Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.11.2001 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 23.10.2003 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Altersrente unter Berücksichtigung polnischer Versicherungszeiten nach den FRG (Fremdrentengesetz), Kindererziehungs- und Ersatzzeiten sowie einer Ghetto-Beschäftigung im Sinne des ZRBG (Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des 6. Buches Sozialgesetzbuch vom 20.06.2002, BGBl. I, 2073 ff.).
Die am 13. November 1921 in M (Polen) als Tochter jüdischer Eltern geborene Klägerin lebte mit ihrer Familie ab 1922 in O X. Nach ihren Angaben besuchte sie von 1928 bis 1935 eine Volksschule mit polnischer Unterrichtssprache, arbeitete von 1936 bis zum Einsetzen der deutschen Verfolgung im September 1939 als vollzeitbeschäftigte Schneiderin, wurde im April 1940 im Ghetto M erfasst und hielt sich dort bis zu ihrer Flucht im Frühjahr 1942 auf. 1945 heiratete sie in D/Bukowina ihren von dort stammenden Ehemann, mit dem zusammen sie nach Hermannstadt (seit 1918 offiziell: Sibiu) im heute rumänischen Siebenbürgen ging und von dort aus Mitte 1950 nach Israel auswanderte. 1946 gebar die Klägerin ihr Kind K noch in D; der im Juni 1950 geborene E kam in C zur Welt. Die Klägerin ist als Verfolgte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 des Bundesgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) anerkannt. Sie hat vom Bezirksamt für Wiedergutmachung in Koblenz für die Zeiten vom 01. Dezember 1939 bis 15. März 1942 und vom 16. Oktober 1942 bis zum 24. Juni 1944 eine Entschädigung für Schaden an Freiheit erhalten. Im Juli 1994 beantragte die Klägerin zunächst bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Bewilligung von Regelaltersrente mit der Angabe, sie habe von 1936 bis 1939 im Herkunftsgebiet als Schneiderin sozialversichert gearbeitet und ihre Muttersprache sei Deutsch gewesen. Im persönlichen Bereich, insbesondere im Elternhaus, habe sie bis zur Verfolgung überwiegend die deutsche Sprache, im Beruf überwiegend die polnische Sprache benutzt. Die Umgangssprache im Herkunftsgebiet sei Polnisch gewesen. Ihre Eltern hätten im persönlichen Bereich und insbesondere innerhalb der Familie überwiegend die deutsche Sprache, im Beruf überwiegend die polnische Sprache verwendet. Der durch Abgabe des Vorgangs seitens der BfA zuständig gewordenen Beklagten übersandte die Klägerin Erklärungen des Zeugen O1 H vom 23. Mai 1995 und der F X1 vom 29. Januar 1996, die Tätigkeit und Sprachangaben der Klägerin aus eigener Kenntnis bezeugten.
Auf Veranlassung der Beklagten führte das israelische Finanzministerium im Dezember 1995 eine Sprachprüfung der Klägerin durch, bei der diese angab, die Muttersprachen ihrer Eltern seien Deutsch und Polnisch gewesen. Die Eltern hätten miteinander und mit den Kindern Deutsch und Polnisch gesprochen. Die Kinder hätten untereinander die deutsche und polnische Sprache verwendet. Als Ergebnis der Sprachprüfung ist festgestellt, die Klägerin sei dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörig. Mit Bescheid vom 30.07.1997 lehnte die Beklagte den Antrag auf Bewilligung von Regelaltersrente mit der Begründung ab, für die Wartezeit anrechenbare Zeiten seien bei der Klägerin nicht vorhanden, weil sie ihre Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) im Sinne von § 17a FRG nicht glaubhaft gemacht habe. Mit Bescheid vom 02.06.1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit der gleichen Begründung zurück.
Mit der Klage zum Sozialgericht hat die Klägerin ihren Anspruch in der Annahme weiterverfolgt, insbesondere aufgrund des guten Ergebnisses ihrer Sprachprüfung habe sie ihre Zugehörigkeit zum dSK glaubhaft gemacht. Das Sozialgericht hat zur Bevölkerungsstruktur des Herkunftsgebietes Auskünfte der Heimatauskunftsstelle eingeholt sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und die Entschädigungsakten der Klägerin und ihres Ehemannes beim Amt für Wiedergutmachung in Saarburg beigezogen. Aus der Entschädigungsakte (Nr. 000) des als deutschsprachig anerkannten, 1916 in D geborenen Ehemannes N (N1) der Klägerin ergibt sich, dass dieser anlässlich seiner eigenen Sprachprüfung in einem am 18.03.1968 selbst unterzeichneten Fragebogen "Polnisch" als Muttersprache seiner Ehefrau (der Klägerin) angegeben hat.
Mit Urteil vom 09.11.2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Klägerin habe keinen Rentenanspruch, weil auf die allgemeine Wartezeit anrechenbare Beitragszeiten oder Ersatzzeiten nicht vorlägen, § 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung. Beitragszeiten im Sinne von §§ 55, 247 SGB VI seien nicht ersichtlich. Eine Berücksichtigung von Ersatzzeiten (§§ 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI) komme nur dann in Betracht, wenn die Klägerin als "Versicherte" anzusehen sei. Dies setze wiederum voraus, dass zumindest ein Beitragsmonat – ggf. fiktiv – im Rahmen der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt worden sei. Die allein denkbare Berücksichtigung von polnischen Beitragszeiten nach § 17a FRG scheitere an der fehlenden Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit der Klägerin zum dSK. Auch angesichts der bei der Prüfung nachgewiesenen guten Sprachkenntnisse der Klägerin sei ihre dSK-Zugehörigkeit zum Zeitpunkt des Einsetzens der deutschen Verfolgung nicht überwiegend wahrscheinlich. Sie sei mehrsprachig aufgewachsen. Polnisch, nicht Deutsch, sei die dominierende Sprache ihres Umfeldes außerhalb des Elternhauses gewesen. Sie habe eine polnischsprachige Volksschule besucht, was bereits vorherige Vertrautheit mit der polnischen Sprache voraussetze. Die Klägerin habe eigenen Angaben zufolge im Beruf überwiegend Polnisch gesprochen, was auch nach den Auskünften der Heimatsauskunftsstelle zu den demographischen und sprachlichen Verhältnissen ihres Herkunftsgebietes überwiegend wahrscheinlich sei. Die Erklärungen des O1 H und der F X1 seien allgemein gehalten. Gegen das ihr am 15.11.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15.11.2001 Berufung eingelegt, mit der sie sich zum Beleg ihrer Deutschsprachigkeit auf das Zeugnis der F X1 und des O1 H berufen und deren Vernehmung beantragt hat. Die Klägerin hat eine eigene Erklärung vom 02.03.2003 übersandt, wonach sie ab Frühjahr 1940 in das Ghetto M gezogen sei und dort auf Vermittlung des Judenrates im Sommer 1940 eine Tätigkeit als Reinigungsarbeiterin aufgenommen habe. Diese Tätigkeit, für die sie Essen, Lebensmittelrationen und Heizmaterial erhalten habe, habe sie bis zu ihrer Flucht im März 1932 aus dem Ghetto fortgesetzt. Mit Bescheid vom 23.10.2003 hat die Beklagte einen Anspruch der Klägerin nach dem ZRBG mit der Begründung abgelehnt, die aktuellem Angaben der Klägerin widersprächen ihren und den Angaben ihrer Zeugen im Entschädigungsverfahren, wo von Zwangsarbeiten die Rede gewesen sei. Der Bescheid enthält einen Hinweis auf § 96 Abs. 1 SGG.
Ihrem erkennbaren Interesse nach beantragt die Klägerin,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.11.2001 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.06.1998 sowie des Bescheides vom 23.10.2003 zu verpflichten, ihr Altersrente, ggf. unter Zulassung von Nachentrichtung freiwilliger Beiträge, zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise, die Klage gegen den ZRBG-Bescheid vom 23.10.2003 abzuzweisen.
Hinsichtlich der Nichtberücksichtigung von Vorkriegszeiten hält die Beklagte das angefochtene Urteil für zutreffend, hinsichtlich der Nichtberücksichtigung von Ghetto-Beschäftigungszeiten sieht sie weiterhin Widersprüche zwischen den nunmehrigen Angaben der Klägerin und ihren Angaben im Entschädigungsverfahren.
Der Senat hat versucht, die von der Klägerin benannten Zeugen im Wege der Rechtshilfe in Israel vernehmen zu lassen. Nachdem die Zeugen nicht vernehmbar waren, hat die Klägerin auf das Beweismittel verzichtet.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22.03.2004 ist die bei der Sprachprüfung der Klägerin in Israel entstandene Tonbandaufzeichnung auszugsweise abgespielt worden.
Zu weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakten unter Einschluss der beigezogenen Verwaltungsakten sowie der Entschädigungsakten der Klägerin und ihres Ehemannes verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung und die zweitinstanzliche Klage sind unbegründet.
Unbegründet ist die Berufung der Klägerin gegen das angefochtene Urteil, weil die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zum dSK im Rahmen von § 17a FRG als der einzigen insoweit ersichtlichen Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung der angegebenen polnischen Versicherungszeiten vor dem Einsetzen der deutschen Verfolgung wie auch eines Nachentrichtungsrechtes als Voraussetzung der Zahlbarmachung einer Rente nach Israel (Art. 11a S. 1 des Zusatzabkommens zum Abkommen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit in der Fassung vom 12.02.1995, in Kraft getreten am 01.06.1996, BGBl. 1996 II, S. 299, 1033) weiterhin nicht gelungen ist. Die Ausführungen des Sozialgerichts sind im rechtlichen Ansatz wie in der Beweiswürdigung gleichermaßen zutreffend. Der Senat macht sie sich nach eigener Prüfung zu Eigen und verzichtet auf eine wiederholende Darstellung, § 153 Abs. 2 SGG (Sozialgerichtsgesetz).
Berufungsvortrag und neue Erkenntnisse im Tatsächlichen im Laufe des Berufungsverfahrens erlauben keine abweichende Einschätzung: Die Beweiswürdigung ergibt nach wie vor, dass die Klägerin ihre dSK-Zugehörigkeit zum Zeitpunkt des Einsetzens der deutschen Verfolgung in ihrem Herkunftsgebiet im September 1939 nicht glaubhaft gemacht hat. Ergänzend zur Beweiswürdigung des Sozialgerichts stellt der Senat Folgendes fest: Die zum Zeitpunkt ihrer Anhörung in Israel gute mündliche Sprachbeherrschung der Klägerin ist – sowohl mit als auch ohne Berücksichtigung der im Übrigen bekannten Umstände – nicht geeignet, die allein maßgebliche Zugehörigkeit zum dSK im Jahre 1939 als glaubhaft gemacht erscheinen zu lassen. Denn die Klägerin hatte in ihrem nach dem Zeitraum der Verfolgung liegenden Leben durch die Ehe mit ihrem deutschsprachigen Ehemann, den gemeinsamen Aufenthalt im zu guten Teilen deutschsprachigen Hermannstadt und ihr weiteres Leben mit ihrem Ehemann in Israel, wo beide zumindest anfänglich des Hebräischen als Umgangssprache nicht ausreichend mächtig gewesen sein dürften, erkennbar Gelegenheit, nach dem Stichtag des § 17a FRG umfassende Deutschkenntnisse zu erwerben bzw. bereits vorhandene Sprachkenntnisse zu vertiefen. Unter diesen Umständen ist ein Rückschluss aus einem Prüfungsergebnis des Jahres 1995 auf die sprachlich-kulturellen Verhältnisse der Klägerin im Jahre 1939 – wenn überhaupt – jedenfalls nicht mit entscheidender Auswirkung auf das gegenteilige Ergebnis der Beweiswürdigung möglich.
Eine Ableitung der dSK-Zugehörigkeit der Klägerin von ihrem als deutschsprachig anerkannten Ehemann über § 150 Abs. 3 BEG ist nicht möglich. Die Möglichkeit einer Gleichstellung (u.a. im Rahmen von § 20 WGSVG) besteht grundsätzlich nach § 150 Abs. 3 BEG (Bundesentschädigungsgesetz in der Fassung des Artikel I Nr. 87 des Gesetzes vom 14.09.1965, BGBl. I, 1315 mit Wirkung vom 01.10.1953). Nach Absatz 1 der Vorschrift hat der Verfolgte aus Vertreibungsgebieten, der dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat, Anspruch auf Entschädigung für Schaden an Körper oder Gesundheit, für Schaden an Freiheit, für Schaden durch Zahlung von Sonderabgaben und für Schaden im beruflichen Fortkommen. Dieser Anspruch besteht nach Abs. 2 der Vorschrift, wenn der Verfolgte die in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes genannten Gebiete (Vertreibungsgebiete) bei Inkrafttreten dieses Gesetzes endgültig verlassen hat. Dieser Anspruch begünstigt nach Abs. 3 der Vorschrift auch den Ehegatten des Verfolgten, soweit die Ehe vor dem Verlassen der in Abs. 2 genannten Gebiete geschlossen worden ist. Die Ehe der Klägerin wurde im Jahr 1945 und damit 5 Jahre vor dem Jahr geschlossen, in dem die Eheleute das Vertreibungsgebiet verlassen haben. Dieser Zeitpunkt wiederum liegt vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des BEG-Schlussgesetzes vom 01.10.1953 (Winkelmeyer, BEG, § 150 Anmerkung 2 m.w.N.). Die Regelung ist jedoch im Rahmen von § 17a FRG nicht anwendbar. Die Ableitung von Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere die Zugehörigkeit zum dSK im Rahmen der Berücksichtigung ausländischer Versicherungszeiten nach § 17a FRG widerspräche dem erklärten Willen des Gesetzgebers. So heißt es in der amtlichen Begründung des berichtenden Ausschusses (Bundestagsdrucksache 11/5530, S. 65) auszugsweise: "Die Regelung soll nur für Personen gelten, die bei Beginn der allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen durch den Nationalsozialismus das 16. Lebensjahr vollendet haben. Sie soll nicht für Ehegatten und Nachkommen dieser Personen gelten, die selbst nicht die Voraussetzung dieser Regelung erfüllen." Der so erklärte Wille des Gesetzgebers spiegelt sich in dem einer erweiternden Auslegung nicht zugänglichen klaren Wortlaut von § 17a FRG (Urteil des Senats vom 29.04.2002 – L 3 RJ 76/01 – mit weiterer Ausführung, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen mit in der Sache bestätigendem Beschluss des BSG vom 11.12.2002 – B 5 RJ 144/02 B -).
Bei dieser Sach- und Rechtslage wäre auch ohne einen weiteren, eindeutigen Hinweis eine Überzeugungsbildung in dem Sinne, die Klägerin habe ihre dSK-Zugehörigkeit ab 1939 glaubhaft gemacht, kaum mehr möglich.
Zusätzliche Gewissheit verschafft indes die Angabe des Ehemannes der Klägerin bei seiner Sprachprüfung, er halte "Polnisch" für die Muttersprache seiner Ehefrau. Der Einwand der Klägerin, der Ehemann habe ihre Familie nicht gekannt, überzeugt insoweit nicht: Der Ehemann war nach der "Muttersprache", nicht nach ihrer Zugehörigkeit zum dSK befragt worden und konnte diese Angabe evident nur auf seine eigene Einschätzung bzw. Erinnerung an seine seinerzeitige Einschätzung stützen. Beide beruhten entweder alleine auf seiner Wahrnehmung von ihrer Sprachbeherrschung zu Anfang ihres gemeinsamen Lebens, was gegen seinerzeit schon überzeugend gute Sprachkenntnisse der Klägerin im Deutschen spräche oder sie beruhten – ggf. auch – auf Informationen zu den sprachlichen Verhältnissen in der Jugend der Klägerin und insbesondere in ihrem Elternhaus. In diesem Fall spräche seine Aussage, er halte "Polnisch" für die Muttersprache der Klägerin, sogar dafür, dass sie dies (sinngemäß) seinerzeit selbst angegeben hatte. Dies gilt logisch so lange, wie die Klägerin nicht behauptet – hierfür gibt es keinen Anhalt im Tatsächlichen – ihren Ehemann seinerzeit falsch informiert zu haben.
Die zweitinstanzliche Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 23.10.2003 versagt einen Anspruch der Klägerin nach dem ZRBG zu Recht mit der Begründung, ihre aktuellen Angaben widersprächen den Angaben aus dem Entschädigungsverfahren.
Der Bescheid vom 23.10.2003 ist nach §§ 153 Abs. 1, 96 Abs. 1 analog SGG kraft Gesetzes Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Hiernach wird ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Berufungsverfahrens, wenn er den alten, ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt.
Mit dem ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 30.07.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.06.1998 wie auch mit dem genannten Bescheid hat es die Beklagte jeweils für Vergangenheit und Zukunft abgelehnt, der Klägerin Regelaltersrente zu bewilligen. Beide Bescheide verneinen denselben Rentenanspruch unabhängig voneinander und stehen zueinander vergleichbar in dem Verhältnis des Erstbescheides zum Zweitbescheid (hierzu: Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, 2002, nach § 54 Rdnr. 9; § 77 Rdnr. 6 m.w.N.) mit der Besonderheit, dass hier die Beklagte im Rahmen des "Zweitbescheides" aufgrund zwischenzeitlich in Kraft getretenen neuen Rechts entschieden hat. Mit dem "Zweitbescheid" vom 23.10.2003 hat die Beklagte den "Erstbescheid" vom 30.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.06.1998 weder ganz (Ersetzung) noch teilweise (Änderung) zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X). Vielmehr lässt der "Zweitbescheid" den "Erstbescheid" unberührt. Folglich liegen die Voraussetzungen von § 96 Abs. 1 SGG – seinem Wortlaut nach – nicht vor. Die Bestimmung ist aber über ihren Wortlaut hinaus weit auszulegen; maßgeblicher Gesichtspunkt ist der der Prozessökonomie (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 96 Rdnr. 4). Rechtfertigt dieser Grundgedanke die Einbeziehung und steht der neue Verwaltungsakt mit dem bisherigen Streitstoff in Zusammenhang, so ist § 96 SGG nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zumindest entsprechend anwendbar (Urteil vom 24. November 1978, – 11 RA 9/78 -, BSGE 47, 170, SozR 1500 § 96 Nr. 13; Meyer-Ladewig a.a.O.). Beide Bescheide sind in Regelungsgehalt und Streitstoff weitgehend kongruent. Es erscheint daher prozessökonomisch, über beide Bescheide im gemeinsamen Verfahren zu entscheiden (mit gleichem Ergebnis: Urteile vom 15.10.2003 – L 8 RJ 38/00, LSG NRW; vom 07. November 2003 – L 13 RJ 46/02 -, LSG NRW; vom 13.02.2004, – L 4 RJ 96/03 -, LSG NRW; gegen Einbeziehung nach § 96 SGG: Urteil vom 12.09.2003, – L 14 RJ 70/02 -, LSG NRW, allerdings bei "Zweitbescheid" an Rechtsnachfolger des Adressaten der Ursprungsbescheide). Eine Berücksichtigung der nunmehr angegebenen Beschäftigungszeiten im Ghetto M nach Maßgabe des ZRBG ist nicht möglich, da dessen Voraussetzungen nicht glaubhaft gemacht sind. Leistungen nach dem ZRBG erhalten Verfolgte im Sinne des BEG, die sich zwangsweise in einem Ghetto, welches sich in einem Gebiet befand, das vom deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, aufgehalten haben und dort eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben (§ 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG). Es ist aber weder bewiesen noch glaubhaft gemacht (§ 3 WGSVG – Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung in der Fassung des Gesetzes vom 24.06.1993, BGBl. I, S. 1038), dass die Klägerin im Ghetto M eine aus eigenem Willensentschluss zustandegekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt hat. Nunmehr gibt die Klägerin an, auf Vermittlung des Judenrates Reinigungsarbeiten bei verschiedenen Arbeitgebern gegen Essen, Lebensmittelrationen und Heizmaterial verrichtet zu haben. Diese Angabe steht in von der Klägerin nicht ausgeräumtem – und mangels Benennung weiterer Beweismittel – nicht weiter aufzuklärendem Widerspruch zu ihrer Angabe im Entschädigungsverfahren, ab März 1941 sei sie im geschlossenen und mit Stacheldraht umzäunten Ghetto M, dessen Verlassen ihr unter Androhung von Todesstrafe verboten gewesen sei, von jüdischer Polizei bewacht, zur Arbeit gezwungen und zu Aufräumungsarbeiten eingeteilt worden. (Eidliche Erklärung der Klägerin vom 25.11.1957, Bl. 6 ihrer Entschädigungsakte). Mit eidlichen Erklärungen vom 29.10.1957 und 25.11.1957 (a.a.O., Bl. 16,17) bestätigten die Zeugen J H1 und A B diesen Vortrag der Klägerin und ergänzten ihn um die Angabe, dass alle Ghettoinsassen zwangsweise und unentgeltlich arbeiten mussten. Wegen dieses offenen Widerspruches sind die Anspruchsvoraussetzungen nach dem ZRBG nicht glaubhaft gemacht, da keine Gesichtspunkte hinsichtlich alleine oder eher der aktuellen Angaben der Klägerin ersichtlich sind. Vielmehr sprechen größere Zeitnähe sowie die damals nicht erkennbare Relevanz der Eigendarstellung des Sachverhaltes für einen Anspruch nach dem ZRBG eher für die Richtigkeit der früheren Angaben der Klägerin, bei der sich im Übrigen ja auch Zweifel an der Richtigkeit ihrer Angaben zur dSK-Zugehörigkeit bei Einsetzen der deutschen Verfolgung herausgestellt haben (vgl. oben). Auf die weiter offene Frage, ob die von der Klägerin behaupteten Naturalleistungen für ihre Arbeiten im Ghetto als "Entgelt" im Sinne des ZRBG anzusehen sind (Urteil vom 22.10.2003 – L 8 RJ 90/01 -, LSG NRW, Revision mit dem Aktenzeichen B 13 RJ 59/03 R anhängig) kommt es danach nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da er der auch hier erheblichen Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst, ob nach dem ZRBG im laufenden Rechtsstreit um eine Altersrente ergehende Bescheide in das Verfahren einzubeziehen sind. Diese durch höchstrichterliche Rechtsprechung nicht geklärte Frage betrifft zahlreiche weitere Verfahren.
Erstellt am: 19.08.2006
Zuletzt verändert am: 19.08.2006