Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 13. Mai 2004 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses pflichtversichertes Mitglied der Antragsgegnerin. Neben dem Arbeitsentgelt aus dem Beschäftigungsverhältnis bezieht der Antragsteller vom Versorgungswerk der Rechtsanwälte eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 28.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2004 setzte die Antragsgegnerin den Krankenversicherungsbeitrag unter Bemessung der Beiträge aus den Versorgungsbezügen nach dem allgemeinen Beitragssatz (zuvor hälftiger Beitrags satz) neu fest. Der Antragsteller hat hiergegen vor dem Sozialgericht (SG) Detmold Klage erhoben und die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides begehrt. Er hat insbesondere geltend gemacht, die gesetzliche Neuregelung, auf der die Beitragserhöhung beruhe, sei verfassungswidrig. Sie verstoße gegen die Eigentumsgarantie und das Gleichbehandlungsgebot sowie gegen Aspekte des Vertrauens- und Bestandsschutzes. Sie sei willkürlich und vernachlässige den Umstand der Einführung von Praxiskosten und der Medikamentenbeteiligung. Auch unterlasse es der Gesetzgeber zweckwidrig, Tabak- und Alkoholsteuereinnahmen in die Förderung des Gesundheitswesens einzubeziehen. Der Bescheid der Antragsgegnerin verstoße auch gegen den zwischen ihm und ihr geschlossenen gerichtlichen Vergleich über seine Beitragszahlung.
Mit Beschluss vom 13.05.2004 hat das SG den Antrag abgelehnt, weil es das öffentliche Vollzugsinteresse höher bewertet hat, als das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Mit seiner hiergegen am 15.05.2004 eingelegten Beschwerde rügt der Antragsteller, dass das SG sein Vorbringen nicht hinreichend gewürdigt habe. Unberücksichtigt bei der Interessenabwägung sei darüber hinaus geblieben, dass der Erwerb von Wohneigentum statt der Rentenanwartschaften zu keinen Beitragsbelastungen geführt hätte. Ebensowenig seien seine finanziellen Belastungen ausreichend gewürdigt worden – Verdoppelung des Beitragssatzes bei bestehenden langfristigen finanziellen Verpflichtungen sowie Unterhalt und Förderung seiner behinderten Tochter.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Widerspruch und Anfechtungsklagen gegen Beitragsbescheide entfalten keine aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Die Aussetzung der Vollziehung derartiger Bescheide kann das Gericht der Hauptsache jedoch gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel i.S.d. § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG liegen nur dann vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels deutlich wahrscheinlicher ist als ein möglicher Mißerfolg. Andernfalls wäre angesichts der vielfältigen Rechtsprobleme wie auch der Schwierigkeiten einer umfassenden Sachverhaltsklärung in Beitragsangelegenheiten eine Aussetzung der Vollziehung regelmäßig durchsetzbar, was die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung erheblich beeinträchtigen könnte (vgl. ausführlich dazu Beschluss des Senats vom 18.12.2002 – L 16 B 70/02 KR ER -).
Derartige Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beitragsbescheides bestehen nicht. Dieser entspricht der zum 1.1.2004 in Kraft getretenen Regelung des § 248 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I S. 2190). Danach gilt bei Versicherungspflichtigen für die Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen der jeweils am 01.07. geltende allgemeine Beitragssatz ihrer Krankenkasse für das folgende Kalenderjahr. Aufgrund dieser Norm war die Antragsgegnerin verpflichtet, die gerügte Beitragsanhebung vorzunehmen. Der zwischen den Beteiligten am 11.12.2002 in dem Verfahren SG Detmold – S 11 KR 129/01 – geschlossene Vergleich steht dem nicht entgegen, weil dieser nicht die zukünftigen Beiträge des Antragstellers zum Gegenstand hatte.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 248 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der Fassung des GMG rechtfertigen eine Aussetzung ebenfalls nicht. Nur erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, die die Vorlage nach Art. 100 Grundgesetz (GG) an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erforderlich erscheinen lassen, rechtfertigen den Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfG, DVBl., 1996, 1367; Dumke in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, Rdn. 85 zu § 361 m.w.N.). Derartige Bedenken vermag der Senat nicht zu erkennen.
Die Grundrechte des Antragstellers aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG sind nicht beeinträchtigt. Das hieraus folgende Verbot der echten Rückwirkung belastender Gesetze (vgl. BVerfGE 15, 313, 324; 25, 371, 404) ist nicht verletzt, weil das im November 2003 verabschiedete GMG erst mit Wirkung zum 01.01.2004 in Kraft getreten ist. Allein die rückwirkende Umsetzung des Gesetzes durch den angefochtenen Beitragsbescheid der Antragsgegnerin ändert hieran nichts.
Die Norm verstößt auch nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgrundsatz. Die Erhöhung des Beitragssatzes für die Bemessung der Beiträge aus Versorgungsbezügen durch § 248 Abs. 1 Satz 1 SGB V greift mit Wirkung für die Zukunft in ein öffentlich-rechtliches Versicherungsverhältnis ein und gestaltet dies zum Nachteil für die Versicherungspflichtigen um. Ein solcher Eingriff in bestehende Rechtspositionen, der sich nur für die Zukunft auswirkt, entfaltet eine unechte Rückwirkung. Diese ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und genügt dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt (BVerfGE 97, 378, 389 = SozR 3-2500 § 48 Nr. 7; BVerfGE 101, 239, 263). Diesen Anforderungen genügt § 248 Abs. 1 Satz 1 SGB V.
Zwar ist das Vertrauen der Versicherten, insbesondere der älteren und gesundheitlich beeinträchtigten Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, auf den Fortbestand einer günstigen Rechtslage in der Regel hoch einzuschätzen (BVerfGE 97, 378, 389; BVerfG SozR 3-2500 § 240 Nr. 39). Dieses Vertrauen ist gleichwohl nur eingeschränkt schutzwürdig, weil die zugrundeliegende Rechtslage für die Zukunft nicht gesichert erscheinen konnte. Bereits im Rahmen seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung der Zugangsmöglichkeit zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) durch § 5 Abs. 1 Nr. 11 Halbs. 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (GSG) vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2266) hatte das BVerfG darauf verwiesen, dass die beitragsrechtlich unterschiedliche Behandlung des Einkommens freiwilliger und pflichtversicherter Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung bedenklich erscheine (BVerfG Beschl. vom 15.03.2000 – 1 BvL 16/96 – = SozR 3-2500 § 5 Nr. 42 S. 188). Dass es infolgedessen zur verstärkten Heranziehung von Einkommen der Pflichtversicherten in der Zukunft kommen könnte, musste daher für letzteren Personenkreis naheliegen.
Jedenfalls aber überwiegen im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung die mit der Regelung des § 248 Abs. 1 Satz 1 SGB V verfolgten öffentlichen Belange. Der Gesetzgeber hat die Neuregelung damit begründet, dass Rentner, deren Leistungsaufwendungen inzwischen nur noch zu 43 % durch die Beiträge gedeckt würden, in angemessenem Umfang an der Finanzierung dieser Aufwendungen beteiligt würden (BT-Drucks. 15/1525). Damit trägt die Regelung als Teil eines im GMG enthaltenen Bündels von Maßnahmen zur Erhöhung der Beitragseinnahmen und damit zur Erhaltung der Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung bei (vgl. BVerfGE 82, 209, 230; BVerfG, NJW 2001, 1779, 1780). Diese Gemeinwohlziele zu erreichen, wäre dem Gesetzgeber voraussichtlich nicht oder nicht in genügendem Maße gelungen, wenn er sich auf die Maßnahmen der Einführung einer Praxisgebühr und höherer Eigenbeteiligungen der Versicherten beschränkt hätte. Der Gesetzgeber war in diesem Zusammenhang nicht verpflichtet anderweitige Steuereinnahmen, wie etwa die Tabaksteuer, zum Ausgleich eines beitragsfinanzierten Versicherungssystems heranzuziehen.
Die Regelung verletzt auch nicht das aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Willkürverbot und das Sozialstaatsprinzip. Es stellt weder einen willkürlichen Gesetzgebungsakt dar, wenn der Gesetzgeber im Rahmen beitragsfinanzierter Leistungen auch weitere Einkünfte einbezieht und damit auf die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Versicherten abstellt. Auch das Sozialstaatsprinzip enthält nicht das Gebot, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang und zu bestimmten Beiträgen zu gewähren (vgl. BSG SozR 3-2500 § 240 Nr. 27 S. 111 m.w.N.).
Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG gebietet keinen Schutz vor Beitragsänderungen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 240 Nr. 30 S. 136). Der Anspruch auf die Versorgungsbezüge selbst, der der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG unterliegt, bleibt hingegen unberührt, denn dieser verbleibt dem Grunde nach in unveränderter Höhe dem Versicherten erhalten. Dass hieraus Beiträge zur Krankenversicherung aufzubringen sind, wird durch eine rechtlich und wirtschaftlich angemessene Gegenleistung in Gestalt der Kranken-Vollversicherung ausgeglichen (vgl. BSG a.a.O.). Ebensowenig wird Art. 6 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass dem Antragsteller infolge der höheren Beitragsschuld Mittel zum Unterhalt und zur Ausbildung seiner Tochter entzogen werden. Seiner Verpflichtung zur Förderung von Ehe und Familie wird der Gesetzgeber durch die Einführung der kostenfreien Familienversicherung (§ 10 SGB V) hinreichend gerecht; es besteht darüber hinaus keine Verpflichtung, den stammversicherten Familienvater beitragsrechtlich zusätzlich zu entlasten, weil insofern die allgemeinen Regelungen des Familienlastenausgleichs im Kindergeldrecht und im Steuerrecht greifen (vgl. BVerfGE 82, 60; BVerfG SozR 3-5870 § 10 Nr. 1; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr. 15 S. 61).
Auch die sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ergebenden Bedenken gegen die Neufassung des § 248 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind nicht von solch einer Tragweite, dass sie die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides gebieten. Dabei ist zu beachten, dass das BSG die entsprechende Regelung in der sozialen Pflegeversicherung bereits für verfassungsgemäß erachtet hat (vgl. BSG SozR 3-3300 § 55 Nr. 3). Bedenklich mag allerdings erscheinen, dass der Antragsteller, anders als der Kreis der in der KVdR Pflichtversicherten, die aus ihren Renten keinen entsprechenden Beitragssatz aufbringen müssen, mit seinen Versorgungsbezügen in vollem Umfang gerade zur Finanzierung der KVdR herangezogen wird (vgl. dazu auch Beschl. des Senats vom 26.05.2004 – L 16 B 32/04 KR ER -). In Anbetracht des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Verwirklichung des Sozialstaatsgrundsatzes (vgl. BVerfGE 82, 60, 80 m.w.N.) sowie seiner Berechtigung bei der Ordnung von Massenerscheinungen, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, ohne allein wegen der damit verbundenen Härte gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (BVerfG SozR 3-2500 § 240 Nr. 39 S. 193 m.w.N. zu seiner st. Rspr.), sind die insoweit bestehenden Zweifel nicht von solchem Gewicht, dass sie bereits die Aussetzung der Vollziehung notwendig erscheinen lassen. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der Kläger bei einer anderen Gestaltung seiner Lebensverhältnisse, beitragsfrei wäre. Insoweit liegt kein einheitlich zu beurteilender Lebenssachverhalt vor, der an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen wäre.
Die nach § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG erforderliche Interessenabwägung lässt die Aussetzung der Vollziehung ebenfalls nicht erforderlich erscheinen. Zum einen hat der Antragsteller schon nicht schlüssig dargelegt, dass die Vollziehung des angefochtenen Bescheides zu einer unbilligen Härte für ihn führt. Auch wenn er mit früheren Beitragszahlungen in Verzug gekommen ist, besagt dies nichts darüber, inwieweit die nunmehr eingetretene weitere Schmälerung seines verfügbaren Gesamteinkommens ihn dazu zwingt, Dispositionen vorzunehmen, die nachträglich nicht rückgängig gemacht werden könnten. Unabhängig davon ist gerade angesichts der schlechten Vermögenslage und der daraus folgenden mangelnden nachträglichen Durchsetzbarkeit der Beitragsansprüche für den Fall, dass der angefochtene Beitragsbescheid in der Hauptsache seine Bestätigung findet, dem öffentlichen Vollzugsinteresse der Vorrang einzuräumen. Andernfalls bestünde nämlich die Gefahr, dass der Solidargemeinschaft Beitragsmittel auf Dauer vorenthalten würden.
Die Beschwerde musste daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 15.06.2004
Zuletzt verändert am: 15.06.2004