Der Bescheid des Beklagten vom 25.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2011 wird insoweit aufgehoben, wie in diesem eine den Betrag von EUR 1173,77 übersteigende Kostenbeteiligung des Klägers festgesetzt wird. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe einer Beteiligung des Klägers an den Kosten für eine Heimunterbringung. Der am 08.09.1954 geborene Kläger leidet an einer geistigen Behinderung und ist stark sehbehindert. Seit 2007 ist er in den Wohnstätten X untergebracht. Der Beklagte trägt die Kosten für die Heimunterbringung in Gestalt von Hilfen für den Lebensunterhalt und Hilfen für fachliche Förderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Höhe von monatlich etwa EUR 3000,-. Wegen seiner Sehbehinderung erhält der Kläger vom Beklagten Blindengeld gemäß dem Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG). Dessen Höhe belief sich ab dem Zeitpunkt der Heimunterbringung im Jahr 2007 auf monatlich EUR 294,08 und stieg bis zum Jahr 2010 auf EUR 304,48 an. Darüberhinaus erhielt der Kläger in den Jahren ab 2007 Arbeitslohn für die Tätigkeit in einer Werkstatt und eine Rente wegen Erwerbsminderung. Letztere zahlte die Rentenversicherung Westfalen im Rahmen eines Erstattungsanspruchchs jedenfalls teilweise direkt an den Beklagten. In den Jahren ab 2007 erließ der Beklagte gegenüber dem Kläger regelmäßig Bescheide über Kostenbeteiligungen an den ihm gewährten Hilfen gemäß § 92 SGB XII. Der Beklagte wertete das dem Kläger gewährte Blindengeld als zweckgebundenes Einkommen und berücksichtigte es im Rahmen der Anrechnung nicht.
Der Beklagte zahlte das dem Kläger gewährte Blindengeld in den Jahren von 2007 bis 2010 auf das Konto XXXXXXXXX bei der Sparkasse X, auf dem auch der Lohn des Klägers aus der Tätigkeit in der Werkstatt und der Teil der Rentenzahlungen eingingen, die nicht vom Erstattungsanspruch umfasst waren.
In den Jahren ab 2007 stand der Kläger unter Betreuung. Im Rahmen des Betreuungsverfahrens (zunächst AG Werl, Az. 2 XVII B 409, dann AG Warstein, Az. 2 XVII 168/12) prüfte das Betreuungsgericht die Beteiligung des Klägers an den Kosten der Betreuung unter Berücksichtigung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Der Kläger trug in diesem Zusammenhang vor, dass sein Vermögen jedenfalls teilweise aus Blindengeld angespart sei und dass dieses insoweit unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts vom 11. Dezember 2007 – B 8/9b SO 20/06 R keine Berücksichtigung finden könne. Er überreichte in diesem Zusammenhang Kontoauszüge für das Konto XXXXXXXXX bei der Sparkasse X für die Jahre 2007 bis 2010. Diese spiegelten neben den monatlichen Zahlungseingängen eine Zahlung in Höhe von EUR 8500,- wider, den der Kläger und seine Eltern in einem zivilgerichtlichen Verfahren geschlossen hatten. Hintergrund dieses Verfahrens war, dass die Eltern des Klägers über Jahre hinweg diesem gewährte Zahlungen vereinnahmt hatten. Wegen des weiteren Inhalts der Kontoauszüge wird auf die diesbezüglichen Ausführungen in den Entscheidungsgründen verwiesen. Das Amtsgericht ließ in der Folge bei der Berücksichtigung der vom Kläger zu entrichtenden Vergütung 40 Prozent des klägerischen Vermögens unberücksichtigt und gründete dies auf den Umstand, dass der Anteil des Blindengeldes an den Einkünften des Klägers vor dem Jahr 2007 etwa 40 Prozent ausgemacht hatte. Auf Anraten des Betreuungsgerichts wird das Blindengeld des Klägers seit dem Jahr 2010 auf ein separates Konto gezahlt.
Aufgrund des Ablebens des Vaters des Klägers im Jahr 2010 nahm der Beklagte eine erneute Vermögensprüfung vor. Auf den Konten des Klägers befand sich zu diesem Zeitpunkt ein Betrag von EUR 8103,21. Mit Bescheid vom 25.10.2010 setzte der Beklagte eine Kostenbeteiligung gegen den Kläger fest. Von dem Vermögen in Höhe von EUR 8103,21 seien die Betreuervergütung in Höhe von EUR 990,-, das Einkommen für den laufenden Monaten in Höhe von EUR 98,16 und der Freibetrag in Höhe von EUR 2600,- abzuziehen. Mithin verbleibe eine Kostenbeteiligung in Höhe von EUR 4414,05.
Hiergegen erhob der Kläger am 28.10.2010 Widerspruch. Sein Vermögen sei in Höhe von 40 Prozent aus Blindengeld angespart. Dies ergebe sich aus den Ermittlungen des Betreuungsgerichts. Gemäß den Ausführungen im Urteil des Bundessozialgerichts B 8/9 b SO 20/06 R stelle dessen Anrechnung eine besondere Härte dar. Sein Vermögen sei mithin nur in Höhe von EUR 1173,77 zu berücksichtigen.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2011 zurück. Die Argumentation des Bundessozialgerichts sei nicht auf die Fälle anwendbar, in denen der Leistungsempfänger und Blindengeldberechtigte in einem Heim lebe. Entsprechende Bedarfe wie bei einem Leben im eigenen Haushalt und die Notwendigkeit von Ansparungen bestünden in diesem Fall nicht.
Am 17.11.2011 hat der Kläger Klage erhoben. Diese ist zunächst versehentlich in der 3.Kammer des Sozialgerichts Dortmund unter dem Aktenzeichen S 3 VE 101/11 geführt und am 29.02.2016 an die erkennende Kammer abgegeben worden.
Der Kläger trägt vor, dass die Auffassung des Bundessozialgerichts, dass die Berücksichtigung von aus Blindengeld angespartem Vermögen eine besondere Härte im Sinne von § 90 Abs.3 SGB XII darstelle, auch in seinem Fall Anwendung finden müsse. Das Bundessozialgericht habe seine Rechtsauffassung ausdrücklich nicht auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß den §§ 19 Abs.1, 27 SGB XII beschränkt. Vielmehr habe das Bundessozialgericht seine Argumentation unter Bezugnahme auf den Charakter des Blindengeldes und auf dessen Sinn und Zweck geführt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 25.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2011insoweit aufzuheben, wie hier eine den Betrag von EUR 1173,77 übersteigende Kostenbeteiligung festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte nimmt auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten, die beigezogenen Betreuungsakten sowie auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 25.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.10.2011 war rechtswidrig und hat den Kläger in seinen Rechten verletzt, soweit der Beklagte hierin eine den Betrag von EUR 1173,77 übersteigende Kostenbeteiligung festgesetzt hat.
Das Vermögen des Klägers war in Höhe von EUR 3249,20 anrechnungsfrei zu lassen, weil die Anrechnung insoweit eine besondere Härte gemäß § 90 Abs.3 SGB XII darstellte.
Die Kammer ging in diesem Zusammenhang zunächst davon aus, dass die Berücksichtigung von aus Blindengeld angespartem Vermögen auch in den Fällen, in denen der Träger von Leistungen nach dem SGB XII Leistungen für eine Heimunterbringung gewährt, eine besondere Härte darstellt.
Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 11. 12.2007, Az. B 8/9b SO 20/06 R, zum Rechtscharakter des Blindengeldes ausgeführt:
"Hinzu kommt aber, dass das Landesblindengeld unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen gezahlt wird. Dieser Umstand und die Tatsache, dass es pauschal ohne Rücksicht auf einen im einzelnen Fall nachzuweisenden Bedarf gezahlt wird, lassen nämlich den Schluss zu, dass der Gesetzgeber mit dem Blindengeld nicht allein einen wirklichen oder erfahrungsgemäß vorhandenen wirtschaftlichen Bedarf (typisierend) steuern, sondern mit dem Blindengeld auch Mittel zur Befriedigung laufender und immaterieller Bedürfnisse des Blinden ermöglichen wollte. Hierdurch wird dem Blinden die Gelegenheit eröffnet, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen ( BSG SozR 3-5922 § 1 Nr 1 S 4; BVerwGE 32, 89, 91 f – zur Blindenhilfe). Dabei bleibt es dem Blinden überlassen, welchen blindheitsbedingten Bedarf er mit dem Blindengeld befriedigen will. Art und Umfang des Bedarfs hängen auch von seinen persönlichen Wünschen ab. Ob der Blinde das Blindengeld tatsächlich bestimmungsgemäß verwendet, ist dabei nicht zu prüfen" (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 – B 8/9b SO 20/06 R –, SozR 4-3500 § 90 Nr 1, Rn. 18).
Weiter heißt es:
"Angesichts der Tatsache, dass Art und Umfang des Bedarfs auch von den persönlichen Wünschen des Blinden abhängen, liegt es auf der Hand, dass eine zweckentsprechende Verwendung auch dann gegeben ist, wenn der Blinde eine Anschaffung in höherem Wert tätigt, die nicht durch das laufende Blindengeld, sondern nur durch ein Ansparen ermöglicht werden kann. Wenn sich weder der blindenspezifische Mehraufwand verbindlich und abschließend umschreiben lässt, ein solcher Mehraufwand sogar gänzlich fehlen kann, ohne dass die Anspruchsvoraussetzungen hierfür entfallen ( BSG SozR 4-5921 Art 1 Nr 1 S 3 ), noch ein Nachweis über die bestimmungsgemäße Verwendung gefordert werden kann, so kann von dem Blinden auch nicht verlangt werden, dass aus dem angesparten Blindengeld zu tätigende größere Anschaffungen bereits konkret in die Wege geleitet worden sind, wie das LSG andeutet. Das angesparte Blindengeld wird also, wenn es nicht verbraucht wird, nicht zweckneutral, sondern dient auch weiterhin dem blindheitsbedingten Mehrbedarf, dessen Art und Umfang von den persönlichen Wünschen des Betroffenen abhängen, ohne dass geprüft werden dürfte, ob es tatsächlich bestimmungsgemäß verwendet wird." (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 – B 8/9b SO 20/06 R –, SozR 4-3500 § 90 Nr 1, Rn. 19).
Hieraus ergibt sich für den vorliegenden Fall Folgendes:
1.)
Abweichend von Leistungen nach dem SGB XII wird Blindengeld unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen gezahlt. Für seine Gewährung dem Grunde nach bleiben bedarfsbezogene Gesichtspunkte völlig außer Betracht. Dies belegt aus Sicht der Kammer, dass mit der Gewährung des Blindengeldes nicht zwingend ein tatsächlicher Bedarf abgedeckt, sondern gegebenenfalls auch über die Bedarfsdeckung hinaus ein zusätzlicher Betrag zur Verfügung gestellt werden soll.
2.)
Darüberhinaus wird dem in einer Einrichtung lebenden Blinden gemäß § 2 Abs.2 Satz 1 GHBG bereits ein deutlich reduziertes Blindengeld gezahlt. Befinden sich Blinde in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung und werden die Kosten des Aufenthalts ganz oder teilweise aus Mitteln öffentlich-rechtlicher Leistungsträger getragen, verringert sich hiernach das Blindengeld nach Absatz 1 um die aus diesen Mitteln getragenen Kosten, höchstens jedoch um 50 vom Hundert der Beträge nach Absatz 1. Warum ein vom Beklagten angenommener niedrigerer Bedarf bei Heimbewohnern über die Leistungsseite hinaus im Rahmen des SGB XII zusätzlich noch auf der Anrechnungsseite berücksichtigt werden sollte, ist nicht ersichtlich.
3.)
Weiter soll nach den Ausführungen des Bundessozialgerichts der Blinde auch in die Lage versetzt werden, seine persönlichen, nicht zwangsläufig "blindheitsbezogenen", Wünsche erfüllen zu können. Dies sei auch der Fall, wenn größere Anschaffungen erst durch längeres Ansparen erreicht werden könnten. Auch hier ist nicht erkennbar, warum im Falle eines in einer Betreuungseinrichtung lebenden Blinden eine abweichende Situation gegeben sein soll. Auch dieser kann den Wunsch nach größeren Anschaffungen hegen, die erst durch längere Ansparphasen verwirklicht werden können. Bei Verwirklichung der Rechtsauffassung des Beklagten würde der in einer Einrichtung lebende Blinde auf den Verbrauch des Blindengeldes im Monat der Zahlung verwiesen und würde damit- im Gegensatz zu dem außerhalb einer Einrichtung lebenden Blinden – auf eine bestimmte Verwendung des Blindengeldes und seinen unmittelbaren Verbrauch festgelegt.
Dies liefe den Ausführungen des BSG zuwider, dass das Blindengeld keiner besonderen Zweckbindung unterliegt und dem Blinden die Verwendung des Blindengeldes für seine persönlichen Wünsche möglich sein müsse.
Weiter ging die Kammer davon aus, dass das Vermögen des Klägers im Jahr 2010 jedenfalls in Höhe von 40 Prozent aus dem ihm zugeflossenen Blindengeld stammte. Eine genaue Abgrenzung war nicht möglich, da bis zum Jahr 2010 sämtliche Einkünfte des Klägers auf das Konto XXXXXXXXX bei der Sparkasse X flossen, auf dem sich auch sein Vermögen maßgeblich ansammelte. Bei isolierter Betrachtung der Zuflüsse auf diesem Konto in den Jahren 2007 bis 2010 stammte sogar ein Anteil von 62,51 % aus Blindengeld, sofern man den dem Kläger im Jahr 2008 gewährten Vergleichsbetrag von EUR 8500,- außer Betracht lässt. Für diesen scheint die vom Betreuungsgericht vorgenommene anteilige Berücksichtigung des Blindengeldes in Höhe von 40 Prozent angemessen. Insgesamt ist mithin davon auszugehen, dass das vom Kläger im Jahr 2010 angesparte Vermögen jedenfalls in Höhe von 40 Prozent aus diesem gewährten Blindengeld resultierte. Inwieweit das Vermögen des Klägers über den Anteil von 40 Prozent hinaus aus Blindengeld stammte und bei der Anrechnung außer Betracht zu lassen, war aufgrund des auf die Begrenzung des Kostenbeitrags auf EUR 1173,77 gerichteten Antrags des Klägers nicht zu entscheiden.
Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 193 SGG.
Erstellt am: 13.02.2017
Zuletzt verändert am: 13.02.2017