Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte als Versorgungsträger verpflichtet ist, bestimmte Beschäftigungszeiten des Klägers als Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) sowie die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen.
Dem 1939 geborenen Kläger wurde am 08.03.1967 nach Abschluss seines Studiums an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in X der akademische Grad Diplom-Ingenieur verliehen. Wie sich aus seinen Ausweisen für Arbeit- und Sozialversicherung ergibt, verlief sein anschließendes Berufsleben in der DDR wie folgt: Vom 20.03.1967 bis 31.01.1969 war der Kläger wissenschaftlicher Mitarbeiter im " W VVB Leichtchemie Wissensch.-Techn. Zentrum Karl-Marx-Stadt" bzw. im "Ingenieurbüro für Rationalisierung Leichtchemie Karl-Marx-Stadt". Anschließend arbeitete er bis 30.04.1972 bei der "PGH Leichtbau Karl-Marx-Stadt". Vom 01.05.1972 bis 31.12.1973 war er Werkdirektor bei dem "VEB Leichtbau Karl-Marx-Stadt" und vom 01.01.1974 bis 31.12.1975 Technischer Leiter beim "VEB Stuck- und Gipsbauelemente Karl-Marx-Stadt". Schließlich war er vom 01.01.1976 bis 31.05.1982 als Betriebsdirektor beim "VEB Fortschritt Steinsatz-, Straßen- und Tiefbauarbeiten Karl-Marx-Stadt" beschäftigt.
Am 19.07.2002 beantragte der Kläger unter Bezug auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24.03.1998, Az.: B 4 RA 27/97 R, die Feststellung von Zusatzversorgungsanwartschaften, wobei er für die Zeit vom 01.05.1972 bis 31.05.1985 (richtig wohl: 31.05.1982) eine Anwartschaft im Zusatzversorgunssystem "Zusätzliche Altersversorgung der Technischen Intelligenz" (Nr. 1 der Anlage 1 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssysteme des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG)) geltend machte. Vom 20.03.1967 bis 31.05.1982 habe der tatsächliche Gesamtarbeitsverdienst über den im Sozialversicherungsausweis bescheinigten beitragspflichtigen Beiträgen gelegen.
Mit Bescheid vom 06.11.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab: Da zu Zeiten der DDR keine positive Versorgungszusage (Anwartschaft) vorgelegen habe und der Kläger am 30.06.1990 auch keiner Beschäftigung nachgegangen sei, bei der er – aus bundesrechtlicher Sicht – dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre, sei das AAÜG im Fall des Klägers nicht anwendbar.
Hiergegen legte der Kläger am 20.11.2002 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus: Seiner Ansicht nach müsse es ausreichen, dass er bis zum 31.05.1982 eine für das Versorgungssystem spezifische Tätigkeit ausgeübt habe. Die Auffassung der Beklagten, die insoweit auf den Stichtag des 30.06.1990 abstelle, widerspreche § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG und lasse sich auch nicht auf die von der Beklagten hierzu angeführten Urteile des BSG stützen. Bis vor Erlass dieser Urteile sei die Beklagte im Übrigen auch selbst anders verfahren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2003 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück.
Daraufhin hat der Kläger am 07.08.2003 die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Ergänzend trägt er vor, dass er im Jahr 1982 seine Stelle als Betriebsleiter verloren habe, nachdem er aus politischen Gründen und wegen der Notwendigkeit einer in der DDR nicht gewährleisteten angemessenen medizinischen Versorgung seines Sohnes einen Ausreiseantrag gestellt habe. In zeitlicher Einschränkung seines Klagebegehrens, das er zunächst auch auf die Zeit vom 20.03.1967 bis 31.01.1969 bezogen hatte, beantragt der Kläger,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 06.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2003 zu verpflichten, die Zeiten der Beschäftigung des Klägers vom 01.05.1972 bis 31.05.1982 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der Technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) und die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass das AAÜG vorliegend keine Anwendung finde und der Kläger deshalb keine Versorgungsanwartschaft habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage i.S. des§ 54 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 6.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.7.2003 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht. Der Kläger hat kein Recht, von der Beklagten als zuständigem Versorgungsträger die begehrten Feststellungen zu verlangen.
Einzige Anspruchsgrundlage hierfür könnte § 8 Abs.2, 3 Satz 1 und 4 Nr. 1 AAÜG sein. Danach hat die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme der Anlage 1 Nr. 1 bis 26 dem Träger der Rentenversicherung u. a. die Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem und das hieraus tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt mitzuteilen und dem Berechtigten den Inhalt dieser Mitteilung durch Bescheid bekanntzugeben. Auf diese Vorschriften kann sich der Kläger jedoch nicht berufen, weil er gar nicht dem Anwendungsbereich des AAÜG unterfällt.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- oder Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 01.08.1991 bestanden – vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 9.4.2002, Az.: B 4 RA 31/01 R -. War ein Verlust der Versorgungsanwartschaft deswegen eingetreten, weil die Regelungen der Versorgungssysteme ihn bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt nach Satz 2 der Vorschrift dieser Anwartschaftsverlust als nicht eingetreten, so dass das AAÜG auch in solchen Fällen Anwendung findet.
Beide Tatbestände erfüllt der Kläger nicht. Einen Anspruch auf Versorgung hatte er bei Inkrafttreten des AAÜG nicht; denn der Versorgungsfall (Alter,Invalidität) war zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Kläger war aber auch nicht Inhaber einer bei Inkrafttreten des AAÜG bestehenden Versorgungsanwartschaft:
Bis zum Zeitpunkt der Schließung der Versorgungssysteme am 30.06.1990 war dem Kläger keine Position in der DDR zuerkannt worden, aufgrund welcher er bei Eintritt des Versorgungsfalls vom DDR-Versorgungsträger die im jeweiligen System hierfür vorgesehenen Leistungen hätte bekommen müssen. Eine Einbeziehung erfolgte in der AVItech grundsätzlich durch eine Entscheidung des zuständigen Versorgungsträgers der DDR; eine Verwaltungsentscheidung über die Einbeziehung des Klägers in ein Versorgungssystem (Versorgungszusage, Einzelentscheidung aufgrund Vertrages) hat es vorliegend jedoch zu keinem Zeitpunkt gegeben.
Auf Personen, die am 30.06.1990 nicht einbezogen waren und -ebenfalls wie der Kläger – auch nicht nachfolgend aufgrund originären Bundesrechts (Art 9 Abs.2, 17, 19 EinigungsV) einbezogen wurden, findet das AAÜG aufgrund einer erweiternden verfassungskonformen Auslegung seines § 1 Abs.1 schließlich auch noch dann Anwendung, wenn die Nichteinbezogenen aus der Sicht des am 01.08.1991 gültigen Bundesrechts nach der am 30.06.1990 gegebenen Sachlage einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten – – vgl. BSG, Urteile vom 9.4.2002, Az.: B 4 RA 3/02 R; Az: 31/01 R; Az.: B 4 RA 42/01 R; Urteil vom 18.12.2003, Az.: 4 RA 18/03 R; –
Ein solcher fiktiver Anspruch auf Versorgungszusage – vgl. BSG, Urteil vom 9.4.2002, Az.: B 4 3/02 R – steht dem Kläger, der die DDR bereits 1983 verlassen hatte, jedoch nicht zu, weil er am 30.06.1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Sinne der AVItech oder einem gleichgestellten Betrieb tätig war.
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers reicht es nämlich nicht aus, dass er früher einmal die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Versorgung nach der AVItech erfüllt hatte. Vielmehr hätte dies auch noch am 30.06.1990 der Fall sein müssen. Das ergibt sich aus dem grundsätzlichen Verbot der Neueinbeziehung in die zum 30.06.1990 geschlossenen Versorgungssysteme. Nur bei solchen Personen, die zu diesem Stichtag noch einer von den abstrakt-generellen Regelungen der Versorgungssysteme erfassten Beschäftigung nachgingen, erscheint eine Einbeziehung geboten, um einen Wertungswiderspruch zwischen Satz 2 und Satz 1 des § 1 Abs.1 AAÜG sowie zu Art. 19 Satz 2 und 3 EinigV und zur Begünstigung der von der DDR offensichtlich willkürlich Einbezogenen durch Art. 19 Satz 1 EinigV zu vermeiden -vgl. BSG, Urteil vom 9.4.2002, Az.: B 4 RA 3/02 R -.
Soweit sich der Kläger auf die Urteile des BSG vom 24.3.1998, Az.: B 4 RA 27/97, und vom 29.7.1997, Az.: B 4 RA 60/96 beruft, so lässt sich hieraus nichts Gegenteiliges herleiten: Denn in beiden Fällen war vom Versorgungsträger in der DDR tatsächlich eine Versorgungszusage erteilt worden und damit der Anwendungsbereich des AAÜG eröffnet.
Dem Kläger ist allerdings zuzugeben, dass er im streitigen Zeitraum dem Anwendungsbereich der AVItech unterfiel und dass seine Nichteinbeziehung durch den Versorgungsträger der DDR deshalb willkürlich war. Sein Begehren, in Anwendung bundesrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsätze das durch ein Willkürregime geprägte Normalverhalten der DDR im Bereich der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme zu revidieren, geht jedoch ins Leere, weil der Einigungsvertrag nur die Übernahme damals bestehender Versorgungsansprüche und Versorgungsanwartschaften von Einbezogenen in das Bundesrecht versprochen und Neueinbeziehungen ausdrücklich verboten hatte (§ 22 Abs. 1 RAnglG, EinigungsV Nr. 9 Buchstabe a). Diese Vorschriften sind in sich verfassungsgemäß, weil der Bundesgesetzgeber selbst an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung dieser Versorgungssysteme in der DDR ohne Willkürverstoß anknüpfen durfte. Art 3 Abs. 1 und 3 GG gebietet nicht, von jenen historischen Fakten, aus denen sich die vorgetragenen Ungleichheiten ergeben, abzusehen und sie "rückwirkend" zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen. Die Begünstigung der damals Einbezogenen hat der Deutsche Bundestag als ein Teilergebnis der Verhandlungen im EinigVtr angesichts der historischen Bedingungen hinnehmen dürfen (vgl. BVerfGE 100, 138, 190 f). Er hat in § 1 AAÜG in begrenztem Umfang DDR-Willkür ausgeschaltet. Zu einer Totalrevision des mit Beginn des 31. Dezember 1991 in das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebiets überführten aus der DDR stammenden Versorgungsrechts und insbesondere dessen willkürlicher Handhabung war er schon deswegen nicht verpflichtet, weil er diesen gesamten Rechtsbereich ab 01. Januar 1992 einem rechtsstaatlichen Grundsätzen im Wesentlichen genügenden Gesetz, dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch, unterstellt hat. – vgl. BSG, Urteil v. 09.04.2002, Az.: B 4 RA 31/01 R -.
Nach alledem kann der Kläger sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Beklagte nach ihrer früheren Verwaltungspraxis in vergleichbaren Fällen eine Versorgungsanwartschaft anerkannt habe. Denn eine solche Verwaltungspraxis wäre rechtswidrig gewesen. Insoweit gibt es keinen Anspruch auf Gleichbehandlung.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193,183 SGG.
Gemäß §§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wird die Sprungrevision zugelassen.
Erstellt am: 20.08.2004
Zuletzt verändert am: 20.08.2004