Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17.01.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2014 verurteilt, der Klägerin ab 26.11.2013 Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagten trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente.
Die im Jahre 1973 geborene Klägerin ist von Beruf Köchin. Sie verdient 1500,- Euro netto monatlich und erhält ca. 300,- Euro monatlich Kindesunterhalt. Sie lebte seit November 2010 mit dem Versicherten W zusammen, mit dem sie seit Mitte 2009 eine feste Beziehung hatte. Herr W war ebenfalls Koch, war nach gescheiterter Selbständigkeit seit November 2011 arbeitslos und bezog seit April 2013 Rente wegen voller Erwerbsminderung i.H.v. 1134,30 Euro. Herr W wurde im Januar 2012 geschieden, die Klägerin bereits im Oktober 2010. Beide hatten bzw. haben eine Tochter aus erster Ehe, wobei die im Jahre 1999 geborene Tochter der Klägerin durchgehend bei ihr lebt.
Im März 2013 wurde bei dem Versicherten der dringende Verdacht auf ein Pankreaskopfkarzinom diagnostiziert. Es folgten mehrere stationäre Behandlungen, eine Operation am 03.06.2013 und eine Chemotherapie bis zum 20.09.2013.
Am 24.09.2013 heirateten die Klägerin und der Versicherte. Bei einer erneuten stationären Behandlung des Versicherten ab dem 29.09.2013 wurden deutlich zunehmende Lebermetastasen und eine Größenzunahme des Pankreaskarzinoms festgestellt. Am 26.11.2013 verstarb der Versicherte im Krankenhaus.
Am 10.12.2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente. Die beratende Ärztin der Beklagten Dr. L teilte am 13.01.2014 nach Auswertung der Behandlungsberichte mit, zum Zeitpunkt der Eheschließung sei wegen des fortgeschrittenen Krebsleidens ein Überleben des Versicherten für mehr als ein Jahr nicht überwiegend wahrscheinlich gewesen.
Mit Bescheid vom 17.01.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2014 lehnte die Beklagte die Gewährung von Witwenrente ab. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe sei nicht widerlegt.
Zur Begründung der am 16.07.2014 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, wesentliches Motiv der Eheschließung im September 2013 sei es gewesen, dass die Klägerin so ihren Partner besser gesundheitlich versorgen und kurzfristig seine häusliche Pflege sicherstellen konnte. Die ohnehin beabsichtigte Eheschließung sei von ihnen übereinstimmend aus diesem Grunde vorgezogen worden. Es seien dann Pflegehilfsmittel angeschafft worden und es sei ein ambulanter Pflegedienst beauftragt worden. Die Eheleute hätten nach Abschluss der Chemotherapie Hoffnung geschöpft. Weder sie noch die behandelnden Ärzte hätten das kurzfristige Ableben des Versicherten vorausgesehen. Eigentlich habe man schon früher heiraten wollen. Es hätten jedoch zunächst die Scheidungen abgewartet werden müssen. Zudem habe man aus Rücksichtnahme auf die Tochter der Klägerin noch etwas Zeit verstreichen lassen wollen. Die Tochter sei durch den frühen Tod ihrer Schwester psychisch belastet gewesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.01.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2014 zu verurteilen, der Klägerin ab 26.11.2013 Witwenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide weiterhin für rechtmäßig. Sie hält es für unwahrscheinlich, dass die Eheschließung nach der Scheidung des Verstobenen im Jahre 2012 aus Rücksicht auf die Tochter der Klägerin aufgeschoben wurde, weil die neue Familie bereits seit 2010 zusammenlebte. Da bei der Heirat im September 2013 auf Grund des Krankheitsbildes von einer Lebenserwartung von unter einem Jahr auszugehen gewesen sei, reiche die Begründung einer Eheschließung zur Sicherung der erforderlichen Betreuung des Ehemannes nicht aus.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die angefochtenen Bescheide erweisen sich als rechtswidrig, weil die Klägerin Anspruch auf Gewährung von großer Witwenrente hat.
Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente, wenn sie ein eigenes Kind, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen. Der Versicherte W hatte die allgemeine Wartezeit erfüllt. Die Klägerin hat nicht erneut geheiratet und erzieht ihre im Jahre 1999 geborene Tochter.
Der Rentenanspruch scheitert auch nicht daran, dass die Klägerin eine sog. Versorgungsehe eingegangen wäre.
Nach § 46 Abs. 2a SGB VI haben Witwen keinen Anspruch auf Witwenrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Nach den Umständen des vorliegenden Falles ist die Kammer davon überzeugt, dass die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe bei vorzeitigem Ableben des Versicherten widerlegt ist.
Neben dem bei lebensnaher Betrachtung mit verfolgten Zweck der Begründung eines Witwenrentenanspruchs im Falle des Todes des an einer lebensbedrohlichen Krebserkrankung leidenden Versicherten verfolgten die Klägerin und ihr Ehemann mit der Heirat im September 2013 zumindest gleichwertig den Zweck, die gesundheitliche Versorgung und Pflege des Versicherten in häuslicher Umgebung zu gewährleisten. Die Klägerin hat hierzu glaubhaft bekundet, vorrangiger Wunsch ihres Ehemannes sei es gewesen, zu Hause von ihr betreut zu werden. Sie hat die Umsetzung dieses Wunsches durch Vorlage mehrerer Lieferscheine und Rechnungen für Hilfsmittel und die Beauftragung eines ambulanten Pflegedienstes nachgewiesen. Als Ehefrau konnte die Klägerin für ihren Mann im Gesundheitssystem verbindlicher auftreten und Auskünfte erhalten.
Es erscheint der Kammer auch als plausibel, dass das Paar nach Abschluss der Chemotherapie im September 2013 nicht mit einem kurzfristigen Ableben des Versicherten rechnete, sondern seine privaten Angelegenheiten einschließlich der Eheschließung auf eine häusliche Pflegesituation einrichtete. Darauf, dass sich diese Erwartung innerhalb der Jahresfrist nach der Heirat bei rückschauender Betrachtung nicht erfüllte, kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Entscheidend ist vielmehr die Situation im Zeitpunkt der Eheschließung.
Die wirtschaftliche Situation des Paares vor der Eheschließung begründet keine in den Vordergrund tretende Versorgungsvermutung. Die Klägerin verfügte zum Zeitpunkt der Eheschließung über ein höheres Einkommen als der Versicherte.
Schließlich geht die Kammer davon aus, dass nach dem Geschehensablauf die Heirat auch ohne die Krebserkrankung in absehbarer Zeit erfolgt wäre. Zunächst waren die Scheidungen abzuwarten. Es erscheint auch als nachvollziehbar, dass die Klägerin aus Rücksicht auf ihre Tochter den Heiratswunsch etwas zurückstellte. Der Zeitablauf bis zur Eheschließung konnte der jugendlichen Tochter das Hineinwachsen in die neue Familiensituation durchaus erleichtern und Verlustängste abmildern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Erstellt am: 27.10.2016
Zuletzt verändert am: 27.10.2016