weil nicht zu begründen ist, warum die Frage der Anwendbarkeit des § 300 Abs. 1 und damit der Rentenhöhe von der Zufälligkeit abhängt, ob die Beklagte über Weitergewährung vor oder nach Ablauf der Zeitrente entscheidet. In jedem Fall trifft sie eine Entscheidung für den Zeitraum nach Ablauf des vorangegangenen Zeitrahmens. Die voran- gegangene Entscheidung verliert die befristete Wirksamkeit nicht dadurch, dass die Beklagte eine neue Entscheidung über einen anderen Zeitraum trifft.
Letztlich ist die Argumentation der Beklagten auch deshalb nicht zutreffend, weil sie die Befristung nicht vor Ablauf des Fristendes durch die Dauerrentenbewilligung ersetzt hat. Die Frist lief nämlich bis zum 30.06.1999. Die Verlängerung durch den Bescheid vom 10.05.1999 bis Juni 2002 ist gerade nicht rechtskräftig geworden, sondern von der Klägerin wirksam angefochten und durch die Beklagte erst durch Bescheid vom 14.01.2000 ersetzt worden. Damit ist die ursprüngliche Frist bis Juni 1999 nicht vor deren Ablauf durch eine neue Frist oder den Wegfall der Befristung wirksam ersetzt worden.
Soweit die Beklagte die Rechtssprechung des 4. Senates des BSG (vom 24.10.1996, aaO, die im übrigen in den hier wesentlichen Gründen auch vom 5. Senat des BSG gestützt wird, BSG SozR 3 – 1500, aaO) mit der Begründung angreift, aus dem Gesetz lasse sich eine Trennung von Versicherungsfall und Leistungsfall nicht entnehmen, vermag dies zur Begründung ihrer Auffassung nicht dienen. Sie verkennt dabei, dass die diskutierte Entscheidung des 4. Senats nicht auf einer Differenzierung von Versicherungs- und Leistungsfall beruht. Der 4. Senat des BSG gehr vielmehr bei der Weitergewährung einer Zeitrente durchaus vom Fortbestehen des ursprünglichen, nicht einem neuen Leistungsfall aus. Er legt aber überzeugend dar, dass der Leistungsfall (über den in den vorangegangen Bescheiden bereits bindend, aber zeitlich begrenzt entschieden wurde) ein Element der bei erneuter Bewilligung zu berücksichtigenden Voraussetzungen ist. Es ist das Vorliegen aller Voraussetzungen sämtlich und erneut zu prüfen. Dazu gehört auch, aber nicht ausschließlich, ob der Leistungsfall weiter besteht. Die neue Entscheidung für die Zeit nach Fristablauf betrifft daher die Frage, ob alle Anspruchsvoraussetzungen erneut erfüllt sind. Die dafür relevante Grundlage ist folgerichtig die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Verhältnisse. Es wird somit eine eigenständige und voll inhaltliche erneute, wenn auch widerholte Bewilligung vorgenommen (so auch BSG, SozR 3 – 1500, aaO), unabhängig davon, ob einzelne anspruchsbegründende Elemente, wie der Leistungsfall fortbestehen.
Letztlich sind auch die weiteren Argumente der Beklagten nicht überzeugend: Dass der Gesetzgeber die Anwendung neuen Rechts bei Weiterbewilligung einer Rente nicht gewollt habe, läßt sich weder aus § 302 a Abs. 3 noch aus § 302 b herleiten. Warum der Gesetzgeber mit § 302 b SGB VI einen Grundsatz lediglich bestätigen will, aber mit § 302 a Abs. 3 Satz 3 (nach dieser Bestimmung geht bei Überführung das alte Recht nur bis zum Ablauf der Frist) deshalb eine Regelung trifft, weil es sich um eine Ausnahme handele, erschließt sich nicht. Die gleichen Argumente umgekehrt angewandt, begründen genau das Gegenteil der Auffassung der Beklagten. Solange sich keine ausdrückliche Erklärung systematischer Art des Gesetzgebers daraus herleiten lässt, ist bei widersprüchlichen Normierung insbesonderer völlig unterschiedlicher Sachverhalte nicht auf grundsätzliche Entscheidungen des Rentensystems zu schließen. Auch aus der Gesetzesbegründung lässt sich nicht erkennen, dass der Gesetzgeber damit grundsätzliche, für alle über die geregelten Einzeltatbestände hinaus geltende Regeln aufstellen wollte und ausdrücklich § 302 a (und nicht § 302 b) als Ausnahmeregelung und § 302 b (und nicht § 302 a Abs. 3) als Bestätigung eines Grundsatzes verstanden wissen will. Aus der Gesetzesbegründung zu § 302 b lässt sich lediglich der Wille entnehmen, dass das alte Recht zur Berufs- und Erwerbsunfähigkeit durch diese Norm eine Übergangsbestimmung erhalten soll, nach der die Anspruchsvoraussetzung der Erwerbsunfähigkeit (des medizinischen Leistungsfalls) weiter nach altem Recht zu beurteilen ist. Dies sagt nichts darüber aus, wie die Renten zu berechnen sind.
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Gesetzesbegründung ein ab 01.01.2001 geltendes Recht betrifft, hier ist aber ein Sachverhalt zu beurteilen, der im Jahre 1999, mit hin vor der Gesetzesänderung und vor den Erwägungen des Gesetzgebers liegt. Eine Abweichung von dem in § 300 Abs. 1 normierten Grundsatz ist nach alledem nicht zu begründen.
Die Beklagte hat über einen "neuen" Anspruch ab 01.07.1999 entschieden. Es gilt daher das am 01.07.1999 maßgeblich Recht. Diesem Grundsatz ist auch nicht § 306 SGB VI wirksam entgegenzuhalten. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung ist eine Neufeststellung bei Bestandsrenten ausschließlich aus Anlass einer Rechtsänderung ausgeschlossen. Dies gilt jedoch nicht für zeitlich aneinander anschließende Ansprüche auf Zeitrente, erst Recht nicht für den ab 01.07.1999 bestehenden Anspruch auf Dauerrente nach Ablauf einer Zeitrente (BSG vom 24.10.1996).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Erstellt am: 02.04.2004
Zuletzt verändert am: 02.04.2004