Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.06.2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Entschädigung einer Berufskrankheit (BK) Nr 4111 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der im November 1944 geborene Kläger wurde im April 1959 als Berglehrling im Deutschen Steinkohlenbergbau angelegt und war als Bergjungarbeiter, ab Oktober 1961 als Schlepper unter Tage, ab Juni 1966 als Lehrhauer unter Tage tätig. Am 13.05.1967 kehrte er ab und arbeitete in der Folgezeit außerhalb des Bergbaus.
Auf Veranlassung der Berufsgenossenschaft (BG) für die Chemische Industrie erstattete Arzt für Allgemeinmedizin L aus C im April 1996 eine Anzeige über eine Berufskrankheit ("fragliche Silikosestaubbelastung"): Der Kläger leide unter Luftnot, Husten und Auswurf und werde durch Gabe von Broncholytica therapiert. Der Kläger gab an, er leide seit 1994 unter Hustenanfällen. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten ermittelte bei Unterstellung sehr ungünstiger Staubverhältnisse für die Jahre 1961 bis 1967 eine Feinstaubbelastung von 61,2 Feinstaubjahren (Stellungnahme vom 05.07.1996). Die Beklagte lehnte die Entschädigung einer chronischen obstruktiven Bronchitis oder eines Lungenemphysems nach §§ 551 Abs 1 und 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ab (Bescheid vom 06.08.1996). Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Im Februar 2002 stellte der Kläger einen Entschädigungsantrag "wegen beruflicher Atemwegserkrankung einschließlich der Frage einer Silikose sowie des Bergarbeiteremphysems" und meinte, bereits 61,2 Feinstaubjahre dürften beachtlich sein. Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheides vom 06.08.1996 ab, weil neue Tatsachen nicht vorlägen (Bescheid vom 15.04.2002, gestützt auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)). Im Widerspruchsverfahren holte sie eine Auskunft der Zentralstelle für Arbeitsauskünfte der Deutschen Steinkohle AG (DSK) ein, die weitere 1,39 zu berücksichtigende Feinstaubjahre ermittelte (Stellungnahme vom 22.11.02). Den Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 06.02.2003).
Mit seiner Klage beim Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat der Kläger vorgetragen, 2/3 der Regelbelastung könnten ebenfalls wesentlich sein. Das folge aus der praktischen Lebenserfahrung. Bei der Untersuchung der arbeitstechnischen Voraussetzungen sei nicht hinreichend ermittelt worden. Unter Tage hätten sich verschiedenste Belastungen einschließlich solcher durch Isocyanate ergeben. Diese seien mit zu berücksichtigen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15.04.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 06.08.1996 zurückzunehmen und ihm aus Anlass der bei ihm bestehenden Emphysembronchitis eine Verletztenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Entscheidung für zutreffend gehalten.
Das SG hat die Klage abgewiesen: Die Beklagte habe bei Erlass des Bescheides vom 06.08.1996 das Recht nicht unrichtig angewandt (Urteil vom 25.06.2003).
Mit seiner Berufung trägt der Kläger ergänzend vor, die Beklagte habe die geltende Kausalitätsnorm verkannt. Außerdem könne die weitere Asbest- und Aluminiumbelastung aus dem späteren Berufsleben des Klägers im Zusammenhang mit der Feinstaubbelastung von Bedeutung sein. Er verweise auf den Bericht von Dr. T aus C (24.07.2003).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.06.2003 zu ändern und nach dem Schlussantrag erster Instanz zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, der Kläger verkenne die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 4111.
Der Senat hat eine Stellungnahme des Prof. Dr. Q, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universitätskliniken L, aus einem Parallelverfahren zu den Akten genommen, und diesen Arzt als Sachverständigen gehört. Er hat ausgeführt, beim Kläger seien bisher weder eine Obstruktion noch ein Emphysem nachgewiesen. Es gebe derzeit keinen medizinischen Erfahrungssatz, wonach eine Feinstaubbelastung von etwa 62 Feinstaubjahren unter den Begriff "in der Regel 100 Feinstaubjahre" der BK 4111 zu subsumieren sei. Es sei außerdem auszuschließen, dass eine maximale Dosis von etwa 62 Feinstaubjahren die haftungsbegründende Kausalität für die Anerkennung einer BK 4111 begründe (Gutachten vom 16.03.04).
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt der Senat auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug. Sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Zu Recht hat das SG die ablehnende Entscheidung der Beklagten bestätigt. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 15.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2003 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) nicht beschwert, weil dieser Bescheid nicht rechtswidrig ist, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Rücknahme des Bescheides vom 06.08.1996 und Zahlung von Verletztenrente wegen einer chronischen obstruktiven Bronchitis oder eines Emphysems als BK sind nicht erfüllt. Dies steht zur Überzeugung des Senats als Ergebnis der Beweisaufnahme fest.
Der geltend gemachte materielle Anspruch richtet sich nach dem alten, vor Inkrafttreten des 7. Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01. Januar 1997 maßgeblichen Recht der RVO, weil der Kläger einen Anspruch geltend macht, der bereits vor diesem Zeitpunkt – nämlich spätestens im Jahre 1996 – entstanden sein soll, § 212 SGB VII, Art 36 des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs- Einordnungsgesetz – UVEG). Außerdem ist die zum 01. Dezember 1997 in Kraft getretene neue Fassung der BKV, in deren Anlage die streitige BK 4111 neu aufgenommen worden ist, maßgeblich, da sie mit Inkrafttreten auch auf zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossene Verfahren, die über § 44 SGB X erneut aufgegriffen werden, anzuwenden ist (BSGE 85, 24ff = SozR3-2200 § 551 Nr. 13).
Ein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 06.08.1996 und Gewährung von zu Unrecht nicht erbrachten sozialen Leistungen ab dem 01.01.1998 (§ 44 Abs 4 SGB X) besteht nicht, § 44 Abs 1 SGB X. Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers abgelehnt und – jedenfalls im Widerspruchsbescheid – die Gründe für ihre ablehnende Entscheidung im Einzelnen dargelegt. Dadurch hat sie nach außen hin deutlich gemacht, dass sie aufgrund erneuter Prüfung in der Sache entschieden hat. Dies war auch geboten, da zum einen im Widerspruchsverfahren neue Tatsachen bekannt geworden waren (Auskunft der DSK vom 22.11.2002), zum anderen – anders als 1996 – nunmehr – auch im Verfahren nach § 44 SGB X (BSG aaO) – über eine BK 4111 zu entscheiden war. Diese Entscheidung ist gerichtlich darauf zu überprüfen, ob die Beklagte bei ihrer Überprüfung zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, dass sie mit ihrem früheren, bindend gewordenen Bescheid den Anspruch zu Unrecht abgelehnt hat (vgl dazu BSG SozR3-2600 § 243 Nr 8 mwN). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Der Träger der Unfallversicherung gewährt nach Eintritt eines Arbeitsunfalls wegen dessen Folgen Leistungen, insbesondere Verletztenrente, §§ 547, 548, 581 Abs 1 Nr 2 RVO. Als Arbeitsunfall gilt auch eine Berufskrankheit, 551 Abs 1 Satz 1 RVO. Berufskrankheiten sind – nur – diejenigen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung bezeichnet, wenn sie ein Versicherter bei einer der in den § 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet, § 551 Abs 1 Satz 2 RVO. Eine solche Bezeichnung erfolgt durch die Aufnahme in die BKV als sog. Listenkrankheit. Zu diesen gehört nach der Nr 4111 der Anlage zur BKV auch die chronische obstruktive Bronchitis oder das Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlenbergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren [(mg/m³)x Jahre].
Für die Entschädigung von Folgen einer solchen Erkrankung als BK nach Nr 4111 der Anlage zur BKV müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss eine chronische obstruktive Bronchitis oder ein Emphysem vorliegen. Der Versicherte muss als Bergmann unter Tage im Steinkohlenbergbau bei versicherter Tätigkeit der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren ausgesetzt gewesen sein. Die Krankheit muss mit Wahrscheinlichkeit durch die Einwirkung der kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren bei – versicherter – Tätigkeit als Bergmann unter Tage zumindest wesentlich mitbedingt sein. Versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung und Erkrankung müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Außerdem müssen die genannten Anspruchsvoraussetzungen ursächlich miteinander verknüpft sein; insbesondere muss zwischen versicherter Tätigkeit und schädigenden Einwirkungen einerseits und zwischen schädigenden Einwirkungen und der Erkrankung andererseits ein ursächlicher Zusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung bestehen, wobei für die Bejahung eines solchen Zusammenhangs die hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG): BSGE 45, 285, 286; 58, 76, 79; BSG HVBG – Info 2000, 2811ff, BSG SozR3-5670 Anlage 1, 2108 Nr 2; Brackmann, Handbuch der Versicherung, 11. Auflage, Seite 480 mwN; Hauck in Weiss/Gagel (Hrsg). Handbuch des Arbeits- und Sozialrechts. Systematische Darstellung Stand Januar 2003; § 22A. Die Unfallrenten, Rdnr 67).
Für die Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen ist das vom Bundesministerium für Arbeit- und Sozialordnung herausgegebene Merkblatt zu Nr 4111 der Anlage zur BKV (Bundesarbeitsblatt 1997 Heft 12, Seite 35) als wertvolle Orientierungshilfe heranzuziehen, das – allerdings rechtlich unverbindliche – Hinweise für die Beurteilung im Einzelfall aus arbeitsmedizinischer Sicht bietet (vgl BSG, Urteil vom 18.03.2003, Aktenzeichen (Az) B 2 U 13/02 R; BSG SozR3-5670 Anl. 1 Nr 2108 Nr 2; BSG HVBG – Info 1999, 1373ff).
Nach der Ergebnis der Beweisaufnahme sind die Voraussetzungen des Leistungsfalles "Nachweis der Einwirkung einer Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren" nicht erfüllt. Es ist bereits nicht nachgewiesen, dass die in der BK 4111 bezeichneten Gesundheitsstörungen chronisch obstruktive Bronchitis und/oder Emphysem vorliegen. Der Sachverständige Prof. Dr. Q hat dargelegt, dass eine Obstruktion bisher nicht erwiesen ist. Für ein Emphysem bestehen nach Lage der Akten keinerlei Anhaltspunkte. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Bericht des Pneumologen Dr. T. Danach ergibt der HRCT-Befund nur "Hinweise auf emphysematöse Veränderungen". Auch die unspezifische Diagnose "mittelschwere COPD" wird nicht näher begründet. Die von ihm erhobenen Lungenfunktionsbefunde genügen nicht den von Prof. Dr. Q genannen Anforderungen für die chronische obstruktive Bronchitis eines Tiffeneau-Index (FEV1/FVC) ( 70% in Kombination mit einer Erniedrigung der postdilatarorischen FEV1 ( 80%, da der Tiffeneau-Index 70% deutlich übersteigt.
Zudem fehlt es am Nachweis der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen, der "Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren". Diese normativ festgelegte Grenze ist mit der nachgewiesenen Belastung von 62,6 Feinstaubjahren deutlich unterschritten. Auszugehen ist von einer Dosis von 62,6 Feinstaubjahren. Der TAD der Beklagten hat – bei Unterstellung ungünstiger Staubverhältnisse – 61,2 Feinstaubjahre (Stellungnahme vom 05.07.1996) zuzüglich weiterer 1,39 Feinstaubjahre (Stellungnahme vom 22.11.2002), mithin eine Gesamtdosis von etwa 62,6 Feinstaubjahren ermittelt. Diese deutliche Unterschreitung erübrigt es, die genaue Untergrenze der erforderlichen Mindestbelastung zu markieren. Es genügt festzuhalten, dass die Einwirkung von nachweislich 62.6 Feinstaubjahren in jedem Fall den tatbestandlichen Voraussetzungen von "in der Regel 100 Feinstaubjahren" nicht genügt. Anderes verletzte die Regeln zulässiger Auslegung (vgl zu den Grenzen BSG Urteil vom 09.12.2003, Aktenzeichen (AZ) B 2 U 5/03 R; Urteil vom 06.05.2003, Az B 2 U 35/02 R SozR 4-2700 § 185 Nr 1; Urteil vom 18.03.2003, Az B 2 U 13/02 R, SozR 4-2700 § 9 Nr 1, Urteil vom 13.08.2002, Az B 2 U 30/01 R, SozR 4-2700 § 46 Nr. 1; Urteil vom 04.12.2001, Az B 2 U 37/00 R, SozR 3-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 1, jeweils mwN; Hauck, Wirtschaftsgeheimnisse – Informationseigentum kraft richterlicher Rechtsbildung? Berlin 1987, § 5 und § 9 II Nr. 1). Ausgangspunkt zulässiger Auslegung unter Beachtung der normativen Vorgabe insbesondere des Vorbehalts des Gesetzes (§ 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I)) und des § 2 Abs 2 SGB I ist die Qualität als rechtssatzmäßig gefasstes generelles Eignungskriterium. Der Verordnungsgeber hat sich bei der Aufnahme der BK 4111 in die BKV als Listenkrankheit entschieden, die für die BK erforderlichen beruflichen Einwirkungen in Sinne eines generellen Grenzwertes für die wissenschaftlich erkannte Dosis- Wirkung-Beziehung in den Text der Verordnung aufzunehmen. Anders als z.B. bei Berufskrankheiten durch mechanische Einwirkungen (vgl insbesondere zur BK 2108: BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1 mwN) hat er damit die für die Anerkennung der BK erforderlichen schädigenden beruflichen Einwirkungen – hier in Form einer kumulativen Feinstaubdosis – durch einen Grenzwert normativ festgelegt (ähnlich bei der 3. Alternative der BK 4104 zur BKV). Dabei geht er davon aus, dass die von ihm festgelegte Dosis generell das Risiko verdoppelt, an einer chronischen obstruktiven Bronchitis oder einem Emphysem zu erkranken (vgl BR-Drucks 642/97, S. 19; siehe zur Datenlage BArBl. 10/1995, S. 39ff., 43; vgl auch Merkblatt für die ärztliche Untersuchung aaO). Die Grenzwertnormierung erfolgte gezielt. Vor der Aufnahme der BK 4111 in die Berufskrankheitenliste wurden andere Anerkennungskriterien wie etwa radiologische Veränderungen des Lungengewebes diskutiert (Prof. Dr. Q). Demgegenüber stellt sich die kumulative Dosis von 100 Feinstaubjahren "als gut gesicherte Größe für die Verdoppelung des Erkrankungsrisikos" nach "sorgfältiger Abwägung und Prüfung der Datenlage" dar (BR-Drucks 642/97, S. 19). "Diese Größe ist ein mittlerer Schätzwert, der einer oberen Konfidenzgrenze vorgezogen wird, zumal Abweichungen nach oben und unten gleich verteilt sind" (vgl ebenda). Mit der Entscheidung, die als Einwirkung erforderliche Feinstaubdosis normativ festzulegen, kommt es aber nur noch darauf an, ob die geforderte Gesamteinwirkungsdosis nachweislich vorliegt. Das ist beim Kläger nicht der Fall.
Der normativ bestimmte Grenzwert von "in der Regel 100 Feinstaubjahren" lässt allerdings Abweichungen von der Grenze "100 Feinstaubjahre" im Ausnahmefall zu. Das ergibt sich bereits aus dem Wortsinn. Die Formulierung "in der Regel" konstituiert ein Regel-/Ausnahmeverhältnis, nach dem bei typischen Sachverhalten auf den Nachweis der als Regel festgelegten Dosis nicht verzichtet werden kann und ein Abweichen davon im Einzelfall lediglich bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht kommt. Dies entspricht auch der Funktion als mittlerer Schätzwert für eine in aller Regel nur auf der Grundlage einer Abschätzung ermittelbaren Individualdosis und damit dem historischem Willen des Verordnungsgebers sowie Sinn und Zweck der Norm. Es erhellt schließlich aus der Systematik der BK-Tatbestände, die im Übrigen präzise gefasste Mindestdosen (vgl BK Nr 4104 3. Spiegelstrich), durch unbestimmte, aber bestimmbare Rechtsbegriffe umschriebene Einwirkungsdosen (vgl z.B. BK Nrn. 2108-2111) und dosisunabhängig formulierte Umschreibungen der Einwirkungen kennt (vgl z.B. BK Nrn. 1101-1110).
Abweichungen von der Regel der "100 Feinstaubjahre" bedürfen damit als Ausnahmefall besonderer Begründung. Die Gründe, die den Verordnungsgeber unter Beachtung der Verordnungsermächtigung (vgl dazu BSG, Urteil vom 04.12.2001, Az B 2 U 37/00 R, aaO) veranlasst haben, die erforderliche Exposition als Regelmindestdosis zu fassen, begrenzen zugleich sachlich den Rahmen für die Begründung von Ausnahmefällen: Einwirkungsdosen in einem Umfang, für den kein in der medizinischen Wissenschaft gesicherter Erfahrungssatz besteht, der die Eignung für die Mitverursachung einer chronischen obstruktiven Bronchitis oder eines Emphysems belegt, können keinen Ausnahmefall begründen. So liegt es hier. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaften gibt es keinen Erfahrungssatz, wonach eine nachgewiesene Feinstaubbelastung von etwa 62 Feinstaubjahren unter den Begriff "in der Regel 100 Feinstaubjahre" subsumiert werden kann (vgl Sachverständigengutachten Prof. Dr. Q). Damit harmoniert, dass die wissenschaftlichen Grundlagen für die Aufnahme der BK Nr 4111 für die vom Verordnungsgeber gewählte Risikoverdoppelung Kumulationswerte von zwischen 75 und 108 Feinstaubjahren ergaben (Lange, Tischvorlage vom 22.10.1994; ähnliche Werte bei X. Baur, vgl hierzu BArbBl. 10/1995 S. 43), abweichende Annahmen aufgrund von Unzulänglichkeiten der verwendeten Daten nicht verwertbar erscheinen (Stellungnahme der Sachverständigenbeirats zu Seixas et al. 1992, BArbBl. 10/1995, S. 43) und nur Jacobs bei Rauchern von einem Rahmen von 60-200 Feinstaubjahren ausging (vgl ebenda), allerdings bei bis zu 35 Jahren Exposition (vgl auch Q, Sachverständigengutachten).
Zu erwägen ist, unter Berücksichtigung der Motive des Verordnungsgebers grundsätzlich nur in einem Schwankungsbereich von 5% um die geforderten 100 Feinstaubjahre Abweichungen von der geforderten Exposition zuzulassen.
Die Motive, die Formulierung "in der Regel" zu wählen, waren, dass aus epidemiologischen Studien grundsätzlich nur "Schätzgrößen" mit einem Unsicherheitsbereich innerhalb eines Konfidenzintervalls berechnet werden können und aus den zu Grunde gelegten Studien ein punktueller Expositionswert für eine Risikoverdopplung nicht präzise abgeleitet werden kann. Deshalb täuschte ein absoluter Grenzwert eine wissenschaftlich nicht begründbare Sicherheit vor. Unter dieser Prämisse mag eine Abweichung von weniger als 5 % vom Regelfall keine den Versicherungsfall grundsätzlich ausschließende Abweichung sein. Denn sie liegt im Unschärfebereich, der mit der Formulierung "in der Regel" für besonders begründbare Ausnahmefälle einbezogen werden sollte. Auch bei einer Abweichung innerhalb des Unschärfebereichs 5%iger Abweichung sind jedoch für die Annahme hinreichender Exposition zusätzliche Kriterien wie Expositionsdauer, Nikotinkonsum, Zeitintervall zwischen Exposition und konkreter Erkrankung heranzuziehen. Bei einer Abweichung von mehr als 5 % vom Grenzwert handelt es sich aber üblicherweise um eine statistisch signifikante Abweichung, die den Versicherungsfall ausschließt. Dass dies erst recht bei einer Abweichung von etwa 37,4 Prozent gelten muss – wie dargelegt – , liegt auf der Hand.
Erfüllt der Kläger damit schon nicht die normativ festgelegten arbeitstechnischen Voraussetzungen, bedarf es keines Eingehens auf die vom Kläger zur Begründung seines Anspruchs angeführten Erwägungen zur Kausalität.
Sonstige schädigende Noxen, denen der Kläger während seines – weiteren – Berufslebens ausgesetzt gewesen sein mag, sind – nach dem zuvor Gesagten – für die – hier allein streitige – Entschädigung wegen einer BK 4111 ohne Belang (vgl. sinngemäß auch BSGE 91,23 = SozR 4-2700 § 9 Nr. 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG. Die Entscheidung des Senats besteht, soweit sie auf rechtlichen Erwägungen beruht, in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Im Übrigen sind für die Entscheidung die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgeblich.
Erstellt am: 30.01.2006
Zuletzt verändert am: 30.01.2006