Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 19.02.2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin nicht erst ab dem 01.07.1998, sondern bereits ab dem 01.11.1988 Anspruch auf Neubewertung von Kindererziehungszeiten (KEZ) und dementsprechend auf ein höheres Altersruhegeld hat.
Der am …1923 geborenen Klägerin wurde mit Bescheid vom 28.07.1988 ab dem 01.11.1988 Altersruhegeld bewilligt. Dabei fielen in dem Zeitraum vom 01.03.1950 bis 28.02.1951 KEZ mit Monaten zusammen, die mit freiwilligen Beiträgen belegt waren.
Mit ihrem gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch begehrte die Klägerin, die freiwilligen Beiträge in den Jahren 1950 und 1951 so zu verteilen, dass sie nicht mit KEZ zusammenfielen. Die Beklagte half dem Widerspruch insoweit ab, als die freiwilligen Beiträge für das Jahr 1951 dem Wunsch der Klägerin entsprechend verteilt wurden (Bescheid vom 19.10.1988). Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Im Rahmen des anschließend beim Sozialgericht Detmold angestrengten Klageverfahrens (Az: S 13 An 39/89) berechnete die Beklagte das Altersruhegeld mit Bescheid vom 04.07.1989 neu. Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 27.06.1990 ab. Das Berufungsverfahren beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Az.: L 18 An 175/90) blieb – abgesehen von einer Kostenquote – erfolglos. Die gegen dieses Urteil beim Bundessozialgericht erhobene Nichtzulassungsbeschwerde nahm die Klägerin im Januar 1991 zurück.
Am 17.05.1993 stellte die Klägerin unter Bezugnahme auf eine beim Bundesverfassungsgericht – BVerfG – (Az.: 1 BvR 609/90) anhängige Verfassungsbeschwerde bzgl. der Bewertung von Kindererziehungszeiten beim Zusammentreffen mit Beitragszeiten einen Antrag auf Erhöhung ihrer Altersrente. Zugleich bat sie darum, ihren Antrag erst nach der Entscheidung des BVerfG zu bescheiden.
Mit Beschluss vom 12.03.1996, verkündet am 27.06.1996, erklärte das Bundesverfassungsgericht die bisherige gesetzliche Regelung über die rentenrechtliche Bewertung von KEZ beim Zusammentreffen mit beitragsbelegten Zeiten für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, die verfassungswidrige Regelung bis zum 30.06.1998 zu ersetzen. Dabei könne er die gesetzliche Neuregelung auf rechts- oder bestandskräftig gewordene Entscheidungen und zurückliegende Sachverhalte erstrecken; von Verfassungs wegen verpflichtet sei er hierzu nicht. Dem Grundgedanken des § 79 Abs. 2 S. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) entsprechend blieben Rentenbescheide, die im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung des BVerfG bereits bestandskräftig seien, von der Unvereinbarkeitserklärung unberührt.
Nachdem der Gesetzgeber durch das Rentenreformgesetz (RRG) 1999 in Art.33 Abs.2 RRG und § 307d Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) die Bewertung von mit Beitragszeiten zusammenfallenden KEZ neu geregelt hatte, teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 28.09.1998 mit, dass eine Neuberechnung des Altersruhegeldes erst ab Juli 1998 in Betracht komme. § 307d SGB VI trete nach den gesetzlichen Neuregelungen in ihrem Falle erst am 01.07.1998 in Kraft, weil das Altersruhegeld am 27.06.1996, dem Tag der Verkündung des Beschlusses des BVerfG, bereits bindend bewilligt gewesen sei.
Ob der Klägerin dieser Bescheid zugegangen ist, ist zwischen den Beteiligten streitig.
Mit Bescheid vom 14.04.1999 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 28.09.1998 nach § 44 des Zehnten Sozialgesetzbuchs (SGB X) mit der Begründung ab, dass dieser nicht unrichtig sei. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Neubewertung der KEZ rückwirkend ab 01.11.1988, weil die erhöhte Leistung für Berechtigte, denen eine Rente am 27.06.1996 bereits bindend bewilligt gewesen sei, erst ab dem 01.07.1998 zu erbringen sei.
Zur Begründung ihres gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin geltend, dass der Altersruhegeldbescheid am 27.06.1996 noch nicht bindend gewesen sei; denn zu diesem Zeitpunkt habe eine Entscheidung über ihren im Mai 1993 gestellten Überprüfungsantrag noch nicht vorgelegen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.1999 zurückgewiesen.
Mit ihrer am 23.06.1999 erhobenen Klage hat die Klägerin den Anspruch auf rückwirkende Neuberechnung der Altersrente ab dem 01.11.1988 weiterverfolgt.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass das BVerfG in seinem Beschluss vom 12.03.1996 in den Fällen, in denen die Verwaltung nach Bekanntgabe des Beschlusses über die hier zu entscheidende Frage zu befinden habe, eine rückwirkende Neubewertung der KEZ angeordnet habe. Unabhängig davon ergebe sich aus § 44 SGB X ein Anspruch auf – rückwirkende – Neubewertung ihrer KEZ. Diese Vorschrift werde nach einer Entscheidung des BVerfG – Az.: 1 BvL 85/86 -, des Bundessozialgerichts (Urteil vom 08.09.1988 – Az: 11/7 RaR 61/87 -) sowie diversen Literaturstimmen durch § 79 BVerfGG nicht verdrängt. Das BVerfG habe in dem hier maßgeblichen Beschluss vom 11.03.1996 auch keine – die Anwendbarkeit von § 44 SGB X ausschließende – Regelung getroffen, wie im Einzelfall mit bestandskräftigen Rentenbescheiden zu verfahren sei. Gleiches gelte bezüglich der in Ausführung der Entscheidung des BVerfG ergangenen Neuregelungen im Zuge des RRG 1999. Da der Gesetzgeber die Anwendung des § 44 SGB X in § 307d SGB VI und Art. 33 Abs.2 RRG nicht ausdrücklich ausgeschlossen habe, bleibe § 44 SGB X vorliegend vielmehr anwendbar. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass sie – wenn über ihren Antrag aus Mai 1993 sofort entschieden worden wäre – gegen den ablehnenden Bescheid und Widerspruchsbescheid hätte Klage erheben können. Dann sei im Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG im Jahre 1996 über ihre Klage noch nicht endgültig entschieden gewesen. Sie könne aber nicht allein deshalb schlechter gestellt werden, weil sie sich damit einverstanden erklärt habe, ihren Antrag bis zur Entscheidung des BVerfG zurückzustellen. Schließlich sei ihr ein Fall bekannt, in dem die Landesversicherungsanstalt Westfalen anlässlich eines im Jahre 1993 gestellten Antrags rückwirkend ab Januar 1988 eine vollständige Neuberechnung der Rente eines Versicherten vorgenommen habe. Auch Mitarbeiter der Beklagten seien offenbar der Auffassung, dass § 44 SGB X in Fällen der vorliegenden Art anwendbar sei. Beim Sozialgericht Detmold (Az.: S 2 RA 105/99) habe inzwischen ein Verfahren seine Erledigung gefunden, weil die Beklagte auf einen Antrag aus 1993 die KEZ rückwirkend ab Januar 1989 neu bewertet habe.
Die Klägerin hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.04.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.06.1999 zu verurteilen, die Bescheide vom 04.07.1989, 03.01.1991 und 28.09.1998 abzuändern und ihre Altersrente rückwirkend ab dem 01.11.1988 nach § 307 d SGB VI neu zu berechnen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten. Der Altersruhegeldbescheid vom 28.07.1988 in der Fassung des Bescheides vom 04.07.1989 sei mit der Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde im Januar 1991 bestandskräftig geworden, so dass im Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG im März 1996 bereits eine bindende Bewilligung der Rente vorgelegten habe.
Der nach dem Eintritt der Bindungswirkung gestellte Überprüfungsantrag mache aus dem ursprünglich bindenden Bescheid keinen nicht bindenden Bescheid. Die Frage der allgemeinen Normkonkurrenz zwischen § 44 SGB X und § 79 Abs.2 BVerfGG sei vorliegend entgegen der Auffassung der Klägerin nicht entscheidend. Für die Anwendbarkeit des § 44 SGB X bleibe jedenfalls kein Raum, wenn das BVerfG – wie hier – selbst regele, in welchem Umfang seine Entscheidung Wirkung entfalten solle. Gleiches gelte, wenn der Gesetzgeber in Umsetzung einer Entscheidung des BVerfG für bereits rechtskräftig abgeschlossene Verfahren eine besondere Regelung vorsehe. Eine solche Regelung sei vorliegend in § 307d SGB VI und Art.33 Abs.2 RRG getroffen worden. Das Konkurrenzverhältnis zwischen § 79 Abs.2 BVerfGG, den eigenen Feststellungen des BVerfG im Falle der Nichtigkeit bzw. Verfassungswidrigkeit einer Norm und den anschließend ergangenen gesetzlichen Neuregelungen bestehe auch im Zusammenhang mit den jüngeren Entscheidungen des BVerfG zur sog. Rentenüberleitung vom 28.04.1999 (Leiturteil: 1 BvL 32/95 und 1 BvR 2105/95) sowie zur sozialversicherungsrechtlichen Behandlung von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt vom 24.05.2000 – 1 BvL 1/98, 1 BvL 4/98 und 1 BvL 15/99) und den hierdurch jeweils erforderlich gewordenen gesetzlichen Neuregelungen im Rahmen des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes und des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes, das kurz vor der Verkündung stehe. Auch dort sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bestimmung des § 79 Abs.2 BVerfGG und der Feststellung des BVerfG zur Auswirkung seiner Entscheidungen auf bereits bestandskräftige Verwaltungsakte Vorrang vor § 44 SGB X zukomme. Dies ergebe sich aus der amtlichen Begründung zu § 47a SGB VI (Bundesrats-Drucksache Nr. 592/00) sowie zu Art 9a 2. AAÄG-Änderungsgesetz (Bundestags-Drucksache Nr. 14/6063). In dem von der Klägerin angesprochenen, beim Sozialgericht Detmold anhängig gewesenen Streitverfahren – Az.: S 2 RA 105/00 – habe die Beklagte die Rente des dortigen Klägers zu Unrecht rückwirkend ab Januar 1989 festgestellt.
Mit Urteil vom 19.02.2002 hat das Sozialgericht Detmold die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 19.03.2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 02.04.2002 Berufung eingelegt.
Sie trägt ergänzend vor, dass der Gesetzgeber z.B. bei Einfügung des § 47 a Abs.2 SGB V und § 307 b Abs.2 S.4 SGB VI in der Fassung des AAÜG-Änderungsgesetzes vom 11.11.1996 ausdrücklich angeordnet habe, dass § 44 SGB X nicht oder nur eingeschränkt neben einer Entscheidung des BVerfG anzuwenden sei. Wenn eine solche Regelung in der hier maßgeblichen Entscheidung des BVerfG vom 12.03.1996 bzw. den daraufhin ergangenen Neuregelungen des § 307d SGB VI und Art. 33 Abs.2 RRG nicht getroffen worden sei, müsse § 44 SGB X uneingeschränkt anwendbar sein. Es habe für das BVerfG und den Gesetzgeber vorliegend auch keine besondere Veranlassung bestanden, § 44 SGB X auszuhebeln. Die Anwendung des § 44 SGB X führe nämlich nicht zu unüberbrückbaren finanziellen oder verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten. Denn die Zahl der Versicherten, deren Renten noch nach den Bestimmungen der RVO bzw. des AVG berechnet worden und bei einer Antragstellung nach § 44 SGB X nach dem SGB VI zu berechnen gewesen seien, beschränkten sich auf die Rentenbezieher der Jahrgänge 1921 bis 1926, bei denen Beitragsleistungen mit KEZ zusammenfielen. Sei § 44 SGB X aber vorliegend anwendbar, so sei ihre KEZ – wenn nicht schon ab Rentenbeginn – so jedenfalls gemäß § 44 Abs.4 SGB X rückwirkend für vier Jahre, somit ab dem 01.01.1989, neu zu berechnen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 19.02.2002 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.06.1999 zu verurteilen, den Bescheid vom 28.07.1988 unter Einbeziehung des Bescheides vom 19.10.1988 und 04.07.1989 zurückzunehmen und das Altersruhegeld ab dem 01.11.1988, hilfsweise ab dem 01.01.1989 auf den am 17.05.1993 gestellten Antrag nach § 44 SGB X neu zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 14.04.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.1999 ist nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte den Bescheid vom 28.09.1998 sowie den Altersruhegeldbescheid vom 28.07.1988 in der Gestalt der später ergangenen Änderungsbescheide vom 19.10.1988 und 04.07.1989 hinsichtlich der dort erfolgten Bewertung der KEZ zurück- und eine entsprechende Neubewertung der KEZ bereits ab 01.11.1988 vornimmt.
Nach § 44 Abs.1 S.1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Bescheid vom 27.07.1988 in der Gestalt der ergangenen Änderungsbescheide ist nicht rechtswidrig. Gleiches gilt für den Bescheid vom 28.09.1998, dessen Zugang zwischen den Beteiligten umstritten ist. Die Beklagte hat eine Neubewertung der KEZ im Rahmen des Altersruhegeldes zu Recht erst ab Juli 1998 vorgenommen. Eine Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte rückwirkende Neubewertung der KEZ und entsprechende Neuberechnung ihres Altersruhegeldes ab Rentenbeginn (= 01.11.1988) bzw. ab 01.01.1989 besteht nicht. Die Klägerin kann sich insoweit weder auf § 307d SGB VI (dazu unter ( 1.)) noch auf § 44 SGB X (dazu unter (2.)) noch auf Art. 3 Grundgesetz (GG) (dazu unter (3.)) berufen.
(1.) Die Regelung des § 307d Abs.1 S.1 SGB VI, die durch Art.1 Nr.125 des RRG 1999 in das SGB VI eingefügt wurde und eine Neubewertung von KEZ vorsieht, ist am 01.07.1998 in Kraft getreten (Art.33 Abs.1 RRG 1999). Demgemäss können Leistungen nach dieser Vorschrift grundsätzlich erst ab dem 01.07.1998 gewährt werden. Die Ausnahmeregelung des Art.33 Abs.2 RRG 1999 ist im Falle der Klägerin nicht anwendbar. Nach dieser Vorschrift gelten die Regelungen des § 307d SGB VI bereits ab 01.01.1986 nur für diejenigen Versicherten, für die am 27.06.1996 eine Rente noch nicht bindend bewilligt war.
Das Altersruhegeld der Klägerin war jedoch am 27.06.1996 durch den Bescheid vom 28.07.1988 und die Folgebescheide vom 19.10.1988 und 04.07.1989 bindend festgestellt. Nach § 77 SGG wird ein Verwaltungsakt – soweit durch Gesetz nicht anderes bestimmt ist – für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn der gegen den Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird. Mit Rücknahme der beim Bundessozialgericht erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde im Januar 1991 waren die gegen den Altersruhegeldbescheid vom 28.07.1988 in der Gestalt der Folgebescheide eingelegten Rechtsbehelfe in Form von Widerspruch, Klage, Berufung und schließlich Nichtzulassungsbeschwerde aber erfolglos.
An der im Januar 1991 eingetretenen Bindungswirkung ändert auch der im Mai 1993 gestellte Überprüfungsantrag der Klägerin nichts. Ein Antrag nach § 44 SGB X hebt die Bindungswirkung eines Bescheides nicht auf, denn es handelt sich insoweit nicht um einen – dem Eintritt der Bindungswirkung entgegenstehenden – Rechtsbehelf im Sinne des § 77 SGG.
Entgegen der Auffassung der Klägerin wäre der Altersruhegeldbescheid vom 28.07.1988 in der Fassung der Folgebescheide im Übrigen am 27.06.1996 auch dann bindend festgestellt gewesen, wenn die Beklagte den Überprüfungsantrag sofort beschieden und die Klägerin anschließend ein Klageverfahren eingeleitet hätte. Dann wäre in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (27.06.1996) zwar möglicherweise ein Streitverfahren bzgl. des Antrags nach § 44 SGB X anhängig gewesen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Altersruhegeld der Klägerin mit Rentenbescheid vom 28.07.1988 in der Form der Änderungsbescheide im Januar 1991 bindend festgestellt war. Weder ein Antrag nach § 44 SGB X noch dessen Verfolgung in einem Klageverfahren lassen die einmal eingetretene Bindungswirkung entfallen. Die Bindungswirkung entfiele vielmehr erst dann, wenn der Überprüfungsantrag der Klägerin erfolgreich wäre und die Beklagte den Altersruhegeldbescheid zurücknähme.
(2.) Der geltend gemachte Anspruch auf Neubewertung der KEZ und Neuberechnung des Altersruhegeldes bereits ab Rentenbeginn, spätestens ab 01.01.1989, lässt sich auch nicht auf § 44 SGB X stützen. Denn diese Vorschrift ist vorliegend nicht anwendbar.
Zweifelhaft ist bereits, ob § 44 SGB X, der eine rückwirkende Aufhebung bindend gewordener Bescheide ermöglicht, überhaupt anwendbar ist, wenn die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes auf der Anwendung eines nichtigen bzw. – wie hier – verfassungswidrigen Gesetzes beruht. Denn nach § 79 Abs.2 BVerfGG bleiben nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer vom BVerfG gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vorschrift ist analog anwendbar, wenn sich das BVerfG darauf beschränkt, die Unvereinbarkeit einer Norm mit der Verfassung festzustellen (BVerfGE 37, 217 (262 ff)).
Zwar hat das Bundessozialgericht der Vorschrift des § 44 SGB X in einer älteren Entscheidung (Urteil vom 08.09.1988 – Az.: 11/7 RAr 61/87 -) u.a. unter Hinweis auf seinen Charakter als Spezialregelung im Sozialversicherungsrecht, jüngeres Gesetz und seinen Sinn und Zweck den Vorrang gegenüber § 79 Abs.2 BVerfGG eingeräumt. In einer neueren Entscheidung wurde diese Rechtsprechung jedoch vom 4. Senat des Bundessozialgerichts (Urteil vom 20.12.2001 – Az. B 4 RA 6/01 R) in Frage gestellt.
Vorliegend bedarf die Frage der allgemeinen Normenkonkurrenz von § 44 SGB X und § 79 Abs.2 BVerfGG allerdings keiner abschließenden Klärung. Hält man nämlich eine solche Konkurrenz überhaupt für möglich und dann gegebenenfalls einen Vorrang des § 44 SGB X für gegeben (so wohl früher Steiner, in: Wirkungen der Entscheidungen des BVerfG auf rechtskräftige und unanfechtbare Entscheidungen – § 79 BVerfGG – in Starck (Hrsg), BVerfG und Grundgesetz, Festgabe aus Anlass des 25jährigen Bestehens des BVerfG, Bd1, 1976, S. 628, 648 ff; so wohl auch Diller/Dannecker, NJW 1999, 897; Heußner, NJW 1982, 257; Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt 1980, S. 276; Tannen, Kompaß 1987, 458; von Einem, SGb 1986, 148; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Auflage 1991, § 20 V, S. 316, RdNr. 77; Stuth, in Umbach/Clemens, BVerfGG, RdNR 44 zu § 79 BVerfGG; Wiesner in von Wulffen, SGB X, 4. Aufl 2001, RdNR 22 zu § 44 SGB X; Steinwedel in Kasseler Komm, RdNr 9 zu § 44 SGB X; Louven, SozSich 2000, 387 ff, 390 f; Spellbrink/Hellmich, SGb 2001, 605), kommt man im vorliegenden Fall zu demselben Ergebnis, als wenn man – wozu der Senat neigt – von einer alleinigen Geltung oder von einem Vorrang des § 79 Abs.2 S.1 BVerfGG ausgeht (im letztgenannten Sinne wohl nunmehr auch Steiner, in: Zum Entscheidungsausspruch und seinen Folgen bei der verfassungsrechtlichen Normenkontrolle, in: Isensee und Lecheler (Hrsg), Freiheit und Eigentum, Festschrift für Walter Leisner, 1999, S. 569, S. 579/580; Schlegel, DStR 2000, 1353 ff, 1355). Denn § 44 SGB X wird vorliegend jedenfalls durch § 307d SGB VI iVm Art. 33 Abs.2 RRG 1999 verdrängt.
Höchstrichterlich geklärt ist, dass für eine Anwendbarkeit des § 44 SGB X kein Raum bleibt, wenn das BVerfG ausdrücklich in seiner Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit bzw. Nichtigkeit einer Norm den Umfang der Verfassungswidrigkeit bzw. Nichtigkeit und deren Rechtsfolgen bestimmt hat (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 20.12.2001, a.a.O.). In einem solchen Fall hat es der Aufhebung von Verwaltungsakten (auch nach § 44 Abs.1 und 2 SGB X) für die Vergangenheit eine für die vollziehende und rechtsprechende Gewalt nicht überschreitbare Grenze gezogen. Die Klärung, welche speziellen verfassungsrechtlichen Rechtsfolgen die konkrete Nichtigkeits- bzw. Verfassungswidrigkeitserklärung für bereits unanfechtbare Staatsakte hat, geht aufgrund der Bindungswirkung eines Urteils des BVerfG (§ 31 Abs.1 BVerfG) den einfachgesetzlichen allgemeinen Regelungen in § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und insbesondere auch den §§ 44, 45 SGB X – wenn diese anwendbar sein sollten – als Rechtserkenntnis der sich aus höherrangigem Recht im konkreten Nichtigkeitsfall ergebenden Rechtsfolgen vor (BSG, a.a.O.).
Vorliegend hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 12.03.1996 allerdings zumindest nicht abschließend über die Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit der bisherigen Regelungen über die Bewertung von KEZ entschieden. Es hat zwar bestimmt, dass Rentenbescheide – dem Grundgedanken des § 79 Abs.2 S.1 BVerfGG entsprechend -, die im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung des BVerfG (27.06.1996) bereits bestandskräftig seien, von der Unvereinbarkeitserklärung unberührt blieben. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber jedoch ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, die gesetzliche Neuregelung des Zusammentreffens von KEZ mit beitragsbelegten Zeiten auf rechts- oder bestandskräftig gewordene Entscheidungen und zurückliegende Sachverhalte zu erstrecken.
Hat das BVerfG aber dem Gesetzgeber die Entscheidung über den Umfang der Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit bzw. Nichtigkeit einer Norm überlassen, so hat auch die dann vom Gesetzgeber in Umsetzung der Entscheidung des BVerfG getroffene Regelung Vorrang gegenüber § 44 SGB X. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn die Neuregelung sich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben bewegt. So aber liegt es hier. Der Gesetzgeber hat in § 307d SGB VI und Art.33 Abs.2 RRG die Entscheidung des BVerfG dahingehend umgesetzt, dass eine Neubewertung der KEZ grundsätzlich ab 01.07.1998 vorgenommen und nur ausnahmsweise rückwirkend festgestellt werden kann. § 307d SGB VI und Art.33 Abs.2 RRG 1999 lassen aber daneben eine Anwendung des § 44 SGB X nicht zu.
Zwar hat der Gesetzgeber die Frage der Normkonkurrenz zu § 44 SGB X in § 307d SGB VI bzw. Art. 33 RRG 1999 – anders als bei Einfügung des § 47a Abs.2 SGB V und in dem Entwurf des Art.9a des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des 2. AAÜG-Ände rungsgesetzes – nicht ausdrücklich geregelt. Dass § 307d SGB VI und Art.33 Abs.2 RRG 1999 gegenüber § 44 SGB X Vorrang zukommt, ergibt sich jedoch bereits aus deren Charakter als Sonderregelung. Während diese Vorschriften konkret bestimmen, in welchen Fällen die sich aus der Neubewertung der KEZ ergebende höhere Rente bereits ab 01.01.1986 und in welchen Fällen sie erst ab 01.07.1998 zu gewähren ist, handelt es sich bei § 44 SGB X um eine allgemeine verfahrensrechtliche Vorschrift, die die Voraussetzungen der Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsaktes regelt (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2000 – Az.: L 8 RA 4605/99 -).
Auch Sinn und Zweck des § 307d SGB VI gebieten eine solche Auslegung. Danach ist eine rückwirkende additive Bewertung der KEZ nur für einen bestimmten Personenkreis vorgesehen. Wäre aber § 44 SGB X darüber hinaus für alle Bestandsrenten anwendbar, so würde diese Regelung unterlaufen.
Gegen eine Anwendbarkeit des § 44 SGB X neben § 307d SGB VI sprechen im Übrigen auch gesetzessystematische Erwägungen. Anderenfalls wäre nämlich Art.33 Abs.2 RRG überflüssig. Denn eine gesetzliche Bestimmung über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 307d SGB VI für Personen, für die am 27.06.1996 eine Rente noch nicht bindend bewilligt worden war, wäre nicht notwendig und würde sogar umgangen, wenn § 307d SGB VI über § 44 SGB X auf sämtliche Bestandsrentner Anwendung fände.
Schließlich entspricht es auch dem Willen des Gesetzgebers, § 307d SGB VI und Art. 33 Abs.2 RRG den Vorrang gegenüber § 44 SGB X einzuräumen. Zwar wird in dem Gesetzentwurf zum RRG 1999 (BT-Drucksache 13/8011) sowie der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (BT-Drucksache 13/8671) nicht ausdrücklich zu der Frage der Normkonkurrenz von § 307d SGB VI und § 44 SGB X Stellung genommen. Den dortigen Ausführungen lässt sich jedoch entnehmen, dass eine Neubewertung der Kinderziehungszeiten grundsätzlich nicht rückwirkend erfolgen sollte (vgl. BT-Drucks 13/8011 S. III: …"Außerdem sollen KEZ künftig zusätzlich zu bereits vorhandenen zeitgleichen Beitragszeiten angerechnet werden." …; ebenso auf S. 152, ebenda; vgl. ferner "Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)", BT-Drucks 13/8671 S.3).
(3.) Die Klägerin hat schließlich auch keinen Anspruch aus Art.3 GG auf Neubewertung der KEZ ab 01.11.1988. Selbst wenn die Beklagte oder ein anderer Versicherungsträger in einem ähnlich gelagerten Fall die Rente eines Versicherten gesetzeswidrig rückwirkend neu berechnet haben sollte, kann auf diese rechtswidrige Verfahrensweise kein Anspruch auf Gleichbehandlung gestützt werden, da es einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht nicht gibt (BVerfGE 50, 142 ff (166)).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zugelassen.
Erstellt am: 01.12.2003
Zuletzt verändert am: 01.12.2003