1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.314.328,27 Euro an rückständiger Gesamtvergütung für die Jahre 2000 und 2001 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage betreffend der Verzugszinsen abgewiesen.
3. Die Widerklage wird als unzulässig abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin und die Gerichtskosten nach einem in der Höhe auf 2.500.000,00 Euro begrenzten Streitwert zu tragen.
5. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Gesamtvergütungsbeträgen für die Jahre 2000 und 2001 anhand von Kopfpauschalen.
Nachdem die Beklagte Zahlungen der Gesamtvergütung für die vertragsärztliche Versorgung an die Klägerin zurückbehielt, weil diese nach Ansicht der Beklagten nicht anhand einer Kopfpauschale, sondern anhand des tatsächlichen Leistungsbedarfs ihrer überdurchschnittlich jungen und gesunden Versicherten zu bestimmen seien, erhob die Klägerin Klage auf Zahlung der von der Beklagten zurückbehaltenen Gesamtvergütungsbeträge für die Jahre 2000 und 2001 in Höhe von 11,3 Millionen Euro. Der Landesverband der Betriebskrankenkassen hat am 24. Oktober 2001 mit der Klägerin eine Gesamtvergütungsvertrag für das Jahr 2000 geschlossen. Ebenfalls sind die Verhandlungen hinsichtlich des Gesamtvergütungsvertrages für das Jahr 2001 zwischen der Klägerin und dem Landesverband der Betriebskrankenkassen im September 2002 einvernehmlich abgeschlossen worden. Durch diesen Vertrag werden die dem Landesverband angehörenden einzelnen Betriebskrankenkassen unmittelbar zur Zahlung der vereinbarten Gesamtvergütung verpflichtet. Die Höhe der zu zahlenden Gesamtvergütung ergibt sich aus der Anlage 2 des Vertrages. Die Berechnung der Kopfpauschalen sowie der im jeweiligen Quartal des Jahres 2000 bzw. des Jahres 2001 maßgebliche Mitgliederbestand als Multiplikator sowie die auf die einzelnen Quartale entfallenen Ist- und Soll-Zahlungen sind aus dieser Anlage 2 ersichtlich.
Mit der Klage will die Klägerin die von der Beklagten verweigerte Zahlung durchsetzen, wobei der geltendgemachte Betrag nach dem Gesamtvertrag- dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig – rechnerisch zutreffend ermittelt worden ist. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Parteien nach §§ 83, 85 SGB V an die Gesamtverträge gebunden seien. Der Landesverband der Betriebskrankenkassen habe mit Rechtswirkung zu Lasten und zu Gunsten der Beklagten die Gesamtvergütung für die Jahre 2000 und 2001 vereinbart. Diese Vereinbarungen seien von der zuständigen Landesregierung nicht beanstandet worden. Es handele sich dabei um sogenannte "Normsetzungsverträge", mit denen Rechte und Pflichte von nicht am Vertrag unmittelbar beteiligten Dritten geregelt würden. Daraus folge: Der Normsetzungsvertrag sei solange wirksam und auch für die Beklagte verbindlich, wie er entweder gemäß § 59 SGB X gekündigt bzw. angepasst worden sei, oder aber seine Nichtigkeit gemäß § 58 SGB X festgestellt worden sei. Der Normsetzungsvertrag sei wirksam. Der für die Beklagte handelnde Landesverband habe die Interessen der Beklagten wahrgenommen und nach sachgerechter Überprüfung einer Fortschreibung der Kopfpauschale unter Beachtung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität zugestimmt. Das Verhandlungsergebnis bewege sich innerhalb des Bereichs der Vertragsautonomie, die der Landesverband ausgefüllt habe und auszufüllen verpflichtet gewesen wäre. Auch lasse sich eine Nichtigkeit des Vertrages nicht herleiten. Einerseits müsse die Behauptung der Beklagten, die vereinbarten Kopfpauschalen seien "unwirtschaftlich" ausdrücklich bestritten werden. Die von der Beklagten aufgestellte Behauptung, die Verhältnisse hätten sich im Laufe der Jahre geändert, u.a. bedingt durch die Einführung des Risikostrukturausgleiches (RSA), verursache keineswegs eine Unwirtschaftlichkeit. Vielmehr habe das Bundessozialgericht durch Urteil vom 16. Juli 2003 (B 6 KA 29/02 R) entschieden, dass bei der Gesamtvergütung die Auswirkungen des RSA nicht zu berücksichtigen seien. So müsse also auch eine "Inzidentkontrolle" zum Ergebnis kommen, dass die Gesamtverträge wirksam seien, und die Beklagte zur Zahlung der noch ausstehenden Gesamtvergütung verpflichtet sei. Ebenfalls werde die Rechtmäßigkeit der Vereinbarungen durch die Neuregelung des § 85b SGB V in der Fassung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) bestätigt. Das von der Beklagten beanstandete System der Kopfpauschalen solle danach erst ab 2007 geändert werden.
Da die Beträge fällig seien und die Beklagte sich in Verzug befände, sei die Beklagte nach den maßgeblichen Normen verpflichtet, die ausstehenden Beträge zu verzinsen. Der Verzugsschaden sei eingetreten, denn die Klägerin sei ihren Mitgliedern gegenüber verpflichtet, die für das jeweilige Jahr anfallende Gesamtvergütung vollständig auszuzahlen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 11.314.238,27 Euro an rückständiger Gesamtvergütung für die Jahre 2000 und 2001 zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt nach den Gesamtverträgen zu zahlen sowie die Widerklage der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage wegen Zahlung angeblich ausstehender Gesamtvergütung für die Jahre 2000 und 2001 abzuweisen sowie die Klägerin zu verurteilen, die von der Beklagten geleisteten Gesamtvergütungszahlungen der Jahre 2000 und 2001 in Höhe von 15.029.090,91 Euro und 12.012.791,52 Euro zu erstatten.
Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages und der Erhebung der Widerklage verweist die Beklagte auf die Rechtsstandpunkte, die sie bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht Dortmund und vor dem LSG NRW (S 14 KA 110/02 ER – L 10 B 3/03 KA ER) geltend gemacht hat. Sie ist der Ansicht, dass sich Zahlungspflichten auf Grund von Rechtsnormen für von diesen Normen bewusst und gewollt getroffenen Dritten, d.h. am Normentstehungsprozess nicht Beteiligten, nur dann und insoweit ergeben können, als die Norm wirksam sei, d.h. insbesondere nicht gegen höherrangiges Recht verstoße. Untergesetzliche Rechtsnormen wie die hier in Frage stehenden Gesamtvergütungsverträge müssten daher nicht nur die gesetzlichen Zuständigkeiten zum Vertragsabschluss einhalten, sondern auch inhaltlich mit dem gesetzlich geregelten Krankenversicherungsrecht (SGB V) übereinstimmen. Dies sei im Hinblick auf die Kopfpauschalenregelung durch die Gesamtvergütungsverträge der Jahre 2000, 2001 nicht der Fall. Die Honorarverträge verstießen gegen den gesetzlichen Wirtschaftlichkeitsgrundsatz des § 72 Abs. 2 SGB V und verletzten die Beklagte in ihrem Recht auf Selbstverwaltung gemäß § 29 SGB IV, so dass diese Gesamtvergütungsverträge als untergesetzliche Rechtsnormen unwirksam seien. Dies ergäbe sich daraus, dass Kopfpauschalen vereinbart worden seien, die die aktuelle Mitgliederstruktur und den daraus resultierenden Leistungsbedarf an medizinischen Versorgungsleistungen weitgehend unberücksichtigt ließen, weil sie auf Mitglieder- und Leistungsstrukturen Bezug nähmen, die spätestens seit 1990 nicht mehr der Wirklichkeit entsprächen. Jedenfalls müsse die in der Rechtsprechung festgestellte Beobachtungs- und Reaktionspflicht des vertragsarztrechtlichen Normsetzers auch im Hinblick auf die gesetzeswidrige Kopfpauschalenregelung für die im Streit befindlichen Zeiträume berücksichtigt werden. Wegen der Willkürlichkeit der bisherigen Kopfpauschalen seien die Gesamtvergütungsverträge wegen Verstoßes gegen höherrangiges Gesetzesrecht unwirksam. Der Klägerin stehe daher der geltend gemachte Vergütungsanspruch nicht zu; vielmehr sei sie verpflichtet, nicht leistungsgerechte Vergütungszahlungen der Beklagten auf der Grundlage der insoweit unwirksamen Kopfpauschalenregelungen im Wege des gewohnheitsrechtlich anerkannten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs an die Beklagte zurückzuzahlen, wie mit der Widerklage beantragt worden sei.
Einer Verzinsungspflicht sei zu widersprechen, denn es dürfte den Gesamtvertragspartnern zwar unbenommen sein, Verzugszinsen zu vereinbaren, dies sei aber offenbar bewusst nicht geschehen. Die von der Klägerin benannten Rechtsgrundlagen seien nicht einschlägig. Mangels Regelungslücke scheide auch die entsprechende Heranziehung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften über Verzugs- und Prozesszinsen aus. Gerade wegen der Schiedsamtsfähigkeit der Gesamtverträge mit Normcharakter verböten diese Besonderheiten, sie als rechtsähnlich zu zivilrechtlichen Verträgen anzusehen. Abschließend sei auf die Unwirksamkeit der Gesamtvergütungsregelung nach Kopfpauschalen hinzuweisen. Die Kopfpauschalen seien dem geänderten tatsächlichen Leistungsbedarf der Mitglieder der jeweiligen Krankenkasse anzupassen. So habe auch der BKK Landesverband NW das geltende Kopfpauschalensystem angesichts veränderter Kassen- bzw. Mitgliederstrukturen und damit verbundenen Morbiditätsveränderungen nicht als sachgerecht angesehen, wie seine Rundschreiben gezeigt hätten. Die dennoch erfolgten Gesamtvertragsabschlüsse könnten daher nur als willkürlich angesehen werden. Dies führe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wegen des Charakters als Rechtsetzungsvertrag zu sofortigen Nichtigkeits- und damit Unwirksamkeitsfolge. Der Beklagten gehe es um die Abwehr unzulässiger Belastungen, soweit sie auf unangepassten und damit unwirksamen Kopfpauschalenregelungen beruhten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen aus der Streitakte sowie auf den gesamten Inhalt des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (SG Dortmund S 14 KA 110/02 ER und LSG NRW L 10 B 3/03 ER) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist im Hauptantrag zulässig und begründet. Im Nebenantrag musste die Klage betreffend die Verzugszinsen abgewiesen werden.
Die Widerklage musste als unzulässig abgewiesen werden.
Der Klägerin steht der Zahlungsanspruch in Höhe des geltend gemachten Betrages, dessen Berechnung zwischen den Beteiligten unstreitig ist, zu, denn der Anspruch beruht auf der wirksamen Rechtsgrundlage der Gesamtvergütungsverträge für die Jahre 2000 und 2001. Diese Gesamtvergütungsverträge als Normsetzungsverträge sind in Ausfüllung der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen des SGB V geschlossen worden.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen schließen mit den für ihren Bezirk zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen. Gesamtverträge mit Wirkung für die Krankenkassen der jeweiligen Kassenart über die vertragsärztliche Versorgung der Mitglieder mit Wohnort in ihrem Bezirk einschließlich der mitversicherten Familienangehörigen (§ 83 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Krankenkasse entrichtet nach Maßgabe der Gesamtverträge an die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung für die gesamte vertragsärztliche Versorgung der Mitglieder mit Wohnort im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung einschließlich der mitversicherten Familienangehörigen (§ 85 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Höhe der Gesamtvergütung wird im Gesamtvertrag mit Wirkung für die Krankenkassen der jeweiligen Kassenart, für die Verträge nach § 83 Abs. 1 Satz 1 geschlossen sind, vereinbart (§ 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V). Die Gesamtvergütung ist das Ausgabenvolumen für die Gesamtheit der zu vergütenden vertragsärztlichen Leistungen; sie kann als Festbetrag oder auf der Grundlage des Bewertungsmaßstabes nach Einzelleistungen, nach einer Kopfpauschale, nach einer Fallpauschale oder nach einem System berechnet werden, das sich aus der Verbindung dieser oder weiterer Berechnungsarten ergibt (§ 85 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Der Landesverband der Betriebskrankenkassen hat mit der Klägerin einen Gesamtvergütungsvertrag für das Jahr 2000 und für das Jahr 2001 geschlossen. Der jeweilige Vertrag ist wirksam, da er von den Parteien unterzeichnet und nach Vorlage beim zuständigen Aufsichtsministerium nicht beanstandet worden ist. Durch diesen Vertrag werden die dem Landesverband angehörenden Einzelbetriebskrankenkassen – damit auch die Beklagte – unmittelbar zur Zahlung der vereinbarten Gesamtvergütung verpflichtet (§ 83 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 85 Abs. 1 SGB V). Nach der gesetzlichen Konstruktion ist der Landesverband der Betriebskrankenkassen mit Verhandlungsvollmacht und Verhandlungsmandat zum Abschluss von Verträgen mit Wirkung für die ihm angehörenden einzelnen Betriebskrankenkassen ausgestattet. Eine Mitwirkung der einzelnen Betriebskrankenkassen an den Vertragsverhandlungen oder gar ein Zustimmungsvorbehalt der einzelnen Betriebskrankenkasse ist im Gesetz nicht vorgesehen. Eine Anwendung des § 57 Abs. 1 SGB X zugunsten der dem Gesamtvergütungsvertrag unterworfenen Krankenkassen scheidet schon deswegen aus, weil dies dessen Konzeption als Normsetzungsvertrag ersichtlich widersprechen würde. Jedenfalls insoweit verdrängen die speziellen Regelungen über die ausschließliche Abschlusskompetenz in §§ 82 Abs. 2, 83 Abs. 1, , 85 Abs. 1 SGB V drittschützende – allgemeinere – Vorschriften des SGB X. Selbst die mindere Beteiligungsform der Anhörung der einzelnen Betriebskrankenkasse hat der Gesetzgeber nicht mehr für sachgerecht erachtet und sie mit dem Gesundheitsstrukturgesetz zum 1. Januar 1993 ersatzlos entfallen lassen (vgl. zur uneingeschränkten Bindungswirkung LSG NRW – Beschluss vom 11. Juni 2003 – L 10 B 3/03 KA ER S. 11, 12, 15 mit weiteren Nachweisen). Damit sind die einzelnen Betriebskrankenkassen nicht Parteien der Gesamtverträge, die Abwicklung der Vergütung erfolgt aber zwischen den einzelnen Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen.
Die Gesamtvergütungsverträge sind auch materiell wirksam und nicht wegen Rechtsverstößen gegen höherrangiges Recht als untergesetzliche Rechtsnorm unwirksam. Wie bereits in § 85 Abs. 2 Satz 2 SGB V vorgesehen, kann die Gesamtvergütung nach einer Kopfpauschale berechnet werden. Diese Gestaltungsmöglichkeit haben die Vertragsparteien zulässigerweise gewählt. Bei der Kopfpauschale wird die Gesamtvergütung durch Multiplikation der Zahl der Krankenkassenmitglieder mit einem Pauschalbetrag (der Kopfpauschale) berechnet. Damit werden also nicht einzelne Leistungen vergütet, sondern die gesamte Versorgung wird unabhängig von der Zahl der erbrachten Leistungen mit der Kopfpauschale abgegolten. Sofern die Beklagte einen Rechtsverstoß geltend zu machen glaubt, weil die geregelte Gesamtvergütung für die vertragsärztliche Versorgung ihrer Mitglieder nach einer leistungsunabhängigen Kopfpauschale erfolgt, kann sie damit im Rahmen der hier vorzunehmenden Inzidentkontrolle der Wirksamkeit des Gesamtvergütungsvertrages nicht durchdringen. Das Argument zieht schon sachlich nicht, wobei im Rahmen der Widerklage darzustellen sein wird, ob die Beklagte überhaupt in diesem Zusammenhang eine subjektive Rechtsverletzung geltend machen kann.
Die Verträge über die vertragsärztlichen Versorgungen sind Verträge des öffentlichen Rechts mit Drittwirkung. Die Gesamtverträge binden ebenfalls nicht nur die vertragsschließenden Parteien, sondern über Satzungsbestimmungen auch die Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigungen, d.h. die Vertragsärzte, und Kraft Gesetzes (§ 83 Abs. 1 Satz 1 SGB V) die Krankenkassen. Die Verträge haben auch einen abstrakt-generellen Charakter, so dass ihnen Rechtsnormcharakter zukommt. Sie werden als Normsetzungsverträge bezeichnet (BSGE 29, 254; 71, 42). Da das Verfahren vor den Sozialgerichten die Klageart der Normenkontrollklage nicht kennt, ist Rechtsschutz gegen die krankenversicherungsrechtlichen Normsetzungsverträge grundsätzlich nur durch eine Inzidentprüfung im Rahmen einer anderen Klageart möglich (BSGE 71, 42, 52; LSG NRW – Beschluss vom 11. Juni 2003 – L 10 B 3/03 KA ER S. 13 mit weiteren Nachweisen).
Die auf der Grundlage der §§ 83, 85 SGB V von den Vertragsparteien vereinbarten Gesamtverträge und Gesamtvergütungsverträge, bei denen es sich um untergesetzliche Rechtsnormen in der Form der Normsetzungsverträge handelt, sind wegen ihrer spezifischen Struktur und Art ihres Zustandekommens nicht in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen des ihm von Verfassungswegen obliegenden Auftrags, ein funktionsfähiges Sozialversicherungssystem zu gewährleisten, entschieden, die Grundzüge durch Normverträge (zum Begriff zutreffend Axer, in Schnapp/Wigge, Vertragsarztrecht 2002, § 7 Rdnr. 7 ff.) regeln zu lassen und diese von Individualinteressen einzelner Krankenkassen grundsätzlich frei zu halten. Durch den vertraglichen Charakter der Gesamt- und Gesamtvergütungsverträge soll gewährleistet werden, dass die unterschiedlichen Interessen der an einer vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Gruppen zum Ausgleich kommen und auf diese Weise eine sachgerechte Bewertung der Gesamtvergütungsleistungen erreicht wird. Dieses System autonomer festgelegter Gesamtvergütung kann seinen Zweck nur erfüllen, wenn Eingriffe von außen grundsätzlich unterbleiben. Die gerichtliche Überprüfung ist daher im Wesentlichen darauf beschränkt, ob die Vertragsparteien den ihnen zustehenden Entscheidungsspielraum überschritten oder ihre Bewertungskompetenzen missbräuchlich ausgenutzt haben (vgl. dazu generell Hess in Schnapp/Wigge Vertragsarztrecht, § 15 Rdnr. 85 m.w.N. aus der Rechtsprechung in Fußnote 113). Eine derartige Überschreitung des Entscheidungspielraums oder deren missbräuchliche Ausnutzung kann nicht festgestellt werden. Dies ergibt sich aus dem Inhalt der Regelungen zu der Vergütung nach Kopfpauschalen. Dieser Gesamtvergütung für die vertragsärztliche Versorgung wird nach Kopfpauschalen je Betriebskrankenkasse und Quartal, getrennt nach Allgemeinversicherten und Versicherten der Rentnerkrankenversicherung ermittelt. In diesem Rahmen werden nicht ausschließlich die Verhältnisse des Jahres 1990 fortgeschrieben, sondern als Grundlage für die Ermittlung der Gesamtvergütung je Betriebskrankasse, z.B. im Jahr 2000 bilden die nach Art. 10 Nr. 2 GKV – Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 korrigierten Kopfpauschalen der Quartale 1 bis 4/1999 und die nach Anhang 4 von den Betriebskrankenkassen gemeldeten Mitgliederzahl. Auf weitere Einzelregelungen in den Gesamtvergütungsverträgen zur Vergütung nach Kopfpauschalen wird hiermit verwiesen. Weiterhin wird verwiesen auf die Kombination der Bewertungsfaktoren mit der Ausweisung der besonderen Vergütung nach Einzelleistungen und weiterer gesonderter Regelungen. Somit sind die Kopfpauschalen den geänderten tatsächlichen Verhältnissen in einem gewissen Rahmen angepasst worden, wenn sie sich auch nicht dem geänderten tatsächlichen Leistungsbedarf der Mitglieder der jeweiligen Krankenkasse anpassen können. Dies ist jedoch für die Wirksamkeit der Regelung auch nicht erforderlich. Damit sind auch nicht ungerechtfertigte missbräuchliche Gleichbehandlungen verbunden.
Damit ist der Anspruch der Klägerin – nach der insoweit unstreitigen Berechnung – gegeben auf der wirksamen Rechtsgrundlage der Gesamtvergütungsverträge, wobei die Berechnung nach Kopfpauschalen und anderen Bewertungsfaktoren rechtmäßig ist und der Beklagten nach dem Inhalt des für sie wirksamen Vertrages keine Zurückbehaltungsrechte zustehen, weil eine zuviel gezahlte Gesamtvergütung insoweit nicht feststellbar ist.
Ein Anspruch auf Verzugszinsen steht der Klägerin nicht zu. Zwar sind die Beiträge fällig und befindet sich die Beklagte insofern in Verzug, wie die Ausgestaltung der Gesamtvergütungsregelung zeigt, jedoch ist die Beklagte nicht gemäß § 288, 291 BGB i.V.m. § 61 SGB X unter Berücksichtigung der Neufassung des § 69 Satz 3 SGB V verpflichtet, die ausstehenden Beträge zu verzinsen. Seit dem 1. Januar 2000 nimmt § 69 Satz 3 SGB V ausdrücklich Bezug auf die Anwendung der BGB-Vorschriften, dies gilt jedoch nur, soweit die entsprechende Anwendung der Vorschriften des BGB mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem vierten Kapitel des SGB V – und damit auch den Regelungen zu Verträgen gemäß §§ 82-87a SGB V – vereinbar sind. Eine derartige Vereinbarkeit ist nicht gegeben, weil es sich – neben den Zweifeln, ob überhaupt Rechtsbeziehungen von Krankenkassen zu Leistungserbringern im Sinne von § 69 S. 1 und S 2 SGB V betroffen sind – bei der Bejahung der Verzinsungspflicht um eine Ergänzung von untergesetzlichen Rechtsnormen handeln würde. Insbesondere auch für Forderungen aus öffentlich-rechtlichen Verträgen, zu denen die Gesamtverträge unstreitig zählen, hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bisher die entsprechende Heranziehung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften über Verzugs- und Prozesszinsen für ausgeschlossen gehalten (vgl. BSGE 71, 72, 76 ff.). Zwar wäre es den Vertragspartnern des Gesamtvertrages unbenommen gewesen, in das Vertragswerk selbst Verzugszinsen aufzunehmen. Dies ist aber offenbar nicht geschehen. Insofern muss die untergesetzliche Regelung als abschließend und nicht als ergänzungsfähig angesehen werden. Der Normsetzungsakt ist abschließend. Bei dem Vertrag, der untergesetzliche Normen enthält, sind schon die Vorschriften der §§ 53-61 SGB X zum öffentlich-rechtlichen Vertrag grundsätzlich nicht anwendbar (überzeugend Axer in Schnapp/Wigge, Vertragsarztrecht, 2002, 97 Rdnr. 10 u. 11 m.w.Nw.; dagegen grundsätzlich bejahend Hencke in Peters , SGB V § 82 Rdnr. 3 ff.); andernfalls bedürfte es etwa der schriftlichen Zustimmung der im Vertragsschluss nicht beteiligten Ärzte, Krankenkassen und Versicherten nach § 57 Abs. 1 SGB X zur Wirksamkeit des Vertrages, weil dieser in ihre Rechte eingreift. Dies soll aber gerade nicht der Fall sein. Bei kritischer Durchdringung der Materie sind entgegen allgemeiner Ansichten in der vertragsärztlichen Literatur und Rechtsprechung die Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Vertrag nicht auf die Normverträge des Vertragsarztrechts anwendbar. Als Vertrag, der nicht zur Setzung von Normen verpflichtet, sondern selbst Normen enthält, gelten für ihn die Anforderungen, die Verfassung und Gesetz an den Erlass abstrakt-genereller Regelungen richten, nicht hingegen die Vorschriften über den einen Einzelfall regelnden öffentlich-rechtlichen Vertrag (so überzeugend Axer in: Schnapp/Wigge, Vertragsarztrecht 2002, § 7 Rdnr. 10 und 11 m.w.N.). Somit bleibt es bei dem von der Rechtsprechung hervorgehobenen Grundsatz für das Vertragsarztrecht, das dem Sicherstellungsauftrag des allgemeinen Vertragsarztrechts eine generelle Verzinsungspflicht für geschuldete und verspätet gezahlte ärztliche Honorare und Gesamtvergütungen fremd sei (vgl. BSG Urteil vom 17. November 1999 – B 6 KA 14/99 R – in SGB 2000, 680, 684). Nach der dargestellten Rechtsprechung des 6. Senats ist eine solche Vereinbarkeit mit der in § 69 Satz 3 SGB V vorgesehenen entsprechenden Anwendung gerade nicht gegeben, weil nämlich der Sicherstellungsauftrag des Vertragsarztrechts eine generelle Verzinsungspflicht für geschuldete Gesamtvergütungen gerade auch angesichts spezieller Regelungen zur Höhe der Vergütung sachfremd ist. Wegen des Norm-Charakters können die Gesamtverträge und Gesamtvergütungsverträge nicht als rechtsähnlich zu den genannten zivilrechtlichen Verträgen angesehen werden (diese nicht gegebene Rechtsähnlichkeit verkennt Wehebrink in NZS 2002, 529 ff.). Unbestrittener Normzweck des § 69 SGB V ist die umfassende Zuständigkeit der Sozialgerichte auf dem Gebiet des Vertragsarztrechts und der Ausschluss der Anwendung kartellrechtlicher Regelungen (vgl. dazu im Einzelnen Kraußkopf, § 69 SGB V Rdz. 2 m.w.N.). Nirgends findet sich in den Materialien ein Hinweis darauf, dass die bekannte ständige Rechtsprechung des BSG zur Problematik der Verzinsung korrigiert werden sollte.
Die von der Beklagten erhobene Widerklage ist zwar grundsätzlich statthaft gemäß § 100 SGG, weil der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch und mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln zusammenhängt. Jedoch ist die Widerklage nicht zulässig. Ein Klagerecht in sozialgerichtlichen Verfahren kann nur bei bestehendem subjektiv öffentlichen Recht des Rechtsmittelführers bestehen. Ein derartiges subjektiv öffentliches Recht zur Abwehr oder Zurückabwicklung der aus den Gesamtverträgen erwachsenen Verpflichtungen zur Zahlung der Gesamtvergütung steht der Beklagten jedoch nicht zu. Der Vortrag der Beklagten liefe darauf hinaus, dass die Beklagte nach ihrem eigenen Ermessen Vergütungsanteile für die vertragsärztliche Versorgung ihrer Versicherten zurückbehalten könnte. Dies ist jedoch unzulässig, weil dem auch die Beklagte bindenden Vertrag normative Wirkung zukommt. Insofern kann die einzelne BKK wie hier die Beklagte nur über ihren Landesverband Einfluss auf die Vertragsgestaltung nehmen, nicht aber ihrer eigenen rechtlichen Ansichten vor Gericht zur Überprüfung stellen, denn dieser Weg ist durch die vorgesehene verbindliche Gestaltung der Gesamtvergütung auf der höheren Ebene versperrt.
Die Beklagte kann auch nicht geltend machen in ihrem Selbstverwaltungsrecht und damit in der Verfolgung des ihr auch obliegenden Wirtschaftlichkeitsgebots verletzt zu sein. Die Beklagte kann sich nicht auf ihre Rechtstellung aus § 29 SGB IV berufen. Zwar sind die Träger der Sozialversicherung rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung (29 Abs. 1 SGB IV) gemäß § 29 Abs. 3 SGB IV erfüllen die Versicherungsträger im Rahmen des Gesetzes und des sonstigen für sie maßgebenen Rechts ihre Aufgaben in eigener Verantwortung. Aus dieser Vorschrift erwächst, dass die Beklagte im Rahmen der für sie geltenden maßgeblichen rechtlichen Vorschriften ihre Aufgaben in eigener Verantwortung wahrnimmt, jedoch gehört nicht zu den Aufgaben der einzelnen BKK, sondern ausschließlich in den Aufgabenbereich des Landesverbandes die Vertragsgestaltung zur verbindlichen Festlegung der Gesamtvergütung und der daraus erwachsenen Zahlungsverpflichtungen. Die Vertragsabschlusskompetenz liegt nur beim Landesverband und insofern kann die einzelne BKK nur im Rahmen dieses Landesverbandes Einfluss auf die Vertragsgestaltung und die dabei zu beachtenden Gesichtspunkte nehmen. Die Beklagte hat angesichts der §§ 83 Abs. 1, 85 Abs. 1 und 2 SGB V keinen subjektiv-öffentlichen Rechtsanspruch auf die von ihr angestrebte Gestaltung des Normvertrages (so LSG NRW – Beschluss vom 11. Juni 2003 – L 10 B 3/03 KA ER) und deshalb auch nicht das subjektive Klagerecht zur Widerklage mit demselben Rechtsschutzziel. In ihrem eigenen Recht ist die Beklagte also nicht betroffen, weil zu ihrer Rechtstellung nicht die Vertragsgestaltung bzw. die Geltendmachung von Rechten oder Zurückbehaltungsrechten abweichend von der getroffenen Gesamtvergütungsregelung gehört.
Ebenfalls gewähren die Vorschriften aus § 85 Abs. 2 SGB V oder § 72 Abs. 2 SGB V und sonstige Vorschriften des Krankenversicherungsrechtes keinerlei subjektiv öffentliche Rechte mit der Möglichkeit durch eigenes Vorgehen auf Beitragssatzstabilität bzw. auf Wirtschaftlichkeit nach den eigenen individuellen Bedürfnissen zu drängen. Insbesondere begründet die Gesamtheit der Vorschriften nicht ein subjektiv öffentliches Recht der Beklagten aus eigener Rechtstellung eine Inhaltskontrolle der Gesamtvergütungsregelungen im Rahmen der von ihr geltend gemachten Ansprüche über die Widerklage durchzusetzen. Vielmehr ist die Beklagte zur Wahrung ihrer Rechte unter Beachtung der gesetzlich geregelten Kompetenzen darauf beschränkt, ihre rechtlichen Vorschriften im Rahmen des Landesverbandes der Betriebskrankenkassen geltend zu machen und durchzusetzen. Ein eigener direkter Zugang zu den Gerichten zur Herbeiführung einer Inhaltskontrolle oder zur Bestätigung eines Zurückbehaltungsrechts – dies liefe auf eine rechtlich unzulässige Selbsthilfe hinaus – steht ihr demgegenüber nicht zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VWGO in entsprechender Anwendung, wobei die Tragung der Gerichtskosten auf § 197a Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz SGG i.V.m. dem Gerichtskostengesetz (GKG) beruht. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a i.V.m. § 13 GKG unter Beachtung der Höchstbetragsregelung in § 13 Abs. 7 GKG.
Die Sprungrevision ist gemäß § 161 Abs. 2 SGG zugelassen worden, weil die Rechtssache gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG grundsätzliche Bedeutung hat.
Erstellt am: 10.08.2006
Zuletzt verändert am: 10.08.2006