Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 08.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 dazu verurteilt, über den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Zuschusses für eine Türschwellenrampe zur Terrasse bzw. für den Einbau einer schwellenlosen Terrassentür unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Beklagte hat die der Klägerin entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Gewährung eines Zuschusses für eine Türschwellenrampe zur Terrasse bzw. für den Einbau einer schwellenlosen Terrassentür.
Die im Jahre 1961 geborene Klägerin leidet an Multipler Sklerose mit sekundär chronischem Verlauf und beinbetonter Tetraparese. Sie bezieht von der Beklagten ein Pflegegeld der Pflegestufe I und wird von ihrem Ehemann pflegerisch betreut.
Die Klägerin bewohnt gemeinsam mit ihrem Ehemann eine Doppelhaushälfte, die sich über zwei Etagen erstreckt. Die Fortbewegung innerhalb der Wohnung erfolgt selbstständig mit dem Rollator. Im Jahr 2011 wurde durch die Beklagte ein Badumbau als wohnumfeldverbessernde Maßnahme in Höhe des Höchstbetrages bezuschusst.
Im Juli 2014 beantragte die Klägerin die Gewährung eines Zuschusses für eine Türschwellenrampe zur Terrasse bzw. für den Austausch der vorhandenen Terrassentür gegen eine barrierefreie Türanlage. Unter Vorlage einer Stellungnahme einer Wohnberaterin der Ökomenischen Zentrale vom 30.07.2014 machte sie geltend, dass sie sich innerhalb ihres Hauses ausschließlich nur mit dem Rollator fortbewegen könne und beim Überqueren der geöffneten Terrassentür immer Unterstützung benötige, weil sie die vorhandene Schwelle mit der ihr noch verbliebenen Muskelkraft nicht mehr alleine bewältigen könne. Mit dem Einbau einer schwellenlosen Terrassentür sei es möglich, ihre Selbstständigkeit zu fördern und zu erhalten.
Mit ihrem Antrag legte die Klägerin einen Kostenvoranschlag über 2.590,15 Euro für den Austausch der vorhandenen Terrassentür gegen eine barrierefreie Türanlage sowie Fotos der bestehenden Terrassentür vor.
In einer auf Veranlassung der Beklagten erstatteten Stellungnahme nach Aktenlage gelangte der Medizinische Dienst (MDK) zu der Einschätzung, dass sich der gesundheitliche Zustand der Klägerin seit der Badezimmerumgestaltung als Wohnumfeldverbesserung im Jahre 2011 zwischenzeitlich offensichtlich weiter verschlechtert habe. Es sei nachvollziehbar, dass das Überwinden der Terrassentürschwelle deutlich beeinträchtigt sei. Durch die beantragte Maßnahme würden Verrichtungen der Grundpflege primär nicht tangiert; das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zur Erschließung des persönlichen Freiraumes werde aber hierdurch erleichtert.
Durch Bescheid vom 08.09.2014 lehnte die Beklagte sodann den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass durch den Einbau einer schwellenlosen Terrassentür bzw. einer anlegbaren Rampe zur Überwindung der Terrassentürschwelle die Verrichtungen im Zusammenhang mit der Grundpflege primär nicht tangiert würden. Es werde hierdurch lediglich der persönliche Freiraum beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung erhöht, welches jedoch keine Leistung aus der Pflegeversicherung begründe. Eine medizinische Notwendigkeit der beantragten Leistung sei somit nicht gegeben.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass die Terrassentür nach einem Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 12.03.2010 (Az.: S 39 KN 98/08 P) zum individuellen Wohnumfeld gehöre. Es sei ihr aus psychischen Gründen sehr wichtig, sich um ihre Terrassenpflanzen zu kümmern, Wäsche aufzuhängen und den Kontakt zu ihren Nachbarn zu halten.
Durch Widerspruchsbescheid vom 29.01.2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes zwar nicht allein auf die Ermöglichung oder Erleichterung von verrichtungsbezogenen Hilfeleistungen beschränkt seien. Vielmehr sei auch die Möglichkeit des Verlassens der Wohnung zum Zwecke der Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse zuschussfähig. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts könne dabei aber nur ein üblicher und durchschnittlicher Wohn- und Lebensstandard maßgeblich sein. Die Nutzung einer Terrasse oder eines Gartens, welche im Eigentum oder im Besitz des Pflegebedürftigen stehe, übersteige den durchschnittlichen Wohnkomfort, da die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung auch heute nicht über Terrassen und Gärten verfüge.
Mit der hiergegen am 27.02.2015 erhobenen Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor:
Durch einen barrierefreien Zugang zur Terrasse werde ihr eine selbstständigere Lebensführung ermöglicht, da sie die Terrasse dann ohne fremde Hilfe mit ihrem Rollator erreichen könne. Sie nutze die Terrasse zur Anzucht von Kräutern sowie auch zum Aufhängen von Wäsche und – soweit es die Witterungslage zulasse – auch für ihre regelmäßige Gymnastik. Des Weiteren ermögliche ihr der Aufenthalt auf der Terrasse auch eine Kommunikation mit den Nachbarn. Auf Grund ihrer Behinderung könne sie die Nachbarn nicht in ihren Häusern besuchen. Ein Aufenthalt auf der Terrasse biete ihr die Möglichkeit, sich mit ihnen zu unterhalten.
Zur weiteren Begründung ihrer Klage nimmt die Klägerin ausdrücklich auf die Entscheidung des Sozialgerichts Dortmund vom 12.03.2011, Az.: S 39 KN 98/08 P, Bezug.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 zu verurteilen, über den Antrag auf Gewährung eines Zuschusses für eine Türschwellenrampe zur Terrasse bzw. für den Einbau einer schwellenlosen Terrassentür unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 08.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil dieser rechtswidrig ist. Die Beklagte hat unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Zuschusses für eine Türschwellenrampe zur Terrasse bzw. für den Einbau einer schwellenlosen Terrassentür zu entscheiden.
Gemäß § 40 Abs. 4 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) können die Pflegekassen subsidiär finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen gewähren, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt, wenn dadurch im Einzelfall die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbstständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt wird.
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die vorgenannten gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen vor.
Durch die Schaffung eines schwellenlosen Zugangs zur Terrasse (durch eine Türschwellenrampe oder durch Einbau einer schwellenlosen Terrassentür) wird eine selbstständigere Lebensführung der Klägerin gewährleistet, da sie durch eine solche Maßnahme unabhängiger von ihrer Pflegeperson wird. Die Klägerin würde in die Lage versetzt, auch ohne fremde Hilfe, d. h. auch bei Abwesenheit ihres Ehemannes, mit ihrem Rollator die Terrasse zur erreichen.
Das Ziel, die selbstständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wieder herzustellen bzw. zu erhalten, setzt nicht in jedem Fall voraus, dass die Maßnahme eine Verrichtung im Sinne des § 14 Abs. 4 SGB XI betrifft (vgl. BSG, Urteil vom 03.11.1999, Az.: B 3 P 3/99 R sowie Urteil vom 26.04.2011, Az.: B 3 P 15/00 R). Grundsätzlich können auch Hilfen außerhalb des Haushalts Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes darstellen, sofern sie der Befriedigung elementarer Bedürfnisse dienen. Dazu gehört z. B. das Bedürfnis, die Wohnung verlassen zu können, um "an die frische Luft" zu kommen oder Einkäufe zu tätigen (vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008, Az.: B 3 P 12/07 R). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dient eine Maßnahme jedoch nicht den elementaren Belangen der Lebensführung, wenn das verfolgte Bedürfnis über die üblichen und durchschnittlichen Anforderungen des Wohnstandards und Wohnkomforts hinausgeht; so etwa, wenn mit der Maßnahme eine barrierefreie Nutzung des häuslichen Gartens angestrebt wird (BSG, Urteil vom 17.07.2008, Az.: B 3 P 12/07 R). Hierzu hat das Bundessozialgericht ausgeführt, dass eine Einbeziehung auch des Gartens in den räumlichen Bereich des individuellen Wohnumfeldes im Sinne der Erweiterung von Wohnmöglichkeiten nur in Betracht zu ziehen sei, wenn den Pflegeversicherten die Nutzung eines eigenen Gartens überwiegend offen stehe und dies deshalb zum durchschnittlichen Wohnstandard gezählt werden könne. Letzteres ist durch das Bundessozialgericht unter Hinweis auf statistische Erhebungen, wonach durchschnittlich weniger als ein Drittel der Bevölkerung in einem Einfamilienhaus lebt, verneint worden.
Nach Auffassung der Kammer stehen die vorbezeichneten statistischen Erhebungen einer Bezuschussung der hier streitigen Maßnahme nicht entgegen. In Übereinstimmung mit der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Sozialgerichts Dortmund vom 12.03.2010, Az.: S 39 KN 98/08 P, geht auch die Kammer vor eigenem Erfahrungshintergrund davon aus, dass eine Vielzahl von Mietwohnungen oder Eigentumswohnungen in Mehrfamilienhäusern einen eigenen Zugang entweder zu einem Balkon oder – bei Ebenerdigkeit der Wohnung – zu einer Terrasse haben. Es ist der Kammer ebenfalls bekannt, dass im Falle von Sanierungen bzw. Modernisierungen ganzer Wohnviertel die darin befindlichen Wohnungen allesamt mit Balkonen bzw. Terrassen zur Herstellung eines nach Auffassung der Kammer heute üblichen Wohnkomforts ausgestattet werden. Nach allem dient das von der Klägerin verfolgte Bedürfnis, die Terrasse barrierefrei zur Anzucht von Kräutern, zum Aufhängen von Wäsche, zur regelmäßigen Gymnastik (abhängig von der Witterungslage) und zur Kommunikation mit den Nachbarn aufsuchen zu können, der Gewährleistung eines üblichen Wohnkomforts und nicht der Erlangung eines über dem Standard liegenden "höheren" Wohnkomforts.
Da die Leistungsvoraussetzungen für eine Bezuschussung der von der Klägerin beantragten Maßnahme vorliegen, wird die Beklagte im Rahmen des von ihr auszuübenden Ermessens noch zu prüfen haben, welche der in Rede stehenden Maßnahmen (Anlegung einer Türschwellenrampe oder Einbau einer schwellenlosen Terrassentür) unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch Gewährung eines Zuschusses zu fördern ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Erstellt am: 19.01.2016
Zuletzt verändert am: 19.01.2016