Der Bescheid vom 09.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2013 wird in Bezug auf die Regelung des Nachteilsausgleichs bei erheblicher Gehbehinderung (Merkzeichen "G") aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2013 mit dem die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 40 herabgesetzt und der Nachteilsausgleich bei erheblicher Gehbehinderung (Merkzeichen "G") entzogen wurde.
Unter dem 21.01.2008 reichte der am 11.05.1956 geborene Kläger erstmals einen Feststellungsantrag nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) bei der Beklagten ein. Die Beklagte zog daraufhin einen REHA-Entlassungsbericht der Klinik für Neurologie – Klinik XXX– vom 19.02.2008 bei und holte einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin XXX vom 21.04.2008 ein. Aufgrund von Schlaganfallfolgen und Schwindelbeschwerden mit einem Einzel-GdB von 60 sowie einem Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 10 (Versorgungsärztliche Stellungnahme vom 02.06.2008) stellte die Beklagte mit Bescheid vom 18.07.2008 den ärztlicherseits vorgeschlagenen Gesamt-GdB von 60 sowie das ebenfalls vorgeschlagene Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" fest.
Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens von Amts wegen im Jahr 2009 holte die Beklagte einen Bericht bei dem Allgemeinmediziner XXX ein und ließ den Kläger von dem Neurologen und Psychiater XXX, Chefarzt der Abteilung Neurologie im XXX, untersuchen und begutachten. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass dem Kläger wegen der Schlaganfallfolgen und Schwindelbeschwerden ein Einzel-GdB von 50 sowie das Merkzeichen "G" zustünden. Dieser Auffassung schloss sich XXX, Versorgungsmedizinischer Dienst der Beklagten, in der Stellungnahme vom 17.11.2009 an und bildete unter Fortschreibung des Einzel-GdB für den Bluthochdruck einen Gesamt-GdB von 50.
Nach einer Anhörung setzte die Beklagte mit Bescheid vom 09.02.2010 den Gesamt-GdB unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 18.07.2008 auf 50 herab. Die Regelungen des Bescheides vom 18.07.2008 zum Merkzeichen "G" blieben unerwähnt. Der Ausweis sollte aber Eintragungen zu einem GdB von 50 und das Merkzeichen "G" enthalten.
Im Rahmen eines erneuten Überprüfungsverfahrens im Dezember 2012 veranlasste die Beklagte, die Internistin und Gastroenterologin XXX, einen Bericht zu übersenden. Nach Erhalt des Berichts vom 19.04.2013 erfolgte eine erneute Untersuchung und Begutachtung im Auftrag der Beklagten, diesmal durch den Neurologen und Psychiater XXX, niedergelassen in Bochum. Der Gutachter schlug für die Schlaganfallfolgen in Form eines Hirnschadens mit geringer Leistungsbeeinträchtigung einen GdB von 40 vor. Zudem sah er die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als nicht mehr gegeben an. In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.07.2013 beurteilte Fr. XXX unter Einbeziehung des Einzel-GdB für den Bluthochdruck den Gesamt-GdB mit 40.
Aufgrund einer Anhörung des Klägers zur Herabsetzung des GdB teilte dieser mit, dass das Gutachten unter fabrikmäßigen Abläufen zustande gekommen sei, wobei sich der Gutachter aber sehr engagiert gezeigt habe. Er gehe aber davon aus, dass seit der Reha in 2008 keine Besserung mehr eingetreten sei. Es sei lediglich zu einer wachsenden Selbstsicherheit, gesteigerter Konzentration und Vermeidung von gesundheitlichen Schäden sowie einem angepasstem Lebensverhalten gekommen.
Zur weiteren Abklärung holte die Beklagte einen Befundbericht von dem behandelnden Neurologen und Psychotherapeuten XXX, niedergelassen in Bochum, ein und ließ diesen von XXX, Versorgungsärztlicher Dienst der Beklagten, auswerten. Da die Versorgungsärztliche Stellungnahme vom 15.09.2013 keine andere Auffassung enthielt, hörte die Beklagte den Kläger abermals zur Herabsetzung an.
Der Kläger teilte daraufhin abermals mit, dass sich an seinem Zustand seit Weihnachten 2007 nichts geändert habe. In der Reha habe er eine Risikovermeidung erlernt. Da er vieles optimiert habe, führe es nun zu negativen Auswirkungen im Bereich des Schwerbehindertenrechts. Dies halte er für einen Eingriff in seine Rechte.
Mit Bescheid vom 09.10.2013 setzte die Beklagte den Gesamt-GdB unter Aufhebung des Bescheides vom 09.02.2010 auf 40 herab und stellte fest, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" nicht mehr vorlägen.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, dass es zu keiner Besserung gekommen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2013 wies die Bezirksregierung Münster, als zuständige Widerspruchsbehörde, den Widerspruch zurück.
Mit der Klage, die der Kläger am 18.12.2013 eingelegt hat, verfolgt der Kläger sein Begehren aus dem Verwaltungsverfahren mit der dortigen Begründung weiter.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 09.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Begründungen der angefochtenen Entscheidungen sowie auf die Ausführungen ihrer ärztlicher Berater.
Das Gericht hat von Amts wegen Beweis erhoben durch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens von dem Neurologen und Psychiater XXX, niedergelassen in Herne. XXX ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Folgen des Schlaganfalls mit einer Gangunsicherheit, einer Beeinträchtigung der langen sensiblen Nervenbahnen, einer vermehrten Erschöpfbarkeit und Schwindelerscheinungen mit einem Einzel-GdB von 40 und unter Einbeziehung eines Einzel-GdB von 10 für einen medikamentös behandelten Bluthochdruck mit einem Gesamt-GdB von 40 einzuschätzen seien. Dabei ist der Sachverständige unter Auswertung der medizinischen Befunde der Auffassung, dass es bei dem Kläger im zeitlichen Verlauf zu einer Besserung der Befunde gekommen sei. Letztlich hat XXX auch eingeschätzt, dass bei dem Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" nicht vorliegen, da der Kläger nach eigenen Angaben dazu in der Lage sei, ca. vier Kilometer in einer Stunde zu Fuß zurück zu legen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage ist im tenorierten Umfang begründet.
Der Kläger ist im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Der angefochtene Bescheid vom 09.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2013 ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Aufhebung der Regelung in Bezug auf die Feststellungen zum Merkzeichen "G".
Dem Gericht ist es verwehrt in eine inhaltliche Prüfung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" einzusteigen, da die Regelung zu diesem Nachteilsausgleich in dem Bescheid vom 09.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2013 bereits aus Rechtsgründen aufzuheben ist. Mit dem streitigen Bescheid hat die Beklagte lediglich die Regelungen des Bescheides vom 09.02.2010 (entsprechend) aufgehoben. Mit dem Bescheid vom 09.02.2010 war dem Kläger aber das Merkzeichen "G" nicht zuerkannt worden. Das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" hatte die Beklagte aber bereits mit dem Bescheid vom 18.07.2008 zuerkannt. Diesen Bescheid hat die Beklagte mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid nicht (entsprechend) aufgehoben.
In dem Bescheid vom 09.02.2010 kann auch keine Neugewährung gesehen werden. Zum einen verhält sich der Bescheid vom 09.02.2010 weder im Verfügungssatz noch in der die Regelung möglicherweise erweiternden Begründung zu dem Merkzeichen. Zum anderen bedarf es einer solchen Neuregelung in dem späteren Bescheid auch nicht. Die Gewährung eines Merkzeichens stellt einen Dauerverwaltungsakt dar, der keiner Bestätigung in weiteren Verwaltungsakten bedarf. Solange sich an der Feststellung nichts ändert, sind keine weiteren Regelungen erforderlich. Selbst wenn das Merkzeichen in dem Bescheid vom 09.02.2010 eine Erwähnung gefunden hätte, hätte es sich dabei um einen regelungsfreien und inhaltsleeren Zweitbescheid gehandelt, der selbst die Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes gerade nicht erfüllt hätte.
Bei den Ausführungen zum Merkzeichen "G" in dem Bescheid vom 09.10.2013 kann es sich auch nicht um eine regelungsfreie Darstellung eines Regelungsreflexes dahingehend handeln, dass das Merkzeichen allein aufgrund des Umstandes entfällt, dass bei dem Kläger nach der Regelung in dem streitigen Bescheid keine Schwerbehinderung mehr vorliegt. Zum einen würde dann der Hinweis bezüglich "G" keine vollstreckbare Rechtswirkung entfalten, weil es ein reiner Reflex wäre. Und zum anderen widerspräche dies der regelmäßigen Praxis der Beklagten, die regelmäßig die Feststellung von Merkzeichen formell aufhebt.
Im Übrigen war die Klage hingegen abzuweisen, da der Kläger zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung in Form des am 05.12.2013 erlassenen Widerspruchsbescheides keinen Anspruch mehr auf einen höheren Gesamt-GdB als 40 hatte.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist die in dem bestandskräftig gewordenen Ausgangsbescheid enthaltene Feststellung des GdB mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben und durch die zutreffende Bewertung nach § 69 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) zu ersetzen, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Ausgangsbescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Nach einer Bestimmung des Gesamt-GdBs besteht eine wesentliche Änderung nur dann, wenn bei einem Vergleich des bestandskräftig festgestellten Gesamt-GdB mit einem aktuellen Gesamt-GdB eine Abweichung von mindestens 10 besteht (Gregarek in Jahn, SGB, § 48 SGB X Rdnr. 22).
Für diese nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nunmehr durchzuführende Feststellung des Vorliegens von Behinderungen und des GdB gelten folgende Maßstäbe:
Menschen gelten gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX als behindert, wenn ihre körperlichen Funktionen, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
Die Auswirkungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt, § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX. Für den GdB gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) festgelegten Maßstäbe entsprechend, § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX. Zur Bewertung der einzelnen Gesundheitsstörungen und des Gesamt-Grades der Behinderung (Gesamt-GdB) waren bis zum 31.12.2008 die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) in der jeweiligen Fassung – zuletzt die AHP 2008 – zu Grunde zu legen. Ab dem 01.01.2009 ist nunmehr die Verordnung zur Durchführung des § 1 und 3 des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des BVG und die in der Anlage enthaltenen versorgungsmedizinischen Grundsätze (VmG) – in der jeweiligen Fassung – in Kraft, welche die AHP ersetzen aber die Regelungen in wesentlichen Teilen übernehmen. Bei den AHP handelte es sich um antizipierte Sachverständigengutachten. Ihre Beachtlichkeit im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren ergab sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) daraus, dass eine dem allgemeinen Gleichheitssatz entsprechende Rechtsanwendung nur dann gewährleistet sei, wenn die verschiedenen Behinderungen nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden. Hierfür stellten die AHP ein geeignetes, auf Erfahrungswerten der Versorgungsverwaltung und Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft beruhendes Beurteilungsgefüge zur Einschätzung des GdB dar. Sie gewährten so eine gleichmäßige Beurteilung alle Behinderten (vgl. BSG; Urteil vom 18.09.2003. AZ.: B 9 SB 3/02 m. w. N.) Der ständigen Kritik der fehlenden gesetzlichen und damit demokratischen Legitimation ist nunmehr mit der neu erlassenen Verordnung und den VmG abgeholfen (vgl. zur Kritik an der Grundlage der AHP das BSG, Urteil vom 11.10.1994, AZ.: 9 RVs 1/93 m. w. N.).
Die einzelnen Beeinträchtigungen werden in einem ersten Schritt mit Funktions-GdBs nach den Beurteilungskriterien der AHP bzw. dem Teil B der VmG eingeschätzt. Dann werden diese GdB-Werte für die Funktionsbereiche nach Nr. 2 Buchstabe e des Teils A der VmG zu den sogenannten Einzel-GdBs zusammengezogen. Dabei gelten die Grundsätze für die Bildung des Gesamt-GdBs unter Nr. 3 des Teils A der VmG (siehe unten). Erst in einem dritten Schritt wird der maßgebliche Gesamt-GdB aus den Einzel-GdBs gebildet.
Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB dürfen die Einzel-GdB-Werte für die Auswirkungen der Teilhabedefizite in den einzelnen Funktionsbereichen nicht einfach addiert werden (Schell in Jahn, SGB, § 69 SGB IX Rdnr. 12). Auch andere rein rechnerische Methoden sind nicht zulässig (Masuch in Hauck/Noftz, SGB IX, Band 2, § 69 Rdnr. 30). Maßgeblich sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei ist zu beachten, inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen können ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Es ist im Rahmen einer Gesamtschau eine Berücksichtigung der wechselnden Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen vorzunehmen (als Beispiel für die ständige Rechtsprechung: BSG, Urteil vom 24.04.2008, AZ.: B 9/9a SB 6/06 R). Dabei ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB weitere 10er-Stufen hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte (BSG, Urteil vom 13.12.2000, AZ.: B 9 V 8/00 R = SozR 3-3870, § 4 Nr. 28; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 10. Auflage, § 69 Rdnr. 31). Eine Erhöhung geschieht i. d. R. auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (BSG, a. a. O.; Straßfeld in "Kriterien für die Bildung des Gesamt-GdB", Die Versorgungsverwaltung, Nr. 5/2001, S. 62). Auch bei leichteren Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (für die Beachtlichkeit von geringen Einzel-GdBen vgl. AHP 2008, Kapitel 19, S. 24 ff. bzw. Nr. 3 des Teils A der VmG sowie LSG NRW, Urteil vom 18.05.2004, AZ.: L 6 SB 130/03).
Nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme ist die Kammer unter Beachtung der oben angeführten Bewertungsmaßstäbe zu der Überzeugung gelangt, dass bei dem Kläger kein höherer Gesamt-GdB als 40 erforderlich ist, um seine Teilhabeeinschränkungen am Leben in der Gesellschaft zutreffend abzubilden.
Die Kammer schließt sich nach eigener Prüfung den überzeugenden Ausführungen des erfahrenen gerichtlichen Sachverständigen nach § 106 SGG, XXX, an. Die Darstellungen des gerichtlichen Gutachters lassen Unrichtigkeiten oder Fehlschlüsse nicht erkennen. Sie sind erkennbar auf der Grundlage der heutigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft erstattet worden und haben sich mit den erhobenen Befunden, den aktenkundigen Befunden und dem Vorbringen der Beteiligten differenziert auseinander gesetzt. Die Feststellungen decken sich mit den Einschätzungen der Mediziner, die die Beklagte im gerichtlichen Verfahren beteiligte und deren Einschätzungen im gerichtlichen Verfahren im Wege des Urkundsbeweises nach §§ 128, 118 SGG i. V. m. §§ 415 bis 444 Zivilprozessordnung (ZPO) berücksichtigt werden können.
Bei der Beurteilung der Höhe des GdB wendet die Kammer die VmG in der jeweilig geltenden Fassung an.
Die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft des Klägers ist zunächst im Funktionsbereich des Gehirns bzw. der Psyche beeinträchtigt. Diese Einschränkung ist zu dem streitigen Zeitpunkt nach Nr. 3.1. des Teils B der VmG mit einem Einzel-GdB von 40 einzuschätzen. Nach den Darstellungen in dem Gutachten von XXX sowie dem Aktenmaterial erlitt der Kläger im Jahr 2007 einen Schlaganfall im Bereich der hinteren Hirnregion mit Gangunsicherheit und initial bestehender Gesichtsfeldstörung. Der letzten bestandskräftigen Feststellung des GdB im Jahr 2010 lag das Gutachten aus 2009 von XXX, Chefarzt der Neurologischen Fachabteilung des XXX, zu Grunde. Der Gutachter beschrieb, eine Besserung der Schlaganfallfolgen bei damals noch bestehender linksseitiger Koordinationsstörung (Ataxie) und deutlicher Gangunsicherheit bei schnellem Laufen. Nachvollziehbar schätzte die Beklagte den damaligen Zustand nach Nr. 3.1. des Teils B der VmG unter Einbeziehung von Schwindelbeschwerden mit einem GdB von 50 ein.
Im Jahr 2013 stellte der dann zur Überprüfung beauftragte Gutachter der Beklagten fest, dass nur noch eine leichte Unsicherheit bei den erschwerten Gang- und Standversuchen bestand.
Auch XXX konnte bei der eigenen Untersuchung nur noch eine geringgradige Gang- und Standunsicherheit feststellen. Das spontane Gangbild war sicher und flüssig, das Gangtempo war normal. Auch der Zehengang und der Fersengang konnten sicher demonstriert werden. Nur beim Seiltänzergang und Einbeinstand fiel eine leichte Unsicherheit auf. Bei den Nervenmessungen konnten Beeinträchtigungen der langen sensiblen Nervenbahnen objektiviert werden, die durch den Schlaganfall zu erklären sind. Nachvollziehbar ist auch die vom Kläger geäußerte allgemein verminderte körperliche und psychische Belastbarkeit mit vermehrter Erschöpfbarkeit bei erhaltener Tagesstruktur und nur wenig beeinträchtigten Alltagsaktivitäten.
Es bestand zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides eine unspezifische, hirnorganisch bedingte leichte psychophysiologische Erschöpfbarkeit vor, die mit einem Funktions-GdB vom 30 zu berücksichtigen war.
Daneben bestehen Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, die nach Auffassung der Kammer integrativ bei den Folgen des Schlaganfalls entsprechend der Nr. 5.3 des Teils B der VmG mitberücksichtigt werden müssen und schon zum streitigen Zeitpunkt zu einer Erhöhung des Funktions-GdBs für den Bereich Kopf und Psyche zu dem Einzel-GdB von 40 führten. Zutreffend begründet der Sachverständige dies mit der Vergleichbarkeit eines Hirnschadens mit einer Tendenz zu mittelgradigen psychischen Störungen, der mit einem GdB von 50 bis 60 zu bewerten ist. Da das Vollbild der Störung nicht erreicht ist, kommt aber ein GdB von 50 für diesen Bereich nicht mehr in Betracht.
Auch das Vorbringen des Klägers, dass sich an dem Hirnschaden seit der Reha-Maßnahme in 2008 nicht mehr verändert habe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es mag sein, dass die Hirnveränderung seit 2008 keine Veränderung erfahren hat. Bei der Einschätzung des GdB kommt es aber auf eine Funktionsbeeinträchtigungen an, die noch aus der Hirnverletzung ständig resultieren. Behindert ist nicht, wer von einem bestimmten Idealbild abweicht. Eine Behinderung stellt vielmehr eine Einschränkung der Teilhabe dar. Es ist zu betrachten, inwiefern Betroffene eine volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft aller Menschen unter Gewährleistung eines würdevollen Lebens haben, ohne dass hierbei eine langfristige gesundheitliche Beeinträchtigung einen Unterschied machen darf (UN-Konvention – RMBeh – BGBl II 2008 Nr. 35, 1419 und BGBl II, Nr. 25, S. 812). Da der Kläger im zeitlichen Verlauf gelernt hat, besser mit seinen Defiziten umzugehen, ist seine Teilhabe weniger beeinträchtigt, auch wenn sich – rein organisch – keine Änderung eingestellt hat. Dabei stellt die Absenkung des GdB keine Strafe für eine gelungene Therapie oder erarbeitete Adaption an die körperlichen Einschränkungen dar, sondern eine rechtliche Folge (Reflex) der verringerten Teilhabebeeinträchtigung.
Neben dem Hirnschaden leidet der Kläger an Beschwerden im Bereich des Herzkreislaufsystems (Bluthochdruck), die aber lediglich mit Einzel-GdB-Werten von 10 zu bewerten sind.
Insgesamt besteht damit ein Gesamt-GdB von 40. Auszugehen ist von dem Leiden im Bereich des Kopfes bzw. der Psyche mit einem Einzel-GdB von 40. Dieser Wert erhöht sich nicht weiter durch den anderen Einzel-GdB von 10, denn die 10er-Werte erhöhen regelmäßig nicht.
Auch in der Gesamtschau überzeugt der Gesamt-GdB von 40 zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides. Die funktionellen Auswirkungen sind nicht so bedeutsam, dass der Kläger insgesamt mit Personen vergleichbar wäre, bei denen nach den VmG regelmäßig mit einem GdB von 50 anzuerkennen ist. Es besteht keine Vergleichbarkeit mit dem Verlust einer Hand im Unterarm oder einer vollständigen Stuhlinkontinenz.
Der Umstand, dass der Kläger durch das Absenken des GdB ggf. seine Einstufung als Person mit besonderen Bedürfnissen im Bereich der Arbeitsverwaltung etc. verliert, kann nicht zu einer Beibehaltung des höheren GdB führen. Der Sachverhalt, dass Ämter und Behörden im Organisationsablauf oder auch der Gesetzgeber bei der Gewährung von Leistungen (z.B. vorgezogene Altersrente für Schwerbehinderte) allgemein – und damit pauschalierend – an die Feststellung der Schwerbehinderung anknüpfen, ist im Schwerbehindertenrecht unbeachtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten, da das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen nach Auffassung der Kammer gleichwertig ist.
Die Kammer geht bei der Einschätzung des Verhältnisses von Obsiegen und Unterliegen zur Gewährleistung einer Gleichbehandlung aller Kläger im Schwerbehindertenrecht von einem Punktesystem aus. Pro 10er-Wert beim GdB fällt nach Auffassung der Kammer ein Punkt im Rahmen der Kostenverteilung an. Für den Sprung von 40 auf 50 fallen wegen der Bedeutung der Schwerbehinderung zwei Punkte an. Zudem wird jedes Merkzeichen ebenfalls mit 2 Punkten berücksichtigt. Die Beklagte hatte mit dem streitigen Bescheid den GdB von 50 auf 40 abgesenkt und das Merkzeichen "G" entzogen. Mit dem Anfechtungsbegehren, welches einen Umfang von vier Punkten hatte, ist der Kläger lediglich in Bezug auf das Merkzeichen, also mit 2 Punkten, durchgedrungen.
Erstellt am: 20.07.2015
Zuletzt verändert am: 20.07.2015