Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung streitig.
Der am 30.03.1957 geborene Kläger ist Ingenieur und war zuletzt als Fachgebietsleiter Organisation in einer Unternehmungsberatung abhängig beschäftigt gewesen. Seit dem Jahr 2006 ist er arbeitsunfähig.
Mit seinem Rentenantrag von Juli 2008 legte er ein Schreiben der privaten Krankenkasse vor, wonach bei ihm ab Juli 2008 Berufsunfähigkeit bestünde. Die Beklagte ließ den Kläger durch den Neurologen und Psychiater Dr. H untersuchen, der den Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung äußerte und ein degeneratives Wirbelsäulen-syndrom ohne neurologisches Defizit feststellte. Er empfahl eine medizinische Reha-bilitation und anschließende psychotherapeutische und orthopädische Therapie. Bis dahin meinte er, könne kein Leistungsbild erstellt werden. Die Beklagte bewilligte darauf hin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis Juli 2010.
Mit seinem Antrag auf Weiterzahlung legte der Kläger einen Arztbrief der Lungenklinik I vor, in dem von einem Schlaf-Apnoe-Syndrom und der Einleitung einer Masken-therapie berichtet wird. Desweiteren legte er einen Kurzbefund des Orthopäden Dr. T, einen MRT-Bericht des Schädels sowie einen CT-Bericht der Lenden-wirbelsäule vor. Der Kläger wurde sodann durch die Orthopädin Dr. B sowie den Neurologen und Psychiater Dr. X begutachtet. Die Orthopädin fand ein chronisch-rezidivierendes Cervical- und Lumbalsyndrom bei Spondylolisthese L5/1 und Zustand nach Morbus Scheuermann, ein Schulter- Armsyndrom rechtsseitig, beginnende medial betonte Arthrose beider Kniegelenke, einen chronischen Reizzustand beider oberer Sprunggelenke, einen Reizzustand beider Handgelenke, Senk- Spreizfuß beidseits sowie eine somatoforme Schmerzstörung. Fachfremd erwähnte sie Depression, Nikotinabusus, Zustand nach Borreliose, Adipositas, Bluthochdruck, Asthma und Schlafapnoe-Syndrom. Sie meinte, körperlich leichte Arbeit sei dem Kläger vollschichtig möglich. Dr. X diagnostizierte eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie Dysthymie. Er war der Auffassung, der Kläger sei in der Lage, weniger fordernde Arbeiten, zum Beispiel in einer Büroroutine zu verrichten, auch leichte Arbeiten ohne wesentliche Belastung des Achsensklettes 6 Stunden und mehr zu erledigen. Daraufhin bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 27.04.2010 Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsun-fähigkeit über den 31.07.2010 hinaus. Die Weiterzahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.08.2010 wurde abgelehnt.
Gegen die Ablehnung der Rente wegen voller Erwerbsminderung legte der Kläger am 04.05.2010 Widerspruch ein. Er meinte, er könne diese Beurteilung nicht nachvollziehen. Zu berücksichtigen sei das Rückfallrisiko, die Schmerzsymptomatik und auch das Schlafapnoe-Syndrom. Er verweist auf den festgestellten GdB von 60 nach dem Schwer-behindertenrecht und meint, das psychische Leiden sei nicht richtig bewertet. Seit dem Vorgutachten sei keine Besserung eingetreten.
Die Beklagte zog Befundberichte des Internisten Dr. X2, der psychologischen Psychotherapeutin N sowie des Neurologen und Psychiaters Dr. I bei und ließ diese durch ihren ärztlichen Berater gutachtlich auswerten. Daraufhin wies sie den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 26.10.2010 mit der Begründung zurück, der Kläger sei wieder 6 Stunden leistungsfähig.
Hiergegen richtet sich die am 19.11.2010 beim erkennenden Gericht erhobene Klage, mit der der Kläger sein Begehren unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Wider-spruchsverfahren weiter verfolgt und meint, für eine Arbeit nicht belastbar zu sein.
Der Kläger beantragt, unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 27.04.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2010 die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 31.07.2010 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für gesetzesgerecht.
Das Gericht hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte, des Neurologen und Psychiaters Dr. I, des Internisten Dr. X2, des Orthopäden Dr. T sowie der Psychotherapeutin N beigezogen und sodann Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten des Orthopäden und Arztes für Allgemeinmedizin Dr. L aus J sowie des Neuropsychologen Dr. S vom I-Klinikum X. Wegen des Inhalts dieser Gutachten vom 14.06. und 12.07.2011 wird auf Blatt 91 ff und 150 ff der Streitakten verwiesen.
Bei der Begutachtung hatte der Kläger einen Befundbericht von Dr. Q vorgelegt, in dem der Verdacht auf eine chronisch-entzündliche Nervenerkrankung geäußert wurde. Dazu erklärt der Kläger, eine Abklärung sei diesbezüglich nicht erfolgt.
Mit dem Ergebnis der Begutachtung ist der Kläger nicht einverstanden. Er meint, den Gutachten fehlten Ausführungen zu dem Ergebnis der bisherigen Behandlung und der Medikamentenvergabe bzw. seiner Leistungsfähigkeit ohne Medikamente. Seine Angaben seien zum Teil nicht richtig wiedergegeben worden. Dr. S verharmlose seine Beschwerden. Die Fragebögen des Dr. S seien auch nicht vorgelegt worden.
In seiner hierzu erstellten ergänzenden Stellungnahme vom 05.12.2011 (Bl. 216 f der Streitakten) gibt Dr. L an, dass seine Angaben der Beobachtung seiner Untersuchung entsprächen. Ein Teil der beklagten Beschwerde sei orthopädisch nachvollziehbar, die Gesamtintensität mit wechselnden Beschwerdeangaben, auch der Konzentrations-schwäche und Müdigkeit seien aus orthopädischer Sicht nicht zu erklären. Er sehe keine neuen Erkenntnisse aufgrund der Kritik des Klägers.
Auch Dr. S hat unter dem 28.12.2011 (Bl. 218 ff) ergänzend Stellung genom-men. Er gibt an, die Wortwahl "gemütlich machen" stamme vom Kläger, er führt weiter aus, er habe sowohl zu Behandlungen und aktueller Medikation ausgeführt, er beschreibt, wieso er stärkere Aggravationstendenzen festgestellt habe. Nennenswerte psychoreaktiv oder schmerzbedingte kognitive Beeinträchtigungen lägen nicht vor. Er verbleibe bei seiner Leistungsbeurteilung.
Der Kläger verbleibt bei seiner Überzeugung, dass die Sachverständigen sich nicht mit dem entscheidungserheblichen Aspekt der Leistungsfähigkeit beschäftigt hätten. Dr. S habe seine Angaben nicht richtig dargestellt, beide Gutachter nähmen keine Stellungnahme zu dem Misserfolg bisheriger Behandlungen. Beide Gutachter beurteilten den Status quo, ohne die Medikamentengabe kritisch zu würdigen. Er nehme starke Mittel ein. Es sei fraglich, ob dies zumutbar sei, angesichts der Nebenwirkungen, um eine Leistungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Nebenwirkungen seien Missempfin-dungen, Schwitzen, beeinträchtigtes Tastempfinden, Müdigkeit sowie herabgesetztes Reaktionsvermögen. Auch hierzu hat Dr. S ergänzend Stellung genommen (23.04.2012). Wegen des Inhalts der Ausführungen wird auf Bl. 233 ff der Streitakten verwiesen.
Auch hiergegen wandte sich der Kläger: Der Sachverständige habe nicht die gegenseitige Beeinflussung der Erkrankungen herausgearbeitet und auch den Einfluss der Medikation hinsichtlich der Gesundheitsgefährdung bis zu Gefahr bei der Arbeit nicht beurteilt. Er bezweifelt die Kompetenz des Dr. S zur Erstellung eines schmerzpsycho-logischen Gutachtens.
Dr. S hat hierzu entgegnet (02.10.2012, Bl. 245 f), er habe die Wirkung der Medikation und die Wechselwirkung der Erkrankungen wie auch der Beeinflussung der gesamten Leistungseinschränkung berücksichtigt. Seine Beurteilung stimme mit der des Dr. L überein. Auch die Rüge, er habe keine konkreten Behandlungsstrategien her-ausgearbeitet, gehe fehl. Eine solche Behandlungsstrategie habe noch nicht einmal die Therapeutin nach 61 Therapiestunden herausgearbeitet. Im Übrigen habe er – in Über-einstimmung mit der behandelnden Therapeutin – festgestellt, dass keine depressive Symptomatik mehr bestehe. Er verbleibe daher bei seiner Beurteilung.
Wegen des weiteren Inhalts des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, denn die Beklagte hat zu Recht die Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung abgelehnt. Der Kläger ist seit 01.08.2010 nicht voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI).
Nach dieser Bestimmung ist voll erwerbsgemindert der Versicherte, der wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes gilt dies auch dann, wenn der Versicherte keinen Arbeitsplatz inne hat und keine 6 Stunden täglich arbeiten kann.
Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Er kann noch mindestens sechs Stunden täglich mit Einschränkungen arbeiten. Er leidet zwar unter einer somatoformen Schmerz-störung, einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung, einer leichten medikamen-tös bedingten Adipositas, einer endgradigen Bewegungseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule mit nachgewiesenen degenerativen Veränderungen im Segment C5/6 sowie einem Wirbelgleiten, einem medikamentös eingestellten Bluthochdruck sowie einem Schlafapnoe-Syndrom. Hingegen konnte nicht festgestellt werden, dass der Kläger an einer chronisch-entzündlichen Nervenerkrankung leidet. Diesbezüglich ist von Doktor Q auch lediglich der Verdacht geäußert worden. Selbst vom Kläger wurde dem nicht weiter nachgegangen.
Durch die festgestellten Gesundheitsstörungen ist der Kläger in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt. So kann er keine schweren und mittelschweren Arbeiten verrichten. Auch sind längere gebückte Haltungen, Zwangshaltungen, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Arbeiten auf Gerüsten und Leitern sowie Tätigkeiten mit Einwirkungen von Kälte, Hitze, Zugluft, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm und Schmutz zu vermeiden. Ebenso können Tätigkeiten in Wechsel- und Nachtschicht und unter besonderem Zeit-druck (z.B. Akkord- oder Fließbandarbeit) nicht mehr verrichtet werden. Der Kläger ist jedoch noch in der Lage, sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche unter betriebs-üblichen Bedingungen zumindest körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung unter Einhaltung der genannten Einschränkungen zu verrichten, wobei es ihm auch möglich ist, am PC zu arbeiten, sofern ein Positionswechsel im Rahmen der persönlichen Verteilzeit ermöglicht wird, was üblicherweise bei Bürotätigkeiten der Fall ist.
Die medizinische Beurteilung ergibt aus den im Gerichtsverfahren eingeholten Sachver-ständigengutachten der Dres. L und S. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Leistungsbeurteilung dieser Sachverständigen dem tatsächlichen Leistungs-vermögen des Klägers entspricht. Die Diagnosen der Sachverständigen beruhen auf eingehenden ambulanten Untersuchungen des Klägers. Die Gutachten berücksichtigen nicht nur die anlässlich der klinischen Untersuchung erhobenen Befunde, sondern auch den Inhalt der zur Verfügung gestellten Akten einschließlich der darin enthaltenen umfangreichen medizinischen Berichte über die Behandlungen des Klägers. Beide Gutachter haben sich mit den von dem Kläger angegebenen Leiden intensiv und differenziert auseinander gesetzt und sind zu medizinisch fundierten Ergebnissen gekom-men. Diese stimmen außerdem im Wesentlichen mit den im Verwaltungs- und Wider-spruchsverfahren eingeholten Gutachten der Dres. B und X überein, auch diese Gutachter kamen zu mindestens sechsstündiger Leistungsfähigkeit.
Die Einwände des Klägers waren hingegen nicht geeignet, das Beweisergebnis in Frage zu stellen. Das Gericht schließt sich hierbei voll inhaltlich den umfangreichen, schlüssigen und überzeugenden ergänzenden Stellungnahmen des Dr. S an.
Insbesondere kann das Gericht nicht feststellen, dass die Sachverständigen es verabsäumt hätten, die Wechselwirkungen der Erkrankungen zu berücksichtigen. Der Kläger hat auch, außer dem pauschalen Vorwurf, nicht konkret vorgetragen, inwieweit sich die festgestellten Erkrankungen gegenseitig und von den Sachverständigen unberück-sichtigt beeinflussen.
Ebenso wenig hat die Kammer Zweifel daran, dass der Sachverständige Dr. S beim Kläger die einschlägigen Tests durchgeführt und diese auch zutreffend ausgewertet hat. Davon abgesehen, dass dieser Sachverständige in großem Umfang für viele Gerichte tätig ist und sich insbesondere bei der Beurteilung von Schmerzerkrankungen einen aus-gezeichneten Ruf erworben hat, ist er als promovierter psychologischer Psychotherapeut und klinischer Neuropsychologe, der in Lehre, Klinik und Forschung tätig ist, zur Beur-teilung ausgezeichnet qualifiziert.
Schließlich kann der Kläger auch nicht mit dem Argument durchdringen, sein Zustand müsse ohne Medikation beurteilt werden, da die Medikamenteneinnahme nicht zumutbar sei. Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger die Medikamente tatsächlich einnimmt. Es erschließt sich nicht, warum er diese weglassen sollte, nur um seine Leistungsfähigkeit zu vermindern. Die Nebenwirkungen dieser Medikamente sind von beiden Sachverständigen berücksichtigt worden, schließlich erfolgte die Begutachtung unter der üblichen Medikation. Unter Einnahme der Medikamente sind aber beide Sach-verständige übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger könne noch 6 Stunden arbeiten.
Letztlich hat die Kammer auch keine Zweifel am Ergebnis beider Gutachten deshalb gehabt, weil sich aus den Untersuchungen deutliche Tendenzen der Aggravation ergeben haben. Wenn es um die Beurteilung von Gesundheitsstörungen geht, die im Wesentlichen auf subjektiven, nicht objektivierbaren Beschwerden beruhen, kommt für den Nachweis der Gesundheitsstörungen wie auch deren Ausmaß besondere Bedeutung den Beobachtungen der Sachverständigen und dem Ergebnis der Tests zu. Da subjektive Beschwerden nicht messbar sind, ist besonders zu überprüfen, inwieweit die Angaben des Versicherten glaubhaft sind. Bestehen hier Zweifel, können die subjektiven Angaben nicht als nachgewiesen zugrundegelegt werden. So liegt der Fall hier. Selbst wenn der Kläger von dem dargestellten Ausmaß seiner Beschwerden überzeugt ist, liegen erkennbare Verfälschungstendenzen vor, so dass nicht ungeprüft die Angaben des Klägers in die Beurteilung einfließen können. Diese Grundsätze haben beide Sachverständige zu-treffend berücksichtigt, ihre Schlussfolgerungen sind schlüssig und überzeugend.
Nach alledem ist der Nachweis einer vollen Erwerbsminderung, d.h., der Unfähigkeit, täglich mindestens 6 Stunden arbeiten zu können, nicht erbracht. Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Erstellt am: 29.08.2017
Zuletzt verändert am: 29.08.2017