Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 06.01.2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Fortzahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die am 00.00.1947 geborene Antragstellerin bezog bis zum 10.11.2003 (Ende des Bewilligungszeitraums) fortlaufend Alhi. Zum Zeitpunkt ihres Fortzahlungsantrags am 17.10.2003 verfügte sie über ein Girokonto (377,75 EUR Guthaben), ein Sparbuch (52,66 EUR Guthaben) und eine auf den 01.07.2007 abgeschlossene Lebensversicherung bei der B Lebensversicherungs-AG. Hierauf hatte sie zum Stichtag 01.12.2003 insgesamt 51.685,12 EUR bei einem Rückkaufswert von 47.265,30 EUR eingezahlt. Die fortlaufende Beitragszahlung von 215,94 EUR monatlich finanziert sie über ein von Freunden gewährtes Darlehn. Die Lebensversicherung kann nicht in eine "riesterähnliche" Versicherung umgewandelt werden. Unter Hinweis darauf, die Lebensversicherung könne zumutbar verwertet werden, errechnete die Antragsgegnerin ein der Antragstellerin bei einem Freibetrag von 29.120,00 EUR verbleibendes Vermögen von 18.575,71 EUR, verneinte im Hinblick darauf ihre Bedürftigkeit und lehnte die Fortzahlung der Alhi ab (Bescheid vom 26.11.2003).
Mit dem Antrag auf einstweilige Anordnung zum Sozialgericht Dortmund (SG) hat die Antragstellerin vorgetragen, die Verwertung der Lebensversicherung sei wegen des mit einem Rückkauf verbundenen Beitragsverlustes offensichtlich unwirtschaftlich im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 6 Arbeitslosenhilfe-Verordnung 2002 (AlhiV 2002). Zudem verliere sie durch die Verwertung ihre angemessene Altersversorgung. Dabei sei die in § 1 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV 2002 vorgesehene Privilegierung der "Riester-Rente" nicht nachvollziehbar. Auch die Beleihung der Lebensversicherung sei ihr nicht möglich, weil sie mangels Einkommens nicht kreditwürdig sei.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig Arbeitslosenhilfe zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen,
und sich zur Begründung auf die Rechtmäßigkeit ihres Bescheides vom 26.11.2003 berufen.
Das SG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt (Beschluss vom 08.01.2004). Die Lebensversicherung der Antragstellerin sei verwertbar, weil die mit dem Rückkauf verbundene Beitragseinbuße 8,55 % betrage und daher nicht offensichtlich unwirtschaftlich sei. Es bestehe auch kein Anordnungsgrund, weil die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht habe, dass sie auch für den Fall der Beleihung der Lebensversicherung kein Darlehn erhalten könne.
Mit der Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, beruft sich die Antragstellerin auch weiterhin darauf, dass die Verwertung der Lebensversicherung unwirtschaftlich sei. Zu dem mit dem Rückkauf verbundenen Verlust von 4.419,82 EUR träten nämlich noch die mit einer Beleihung verbundenen Darlehnszinsen, die sich ausweislich einer Bescheinigung der B-Lebensversicherungs AG bei Darlehnsgewährung bis zum 01.07.2007 auf 3.659,25 EUR beliefen. Der Gesamtbetrag übersteige 10 % ihrer Beitragsleistung.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 08.01.2004 abzuändern und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verurteilen, ihr vorläufig Arbeitslosenhilfe zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für richtig.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Anordnungsanspruch) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Die Antragstellerin hat insbesondere keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Denn es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sie über den 10.11.2003 hinaus einen Anspruch auf Gewährung von Alhi hat. Vielmehr scheitert dieser Anspruch voraussichtlich daran, dass die Antragstellerin gegenwärtig nicht bedürftig im Sinne von § 190 Abs. 1 Nr. 5 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ist, weil sie über Vermögen verfügt, das ihre Bedürftigkeit nach § 193 Abs. 2 SGB III ausschließt.
Nach § 1 Abs. 1 AlhiV 2002 ist zur Prüfung der Bedürftigkeit das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit sein Wert den Freibetrag übersteigt. Der Freibetrag beläuft sich im Falle der am 11.01.1947 und damit vor dem 01.01.1948 geborenen, zum Antragszeitpunkt 56jährigen Antragstellerin auf 520 EUR je vollendetem Lebensjahr, also auf 29.120,00 EUR (§ 1 Abs. 2 Satz 1 AlhiV 2002 in der bis zum 31.12.2002 geltenden Fassung i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 AlhiV 2002).
Das verwertbare Vermögen der Antragstellerin übersteigt diesen Freibetrag. Denn es umfasst auch den Rückkaufswert der bei der B Lebensversicherungs-AG abgeschlossene Lebensversicherung in Höhe von 47.265,30 EUR.
Kapitalbildende Lebensversicherungen sind verwertbares Vermögen im Sinne von § 1 Abs. 1 Alhi 2002. Denn sie besitzen einen jederzeit realisierbaren Rückkaufswert, und ebenso können die Ansprüche aus ihnen abgetreten und belastet werden.
Der Verwertung steht § 1 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV 2002 nicht entgegen. Die Antragstellerin hat insoweit auf ausdrückliches Befragen durch den Senat mitgeteilt, dass eine Umwandlung des Lebensversicherungsvertrages in nach dieser Bestimmung privilegiertes Altersvorsorgevermögen ausgeschlossen ist.
Die Verwertung ist auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 6 AlhiV 2002. Diese Vorschrift soll den Arbeitslosen vor einer Verschleuderung seines Vermögens schützen. Sie bezweckt dagegen nicht, ihm auch angemessene Altersvorsorgeaufwendungen zu erhalten. Das ergibt sich schon daraus, dass der entsprechende Ausnahmetatbestand des § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AlhiV in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung (a.F.) weggefallen ist und Vermögen, das der Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung dient, nunmehr nur noch in den Grenzen von § 1 Abs. 3 Nrn 3. und 4 AlhiV 2002 geschützt wird. Bestätigt wird dies durch einen Vergleich mit § 6 Abs. 3 Satz 1 AlhiV a.F. Danach war die Verwertung von Vermögen nur dann zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich war und unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebensführung billigerweise erwartet werden konnte. Während § 1 Abs. 3 Nr. 6 AlhiV 2002 die erste Voraussetzung wortgleich übernommen hat, ist die zweite ersatzlos weggefallen. Daraus ergibt sich, dass der Verordnungsgeber Erwägungen zur individuellen Zumutbarkeit der Verwertung im Rahmen von § 1 Abs. 3 Nr. 6 AlhiV 2002 nicht mehr zulassen wollte (ebenso LSG Berlin, Urt. v. 02.09.2003 – Az L 6 AL 16/03 – BuW 2004, 303).
Eine Verwertung der Versicherung zu ihrem Rückkaufswert ist für die Antragstellerin nicht offensichtlich unwirtschaftlich. Denn sie führt auch unter Berücksichtigung der Verwertungskosten nicht zu einem Erlös, der um mehr als 10 % unter dem Substanzwert liegt (vgl. zu diesem Kriterium Brandts in Niesel, SGB III, 2. Aufl. [2002], § 206 Rdnr. 21a m.w.N.). Vielmehr kann die Antragstellerin die Lebensversicherung, auf die sie zum 01.12.2003 insgesamt 51.685,12 EUR an Beiträgen gezahlt hatte, für 47.265,30 EUR und damit zu einem Verlust von 4.419,82 EUR, mithin 8,6 % zurückkaufen. Dass hierdurch wesentliche zusätzliche Kosten entstünden, ist nicht ersichtlich. Die genannten Beträge können auch zumindest im Rahmen der im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen tatsächlichen Prüfung herangezogen werden. Zwar kommt es grundsätzlich auf die Wertverhältnisse zum Zeitpunkt des Antrags, hier am 17.10.2003, an. Es bestehen aber keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, dass diese im Verhältnis zum Stichtag 01.12.2003 wesentlich verändert waren.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sind die Zinsbelastungen, die bei Aufnahme eines Darlehns der B Lebensversicherungs-AG entstünden, dem durch einen Rückkauf entstehenden Kapitalverlust nicht hinzuzurechnen. Zinsen gehören nur dann zu den Kosten einer Verwertung, wenn diese durch Belastung des Vermögensgegenstandes oder -rechtes erfolgt (vgl. Ebsen in Gagel, SGB III, § 193 Rdnr. 210). Zu einer solchen kommt es jedoch nicht, wenn eine Lebensversicherung zurückgekauft wird. Sollte sich die Antragstellerin demgegenüber zu einer Belastung ihrer Lebensversicherung entscheiden, so hätte sie zwar die Zinslast hierfür zu tragen, müsste aber andererseits nicht den teilweisen Verfall ihrer Überschussbeteiligung hinnehmen. Im einen wie im anderen Falle gingen ihr nicht mehr als 10 % der von ihr erbrachten Beitragsleistungen verloren.
Für den Senat bestehen zumindest im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz keine durchgreifenden Bedenken gegen die Vereinbarkeit von § 1 AlhiV 2002 mit höherrangigem Recht.
Die Vorschrift beruht auf der Verordnungsermächtigung des § 206 Nrn. 1 bis 4 SGB III, die ihrerseits mit den an solche Ermächtigungen durch Art 80 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gestellten Anforderungen in Einklang steht (BSG, Urt. v. 27.05.2003 – Az B 7 AL 104/02 R – SozR 4-4220 § 6 Nr 1).
Im Verhältnis zum bisherigen Schutz von Altersvorsorgeaufwendungen führt § 1 AlhiV nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung der Antragstellerin. Jedenfalls in der für sie maßgeblichen, bis zum 31.12.2002 geltenden Fassung des § 1 Abs. 2 AlhiV 2002 bleibt ihr insgesamt ein Schonvermögen von 520 EUR pro vollendetem Lebensjahr und damit in dem Umfang erhalten, wie ihn § 6 Abs. 4 Nr. 2 AlhiV a.F. für den Schutz des zur angemessenen Alterssicherung bestimmten Vermögens vorsah. Diese Vorschrift war ihrerseits mit höherrangigem Recht vereinbar (BSG a.a.O.).
Ob die Privilegierung solcher Versicherungen, die der sog. "Riesterförderung" unterliegen, durch § 1 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV 2002 einen Verstoß gegen Art 3 Abs. 1 GG darstellt, braucht der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu entscheiden. Denn selbst wenn man von der Rechtswidrigkeit dieser Regelung ausginge, könnte dies nicht dazu führen, der Antragstellerin im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einen besseren Schutz zuzugestehen, als er ihr nach den ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen zukommt.
Schließlich kann sich die Antragstellerin auch nicht erfolgreich auf Vertrauensschutz deshalb berufen, weil sie bis zum 10.11.2003 durchgängig Alhi bezogen hat. Denn die Voraussetzungen der Alhi sind zu Beginn jedes Bewilligungszeitraums neu zu prüfen (§ 190 Abs. 3 Satz 2 SGB III).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 06.07.2004
Zuletzt verändert am: 06.07.2004