Der Bescheid vom 22.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2016 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über den 30.06.2017 hinaus befristet bis zum 30.06.2020 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen erstattungsfähigen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin weiterhin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen hat oder, ob eine befristet bis zum 30.06.2017 gewährt Rente wegen voller Erwerbsminderung zu Recht ab dem 01.03.2016 aufgehoben wurde. Die Klägerin bezog eine Rente wegen voller Erwerbsminderung seit Dezember 2009 zunächst befristet bis Oktober 2011. Der Rentenbewilligung zugrunde lagen Befundberichte von Dr. T mit den Diagnosen: schwere depressive Episode, zeitweise mit psychotischen Symptomen, Somatisierungsstörung. Die befristete Rente wurde aufgrund weiterer Befundberichte von Dr. T zunächst befristet bis Oktober 2013, Juni 2014 und zuletzt durch Bescheid vom 22.04.2014 weiterhin auf Zeit bis zum 30.06.2017 weiterbewilligt.
Die Beklagte veranlasste im Dezember 2015 eine Begutachtung der Klägerin durch Dr. S (Arzt für Nervenheilkunde). Im Rahmen einer ambulanten Untersuchung diagnostizierte Dr. S eine leichte chronische depressive Entwicklung in Form einer Dysthymie sowie eine somatoforme Störung. Hinweise für das Vorliegen einer mittelschweren oder schweren Depression lägen aktuell nicht vor. Hinweise auf psychotische Phänomene ergäben sich nicht. Es liege keine wesentliche affektive Beteiligung vor und die verordnete Medikation würde nicht eingenommen. Aufgrund der aktuellen Befunde sei die Klägerin in der Lage, einer körperlich leichten Tätigkeit in Tagesschicht ohne Zeitdruck regelmäßig im Umfang von 6 Stunden und mehr nachzugehen. Wesentliche Störung des Konzentrations- und Reaktionsvermögens lägen nicht vor. Umstellungs- und Anpassungsvermögen seien nicht relevant gemindert. Nach Anhörung der Klägerin, dass beabsichtigt sei die Rentenbewilligung aufzuheben, da eine wesentliche Besserung eingetreten sei und wieder ein 6-stündiges Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vorliege, hob die Beklagte dann mit Bescheid vom 22.02.2016, die mit Bescheid vom 22.05.2014 auf Zeit bis zum 01.03.2016 bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.03.2016 auf, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei, die dies rechtfertige.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und begehrte die Weiterzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde eine fachärztliche Begutachtung auf orthopädisch-rheumatologischem Fachgebiet durch Dr. F durchgeführt. Dieser diagnostizierte eine rheumatoide Arthritis, Belastungsschmerz der unteren Lendenwirbelsäule, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Bluthochdruck, Schilddrüsenunterfunktion und Schuppenflechte der Kopfhaut. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten seien regelmäßig sechs Stunden und mehr möglich. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.11.2016 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2016 zu verurteilen, ihr eine Rente wegen Erwerbsminderung über den 29.02.2016 hinaus zu gewähren.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Das Gericht hat zunächst Beweis erhoben durch Einholung von Befund- und Behandlungsberichten der behandelnden Ärzte der Klägerin und sodann weiter durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von R. C und eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von U. S1. Wegen Inhalt und Ergebnis wird auf die nach ambulanter Untersuchung erstatteten Gutachten vom 06.04.2018 und 23.04.2018 verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen verweist die Kammer auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 22.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Weiterzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet bis zum 30.06.2020. Die Aufhebung der mit Bescheid vom 22.04.2014 bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.03.2016 ist rechtswidrig. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Bescheid mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Bescheides mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen liegt vor, wenn im Sachverhalt, der bei Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen hat eine entscheidungserhebliche Tatsache sich ändert oder wegfällt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn diese die Rechtsgrundlage für den ursprünglich erlassenen Verwaltungsakt entzieht.
Nach § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind und weitere beitragsbezogene Voraussetzungen erfüllen. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Nach § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die für die frühere Erwerbsunfähigkeitsrente entwickelten Grundsätze zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes weiter gelten (hierzu Gürtner, Kassler-Kommentar, § 43 SGB VI Rn. 30ff). Dies bedeutet, dass über den Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift hinaus ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits dann besteht, wenn das Restleistungsvermögen des Versicherten nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich beträgt und der Versicherte nicht in einem Teilzeitarbeitsverhältnis steht. Denn nach wie vor ist davon auszugehen, dass der (versicherungspflichtige) Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist (hierzu grundlegend BSGE 30, 167; 43, 75; 80, 24). Da Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung nur die Hälfte einer Rente wegen voller Erwerbsminderung betragen, setzen sie von ihrer Grundkonzeption her voraus, dass der Versicherte zur Deckung seines Lebensunterhaltes durch Ausübung einer entsprechenden Teilzeitarbeit weiteres Einkommen erzielt. Der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente wird also nicht alleine vom Gesundheitszustand abhängig gemacht, sondern auch davon, ob der Versicherte in der Lage ist bei der konkreten Situation des Teilzeitarbeitsmarktes, die ihm verbliebene Leistungsfähigkeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens einzusetzen. Dies hat zur Folge, dass bei einem festgestellten Leistungsvermögen von über drei und unter sechs Stunden und gleichzeitiger Arbeitslosigkeit nicht nur ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, sondern bereits ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht.
Ausgehend hiervon liegt eine wesentliche Änderung nur dann vor, wenn nach Erlass des Bescheides Umstände eingetreten wären, die dazu führen, dass die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht mehr erfüllt wären. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen nicht gegeben. So hat der Sachverständige U. S1 ausgeführt, dass die im Befundbericht von Dr. T angegebenen Symptome (psychotische Symptome, optische und akustische Halluzinationen, dissoziative Störung) nicht plausibel waren, jedoch eine depressive Erkrankung mit Somatisierungsstörung bestand, die dazu führte, dass lediglich ein 3- unter 6-stündiges Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vorlag. Bei der nicht in einem entsprechenden Teilzeitarbeitsverhältnis stehenden Klägerin führt dies, entsprechend der oben gemachten Ausführungen, zu einem Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Eine wesentliche Änderung, die zur Aufhebung des Bescheides vom 22.04.2014 ab dem 01.03.2016 berechtigen würde, liegt somit nicht vor. Der Bescheid vom 22.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2016 war daher aufzuheben, so dass die mit Bescheid vom 22.04.2014 bis zum 30.06.2017 bewilligte Zeitrente weiter zu gewähren war. Auch über den 30.06.2017 hinaus hat die Klägerin einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, denn nach Überzeugung der Kammer besteht auch ab dem 30.06.2017 nur ein 3- unter 6 stündiges Leistungsvermögen für regelmäßige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.
Diese Feststellungen zum Gesundheitszustand und zum Leistungsvermögen ergeben sich für die Kammer aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere aus dem Gutachten von U. S1. Der Sachverständige hat die Vorbefunde berücksichtigt, ist den Beschwerden der Klägerin sorgfältig nachgegangen und hat die Klägerin ambulant untersucht. Dabei konnte sich der Sachverständige ein hinreichend verlässliches Bild vom Leistungsvermögen der Klägerin verschaffen. Die Kammer hat daher keinen Anlass, an der Vollständigkeit der erhobenen Befunde und der Richtigkeit der daraus gefolgerten Leistungsbeurteilung zu zweifeln. Das Gutachten ist schlüssig, plausibel begründet und in sich widerspruchsfrei. Auch das Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet von R. C ist schlüssig, plausibel begründet und in sich widerspruchsfrei, ergab jedoch keine wesentlichen Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben, da trotz der bestehenden Gesundheitsstörungen lediglich schwere körperliche Tätigkeiten nicht mehr zumutbar sind. Für eine Einschränkung des Leistungsvermögens sind daher vornehmlich die Einschränkungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet maßgeblich.
Die Klägerin leidet nach den überzeugenden gutachterlichen Ausführungen von U. S1 unter einer depressiven Störung und Somatisierungsstörung mit berückter Stimmungslage, verminderter affektiver Schwingungsfähigkeit, deutlicher Antriebsminderung, Affektlabilität und Konzentrationsstörungen und somit deutlichen psychopathologischen Veränderungen, so dass lediglich ein 3- unter 6-stündiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in Tagesschicht und unter Ausschluss von Zeitdruck oder Stress besteht. Nach § 102 Abs. 2 SGB VI ist die wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu leistende Rente zwingend zu befristen. Eine Änderung der Verschlossenheit des versicherungspflichtigen Teilzeitarbeitsmarktes ist nicht zu erwarten, daher war die Rente entsprechend § 102 Abs. 2 S. 2 SGB VI für längstens 3 Jahre ab Weitergewährung über den 30.06.2017 hinaus bis zum 30.06.2020 zu befristen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 24.08.2020
Zuletzt verändert am: 24.08.2020