Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.03.2001 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist auf die Berufung der Beklagten ihre Berechtigung, die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aufzuheben und eine ausgezahlte Rente von 25.378,87 DM zurückzufordern für einen Zeitraum, in dem der Kläger ohne Mitteilung an die Beklagte eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen hat. Ab 01.07.1999 bezieht der Kläger Regelaltersrente.
Der 1934 geborene Kläger hat in verschiedenen Anlernberufen gearbeitet. Nach Rückenbeschwerden wurde er 1972, 1978 und erneut im Dezember 1982 an verschiedenen Segmenten der Bandscheibe operiert. Der Kläger bezog eine zunächst befristet bewilligte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 07.04.1982. Mit Bescheid vom 19.08.1988 erhielt er unbefristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.04.1988. Dieser Bewilligung lag u.a. ein Gutachten des Neurologen Dr. R … vom 26.07.1988 zugrunde: Der Kläger könne wegen chronisch rezidivierender Lumbago bei Zustand nach dreimaliger lumbaler Bandscheibenoperation auch leichte Arbeiten nur noch zweistündig bis unterhalbschichtig verrichten.
Ab Dezember 1994 nahm der Kläger eine vollschichtige Tätigkeit auf, teilte dies der Beklagte jedoch nicht mit. Die Sozialversicherungsbeiträge zur Rentenversicherung wurden zu einer anderen Versicherungsnummer des Klägers entrichtet. Im Mai 1997 erfuhr die Beklagte von der Beschäftigung des Klägers bei gleichzeitigem Rentenbezug. Sie ließ den Kläger daraufhin durch den Internisten Dr. K … untersuchen, der den Kläger im Gutachten vom 03.09.1997 für internistisch nicht eingeschränkt sah. Dr. S … hielt den Kläger im orthopädischen Gutachten vom 06.11.1997 für weiterhin in der Lage zu leichten, in wechselnder Körperhaltung ausgeübten Tätigkeiten. Die konkret verrichtete Tätigkeit nach der seinerzeit der Beklagten vorliegenden Arbeitgeberauskunft werde vom Kläger nicht auf Kosten seiner Gesundheit geleistet.
Die Beklagte hörte den Kläger zur beabsichtigen Leistungsaufhebung mit Schreiben vom 16.12.1997 an, stellte die laufende Rente im Februar 1998 ein und entzog dem Kläger mit Bescheid vom 02.03.1998 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Dezember 1994. Die zwischenzeitlich ausgezahlte Summe der monatlichen Rentenbeträge in Höhe von 25.378,87 DM forderte sie vom Kläger zurück.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.05.1998 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Auf die Klage hiergegen hat das Sozialgericht eine Arbeitgeberauskunft der Arbeitgeberin des Klägers ab Dezember 1994 eingeholt. Nach dieser Auskunft hat der Kläger ab 01.12.1994 eine Hilfsarbeitertätigkeit an einer Metallbearbeitungsmaschine zu einem Stundenverdienst von 18,- DM brutto verrichtet. Es habe sich um eine körperlich leichte, zu 80 v.H. im Sitzen an einer Bohrmaschine ausgeübte Tätigkeit gehandelt. Der Kläger sei den gestellten Anforderungen nicht gewachsen gewesen, habe sehr langsam gearbeitet und oft gefehlt. Auf Nachfrage des Sozialgerichts, warum der Kläger trotz der bei ihm bestehenden Einschränkungen und der beklagten Minderleistung solange beschäftigt worden sei, hat die Arbeitgeberin mitgeteilt, der Kläger sei als Schwerbeschädigter für eine leichte sitzende Hilfstätigkeit eingestellt worden. Seine Frau und sein Sohn, die zu diesem Zeitpunkt beim gleichen Unternehmen zur Zufriedenheit der Arbeitgeberin beschäftigt gewesen seien, hätten um Einstellung des Klägers gebeten.
Das Sozialgericht hat weiter Auskünfte der AOK zu Arbeitsunfähigkeitszeiten und Behandlungsdaten des Klägers eingeholt und den Kläger durch den Facharzt für Neurochirurgie Dr. D … untersuchen lassen, der den Kläger bereits im Jahre 1983 in dem sozialgerichtlichen Rechtsstreit um die Bewilligung der EU-Rente untersucht hatte.
Zum Ergebnis dieser Untersuchung wird auf den Inhalt des schriftlichen Gutachtens vom 21.11.2000 Bezug genommen.
Mit Urteil vom 29.03.2001 hat das Sozialgericht der Klage stattgebeben: Der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtswidrig und aufzuheben. Im Gegensatz zur Ansicht der Beklagten habe sich seit Aufnahme de Tätigkeit ab 01.12.1994 am Vorliegen der Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beim Kläger nichts geändert, was zur Aufhebung der Bewilligung berechtige. Der Kläger sei vielmehr nach seinem von Dr. D … festgestellten und seit 1982 unveränderten Gesundheitszustand durchgehend erwerbsunfähig gewesen. In den Voraussetzungen der Rente für Erwerbsunfähigkeit sei daher auch durch Aufnahme der Tätigkeit selbst keine Veränderung eingetreten, da diese Tätigkeit vom Kläger – ebenfalls nach den Feststellungen von Dr. D … – nur auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt werden konnte.
Gegen das am 24.04.2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 25.05.2001 eingelegte Berufung der Beklagten, mit der sie die Annahme fortbestehender Erwerbsunfähigkeit des Klägers seit der Arbeitsaufnahme durch die Erbringung der tatsächlichen Arbeitsleistung als widerlegt ansieht. Insbesondere spreche gegen die vom Gutachter des Sozialgerichts und vom Sozialgericht angenommene Schmerzhaftigkeit der Tätigkeit des Klägers, dass er keine Schmerzmittel nehme. Auch habe Dr. D … einen seit 1982 unveränderten Gesundheitszustand festgestellt. Daraus sei zu schließen, dass auch die Tätigkeit vom 01.12.1994 bis zum 31.12.1997 dem Kläger nicht geschadet habe.
Im Termin am 17.09.2001 war die Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung mit Empfangsbekenntnis vom 04.09.2001 nicht vertreten.
Schriftsätzlich beantragt die Beklagte,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.03.2001 aufzuheben.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist daraufhin, dass ihn wirtschaftliche Zwänge zur Wiederaufnahme einer Tätigkeit bewegt hätten.
Zu Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozeßakten, der Prozessakten des Sozialgerichts Dortmund aus dem Verfahren S 24 (5) J 118/80 sowie der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Vehandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Bescheide der Beklagten vom 02.03.1998 und 28.05.1998 zu Recht mit der Begründung aufgehoben, dass durch die ab dem 01.12.1994 aufgenommene Tätigkeit keine wesentliche Veränderung in den für die Bewilligung der EU-Rente des Klägers maßgeblichen Verhältnissen im Sinne des alleine als Rechtsgrundlage einer Aufhebung in Betracht kommenden § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten ist.
Die Entziehung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit setzt voraus, dass gegenüber der Zeit der Rentenbewilligung (hier durch Bescheid vom 19.08.1988) eine wesentliche Änderung eingetreten war. Die Erlangung eines Arbeitsplatzes durch den Versicherten stellt eine solche Änderung zwar grundsätzlich dar. Sie kann jedoch dann nicht berücksichtigt werden, wenn der Versicherte seine Arbeit nur auf Kosten der Gesundheit verrichtet oder unter unzumutbaren Beschwerden arbeitet (BSG, Urt. vom 09.05.1984 – 4 RJ 101/83 – mit Nachweis der vorhergehenden Rechtsprechung).
So verhielt es sich beim Kläger, da sein Gesundheitszustand seit Beginn der Rentenbewilligung unverändert war, als er im Dezember 1994 eine diesem Gesundheitszustand nicht gerecht werdende Tätigkeit aufnahm. Hiervon ist insbesondere nach dem Ergebnis der wiederholten Untersuchung durch Dr. D … auszugehen. Der Facharzt für Neurochirurgie Dr. D … hatte den Kläger bereits im Jahre 1983 untersucht und dabei das Vorliegen von Bandscheibenschädigungen diagnostiziert, die wegen ihrer Folgewirkungen dem Kläger selbst eine leichte, ohne schweres Heben und Tragen und nicht in Zwangshaltungen zu verrichtende Tätigkeit nicht mehr vollschichtig erlaubten. Diese Feststellung hatten seinerzeit zur Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitrente an den Kläger geführt.
Zwischenzeitliche Hinweise auf Verbesserungen im Gesundheitszustand des Klägers bietet der Sachverhalt nicht. In seinem Gutachten vom 21.11.2000 diagnostiziert Dr. D … dann auch ein therapieresistentes Postdiskotomie-Syndrom Grad II nach Krämer bei Zustand nach dreimaliger Bandscheibenoperation bei seit 1982 unterverändertem Gesundheitszustand. Auch in der Leistungseinschätzung findet sich in diesem Gutachten keine Abweichung im Verhältnis zum Vorhergehenden. So sieht Dr. D … den Kläger aktuell und weiterhin für nicht in der Lage an, auch leichte Arbeiten ohne schweres Heben, Bücken, längeres Sitzen und Zwangshaltungen vollschichtig zu leisten. Auch unterhalbschichtige Tätigkeiten seien nur im Wechsel, also zum Teil im Sitzen, zum Teil im Stehen, drinnen und mit ausreichenden, am Besten unregelmäßigen selbstgewählten Pausen möglich.
Auch der Gutachter der Beklagten aus dem Verwaltungsverfahren, der 0rthopäde Dr. S … gelangte in seinem Gutachten vom 06.11.1997 zu der Feststellung, dass sich der jetzige krankhafte Befund nicht wesentlich von dem der Vorgutachten unterscheide. Hierbei nahm er offensichtlich Bezug auf die neurologischen bzw. neurochirurgischen Untersuchungen, die dem Gutachten von Prof. Dr. B … vom 06.11.1981, von Dr. D … vom 07.07.1983 und
Dr. L … vom 14.10.1986 zugrundelagen sowie seine eigene Untersuchung auf orthopädischem Fachgebiet (Gutachten vom 22.01.1985, sozialmedizinische Leistungseinschätzung vom 28.01.1985).
Soweit Dr. S … dann im November 1997 folgert, weil der Befund im Wesentlichen gleich geblieben sei, müsse es auch bei der bisherigen sozialmedizinischen Beurteilung verbleiben, ist dies zwar unmittelbar einleuchtend, stützt die Position der Beklagten jedoch keineswegs. Denn schon in seiner eigenen sozialmedizinischen Stellungnahme vom 28.01.1985 hatte Dr. S … dem Kläger nur noch Arbeiten ohne überwiegend einseitige Körperhaltung zugemutet und ist hierbei auch im Gutachten vom 06.11.1997 verblieben ("in wechselnder Körperhaltung").
Damit war die vom Kläger ab 01.12.1994 aufgenommene Tätigkeit ihm auch nach den Feststellungen von Dr. S … nicht zumutbar, es handelte sich hierbei nach der Arbeitgeberauskunft vom 03.11.1998 in Verbindung mit der ergänzenden Auskunft vom 15.04.1999 nämlich um eine überwiegend in einseitiger Körperhaltung, zu 80 % im Sitzen ausgeübte Tätigkeit.
Soweit bei dieser Sachlage noch Raum für Zeifel daran bleibt, dass der Kläger eine ihm sozialmedizinisch nicht zumutbare Tätigkeit aufgenommen hat, sind diese jedenfalls durch die Ausführungen von Dr. D … in seinem Gutachten vom 21.11.2000 ausgeräumt. Dr. D … stellt außer Zweifel, dass der Kläger trotz einwandfreier Indikation und Durchführung der 0perationen noch außergewöhnliche Symptome und Beschwerden hat und unter ständigen Schmerzen leidet, die bei Belastung in ungünstiger Haltung wie durch längeres Stehen, Sitzen, Gehen sowie Tragen und Heben und insbesondere Arbeiten in vornübergeneigter Haltung verstärkt werden. Daraus folgert Dr. D …, dass die vom Kläger ab 01.12.1994 aufgenommene Tätigkeit schon wegen der überwiegenden Sitzhaltung dem Kläger nicht zumutbar war und von ihm nur unter ständigen Schmerzen ausgeübt werden konnte. Eine überwiegend sitzende Tätigkeit führe dazu, dass die Wirbelsäule einseitig und stärker als sonst belastet werde, was wiederum zu einer Schmerzverstärkung führe.
Das mit der Berufungsbegründung vorgetragene Argument, aus der Feststellung eines beim Kläger gleichgebliebenen Gesundheitszustand könne geschlossen werden, dass ihm die Tätigkeit gesundheitlich nicht geschadet habe, mithin zumutbar gewesen sei, ist schon deswegen unzutreffend, weil die Tätigkeit wie gezeigt selbst nach den Feststellungen von Dr. S … aus dem Jahre 1985 wie auch sämtlicher anderer Gutachter auf neurochirurgischem und neurologischem Fachgebiet nicht zumutbar war.
Diese Argumentation läuft zudem angesichts der bekannt gewordenen sozialen Verhältnisse des Klägers und seiner Familie Gefahr, als Zynismus verstanden zu werden.
Die Beklagte verkennt zudem, dass ihre Auffassung, der Kläger könne noch vollschichtig arbeiten, nur von den Darlegungen der orthopädischen Gutachter sowohl vor der erstmaligen Rentenbewilligung als auch jetzt getragen zu werden scheint. Allerdings waren seinerzeit und sind heute die Ausführungen der neurologischen und neurochirurgischen Sachverständigen entscheidend, die jeweils mit einleuchtender Begründung überzeugend die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine körperliche Erwerbstätigkeit des Klägers verneint haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Ein Grund zur Zulassung der Revision nach § 160 SGG besteht nicht.
Erstellt am: 13.08.2003
Zuletzt verändert am: 13.08.2003