Der Beklagte wird unter Abänderung seiner mit dem Bescheid vom 21. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 03. Juni 2016, vom 07. Juni 2016 sowie vom 14. Juli 2016 verlautbarten bewilligenden Verfügungen verurteilt, der Klägerin Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II für den Zeitraum vom 01. Mai 2016 bis zum 30. Juni 2016 in Höhe von monatlich insgesamt 317,62 Euro, für den Zeitraum vom 01. Juli 2016 bis zum 31. Juli 2016 in Höhe von insgesamt 90,84 Euro sowie für den Zeitraum vom 01. August 2016 bis zum 31. Oktober 2016 in Höhe von monatlich insgesamt 285,14 Euro unter Berücksichtigung der von ihm an die Klägerin für die genannten Zeiträume bereits gewährten Leistungen zu gewähren.
Der Beklagte hat der Klägerin die ihr entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens dem Grunde nach in voller Höhe zu erstatten.
Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der zu gewährenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01. Mai 2016 bis zum 31. Oktober 2016.
Die im Februar 1954 geborene Klägerin stand seit einigen Jahren im laufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten. Sie bewohnte im streitgegenständlichen Zeitraum eine 59 qm große Wohnung in der Stadt Fehrbellin, für die sie eine monatliche Bruttokaltmiete in Höhe eines Betrages von 344,50 Euro sowie monatliche Heizkostenabschläge in Höhe eines Betrages von 84,50 Euro zu entrichten hatte.
Nachdem der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 14. Dezember 2012 und mit Schreiben vom 20. Juni 2013 zur Senkung ihrer nach Auffassung des Beklagten unangemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung angehört hatte, bewilligte er ihr auf den entsprechenden Fortzahlungsantrag vom 04. April 2016 mit Bescheid vom 21. April 2016 passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II für den Zeitraum vom 01. Mai 2016 bis zum 31. Oktober 2016 in Höhe von monatlich 278,62 Euro. Hierbei berücksichtigte er neben dem Regelbedarf in Höhe eines Betrages von monatlich 404,00 Euro, Kosten der Unterkunft in Höhe eines Betrages von monatlich 305,50 Euro, Heizkosten in Höhe eines Betrages von monatlich 84,50 Euro sowie schließlich das um die Versicherungspauschale bereinigte Witwenrenteneinkommen der Klägerin in Höhe eines Betrages von monatlich 515,38 Euro.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 09. Mai 2016 Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2016 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Entscheidung bestünden nicht, insbesondere bestünde kein Anspruch auf die Gewährung höherer Leistungen, weil lediglich die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigt werden könnten. Diese seien für den Wohnort Fehrbellin auf der Grundlage der Mietwerterhebung 2014 für einen Ein-Personen-Haushalt in Höhe eines Betrages von 305,50 Euro (50 qm x (4,90 Euro Kaltmietzins + 1,21 Euro Betriebskosten)) ermittelt worden. Angesichts der mit Schreiben vom 14. Dezember 2012 erfolgten konkreten Kostensenkungsaufforderung könnten die unangemessenen tatsächlichen Kosten der Unterkunft nicht berücksichtigt werden.
Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 19. Mai 2016 am gleichen Tage bei dem Sozialgericht Neuruppin Klagen erhoben, mit denen sie ihr auf Gewährung höherer Leistungen gerichtetes Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, die von dem Beklagten zugrunde gelegte Richtlinie, die auf einem Gutachten der F+B GmbH beruhe, sei kein tauglicher Anhaltspunkt für die Ermittlung der Angemessenheit von Kosten der Unterkunft, weil ihr kein schlüssiges Konzept nach den Maßstäben des Bundessozialgerichts zugrunde liege. So könne bereits das Verfahren der Datenerhebung nicht nachvollzogen werden, die Daten seien nicht repräsentativ und nicht valide, zu den gezogenen Schlüssen seien keine Angaben gemacht worden, bei der Ermittlung der kalten Betriebskosten seien willkürlich mehr als 2/3 aller relevanten Kosten unberücksichtigt geblieben. Mangels eines schlüssigen Konzeptes seien deshalb die Werte der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Zuschlages von zehn Prozent – mithin ein Betrag in Höhe von monatlich 338,80 Euro – zugrunde zu legen. Im Übrigen sei die Klägerin ohnehin nicht wirksam zur Kostensenkung aufgefordert worden. Die mit dem Schreiben vom 14. Dezember 2012 erfolgte Kostensenkungsaufforderung könne keine Wirksamkeit mehr entfalten, nachdem der Beklagte rückwirkend bis Ende 2014 zugestanden habe, dass die Kosten der Unterkunft und Heizung der Klägerin zum Zeitpunkt der Kostensenkungsaufforderung und danach nicht unangemessen hoch gewesen seien. Erst durch die Ende 2014 erfolgte Mieterhöhung sei die Wohnung so teuer geworden, dass der Angemessenheitswert aus der Wohngeldtabelle zuzüglich des Sicherheitszuschlages leicht überschritten worden sei.
Die Klägerin beantragt (nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),
den Beklagten unter Abänderung seiner mit dem Bescheid vom 21. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 03. Juni 2016, vom 07. Juni 2016 sowie vom 14. Juli 2016 verlautbarten bewilligenden Verfügungen zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 01. Mai 2016 bis zum 31. Oktober 2016 Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, mit der Richtlinie sei den Anforderungen des Bundessozialgerichts Genüge getan worden, die Datenerhebung sei insgesamt nicht zu beanstanden, die erhobenen Mietdaten seien äquivalent zu den anerkannten Regeln eines Tabellenmietspiegels ausgewertet worden. Die Mietwerterhebung sei auf Basis einer repräsentativen Datenerhebung der Mietwohnungsbestände gewerblicher Vermieter und Eigentümer im Landkreis Ostprignitz-Ruppin im Jahre 2014 erfolgt. Erhoben worden seien insgesamt 13.089 Wohnungsdaten. Nach den durchgeführten Bereinigungen seien Mietdaten von 11.768 Wohnungen in die Auswertung geflossen, wodurch 45,5 Prozent des Mietwohnungsbestandes im Landkreis erfasst worden seien; das Bundessozialgericht halte demgegenüber 10 Prozent für ausreichend (Verweis auf Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14/7b AS 44/06 R, RdNr 13). Entgegen der Auffassung der Klägerin seien im Rahmen der Betriebskosten auch alle wesentlichen Betriebskostenarten berücksichtigt worden. Zur Feststellung der Angemessenheit der Heizkosten sei auf die Werte des Bundesheizkostenspiegels zurückgegriffen worden. Die unangemessenen Unterkunftskosten seien von dem Beklagten nicht zu übernehmen. Auf die Unangemessenheit sei die Klägerin frühzeitig mit dem Schreiben vom 14. Dezember 2012 hingewiesen worden. Die Kosten der Unterkunft und Heizung seien danach bereits seit dem 01. Juli 2013 auf die für angemessen gehaltenen Unterkunftskosten gekürzt worden. Mit dem Inkrafttreten der neuen Richtlinie zum 01. Januar 2015 seien der Klägerin höhere als die bisher schon gekürzten Kosten der Unterkunft gewährt worden, nicht jedoch die tatsächlichen Kosten. Einer neuerlichen Kostensenkungsaufforderung habe es deshalb auch nicht bedurft.
Mit Änderungsbescheiden vom 03. Juni 2016 und vom 07. Juni 2016 berücksichtigte der Beklagte zu Ungunsten der Klägerin ein ihr gutgeschriebenes Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2015 in Höhe eines Betrages von 194,30 Euro im Monat Juli 2016 und berücksichtigte zudem mit weiterem Änderungsbescheid vom 14. Juli 2016 für den Zeitraum vom 01. Juli 2016 bis zum 31. Oktober 2016 ein höheres bereinigtes Renteneinkommen in Höhe von nunmehr 547,86 Euro, zudem verlautbarte er mit diesem Bescheid für den Zeitraum vom 01. Juli 2016 bis zum 31. Juli 2016 eine Erstattungsverfügung im Umfang eines Betrages von 32,84 Euro.
Das Gericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom 16. Juli 2020 sowie mit Verfügung vom 27. August 2020 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhaltes auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Klagen, über die die Kammer gemäß § 105 Abs 1 S 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden konnte, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten gemäß § 105 Abs 1 S 2 SGG zuvor mit der gerichtlichen Verfügung vom 16. Juli 2020 sowie mit der gerichtlichen Verfügung vom 27. August 2020 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind, eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten hierzu nicht erforderlich ist und weil das Gericht – ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur vorherigen Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl hierzu etwa Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem vorherigen umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl hierzu etwa Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23), haben Erfolg.
1. Streitgegenstand des Verfahrens sind höhere Ansprüche der Klägerin auf Gewährung von passiven Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01. Mai 2016 bis zum 31. Oktober 2016. Gegenstand des Klageverfahrens sind dementsprechend die mit dem Bescheid des Beklagten vom 21. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2016 in der Fassung der gemäß § 96 Abs 1 SGG zum Gegenstand des Klageverfahrens gewordenen Änderungsbescheide vom 03. Juni 2016, vom 07. Juni 2016 sowie vom 14. Juli 2016, wobei die mit dem Änderungsbescheid vom 14. Juli 2016 zugleich verlautbarte Erstattungsverfügung nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, weil diese die angefochtenen Verwaltungsakte weder im Sinne von § 96 Abs 1 SGG abändert noch ersetzt.
2. Die Klägerin verfolgt ihr auf die Gewährung höherer Leistungen gerichtetes Begehren zutreffend im Wege (kombinierter) Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG, § 54 Abs 4 SGG sowie § 56 SGG). Der Beklagte hat der Klägerin durch die angegriffenen Verfügungen für den streitbefangenen Zeitraum im Wege der Höchstbetragsfestsetzung geringere Leistungen nach dem SGB II gewährt hat als sie beansprucht, Mit den hiergegen erhobenen Abänderungsanfechtungsklagen im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG begehrt sie für jeden Monat des Streitzeitraums die Abänderung der bewilligenden Verfügungen zu ihren Gunsten. Mit den Leistungsklagen begehrt sie schließlich die Gewährung der aufgrund der Abänderung erstrittenen höheren monatlichen Leistungen.
Die so verstandenen statthaften Klagen sind auch im Übrigen zulässig.
3. Die danach insgesamt zulässigen Klagen sind auch begründet, weil der Beklagte der Klägerin mit den angegriffenen Verfügungen in den streitgegenständlichen Monaten zu geringe passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II bewilligt hat, was die Klägerin zudem auch im Sinne des § 54 Abs 2 S 1 SGG in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert. Der Klägerin stehen nämlich – entgegen der Auffassung des Beklagten – höhere Leistungsansprüche zu.
a) Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01. Mai 2016 bis zum 31. Oktober 2016 sind die §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II in der Fassung, die die genannten Vorschriften vor dem streitbefangenen Zeitraum hatten, weil in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist (sog Geltungszeitraumprinzip, vgl dazu nur Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 8/20 R, RdNr 21 mwN), was auch für die weiteren zitierten Vorschriften gilt. Gemäß § 19 Abs 1 S 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II, das gemäß § 19 Abs 1 S 3 SGB II den Regelbedarf, die Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung umfasst.
aa) Die Grundvoraussetzungen, um Arbeitslosengeld II zu erhalten (§ 7 Abs 1 S 1 SGB II), erfüllte die Klägerin (vgl § 7 Abs 3 Nr 1 SGB II), die im streitgegenständlichen Zeitraum 62 Jahre alt war (vgl § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II), erwerbsfähig war (vgl § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte (vgl § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II); auch ein von Leistungen nach dem SGB II ausschließender Tatbestand lag nicht vor.
bb) Der Bedarf der Klägerin setzt sich – dies ist zwischen den Beteiligten auch zu Recht nicht umstritten – im Grundsatz aus dem Regelbedarf für eine alleinstehende Person (dazu sogleich unter aaa)) sowie den zu berücksichtigenden Bedarfen für Unterkunft und Heizung (dazu sogleich unter bbb)) zusammen.
aaa) Zutreffend hat der Beklagte zunächst für die Ermittlung der Leistungsansprüche der Klägerin für den Zeitraum vom 01. Mai 2016 bis zum 31. Oktober 2016 den Regelbedarf der alleinstehenden Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum nach Maßgabe der Regelung des § 20 Abs 1 SGB II iVm § 20 Abs 2 S 1 SGB II iVm § 20 Abs 5 S 1 SGB II iVm § 28a des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) iVm § 40 Abs 1 Nr 1 SGB XII iVm der Verordnung zur Bestimmung des für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach § 28a des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch maßgeblichen Prozentsatzes sowie zur Ergänzung der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch für das Jahr 2016 (Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2016 – RBSFV 2016) vom 22. Oktober 2015 (BGBl I S 1788) mit einem Betrag in Höhe von monatlich 404,00 Euro zugrunde gelegt.
bbb) aaaa) Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden im Rahmen der Bewilligung von Arbeitslosengeld II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs 1 S 1 SGB II). Die Prüfung der Angemessenheit des Bedarfs für die Unterkunft und der des Bedarfs für die Heizung haben grundsätzlich getrennt voneinander zu erfolgen, unbeschadet der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Kostensenkungsaufforderungen (§ 22 Abs 1 S 4 SGB II) und der zwischenzeitlich eingeführten Gesamtangemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 10 SGB II. Zur Bestimmung des anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft ist von den tatsächlichen Aufwendungen auszugehen. Will ein Jobcenter nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkennen, weil es sie für unangemessen hoch hält, muss es grundsätzlich ein Kostensenkungsverfahren durchführen und der leistungsberechtigten Person den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang der Aufwendungen mitteilen (§ 22 Abs 1 S 3 SGB II; vgl zu alledem Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R, RdNr 14f mwN).
Die Ermittlung des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für die Unterkunft hat in zwei größeren Schritten zu erfolgen: Zunächst sind die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten (= Bruttokaltmiete), zu ermitteln; dann ist die konkrete (= subjektive) Angemessenheit dieser Aufwendungen im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen, insbesondere auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit der notwendigen Einsparungen, einschließlich eines Umzugs, zu prüfen. Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen hat unter Anwendung der Produkttheorie ("Wohnungsgröße in Quadratmeter multipliziert mit dem Quadratmeterpreis") in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen: (1) Bestimmung der (abstrakt) angemessenen Wohnungsgröße für die leistungsberechtigte(n) Person(en), (2) Bestimmung des angemessenen Wohnungsstandards, (3) Ermittlung der aufzuwendenden Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept, (4) Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten (vgl zu alledem Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R, RdNr 19f mwN).
bbbb) Unter Zugrundelegung dieser stark verkürzt dargestellten Maßgaben der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist der Beklagte zwar für den Ein-Personen-Haushalt der Klägerin zu Recht von einer angemessenen Wohnungsgröße von 50 Quadratmetern ausgegangen, weil zur Bestimmung der angemessenen Wohnfläche auf die anerkannten Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau abzustellen ist (vgl etwa Bundessozialgericht, Urteil vom 07. November 2006, – B 7b AS 18/06 R, RdNr 20; Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 50/10 R, RdNr 22 sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 87/12 R, RdNr 21). Hinsichtlich der Überlassung von gefördertem Mietwohnungsraum gilt § 27 Abs 1 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WoFG) § 27 Abs 5 WoFG vom 13. September 2001 (BGBI I S 2376) iVm § 5 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 13. September 2001 (BGBl I S 2404). Wegen der maßgeblichen Wohnungsgröße verweist § 27 Abs 4 WoFG (als Nachfolgeregelung zu § 5 Abs 2 WoBindG in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung) auf die nach § 10 WoFG von den Ländern festgelegten Wohnungsgrößen. Dementsprechend ist für das Land Brandenburg auf Ziffer I 4.1 der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr zum Wohnraumförderungs- und Wohnungsbindungsgesetz vom 15. Oktober 2002 (ABl S 1022) zurückzugreifen, mit der es die entsprechenden Wohnflächengrenzen festgesetzt hat.
cccc) Zu Unrecht hat der Beklagte allerdings die Bedarfe für die Kosten der Unterkunft nur in Höhe der Werte seiner ab dem 01. Januar 2015 geltenden Richtlinie zugrunde gelegt, die ihrerseits im Wesentlichen auf dem Endbericht zur "Ermittlung der angemessenen Bedarfe der Unterkunft gemäß SGB II und SGB XII für den Landkreis Ostprignitz-Ruppin" der Firma F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH aus Februar 2015 beruhen. Denn hierbei handelt es sich nicht um ein "schlüssiges Konzept" im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Das schlüssige Konzept soll die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarkts im Vergleichsraum dem Angemessenheitswert zugrunde liegen und dieser realitätsgerecht ermittelt wird. Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen zudem bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Dies erfordert trotz Methodenvielfalt insbesondere eine Definition der untersuchten Wohnungen nach Größe und Standard, Angaben über die Art und Weise der Datenerhebung, Angaben über den Zeitraum, auf den sich die Datenerhebung bezieht, Repräsentativität und Validität der Datenerhebung, Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze bei der Datenauswertung, Vermeidung von "Brennpunkten" durch soziale Segregation sowie eine Begründung, in der die Ermittlung der Angemessenheitswerte aus den Daten dargelegt wird (vgl zu alledem Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Januar 2019 – B 14 AS 24/18 R, RdNr 24 mwN).
Das Konzept des Beklagten ist vor diesem Hintergrund schon deshalb nicht schlüssig, weil bereits die alleinige Anknüpfung an Bestandsmieten – sowohl mit Blick auf den Nettokaltmietzins als auch mit Blick auf die (kalten) Betriebskosten – eine unzureichende Datenbasis darstellt, die von vornherein kein realitätsgerechtes Abbild der aktuellen Situation bei Neuanmietungen ermöglicht. Es ist insbesondere nicht erkennbar, ob und inwieweit die einbezogenen Daten auch für die Höhe des Mietpreises bei Neuvermietungen repräsentativ sein konnten. Bei der Festlegung der Angemessenheitsobergrenze müssen deshalb auch Angebotsmieten einbezogen werden. Anders ist dies nur bei einem Rückgriff auf Mietspiegeldaten, weil hier von vornherein nur solche Mieten berücksichtigt werden, die in den letzten vier Jahren vor dem Stichtag der Datenerhebung geändert oder neu vereinbart worden sind. Insofern ist auch für die Festlegung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung durch Satzungsregelung in § 22c Abs 1 S 3 SGB II ausdrücklich bestimmt, dass in die Auswertung sowohl Neuvertrags- als auch Bestandsmieten einfließen sollen. Weil auch die durch die Firma F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH vorgenommene Ergebniskontrolle durch Auswertung von Wohnungsangeboten nach der bereits erfolgten Ermittlung der Angemessenheitswerte – im Sinne einer "Gegenprobe" – eine systematische Einbeziehung des Faktors der Neuvertragsmieten von vornherein, dh bereits bei den Grundlagen der Datenerhebung, nicht ersetzen kann (vgl zu alledem Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 44/14 R, RdNr 22 mwN) und weil Gleiches auch und gerade für die von dem Beklagten im Verfahren exemplarisch eingereichten vier Wohnungsinserate gilt, liegt ein schlüssiges Konzept nicht vor. Deshalb kommt es auf die von der Klägerin daneben geltend gemachten Einwände gegen die Schlüssigkeit des Konzeptes auch nicht mehr entscheidungserheblich an.
dddd) Die Kammer legt demgegenüber als Angemessenheitsgrenze den Tabellenwert des § 12 Abs 1 des Wohngeldgesetzes (WoGG) zuzüglich eines Sicherheitszuschlages in Höhe von 10 Prozent zugrunde. Für den Ein-Personen-Haushalt der Klägerin, der in die Mietenstufe II einzuordnen ist (für die Stadt Fehrbellin, in der die Klägerin wohnt, ist die Mietenstufe II des Landkreises Ostprignitz-Ruppin maßgeblich; vgl die Anlage zu § 1 Abs 3 der Wohngeldverordnung: Mietenstufen der Gemeinden nach Ländern), ist deshalb ein Betrag in Höhe von insgesamt 386,10 Euro (ab dem 01. Januar 2016; WoGG idF vom 02. Oktober 2015, BGBl I S 1610, 1611) – freilich gedeckelt durch die tatsächlichen Bruttokaltmietzinskosten in Höhe eines Betrages von monatlich 344,50 Euro – zu berücksichtigen.
Zwar ist ein Rückgriff auf diese Werte erst dann gerechtfertigt, wenn Feststellungen zu den abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs 1 S 1 SGB II nicht mehr möglich sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 4/13 R, RdNr 15), mithin ein Erkenntnisausfall vorliegt. Das ist hier indes der Fall. Die umfassende Ermittlung der Daten sowie die Auswertung im Sinne der Erstellung eines schlüssigen Konzepts ist Angelegenheit des Grundsicherungsträgers und bereits für die sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig. Im Rechtsstreit muss der Grundsicherungsträger sein schlüssiges Konzept auf Aufforderung durch das Gericht vorlegen. Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne ein schlüssiges Konzept, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 S 1 Hs 2 SGG gehalten, dem Gericht eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und gegebenenfalls eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen (Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Dezember 2011 – B 4 AS 19/11 R, RdNr 21). Liegen aber keine Ermittlungsergebnisse vor, brauchen insbesondere für weit zurückliegende Zeiträume deshalb nicht unverhältnismäßig aufwändige Ermittlungen nachträglich durchgeführt zu werden. Die Amtsermittlungspflicht der Tatsacheninstanzen ist in diesen Fällen begrenzt (Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 87/12 R, RdNr 24).
Auf Grund der dem Gericht mit dem Endbericht vorliegenden Daten kann jedoch für den hier maßgeblichen längst vergangenen Zeitraum eine Angemessenheitsgrenze nicht ermittelt werden, was schon daran scheitert, dass ausweislich des Endberichtes für die Ermittlung der Angemessenheitswerte ausschließlich Bestandsdaten ausgewertet worden sind. Es liegen dem Gericht indes keinerlei Erkenntnisse dazu vor, wie lange die ausgewerteten Mietverhältnisse schon bestanden haben. Das Gericht kann zur Aktualisierung und der Anpassung der Daten an die aktuellen Mietverhältnisse insbesondere auch nicht auf die zur Plausibilitätskontrolle im Endbericht niedergelegten Daten zu den Neuvermietungen und Angebotsmieten zurückgreifen, weil es jedenfalls an Feststellungen dazu fehlt, welchen Standard die Wohnungen, zu welchen die Neuvermietungswerte und Angebotsmieten erhoben worden sind, haben (vgl zu der Frage des Erkenntnisausfalls in einer vergleichbaren Fallkonstellation auch umfassend Sozialgericht Neuruppin, Urteil vom 04. Dezember 2017 – S 6 AS 1765/14, S 20 ff des Urteilsabdruckes).
Weil schließlich für die Stadt Fehrbellin auch kein qualifizierter Mietspiegel vorliegt, auf dessen Daten die Kammer zurückgreifen könnte, ist der Rückgriff auf die Tabellenwerte zu § 12 Abs 1 WoGG gerechtfertigt.
eeee) Die zu berücksichtigenden Bedarfe für die Kosten der Heizung sind mangels Kostensenkungsaufforderung in Höhe der auch von dem Beklagten berücksichtigten tatsächlichen Heizkostenabschläge – mithin in Höhe eines Betrages von monatlich 84,50 Euro – in die Bedarfsberechnung einzustellen.
ffff) Addiert man die angemessenen Kosten der Unterkunft und die tatsächlichen Kosten der Heizung ergibt sich für den streitgegenständlichen Zeitraum ein monatlicher Bedarf für die Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 429,00 Euro (344,50 Euro Kosten der Unterkunft zuzüglich 84,50 Euro Kosten der Heizung).
gggg) Wenn danach für den Zeitraum vom 01. Januar 2016 bis zum 30. April 2016 wegen der Unterschreitung der Angemessenheitsgrenze die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und die tatsächlichen Kosten der Heizung zu berücksichtigen sind, kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin mit dem Schreiben des Beklagten vom 14. Dezember 2012 wirksam und fortwirkend zur Senkung ihrer Unterkunftskosten aufgefordert worden ist.
ccc) Damit ist zu Gunsten der Klägerin im streitigen Zeitraum ein Gesamtbedarf in Höhe eines Betrages von monatlich 833,00 Euro (404,00 Euro Regelbedarf und 429,00 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung) zu berücksichtigen.
cc) Die Klägerin konnte im streitbefangenen Zeitraum auch ihre Hilfebedürftigkeit iSv § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II und den §§ 9, 11, 12 SGB II nicht abwenden und ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen (vollständig) sichern. Hilfebedürftig im Sinne dieser Vorschriften ist gemäß § 9 Abs 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere zu berücksichtigendem Einkommen und Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
Den jeweils monatlich zu berücksichtigenden Bedarfen stand Einkommen gegenüber, das nicht ausgereicht hat, den Lebensunterhalt der Klägerin zu sichern.
Den aufgezeigten Bedarfen steht – dies ist zwischen den Beteiligten auch zu Recht nicht umstritten – insoweit ein bereinigtes Einkommen in Höhe eines Betrages von monatlich insgesamt 515,38 Euro (01. Mai 2016 bis 31. Juli 2016) bzw in Höhe eines Betrages von monatlich 547,86 Euro (01. Juli 2016 bis zum 31. Oktober 2016) gegenüber, wobei der Beklagte im Monat Juli 2016 nach Maßgabe der Regelung des § 22 Abs 3 SGB II zu Recht zusätzlich auch das der Klägerin zugeflossene Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung in Höhe eines Betrages von 194,30 Euro zu ihren Ungunsten berücksichtigen durfte.
dd) Hieraus folgt für die Zeiträume vom 01. Mai 2016 bis zum 30. Juni 2016 ein monatlicher Leistungsanspruch der Klägerin in Höhe eines Betrages von 317,62 Euro, für den Zeitraum vom 01. Juli 2016 bis zum 31. Juli 2016 ein monatlicher Leistungsanspruch der Klägerin in Höhe eines Betrages von 90,84 Euro sowie schließlich für den Zeitraum vom 01. August 2016 bis zum 31. Oktober 2016 ein monatlicher Leistungsanspruch der Klägerin in Höhe eines Betrages von 285,14 Euro; die zu Ungunsten der Klägerin dies nicht regelnden bewilligenden Verfügungen des Beklagten waren deshalb insoweit abzuändern.
c) Wenn nach alledem die gegen die bewilligenden Verfügungen erhobenen Abänderungsanfechtungsklagen begründet sind, gilt Gleiches auch für die mit ihnen kombinierten Leistungsklagen im Sinne des § 54 Abs 4 SGG iVm § 56 SGG, weil in Verfahren der vorliegenden Art zulässige und begründete Leistungsklagen wegen des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses ihrerseits zulässige und begründete Anfechtungsklagen voraussetzen und weil der Klägerin – wie aufgezeigt – ein Anspruch auf Gewährung von höheren Leistungen nach Maßgabe der Bestimmungen des SGB II zusteht, weshalb der Beklagte aufgrund der Abänderung der insoweit entgegen stehenden bewilligenden Verfügungen des Beklagten – zu verurteilen war, die tenorierten Beträge unter Berücksichtigung der bereits gewährten Beträge zu gewähren, so dass der Klägerin im streitigen Zeitraum ein weiterer Betrag in Höhe von monatlich 39,00 Euro zusteht.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 1 S 1 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens, in dem die Klägerin vollumfänglich obsiegte.
5. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 183 S 1 SGG).
Rechtsmittelbelehrung:
( …)
A.
Richter am Sozialgericht
Erstellt am: 25.01.2021
Zuletzt verändert am: 23.12.2024