Unter Aufhebung des Bescheides vom 06.08.2015 in Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 21.01.2016 wird festgestellt, dass das exophytisch wachsende urotheliales Papillom mit Übergang in ein gut differenziertes papilläres nicht inva-sives Urothelkarzinom im Bereich des Harnleiters des Klägers eine Berufskrank-heit nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV ist. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu er-statten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) – Schleimhautveränderungen, Krebs oder an-dere Neubildungen der Harnwege durch automatische Amine – (BK 1301) i.V.m. dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII).
Der Kläger absolvierte von 1979 bis 1982 eine Ausbildung zum Maler und Lackierer, leis-tete nach einer kurzen Arbeitslosigkeit von 1983 bis 1984 den Wehrdienst, hatte im Jahre 1984 eine kurzzeitige Beschäftigung als Maler, arbeitete dann von 1985 bis 1987 als Fenstermonteur sowie Maler und war letztlich von 1988 an nach einer kurzen Beschäfti-gung in der Lebensmitteldistribution durchgängig wieder als Maler tätig.
Nach eigenen Angaben rauchte der Kläger in seinem gesamten Leben allerhöchstens zwei Zigaretten.
Am 21.01.2015 stellte die gesetzliche Krankenversicherung des Klägers eine Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit bei der Beklagten. Die Beklagte zog daraufhin medi-zinische Unterlagen zum Harnleiterkarzinom bei und ermittelte zu den beruflichen Expo-sitionen.
In einem Fragebogen der Beklagten gab der Kläger unter den 25.02.2015 an, dass er mit lösungsmittelhaltigen Lacken und Farben gearbeitet und auch Altbausanierungen durchgeführt habe.
Die Abteilung Prävention der Beklagten schätzte in einer Stellungnahme vom 08.06.2015 nach einem Gespräch mit dem Kläger ein, dass dieser in etwa 37 Schichten exponiert tätig gewesen sei durch die Verwendung von Carbolineum bzw. Xylamon beim Streichen von Dachuntersichten und Zäunen vor Mai 1991.
Die Beklagte holte daraufhin eine beratungsärztliche Stellungnahme von dem Allge-mein- und Arbeitsmediziner Dr. E (X) ein. In der Stellungnahme vom 25.06.2015 schätzte dieser ein, dass der Kläger in jüngerem Alter an einem Urothelkarzinom erkrankt sei, als diese Erkrankung normalerweise bei Personen auftrete. Allerdings habe der Kläger kein typisches Urothelkarzinom der Harnblase, sondern ein exophytisch wachsendes urotelia-les Papillom mit Übergang in ein gut differenziertes papilläres nicht invasives Urothelkar-zinom im Bereich des Harnleiters. Ein Rauchkonsum sei nicht sicher belegt. Allerdings liege nur eine Einwirkung von unter 60 Schichten vor, sodass die eher atypische Lokali-sation und das ungewöhnliche parallele Auftreten eines Papilloms und eines Urothel-karzinoms eher für einen schicksalhaften Verlauf sprächen. Zudem bestehe in der Fami-lie mütterlicherseits eine Krebserkrankung.
Mit Bescheid vom 06.08.2015 lehnte die Beklagte die Anerkennung der begehrten Be-rufskrankheit ab. Dabei führte sie zur Begründung aus, dass die arbeitstechnischen Vo-raussetzungen nicht vorlägen.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, dass er über das für Ma-ler und Lackierer normale Maß hinaus mit Holzschutzarbeiten beschäftigt gewesen sei. Eine hinreichende Exposition liege vor, da die Berufskrankheit in Bezug auf die Einwir-kung der aromatischen Amine keinen Grenzwert definiere. Zudem könne ein Rauchen ausgeschlossen werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass neben den arbeitstechnischen Voraussetzungen auch die medizinischen Voraussetzungen nicht bestünden und verwies auf die Art und Lage des Karzinoms.
Am 23.02.2016 hat der Kläger Klage erhoben.
Er ist weiterhin der Auffassung, dass ihm die Anerkennung der begehrten Berufskrank-heit zustehe. Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen im Verwaltungsver-fahren.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Bescheides vom 06.08.2015 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 21.01.2016 festzustellen, dass das exophytisch wachsende urotelia-le Papillom im Übergang in ein gut differenziertes papilläres nichtinvasives Urothelkarzinom im Bereich des Harnleiters eine Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV ist.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Begründungen in angefochtenen Verwaltungsentschei-dungen sowie Darstellung der von ihr beteiligten Mediziner und hier insbesondere die Darstellung ihres Beratungsarztes Dr. Q in der Stellungnahme vom 30.10.2019. Zudem nimmt sie Bezug auf die Darstellungen ihrer Abteilung Prävention, insbesondere in der Stellungnahme vom 12.02.2018.
Das Gericht hat von Amts wegen Beweis erhoben einerseits durch die Durchführung eines Erörterungstermins am 15.12.2017, in dem der Kläger gehört wurde, und zum an-deren durch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens sowie einer ergänzenden Stellungnahme von dem Arbeitsmediziner Dr. rer. nat. Dr. med. S (L).
Der gerichtliche Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Exposition des Klägers im Rahmen von ca. 37 Arbeitsschichten gegenüber 2-Naphthylamin aus-reichte, um sie Erkrankung im Sinne der BK 1301 zu verursachen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist begründet.
Der Kläger ist im Sinne der §§ 54 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. und 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG be-schwert, denn der angefochtene Bescheid vom 06.08.2015 in Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 21.01.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung der BK 1301.
Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet hat und die ein Ver-sicherter bei einer der in den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII genannten Tätigkeiten erleidet (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII).
Die hier streitige BK 1301 erfasst Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neu-bildungen der Harnwege durch aromatische Amine.
Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Art, Dauer und Stärke der tätigkeitsbezogenen schädigenden Einwirkung und das Vorliegen der (Listen-)Erkrankung voll beweisen sein – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Für die Kausalität zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung reicht die Wahrscheinlichkeit (Bereiter-Hahn/Mehrtens in "Gesetzliche Unfallversicherung", § 9 Rdnr. 3.2). Für eine wahrschein-liche Kausalität sind insbesondere eine hinreichende Exposition sowie ein Zurücktreten von außerberuflichen Einflussfaktoren nachzuweisen.
Für eine Entschädigungspflicht der Träger der Gesetzlichen Unfallversicherung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und der allgemein aner-kannten Literatur eine doppelte Kausalitätsprüfung vorzunehmen. In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob die berufliche Einwirkung nach den Regeln der Naturwissenschaft grundsätzlich eine allgemeine Ursache sein kann. Auf die Regeln der Äquivalenztheorie (z.B. in Bereiter-Hahn/Mehrtens "Gesetzliche Unfallversicherung", Stand Mai 2020, § 8 Rdnr. 8.1.1; Schönberger/Mehrtens/Valentin, "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 9. Auf-lage, S. 22) wird verwiesen. In einem zweiten Schritt ist dann zu beurteilen, ob die Beein-trächtigungen der Exposition auch rechtlich zuzurechnen sind. Dabei ist auf die Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung abzustellen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., Rdnr. 8, Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.). Dabei sind die Bedingungen rechtlich wesentlich, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in eine be-sonders enge Beziehung treten und so zu einem Entstehen wesentlich beigetragen ha-ben. Allein das zeitliche Zusammenfallen oder sogar das Verursachen im naturwissen-schaftlichen Sinn begründet nicht den notwendigen Zusammenhang in der gesetzlichen Unfallversicherung.
Mit den Ermittlungen der Beklagten geht das Gericht davon aus, dass bei dem Kläger ei-ne Erkrankung im Sinne der begehrten Berufskrankheit in Form eines exophytisch wachsenden urotelialen Papillom im Übergang in ein gut differenziertes papilläres nicht-invasives Urothelkarzinom vorliegt.
Zudem war der Kläger auch gegenüber aromatischen Aminen beruflich exponiert. Es wird hier auf die Ermittlungen der Abteilung Prävention der Beklagten verwiesen. Vor der Teerölverordnung im Mai 1991 waren nach den Darstellungen der Abteilung Prävention der Beklagten mit aromatischen Aminen kontaminierte teerhaltige Produkte in Holz-schutzmitteln, die der Kläger auch verwendete (Carbolineum/Xylamon), enthalten. So-weit der Beratungsarzt davon ausgeht, dass eine Exposition im Rahmen von 37 Arbeits-schichten schon deswegen nicht nachvollziehbar sei, weil nicht hinreichend bewiesen sei, dass der Kläger tatsächlich mit aromatischen Aminen gearbeitet habe, da der Inhalts-stoff in den tatsächlich vom Kläger verarbeiteten Produkten nicht nachgewiesen sei, wird auf die Expertise der Abteilung Prävention der Beklagten verwiesen. Wenn eine konkrete Produktbeschreibung mit allen Inhaltsstoffen von den Klägern für den Vollbeweis eine Exposition verlangt würde, würden zu hohe Beweisanforderungen gestellt. Ein solcher Beweis ist in der Regel im Nachhinein nie zu führen. Hier hat die Abteilung Prävention der Beklagten es als hinreichend bewiesen angesehen, dass der Kläger in ca. 37 Ar-beitsschichten mit dem erforderlichen Stoff gearbeitet hat. Diese Sichtweise hält das Ge-richt für ausreichend, um den Vollbeweis der Exposition zu erbringen.
Die konkrete berufliche Exposition des Klägers reicht auch aus, um die begehrte Berufs-krankheit allgemein verursachen zu können.
Die Kammer lehnt unter Berufung auf obergerichtliche Rechtsprechung das Vorhanden-sein einer Mindestdosis für die Einwirkung bestimmter aromatische Amine (hier insbe-sondere O-Toluidin und 2-Naphtylamin) ab (für o-Toluidin: Hessisches LSG [HessLSG], Urteil vom 02.04.2019, L 3 U 48/13; für 2-Naphtylamin: Bayerisches LSG [BayLSG], Urteil vom 27.11.2013, L 2 U 616/11). Bezüglich der Probleme bei der Festlegung einer Min-destbelastungsdosis außerhalb des Verordnungstextes wird auf die höchstrichterliche Rechtsprechung verwiesen (beispielhaft für die ständige Rechtsprechung zur BK 2108: Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R). Auch die von einem Teil der medizinischen Wissenschaft vorgeschlagenen Orientie-rungswerte i.H.v. 30 g für o-Toluidin bzw. 6 mg für 2-Naphtylamin (Schönber-ger/Mehrtens/Valentin, "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 9. Auflage 2017, Seite 1182 unter Hinweis auf Weiß/Henry/Brüning in ASU 45 (2010) 222 ff.) überzeugen nicht. So muss bei einem Orientierungswert zwar nicht der Wert selbst aber dessen Menge doch zumindest grob erreicht sein, um überhaupt in eine Kausalitätsprüfung der entsprechen-den Berufskrankheit eintreten zu können (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 18.11.2008, B 2 U 14/08 R). Bisherige obergerichtliche Rechtsprechung hat sich dem vorgeschlagenen Orientierungswerten nicht einmal grob genähert und diesem damit keine besondere Be-deutung zukommen lassen (für o-Toluidin: HessLSG a.a.O. mit 36 bis 42mg, für 2-Naphtylamin: BayLSG a.a.O. mit 1mg). Das Gericht geht auch deswegen davon aus, dass eine Einwirkung im Rahmen von 1 mg 2-Naphythlamin schon hinreichend bedeutsam ist, weil der gerichtliche Sachverständige darauf verweist, dass in der Studie zur Belas-tung der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland durch amino- und nitroaromati-sche Verbindungen aus dem Jahr 2001 eine deutlich geringere Belastung nicht als un-bedenklich angesehen wurde.
Das Gericht geht hinreichend sicher davon aus, dass der Kläger zumindest im Bereich von 1 mg gegenüber 2-Naphthylamin exponiert war, welches von der obergerichtlichen Rechtsprechung als grundsätzlich ausreichend Exposition angesehen wurde.
Die Kammer verweist hierbei auf die Berechnungen der Expositionsmenge durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. S. Dieser berücksichtigt bei seiner Berechnung an-gemessen, dass bei einem Streichen – insbesondere der Unterseiten von Dachüber-ständen – davon ausgegangen werden muss, dass nicht nur die Hände, sondern auch die Arme und gegebenenfalls der Kopf mit dem dünnflüssigen Holzschutzmittel durch Auftropfen benetzt wurden. Damit ist es auch nachvollziehbar, dass der Kläger eine Kon-tamination mit Holzschutzmitteln von 4 mg pro Schicht bei einem Einwirken von 4 Stun-den (also einer halben Schicht, da regelmäßig von einer Reinigung der Haut zu den Pausen und zum Schichtende auszugehen ist, obwohl eine entsprechende Möglichkeit zur Reinigung nicht auf allen Baustellen gegeben sein musste) erlitt. Bei einer Einwir-kung von 4 Stunden ist von einer 8prozentigen Aufnahme des 2-Naphthylamin in dem Holzschutzmittel auszugehen, wobei nach den Angaben des Sachverständigen vom ei-nem Gehalt von 100 mg 2-Naphthylamin pro Liter Holzschutzmittel auszugehen ist (der Beratungsarzt der Beklagten geht sogar davon aus, dass dieser Wert durchaus über-schritten worden sein könnte). Insgesamt hat der Kläger dann in den 37 Arbeitsschichten ca. 1,18 mg 2-Naphthylamin aufgenommen.
Es liegt bei dem Kläger auch eine (unstreitige) hinreichende Vorverlegung des Krank-heitseintritts vor, so dass aus einer allgemeinen Geeignetheit der Umstände für eine Verursachungswahrscheinlichkeit eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit der Kausalität im vorliegenden Fall wird.
Der Eintritt zeitgleicher zweier Tumore spricht nicht gegen eine Verursachung. Entspre-chende Studien, die anderes nahelegen könnten, liegen nicht vor.
Die Sichtweise des Beratungsarztes der Beklagten überzeugt die Kammer nicht.
In Bezug auf das Argument des Beratungsarztes Dr. Q, dass die Holzschutzmittel, die aromatische Amine enthielten, lediglich beim Streichen von Zäunen nicht aber bei dem Streichen von Unterseiten von Dachüberständen verwendet wurde, wird auf die Ausfüh-rungen der Abteilung Prävention der Beklagten verwiesen, denen hier von der Kammer eine höhere Bedeutung beigemessen wird. Die Mitarbeiter der Abteilung Prävention ha-ben eine größere Sachkenntnis. Sie kennen Arbeitsstellen sowie Arbeitsabläufe und beobachten über Jahre die Entwicklungen auch in Bezug auf die Arbeitsmaterialien ihrer Mitgliedsbetriebe.
Da die Abteilung Prävention der Beklagten es auch als hinreichend sicher angenommen hat, dass der Kläger beim Streichen von Unterseiten von Dachüberständen exponiert tätig wurde, greift auch das Argument des Beratungsarztes nicht durch, dass es nicht wahrscheinlich sei, dass der Kläger auch über die Haut an den Armen oder am Kopf aromatische Amine aufgenommen habe.
Zudem überzeugt auch das Argument des Beratungsarztes nicht, dass der Kläger nicht binnen einer Schicht im Rahmen von 4 mg Holzschutzmittel exponiert wurde. Der Beratungsarzt geht schon fälschlicherweise davon aus, dass der Kläger nur im Be-reich der Hände mit dem Material in Kontakt kam. Bei einer Benetzung auch der Arme und des Kopfes ist eine Kontamination von 4 ml durchaus plausibel. Der gerichtliche Sachverständige verweist außerdem nachvollziehbar darauf, dass das Holzschutzmittel sehr flüssig ist und der Kläger unter Zeitdruck mit breiten Pinseln gearbeitet habe. Diese Umstände sprechen dafür, dass der Kläger in dem vom gerichtlichen Sachverständigen angenommenen Umfang Hautkontakt zu dem Holzschutzmittel hatte. Da der Beratungs-arzt ohne die Benennung einer konkreten Studie behauptet, dass üblicherweise bei der Verarbeitung von Carbolineum von einer Hautbenetzung von 0,1 ml bis 0,5 ml, bei schlechter Arbeitshygiene von 1,0 ml ausgegangen werden könne, kann sich die Kam-mer mit dieser Sichtweise nicht weiter auseinandersetzen. Diese Behauptung findet je-denfalls keine Erwähnung in der anerkannten Literatur und ist auch nicht gerichtsbe-kannt. Zudem hält die Kammer den Vergleich mit einem Spender für Desinfektionsmittel mit i.d.R. 3 ml pro Hub für die Desinfektion der Hände hier nicht für überzeugend. Eine Ver-gleichbarkeit besteht schon deshalb nicht, weil Personen, die einen Desinfektionsspen-der benutzen, die gesamte Menge des Desinfektionsmittels auf einmal in die Hände be-kommen und diese dann planvoll auf der gesamten Haut der Hände verbreiten. Bei ei-nem Auftropfen von Holzschutzmittel auf Hände, Arme und den Kopf über die Zeit einer Schicht, trocknet die Flüssigkeit immer wieder ein. Zudem ist das Hautareal auf Händen, Armen und dem Kopf größer als das nur an Händen, so dass eine vollständige Benet-zung dieser größeren Flächen nicht erforderlich ist, um auf eine Kontamination von 4 mg zu kommen. Auch sind ml und mg nicht deckungsgleiche Größen.
Letztlich schließt sich die Kammer auch nicht der Sichtweise des Beratungsarztes an, dass der gerichtliche Sachverständige von einer falschen Aufnahmekapazität des aro-matischen Amins über die Haut ausgehe, weil die Studie, auf die sich der gerichtliche Sachverständige beziehe, nicht anhand von Teeröl oder Holzschutzmitteln erfolgt sei, sondern anhand von reiner 2-Naphthylamin-Lösung. Der Beratungsarzt hat nicht darge-stellt, warum bei einem Gemisch eine geringere Resorption zu erwarten wäre. Zudem verweist das Gericht darauf, dass keine genauere Studie existiert. Solange keine weite-ren Studien dazu bestehen, findet es die Kammer naheliegend, diese Studie anzuwen-den.
Eine konkurrierende Ursache in Form eines Zigarettenrauchens konnte nicht hinrei-chend sicher bewiesen werden. Zudem wäre hier auf die höchstrichterliche Rechtspre-chung (BSG, Urteil vom 30.03.2017, B2U6/15 R) zu verweisen, nach der eine unversi-cherte Einwirkung den Versicherungsschutz dann nicht zwingend ausschließt, wenn sowohl die berufliche (versicherte) Einwirkung als auch die unversicherte Einwirkung für sich alleine gesehen die Erkrankung auslösen konnten. Da hier die berufliche Einwir-kung hinreichend geeignet war, die Listenerkrankung auszulösen, erübrigen sich weite-re Ermittlungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 12.11.2020
Zuletzt verändert am: 12.11.2020