Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26.09.1995 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die teilweise Anrechnung des Rückkaufswertes einer Kapital-Lebensversicherung auf die Arbeitslosenhilfe.
Die am …1953 geborene Klägerin war als Reiseverkehrskauffrau und Touristikexpedientin berufstätig. Sie ist alleinerziehende Mutter des am …1989 geborenen Sohnes J … P … Auf die Arbeitslosmeldung vom 09.08.1990 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld und im Anschluß daran Arbeitslosenhilfe, zuletzt bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnitts am 31.03.1994. Mit dem Antrag auf Weiterbewilligung von Arbeitslosenhilfe vom 15.03.1994 legte die Klägerin den Versicherungsschein über eine bereits am 15.07.1983 ab geschlossene Lebensversicherung vor, deren Versicherungssumme nach dem Stand vom 01.06.1993 insgesamt 35.876,– DM betrug und die im Erlebensfall am 01.06.2008 ausgezahlt werden soll. Der Rückkauf wert der Lebensversicherung lag einschließlich der Überschußanteile am 01.03.1994 bei 13.559,– DM. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin nach ihren Angaben 11.971,50 DM eingezahlt.
Mit Bescheid vom 04.07.1994 bewilligte die Beklagte Arbeitslosenhilfe ab 22.04.1994. Mit weiterem Bescheid vom 20.04.1994 lehnte sie nach vorheriger Anhörung der Klägerin die Zahlung von Arbeitslosenhilfe für den Zeitraum vom 01. bis 21.04.1994 ab mit der Begründung, die Klägerin verfüge über ein verwertbares Vermögen in Höhe von 13.559,– DM. Davon sei ein Betrag von 2.043,– DM bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigen. Mangels Bedürftigkeit entfalle mithin die Arbeitslosenhilfe für einen Zeitraum von drei Wochen.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und brachte zur Begründung vor, die Lebensversicherung diene einer angemessenen Alterssicherung. Deren Verwertung sei deshalb nicht zumutbar.
Mit Bescheid vom 22.09.1994 wies die Beklagte den Widerspruch zu rück mit der Begründung, der Rückkaufwert der Lebensversicherung stelle verwertbares Vermögen dar. Nach Abzug eines Freibetrages von 8.000,– DM und der bereits in den Jahren 1992 und 1993 bei der Arbeitslosenhilfeberechnung berücksichtigten Beträge verbleibe ein Restbetrag von 2.043,– DM.
Hiergegen richtet sich die Klage. Zu deren Begründung macht die Klägerin weiter geltend, es sei unerheblich, daß die Versicherungssumme im Erlebensfall bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahres ausgezahlt werde. Im übrigen habe sie im September 1994 die Laufzeit der Lebensversicherung bis zum 01.03.2014 verlängert.
Das Sozialgericht Dortmund hat mit Urteil vom 26.09.1995 der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.04.1994 und des Widerspruchsbescheides vom 22.09.1994 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosenhilfe bereits ab dem 01.04.1994 zu gewähren. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Lebensversicherung der Klägerin dürfe weder als Einkommen noch als Vermögen bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe angerechnet werden.
Auf die Beschwerde der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 23.01.1996 die Berufung zugelassen.
Zur Begründung der Berufung macht die Beklagte geltend, die Lebensversicherung sei nicht zur Aufrechterhaltung einer angemesse nen Alterssicherung bestimmt gewesen, weil die Versicherungssumme der Klägerin ursprünglich bereits mit Vollendung des 54. Lebensjahres ausgezahlt werden sollte. Die später vorgenommene Vertragsänderung, wonach dies erst mit Vollendung des 60. Lebensjahres geschehen sollte, könne im Aufhebungszeitraum nicht berücksichtigt werden.
Die Beklagte beantragt (schriftlich sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 26.09.1995 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt (schriftlich sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, die Verwertung der Lebensversicherung sei unzumutbar, weil diese zur Absicherung ihrer Altersversorgung verwendet werden solle. Im übrigen wäre ein Rückkauf der Lebensversicherung offensichtlich unwirtschaftlich, da er den Verlust des Versicherungsanspruches und den Wegfall der Gewinnbeteiligung zur Folge habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann über die Berufung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis er teilt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Arbeitslosenhilfe ab 01.04.1994; sie ist bedürftig im Sinne des § 137 Abs. 1 AFG. Die Möglichkeit der wirtschaftlichen Verwertung ihrer Lebensversicherung steht dem nicht entgegen.
Gemäß § 137 Abs. 2 AFG ist der Arbeitslose nicht bedürftig, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen die Gewährung von Arbeitslosenhilfe offenbar nicht gerechtfertigt ist. Gemäß § 137 Abs. 3 AFG kann das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung bestimmen, inwieweit Vermögen zu berücksichtigen ist. Gemäß § 6 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung (Alhi-VO) vom 07.08.1974 (BGBl. I, S. 1929), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.12.1992 (BGBl. I, S. 2044) ist das durch Rückkauf der Lebensversicherung zu erzielende Vermögen nicht zu berücksichtigen. Die wirtschaftliche Verwertung der Lebensversicherung durch Rückkauf ist gemäß § 6 Abs. 3 Alhi-VO nicht zumutbar.
Dabei kann offenbleiben, ob der Rückkauf der Lebensversicherung offensichtlich unwirtschaftlich ist (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Alhi-VO). Der Rückkaufwert von 13.559,– DM übersteigt zwar im April 1994 die Summe der bisher eingezahlten Beiträge von 11.971,50 DM. Zu berücksichtigen ist jedoch neben der beim Rückkauf der Versicherung zu zahlenden Kapitalertragssteuer der Verlust des Versicherungsschutzes und die in Zukunft zu erwartenden, auf der langjährigen Vertragsdauer beruhenden gesteigerten Ansprüche auf Gewinnbeteiligungen.
Die Verwertung des Rückkaufswerts der Lebensversicherung kann jedenfalls unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung der Klägerin und ihres Sohnes billigerweise nicht erwartet werden, denn sie dient der Sicherung ihrer angemessenen Lebensgrundlage und ist zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Alhi-VO). Die vereinbarte Versicherungssumme beträgt im Todesfall 25.000,– DM zuzüglich der Gewinnbeteiligung. Hieraus ergab sich im April 1994 ein Gesamtbetrag von 35.876,00 DM, der im Todesfall zur Auszahlung gekommen wäre. Daher war die Lebensversicherung jedenfalls zur vorübergehenden Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage für die Klägerin und ihren damals 4 1/2-jährigen Sohn geeignet. Die Lebensversicherung ist dem Grunde und der Höhe nach auch deshalb angemessen, weil die Klägerin aufgrund der Arbeitsmarktentwicklung im kaufmännischen Bereich auch für die Zukunft damit rechnen mußte, von Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht verschont zu bleiben (vgl. dazu: BSG Urteil vom 11.02.1976 – 7 RAr 159/74 – SozR 4100 § 137 Nr. 1; Urteil vom 12.05.1993 – 7 RAr 56/92 – SozR 3 – 4100 § 137 Nr. 4).
Im Erlebensfall sollte die Versicherungssumme nach der im April 1994 geltenden Fassung des Versicherungsvertrages im 55. Lebensjahr der Klägerin fällig werden. Auch unter diesem Gesichts punkt handelt es sich bei den inzwischen erworbenen Ansprüchen aus der Lebensversicherung um angemessene Vorsorgeaufwendungen nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Alhi-VO. Das Sozialgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, daß auch die vorzeitige Invalidität und die erheblichen Vermittlungsdefizite der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Berücksichtigung finden müssen. Weder dem Gesetzes wortlaut noch dem Wortlaut des Privilegierungstatbestandes in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Alhi-VO ist zu entnehmen, daß die Privilegierung privater Vorsorge auf die Alterssicherung jenseits einer bestimmten Altersgrenze beschränkt sein soll. Die systematische Auslegung ergibt vielmehr, daß der Gesetzgeber unabhängig von Alters grenzen eine angemessene private Vorsorge bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe privilegieren wollte. Gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 2 AFG gehören deshalb Beiträge zu privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit sie nach Grund und Höhe angemessen sind, ebenso wie Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit nicht zum anrechenbaren Einkommen. Es wäre daher widersinnig, die Verwertung des bereits angesammelten Kapitalstocks einer Lebensversicherung nach § 137 Abs. 2 AFG zuzumuten.
Die Versicherungssumme erscheint auch angesichts der zu erwarten den Überschußbeteiligungen der Höhe nach angemessen. Zu berück sichtigen ist dabei, daß die Klägerin sowohl für den Todes- als auch für den Erlebensfall eine Absicherung für sich selbst und für ihr Kind schaffen mußte und dabei eigene Unterhaltsansprüche nicht in Betracht ziehen konnte. Ihr am …1989 geborener Sohn J … P … wird noch bis weit in das kommende Jahrzehnt sich in Schul- und Berufsausbildung befinden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 11.08.2003
Zuletzt verändert am: 11.08.2003