Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 15.11.2000 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kosten für das Auswechseln von Zahnimplantatteilen.
Die 1928 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Die Beklagte gewährte ihr für eine Versorgung mit implantatgestütztem Zahnersatz im Jahre 1992 einen Zuschuss. Der Grund für diese Versorgung war ein atrophierter zahnloser Unterkiefer. Die Beklagte übernahm auch für eine Folgebehandlung im August 1994 die Kosten.
Am 11.03.1999 wechselte Zahnarzt Prof. Dr. Dr. T … ein Implantatteil aus, wofür er mit Liquidation vom gleichen Tag 505,84 DM (= 258,63 Euro) in Rechnung stellte. Die Beklagte hatte bereits am 08.03.1999 auf eine mündliche Anfrage der Klägerin mitgeteilt, Kosten für diese Behandlung würden nicht übernommen. Mit Bescheid vom 22.03.1999 lehnte sie die Erstattung der Kosten (erneut) ab, da keine Ausnahmeindikation im Sinne der Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen vorliege. Somit könne auch keine Beteiligung an den Kosten für die Implantatbehandlungen erfolgen, deren Kosten sie in der Vergangenheit bezuschusst habe. Die Klägerin begründete ihren Widerspruch mit einer Bescheinigung von Prof. Dr. Dr. T … vom 27.03.1999, in der dieser aufführte, aufgrund des extrem atrophierten zahnlosen Unterkiefers sei eine konventionelle Versorgung nicht möglich gewesen, so dass deshalb im August 1992 die Klägerin habe mit Implantaten versorgt werden müssen. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.06.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da eine Kieferatrophie keine Ausnahmeindikation im Sinne der Richtlinien darstelle.
Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, nach der Bescheinigung von Prof.Dr. Dr. T … seien die Implantate notwendig gewesen. Eine Leistungspflicht der Krankenkassen bestehe, wenn eine Versorgung mit konventionellem Zahnersatz nicht möglich sei. Insoweit seien die Richtlinien des Bundesausschusses nicht abschließend; es handele sich um die beispielhafte Aufzählung der Fälle, in denen eine konventionelle Versorgung nicht möglich sei.
Mit Urteil vom 15.11.2000 hat das Sozialgericht unter Zulassung der Berufung die Beklagte zur Erstattung der Behandlungskosten verurteilt. Es hat die Auffassung vertreten, der gesetzliche Leistungsausschluss für Implantate greife nur ein, wenn es um die erstmalige einheitliche Versorgung mit Implantaten und Suprakonstruktionen gehe. Soweit in der Vergangenheit eine zwingende medizinische Indikation für die Implantatversorgung bestanden habe, müsse der Versicherte auf den Fortbestand der im Gesetz vorgesehenen Leistung vertrauen können, wenn der Leistungsausschluss mangels Alternativen anderenfalls dazu führe, dass die Grundbedürfnisse des Sprechens, Kauens und Essens nicht mehr bewältigt werden könnten.
Die Beklagte tritt mit ihrer Berufung dieser Auffassung des Sozialgerichts entgegen. Sie hält den gesetzlichen Leistungsausschluss für umfassend, er beziehe sich auch auf Folgebehandlungen. Versicherte könnten auf den Fortbestand des Umfangs der Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht vertrauen. Im Übrigen zeigten die eingeholten Befundberichte, dass seinerzeit eine Versorgung mit konventionellem Zahnersatz durchaus möglich gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 15.11.2000 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei eine befriedigende Versorgung mit konventionellem Zahnersatz nicht möglich gewesen, da die Totalprothese Schmerzen verursacht habe und kein fester Sitz habe erreicht werden können.
Der Senat hat im Berufungsverfahren Befundberichte von Prof. Dr. Dr. T … (ohne Datum, Eingang 23.03.2001) und dem Zahnarzt Dr. W … (Befundbericht vom 28.03.2001) eingeholt. Wegen des Inhalts wird auf Bl. 53/55 der Gerichtsakten Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben, konnte der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die kraft Zulassung statthafte Berufung (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG) ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat die Beklagte zu Recht die (teilweise) Erstattung der Kosten für das Auswechseln eines Implantatteils abgelehnt.
Unabhängig davon, ob ein Kostenerstattungsanspruch auf § 13 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) oder dessen Abs. 3 gestützt wird, ist Voraussetzung eines Kostenerstattungsanspruchs, dass die selbsbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, welche die gesetzlichen Krankenkassen als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 9; SozR 3-2500 § 135 Nr. 14). Dies trifft auf implantologische Zahnbehandlungen sowie auf die Folgebehandlungen zuvor eingegliederter Implantate nicht zu.
§ 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V in der vom 01.07.1997 bis 31.12.1999 geltenden Fassung des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes (2. GKV-NOG) vom 23.06.1997 (BGBl. I 1520) bestimmt, dass implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehören und dass die Krankenkassen insoweit auch keinen Zuschuss leisten dürfen, es sei denn, es liegen seltene vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor.
Dieser Ausschluss gilt auch für Leistungen, die – wie hier das Auswechseln von Implantatteilen – im Zusammenhang mit früher eingegliederten Implantaten anfallen. Weder der Wortlaut der Vorschrift noch die Entstehungsgeschichte bieten einen Anhaltspunkt dafür, dass insoweit zwischen der erstmaligen Gewährung im plantologischer Leistungen und Folgebehandlungen, die im Anschluss an Versorgungen vor dem 01.01.1997 durchgeführt werden, zu differenzieren wäre. Der gesetzliche Leistungsausschluss ist durch Art. 2 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (Beitragsentlastungsgesetz) vom 01.11.1996 (BGBl. I, 1631) eingeführt worden. § 28 Abs. 2 Satz 8 SGB V in der vom 01.01. bis 30.06.1997 geltenden Fassung sah einen uneingeschränkten Leistungsausschluss vor. In der Begründung des Beitragsentlastungsgesetzes (BT-Drucks. 13/4615, S. 9) wird ausgeführt, die Regelung "konkretisiere" die Rechtslage in der gesetzlichen Krankenversicherung. Implantologische Leistungen und die dazugehörende Suprakonstruktion gehörten nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Gleichwohl hätten Krankenkassen die Leistung ohne Rechtsgrundlage übernommen oder Zuschüsse dazugezahlt. Es werde nunmehr ausdrücklich vorgeschrieben, dass die Leistung nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zähle. Diese Begründung macht deutlich, dass der Gesetzgeber ohne Differenzierung die Gewährung implantologischer Leistungen ausschließen wollte. Wenn er davon ausging, dass bisherige Leistungsbewilligungen der Krankenkassen rechtswidrig waren, ist die Annahme fernliegend, er habe gleichwohl die Kosten für die Instandhaltung der (rechtswidrig bezuschussten) Implantate zur vertragsärztlichen Versorgung zählen wollen. Es wäre auch widersprüchlich und kaum mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zu vereinbaren, wenn bei gleichen medizinischen Voraussetzungen Versicherte seit dem 01.01.1997 die Kosten für Implantate einschließlich der Folgebehandlung selbst zu tragen hätten, während Versicherte, die schon vor dem 01.01.1997 mit Implantaten versorgt worden sind, den (teilweisen) Ersatz der für das notwendige Auswechseln von Implantatteilen anfallenden Kosten beanspruchen könnten.
Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V haben zum Zeitpunkt der Versorgung im Jahr 1992 nicht vorgelegen. Eine der dazu vom Bundessausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in den Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Zahnbehandlungs-RL i.d.F. vom 24. Juli 1998 – BAnz Nr. 177) festgelegten Indikationen (größerer Kiefer- oder Gesichtsdefekt, extreme Mundtrockenheit, genetische Nichtanlage von Zähnen, muskuläre Fehlfunktionen) hat nicht bestanden, vielmehr war die Versorgung wegen einer Atrophie des zahnlosen Unterkiefers erforderlich (Befundbericht Prof. Dr. Dr. T …). Die Kieferatrophie zählt nicht zu den Ausnahmeindikationen; die Nichtberücksichtigung der Atrophiefälle in den Zahnbehandlungs-RL steht auch mit der Ermächtigung in § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V in Einklang (BSG, Urteile vom 19.06.2001 – B 1 KR 5/00 R; B 1 KR 23/00 R; B 1 KR 27/00 R). Somit kann für die streitige Folgebehandlung auch nicht über die Ausnahmeregelung ein Leistungsanspruch begründet werden.
Es kann dahinstehen, ob vor dem 01.01.1997 ausnahmsweise bei medizinischer Notwendigkeit, d. h. bei Fehlen medizinisch gleichwertiger Maßnahmen eine Versorgung mit Implantaten beansprucht werden konnte (vgl. BSG SozR 3-5555 § 12 Nr. 5; BSG, Urteil vom 03.12.1997 – 6 RKa 40/96 -) und ob diese Voraussetzungen bei der Klägerin im Jahre 1992 vorgelegten haben. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, wäre der Gesetzgeber nicht gehindert gewesen, den Umfang der von den Krankenkassen geschuldeten Leistungen einzuschränken und festzulegen, welche Behandlungsmaßnahmen nicht (mehr) in den Leistungskatalog der GKV einbezogen sind. Von Verfassungs wegen können die Versicherten auf einen unveränderten Fortbestand von Leistungsgesetzen nicht vertrauen, BSGE 69, 76; BSG SozR 3-2500 § 28 Nr. 3). Ebenso wenig lässt sich dem Grundgesetz ein Anspruch auf bestimmte Leistungen der GKV entnehmen (BVerfG NJW 1997, 3085; 1998, 1775). Auch soweit bei Kieferatrophien keine Versorgung mit konventionellem Zahnersatz möglich ist, ist der Ausschluss vom Implantaten verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BSG, a.a.O.).
Unbeachtlich ist, dass die Beklagte in der Vergangenheit nicht nur einen Zuschuss zu der implantologischen Versorgung, sondern auch zu einer Folgebehandlung gewährt hat. Damit ist kein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, aufgrund dessen die Klägerin die weitere Gewährung von Leistungen beanspruchen könnte. Soweit die Bewilligungen rechtswidrig waren, liegt auf der Hand, dass die Fortsetzung einer rechtswidrigen Praxis nicht gefordert werden kann. Aber auch wenn die Zusagen nach der damaligen Rechtslage zu Recht erfolgten, waren sie auf die in Frage stehende Behandlungsmaßnahme beschränkt. Wie oben dargelegt, können Versicherte auf einen unveränderten Fortbestand von Leistungsgesetzen nicht vertrauen, so dass die Beklagte unter der seit dem 01.01.1997 geltenden Rechtslage eine weitere Leistungsgewährung ablehnen musste.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 23.04.2006
Zuletzt verändert am: 23.04.2006