Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 05. April 2000 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Februar 1999 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die am 26.06.1998 erlittenen Verletzungen des Klägers Folge eines Arbeitsunfalles sind. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit wird um die Anerkennung und Entschädigung eines Selbsttötungsversuchs des Klägers als Arbeitsunfall geführt.
Der am 00.00.1970 geborene Kläger legte im Januar 1996 die Diplomprüfung im Studiengang Maschinenbau an der Universität I mit einer Gesamtnote sehr gut ab. Seit dem 11.03.1996 war er bei der Firma Q Glashütte GmbH in Bad N beschäftigt. Er gehörte als Projektingenieur der wannentechnischen Abteilung an, die für die Planung und Wartung der insgesamt sieben zum Konzern gehörenden Glashütten in Europa zuständig war. Seit dem 26.05.1998 wurde der Kläger gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen, dem Zeugen X, in H in Polen eingesetzt, um dort Abriss- und Neubauarbeiten einer Glaswanne zu organisieren und zu beaufsichtigen. Während der Zeit seines bis August 1998 vorgesehenen Aufenthaltes war der Kläger in einem Hotel untergebracht.
Nach den Feststellungen der Bezirksstaatsanwaltschaft H verließ der Kläger am 26.06.1998 früh morgens sein im zweiten Stock des Hotels gelegenes Zimmer und stürzte sich aus einem Flurfenster im dritten Stock. Er erlitt dabei zahlreiche Brüche im Bereich beider Arme und Beine sowie einen Kompressionsbruch des ersten Lendenwirbelkörpers.
Die Arbeitgeberin des Klägers zeigte am 20.07.1998 dieses Geschehen als Arbeitsunfall an. Im Zuge weiterer Ermittlungen befragten Bedienstete der Beklagten den Kläger, den Leiter der wannentechnischen Abteilung und direkten Vorgesetzten des Klägers, den Zeugen H, den weiteren Baustellenleiter, den Zeugen X, und den Personalleiter X1.
Nach dem Ergebnis dieser Befragungen war der Kläger bereits vor 1998 für die Firma Q insgesamt sechsmal im Rahmen von Reparaturen bzw. Neubauten in Glashütten in Europa eingesetzt und hatte unter anderem 1997 die Betreuung des Baues einer anderen Wanne in H durchgeführt. Zuständig für die Ofenbauarbeiten vor Ort war die polnische Ofenbaufirma U. In den ersten zwei Wochen wurden vorwiegend Abrissarbeiten erledigt, wobei hier nur unwesentliche Probleme auftraten. Nach einem Kurzurlaub in Deutschland hielt sich der Kläger seit dem 15.06.1998 wieder an der Baustelle in Polen auf, wo nunmehr die Neubau- und Aufbauarbeiten anstanden; hierbei traten erhebliche technische Probleme auf, da die anhand von Zeichnungen angegebenen Vorgaben nicht eingehalten worden waren, Aufbauten an falscher Stelle vorgenommen wurden, teilweise falsches Material verwendet wurde und deswegen wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Genauigkeit Anpassungsarbeiten vorgenommen werden mussten. Grund dafür waren erhebliche Verständigungsschwierigkeiten mit den polnischen Arbeitern der Firma U. Deshalb drängte der Kläger darauf, dass ihm ein Dolmetscher bzw. Ansprechpartner auf der Baustelle zur Verfügung gestellt werde. Dies wurde dem Kläger am 23.06.1998 durch den Zeugen H zugesagt. Außerdem wurde zur Entlastung des Klägers vereinbart, dass dieser ab 25.06.1998 zusammen mit dem Zeugen X, welcher zuvor die Nachtschicht betreut hatte, die Tagschicht beaufsichtigen sollte. Zu Beginn der Schicht des 25.06.1998 fragte der Kläger nach, ob wie vereinbart ein Dolmetscher gestellt worden sei; als der Zeuge X dies verneinte, zeigte sich der Kläger darüber erschüttert. Am Abend sahen der Kläger und der Zeuge X gemeinsam fern. Gegen 23:00 Uhr begab sich der Kläger zum Schlafen, wachte jedoch nach wenigen Stunden auf und beschäftigte sich wiederum mit Problemen im Baustellenbereich. Gegen morgen stürzte er sich dann aus dem dritten Stock des Hotels.
Er hinterließ seiner Angehörigen bzw. seinen Arbeitskollegen einen Abschiedsbrief, in welchem er mitteilte, die Selbsttötung sei für ihn der letzte Ausweg aus einer aussichtslosen Situation; er habe versagt, sich in eine Sackgasse verlaufen und sei psychisch nicht mehr in der Lage gewesen, sich aus der Situation zu befreien. Er listete eine Reihe von ihm so genannter "Fehlleistungen" auf. Wegen der Feststellungen im Einzelnen wird auf die Dienstreiseberichte vom 29.07. und 07.09.1998 Bezug genommen.
Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 15.10.1998 ab, das Ereignis vom 26.06.1998 als Folge eines Arbeitsunfalles zu entschädigen, da dem Suizidversuch des Klägers eine längerdauernde Belastungssituation, nicht aber eine akute, psychisch traumatisierende Einwirkung im Verlauf der Arbeitsschicht vor dem Selbsttötungsversuch zugrundegelegen habe. Die Enttäuschung darüber, dass der ihm zugesagte Dolmetscher am 25.06.1998 nicht erschienen sei, sei nicht als eine sich aus der Gesamtheit der betriebsbedingten psychischen Einwirkungen deutlich hervorhebende, sondern als gleichwertige Einwirkung einzustufen. Im Übrigen habe das Verhalten des Klägers am Abend des 25.06.1998 keine Besonderheit aufgewiesen.
Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, die beruflich bedingten Ereignisse hätten sowohl seine physische als auch seine psychische Konstitution derart belastet, dass sie als Arbeitsunfall im Sinne eines psychischen Traumas zu qualifizieren seien. Wegen der verzögerten Fertigstellung der Arbeiten sei er als zuständiger Leiter der Tagschicht unter immer größer werdenden Zeitdruck geraten, wobei er mit seinen sämtlichen Problemen allein gelassen worden sei und ihm auch der Zeuge X nicht habe helfen können. Am 25.06.1998 sei die Angelegenheit immer chaotischer und immer unübersichtlicher geworden; hinzu gekommen sei die verständliche Enttäuschung darüber, dass der zugesagte Dolmetscher nicht erschienen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.1999 zurück. Mit der Klage zum Sozialgericht Detmold hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 05.04.2000, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen.
Mit seiner Berufung trägt der Kläger vor, die versuchte Selbsttötung sei Folge eines Arbeitsunfalls und im Wesentlichen auf die Ereignisse der Arbeitsschicht am 25.06.1998 zurückzuführen. Das Sozialgericht irre, wenn es auf die Dauerbelastung auf der Baustelle abstelle. Die Arbeiten seien zunächst trotz Problemen gut vorangegangen, so dass er guten Mutes vom 11. bis 15.06.1998 nach Hause gefahren sei. Nach seiner Rückkehr habe die Arbeitsbelastung drastisch zugenommen, da die Anzahl der Arbeiter auf der Baustelle erhöht worden sei und er zudem die aufwändige Arbeit des Poliers mit habe erledigen müssen. Er sei aber immer noch fähig gewesen, die Situation realistisch einzuschätzen. Er sei zwar bereits physisch und psychisch angeschlagen gewesen, habe sich aber noch nicht in einer verzweifelten und ausweglosen Lage befunden. Da er sich aber überfordert gefühlt habe, habe er konsequenter Weise seinen Vorgesetzten am 23.06. um Ablösung gebeten, da er nicht klar komme. Dieser habe dies aus Personalgründen abgelehnt, aber am Abend des 23.06. noch einige Regelungen getroffen, die Abhilfe bezüglich der Personal- und Verständigungsprobleme schaffen sollten. So sei mit dem Chef der Ofenbaufirma vereinbart worden, dass ein deutschsprachiger, dem Kläger bereits aus dem Jahre 1997 bekannter Maurer sowie der englischsprachige Konstrukteur der Firma für einige Tage auf die Baustelle kommen sollten. Daraus habe er neuen Mut geschöpft und geglaubt, es unter diesen Voraussetzungen doch noch schaffen zu können. Zudem sei er davon ausgegangen, dass sein Chef ihn schon ablösen werde, wenn die Probleme zu groß würden. Am Mittag des nächsten Tages sei der Konstrukteur auf der Baustelle erschienen und habe für die technischen Probleme eine andere Lösung vorgeschlagen als der Zeuge H. Dem habe er – der Kläger – zugestimmt im Glauben an die Erfahrung des Konstrukteurs, zumal dieser den Arbeitern wenigstens die von den Plänen abweichenden Arbeitsschritte in ihrer Muttersprache habe erläutern können. Danach habe der Konstrukteur die Baustelle verlassen. Bis zu diesem Zeitpunkt habe es für ihn immer wieder einen Hoffnungsschimmer gegeben, seine Probleme zu lösen.
Am 25.06. hätten sich dann jedoch die Ereignisse überschlagen. Als erstes habe ihn der Zeuge X informiert, dass der deutschsprachige Maurer nicht eingetroffen sei. Dies sei der auslösende Moment für ihn gewesen, aufzugeben, seinen Vorgesetzen anzurufen und endgültig seine Ablösung zu fordern. Fassungslos habe er zur Kenntnis nehmen müssen, dass sein Chef nicht willens gewesen sei, einen anderen Mann zu schicken. Der Zeuge H habe auch die Problemlösung des polnischen Konstrukteurs abgelehnt und auf seinem eigenen komplizierten und von den Skizzen abweichenden Weg beharrt, den er – der Kläger – den Arbeitern ohne Polnischkenntnisse oder einen Dolmetscher und pas sende Pläne nicht hätte vermitteln können. Zudem habe der Zeuge H ihn angewiesen, zusätzlich noch die Arbeiten an einer anderen Glaswanne zu kontrollieren. Erst in diesem Moment sei seine seelische Verfassung gekippt, er habe in seiner depressiven Stimmung den Mut verloren und den Eindruck gewonnen, dass das Bauvorhaben nicht mehr zu retten sei, teilweise aus seiner Schuld. Er habe das Gefühl gehabt, sich in einer ausweglosen Situation zu befinden; dies habe letztendlich zu seinem Selbsttötungsversuch geführt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 05.04.2000 zu ändern und unter Aufhebung des Bescheides vom 15.10.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.02.1999 festzustellen, dass seine am 26.05.1998 erlittenen Verletzungen Folge eines Arbeitsunfalles sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und vertritt die Auffassung, die Ereignisse vom 25.06.1998 stellten nicht die wesentliche Ursache des Selbsttötungsversuchs dar; die an diesem Tage aufgetretenen Schwierigkeiten seien objektiv keineswegs schwerwiegender gewesen, als die bereits zuvor aufgetretenen Mängel und Unzulänglichkeiten bei der Bauausführung. Es lägen auch keine sicheren Anzeichen dafür vor, dass gerade die Ereignisse am 25.06.1998 eine höhere psychische Belastung bewirkt hätten als die zuvor aufgetretenen Probleme. Bereits vor diesem Tage habe der Kläger seine Hilflosigkeit in Bezug auf die ungenügende Umsetzung seiner Vorgaben und die daraus nach seiner Ansicht resultierende massive Gefährdung des Bauvorhabens gegenüber den Zeugen X und H kundgetan und bereits am 23.06.1998 den Zeugen H um die Ablösung von der Bauleitung gebeten.
Das Gericht hat in einem Termin zur Erörterung und Beweisaufnahme am 08.12.2000 die Zeugen S H und D X uneidlich vernommen. Wegen des Eregebnisses wird auf die Terminsniederschrift Bezug genommen. Sodann ist ein Gutachten eingeholt worden von Prof. Dr. H, dem Leiter des Therapie- und Forschungszentrums für Suizidgefährdete am Universitätsklinikum in I vom 28.08.2002 mit ergänzender Stellungnahme vom 10.11.2003. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, der Suizidversuch des Klägers vom 26.06.1998 sei mit Wahrscheinlichkeit zumindest im Sinne einer wesentlichen Teilursache kausal zurückzuführen auf die betriebsbedingten Einwirkungen während der Arbeitsschicht am 25.06.1998. In der Persönlichkeit des Klägers liegende Faktoren und die betrieblichen Belastungen des Klägers auf der Baustelle in H in ihrer Gesamtheit hätten demgegenüber keine überragende kausale Bedeutung für den Suizidversuch gehabt. Die Geschehnisse am 25.06.1998 hätten vielmehr für den Entschluss des Klägers zur Selbsttötung im Vergleich zum Vorgeschehen eindeutig eine besondere hervorgehobene Bedeutung.
Die Beklagte hat dem unter Vorlage einer Stellungnahme nach Aktenlage des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. H1 aus O widersprochen. Die seelische Belastung, die in der Arbeitsschicht am 25.06.1998 auf den Kläger eingewirkt habe, sei allenfalls das letzte Glied einer Kette zahlreicher einander etwa gleichwertiger Einwirkungen auf seine Psyche gewesen. Sie könne nicht als rechtlich wesentliche Bedingung für den Sprung aus dem Fenster gewertet werden. Bereits am 23.06.1998 habe der Kläger um Ablösung von der Bauleitung gebeten. Angesichts des sich im Laufe der Ermittlungen gefestigten Bildes eines äußerst motivierten und leistungsbereiten Mitarbeiters habe diese Bitte um Ablösung aufgezeigt, dass der um Erfolg bemühte Kläger sich bereits zu diesem Zeitpunkt als gescheitert angesehen habe und sich deswegen in einer extremen psychischen Ausnahmesituation befunden habe, die in ihrer Qualität den psychischen Belastungen infolge der Ereignisse vom 25.06.1998 nicht nachgestanden habe. Zusammenfassend könne den Ereignissen am 25.06.1998 für sich allein nicht die Qualität einer rechtlich wesentlichen Mitwirkung zugesprochen werden, da sie keine größere psychische Belastung bewirkt hätten als die vorherigen Geschehnisse.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und der Streitakten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers, mit der er nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Feststellung begehrt, dass die Gesundheitsstörungen, die er am 26.06.1998 erlitten hat, Folge eines Arbeitsunfalls sind, ist zulässig und begründet.
Die Beklagte hat es in den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht abgelehnt, den Selbsttötungsversuch des Klägers am 26.06.1998 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Ein Unfall ist nach der gesetzlichen Definition des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führt.
Der Kläger hat am 26.06.1998 einen Arbeitsunfall erlitten. Dem steht nicht entgegen, dass er versucht hat, sich selbst zu töten. Nach ständiger gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der Senat anschließt, kann auch eine Selbsttötung, die ihre wesentliche Ursache unmittelbar in der versicherten Tätigkeit findet, einen Arbeitsunfall darstellen (BSG Breithaupt 1963, 768; Urteil vom 18.12.1979 – 2 RU 77/77 -, Beschluss vom 05.02.1980 – 2 BU 31/79 -; Urteil vom 29.02.1984 – 2 RU 35/83 – USK 8455; Urteil vom 30.05.1985 – 2 RU 17/84 – SozR 2200 § 548 Nr. 71; Urteil vom 08.12.1998 – B 2 U 1/98 R – USK 98172, jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Unfallbegriff der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst nicht nur körperlich gegenständliche Einwirkungen, sondern auch geistig-seelische Traumata (BSG, USK 98172 m.w.N.). Dabei gilt auch hier die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung herrschende Kausallehre der wesentlichen Bedingung oder der wesentlich mitwirkenden Teilursache. Sie besagt, dass von den Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischem Sinn, also den Bedingungen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele, diejenigen berücksichtigt werden, die wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (BSG USK 8455 m.w.N.). Die Mitursächlichkeit psychisch traumatisierender betrieblicher Kausalfaktoren an einem Suizidentschluss ist auch nicht bereits deshalb schlechthin ausgeschlossen, wenn eine zu solchen psychischen Reaktionen neigende Anlage des Versicherten vorliegt, es sei denn, ihr ist eine derart überragende Bedeutung beizumessen, dass sie rechtlich die allein wesentliche Ursache ist und andere Einwirkungen auf die Psyche des Versicherten dadurch als rechtlich unwesentlich in den Hintergrund treten (BSG, Beschluss vom 05.02.1980 – 2 BU 31/79 -; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 71 jeweils m.w.N.). Die Definition des Unfalls enthält als wesentliches Merkmal das der zeitlichen Begrenzung. Danach erfüllt eine schädigende, auch psychische Einwirkung nur dann den Tatbestand eines Unfalls, wenn sie innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraumes, höchstens innerhalb einer Arbeitsschicht geschehen ist. War die seelische Belastung allenfalls das letzte Glied einer Kette zahlreicher auf einen längeren Zeitraum verteilter Einwirkungen auf die Psyche, so kann sie nicht als rechtlich wesentliche Bedingung für einen Suizidentschluss gewertet werden (BSG SozR 2200 § 548 Nr. 71; BSG USK 98/172).
Unter Berücksichtigung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, sind die auf den Zeitraum einer Arbeitsschicht am 25.06.1998 begrenzten betrieblichen Einwirkungen auf die Psyche des Klägers wesentliche Teilursache für seinen Suizidversuch vom 26.06.1998. Zwar haben hier auch in der Persönlichkeit des Klägers angelegte Ursachenfaktoren mitgewirkt. Diese haben aber für seinen Suizidversuch nicht derart überragende Bedeutung, dass die betrieblichen Bedingungen demgegenüber in den Hintergrund getreten sind. Der Senat folgt insoweit dem überzeugend begründeten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H. Nach dessen Beschreibung ist die Lebensvorgeschichte des Klägers psychopathologisch unauffällig. Bemerkenswert sind seine hohen moralischen Ansprüche, die Ausprägung seines sogenannten Über-Ichs (Gewissen), seine deutliche Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit und seine hohe Motivation, sich einer bestimmten Sache mit einer Mischung aus Pflichtgefühl und Leidenschaft zuzuwenden bei voller psychischer, geistiger und körperlicher Gesundheit. In Übereinstimmung damit charakterisiert der Personalleiter der Firma Q X1 den Kläger als einen Mitarbeiter von ausgeprägtem Verantwortungsbewusstsein, der an seine eigene Leistung die höchsten Anforderungen stellte und für den Ungenauigkeiten und Fehler ein Greuel waren (Dienstreisebericht vom 08.09.1998).
Bereits vor dem 25.06.1998 war der Kläger einer erheblichen körperlichen und seelischen Arbeitsbelastung ausgesetzt gewesen bedingt durch eine extrem lange Tages- und Wochenarbeitszeit, die Verständigungsschwierigkeiten mit den polnischen Arbeitern und den erheblichen Problemen beim Aufmauern der Brennkammer. Zur Lösung dieser Probleme war dem Kläger auf dessen Vorschlag am Dienstag, dem 23.06.1998 vom Zeugen H zugesagt worden, dass ihm der gut englisch sprechende Konstrukteur der polnischen Ofenbaufirma ab Mittwoch als Ansprechpartner zur Verfügung stehen sollte und für die Nachtschicht zusätzlich ein deutsch sprechender Arbeiter als Ansprechpartner für den Zeugen X. Der Konstrukteur ist dann am Mittwoch erschienen und hat für die technischen Probleme einen Lösungsweg vorgeschlagen, der von dem abwich, den der Zeuge H dem Kläger vorgegeben hatte. Aus Zeitmangel ist der Konstrukteur dann am Mittwoch wieder abgereist. Er hatte die Maurer allerdings an diesem Mittwoch schon unterwiesen, entsprechend seinem Lösungsvorschlag zu arbeiten. Am Folgetag, dem 25.06.1998 eskalierten die Ereignisse. Zunächst ist der deutsch sprechende Maurer nicht auf der Baustelle erschienen. Der Zeuge H erklärte sich telefonisch mit dem Lösungsvorschlag des polnischen Konstrukteurs nicht einverstanden, es solle vielmehr so verfahren werden, wie er dies zuvor angeordnet hätte. Da weder der Konstrukteur noch der deutsch sprechende Maurer auf der Baustelle anwesend waren, konnte der Kläger die Arbeiter nicht entsprechend informieren. Diese waren vielmehr schon dabei, den Lösungsvorschlag des Konstrukteurs umzusetzen. Dies führte dazu, dass dem Kläger völlig die Kontrolle über die Baustelle entglitt. Dies ergibt sich eindrucksvoll aus der Aussage des Zeugen X im Termin zur Beweisaufnahme am 08.12.2000:
"Als ich auf die Baustelle kam, lief der Kläger hektisch hin und her und versuchte, den polnischen Maurern Anweisungen zu geben, wie die Kammern richtig zu mauern waren. Diese konnten oder wollten diese Anweisungen aber offensichtlich nicht verstehen. Sie haben einfach so weiter gearbeitet, wie es nach der Anweisung des Herrn L falsch war. Herr L war verzweifelt. Er wollte dann die falsch gemauerten Ecken der Kammern wieder abreißen lassen. Die polnischen Maurer hatten sich aber geweigert, dies zu tun. Ich habe dann einen anderen Vorschlag gemacht hinsichtlich dieser Maurerarbeiten, der aber nicht in Übereinstimmung stand mit den Anweisungen, die Herr H erteilt hatte. Meine Vorschläge sind dann mehr oder weniger akzeptiert worden."
Diese Ereignisse auf der Baustelle am 25.06.1998 hatten für den Kläger innerseelisch die Bedeutung eines Schockerlebnisses, sich nicht mehr "verständlich" machen zu können und "erkennbar" zu scheitern. Diese akute psychische Traumatisierung im Verlauf einer Arbeitsschicht hat dann – so Prof. Dr. H in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10.11.2003 – schlaglichtartig/impulshaft die Suizidhandlung in Gang gesetzt.
Die seelischen Einwirkungen am 25.06.1998 waren auch nicht nur das letzte Glied einer Kette zahlreicher einander etwa gleichwertiger Einwirkungen auf die Psyche des Klägers gewesen, sondern haben für die psychische Dynamik überragende Bedeutung gehabt. Zwar war der Kläger bereits vor dem 25.06.1998 einer erheblichen körperlichen und seelischen Arbeitsbelastung ausgesetzt und hatte am 23.06.1998 nach seinem glaubhaften Vorbringen den Zeugen H um seine Ablösung als Baustellenleiter gebeten. Diese psychischen Belastungen im Vorfeld hatten aber nicht eine mit den Ereignissen am 25.06.1998 vergleichbare Bedeutung für den Ablauf der psychischen Dynamik. Der Sachverständige Prof. Dr. H begründet dies überzeugend damit, dass der Kläger bis zum 25.06.1998 aus seiner eigenen Erfahrung immer wieder durch situative Veränderungen Hoffnung gesschöpft hatte, die schwere Belastung meistern zu können. Bemerkenswert ist, dass der Kläger bis zum 25.06.1998 den klaren Überblick immer wieder behielt, wenn er im Vorfeld auf die massiven scheinbar unlösbaren Probleme hinwies und auch noch bis zuletzt sein hohes Maß an kritischer Selbstverletzung aufwies, in dem er das Verantwortungsgefühl für die Sache um seine Ablösung bat. Der Kläger vermittelte zumindest bis zum 23.06.1998 auch seinem Vorgesetzten, dem Zeugen H, den Eindruck, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Durchführung der Arbeiten in Polen nicht ordnungsgemäß erledigt werden könnten (Dienstreisebericht vom 08.09.1998). Der Kläger hat auch im Gespräch mit dem Zeugen H am 23.06.1998 selbst sinnvolle Vorschläge unterbreitet, um die Kommunikationsprobleme zu lösen. Diese Vorschläge sind vom Zeugen H auch so übernommen worden. Erst die Ereignisse am 25.06.1998 haben dann dazu geführt, dass der Kläger dem Zeugen H als verstört und nicht mehr Herr der Dinge erschien (Aussage vom 08.12.2000).
Der Senat folgt in der Beurteilung den glaubhaften Angaben des Klägers, die im Wesentlichen durch die Aussagen des Zeugen X und H bestätigt werden, und der überzeugenden Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. H. Dieser verfügt als Leiter des Therapie- und Forschungszentrums für Suizidgefährdete am Universitätsklinikum in I über besondere Erfahrungen in der hier entscheidungserheblichen Fragestellung. Sein Gutachten beruht auf einer eingehenden Befragung des Klägers und hat von daher einen höheren Beweiswert als die lediglich nach Aktenlage erstattete Stellungnahme des beratenden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. H1.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, bestehen nicht.
Erstellt am: 05.07.2004
Zuletzt verändert am: 05.07.2004