Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 20.04.2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Die 1991 geborene Antragstellerin ist schwerstbehindert. Das Versorgungsamt E stellte bereits 1994 einen Grad der Behinderung von 100 fest. Die Antragstellerin leidet unter einer schweren hirnorganischen Störung mit zahlreichen Begleit- und Folgeerkrankungen. Sie erhält Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe 3. Sie benötigt wegen ihrer Behinderung dauernde und vielfältige ärztliche und pflegerische Behandlung und Betreuung. Die gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin wandte sich am 10.02.2004 wegen der Neuregelung der Zuzahlungen ab 01.04.2004 an die Antragsgegnerin. Diese informierte sie ausweislich einer Aktennotiz telefonisch ausführlich über die gesetzlichen Neuregelungen und übersandte ein Merkblatt zu den neuen Zuzahlungs- und Finanzierungsregelungen (Zuzahlungen und Belastungsgrenzen).
Am 09.02.2004 beantragte die gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Dortmund, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig bis zur Entscheidung über ihren Widerspruch die Fahrtkosten der Antragstellerin zur täglichen Krankengymnastik und wöchentlichen Ergotherapie sowie zu notwendigen medizinisch-indizierten Arzt- und Facharztuntersuchungen auch über den 31.12.2003 hinaus zu erstatten.
Zur Begründung hat sie Kopien von Schreiben an die Antragsgegnerin sowie eine Bescheinigung der Antragsgegnerin über geleistete Fahrtkostenanteile vom 05.02.2004 sowie die Ablehnung einer Fahrtkostenerstattung für Januar 2004 und Bescheinigungen des Kinderarztes N vom 28.11.2003, 13.02.2004 und 16.02.2004 überreicht. Danach sei der gesetzlichen Vertreterin der Antragstellerin nicht auch noch der Fahrdienst in die Schule zuzumuten. Die Antragstellerin erfülle krankheitsbedingt die Kriterien für einen Ausnahmefall. Die 2003 gewährten Leistungen müssten weiter gewährt werden. Transporte zu Physiotherapie-, Ergotherapie-, Arzt- und Facharztbesuchen seien auch bis Ende 2004 erforderlich. Sie hat weiter überreicht ein Schreiben des Ministeriums für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen vom 13.02.2004, in dem davon ausgegangen wird, dass auch Fahrten zur ambulanten Behandlung in die Leistungspflicht der Kasse fielen. Wegen der chronischen Erkrankung gelte die 1%-Belastungsgrenze des § 62 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Die Antragstellerin hat sich berufen auf die Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten (Krankentransport- Richtlinien) vom 22.01.2004 und die Auffassung vertreten, sie habe aufgrund ihrer Erkrankungen keinerlei Fahrtkosten zu tragen. Eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz sei erforderlich, da eine Klage eine unzumutbare Härte bedeute.
Mit einem ebenfalls in Kopie im laufenden Antragsverfahren eingereichten Schreiben vom 19.02.2004 bat die Antragstellerin die Antragsgegnerin um Auskunft, ob sie generell von den Zuzahlungen befreit sei bzw. welche Zuzahlungshöchstgrenzen für sie gelten würden. Am 24.02.2004 hat die Antragstellerin ihr Begehren wegen Dringlichkeit und Eilbedürftigkeit erweitert, weil die Antragsgegnerin seit 24.01.2004 an sie gerichtete Fragen nicht beantwortet habe und damit den gesetzlichen Aufklärungs- und Beratungspflichten nicht gerecht geworden sei; am 01.03.2004 hat sie beantragt, festzustellen, dass die Antragsgegnerin weiterhin verpflichtet sei, die bisher viermal jährlich bewilligte Zahnreinigung zu gewähren. Außerdem hat die Antragstellerin am 19.03.2004 unter Überreichung diverser Unterlagen vorgetragen, die Antragsgegnerin habe vor zwei Jahren versucht, der Antragstellerin ein technisches Hilfsmittel (Rollstuhl) vorzuenthalten.
Am 16.03.2004 hat die gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin telefonisch mitgeteilt, die Antragsgegnerin habe die Übernahme der anfallenden Fahrtkosten schriftlich zugesagt. Den Antrag nehme sie aber nicht zurück, da es ihr um eine grundsätzliche Entscheidung gehe und die anderen Eltern chronisch kranker Kinder, denen es nicht anders ginge, klare Richtlinien benötigten.
Aktenkundig sind außerdem diverse Schreiben der Antragsgegnerin an die Antragstellerin. Mit Schreiben vom 12.03.2004 erteilte die Antragsgegnerin eine Zuzahlungsbefreiung für die Zeit vom 12.03.2004 bis 31.12.2004. Mit Schreiben vom 31.03.2004 genehmigte die Kasse Fahrten zur ambulanten Krankenbehandlung zur Krankengymnastik und Ergotherapie. In einem weiteren Schreiben vom 31.03.2004 wird hinsichtlich weiterer Fahrtkosten um Angabe der konkreten Anlässe zur Überprüfung der Kostenerstattung gebeten. Mit Schreiben vom 01.04.2004 bat die Antragsgegnerin um Übersendung der Originalrechnungen des Zahnarztes bezüglich der professionellen Zahnreinigung.
Das Sozialgericht hat die Anträge der Antragstellerin mit Beschluss vom 20.04.2004 abgelehnt. Es hat seiner Entscheidung die nachfolgenden Anträge der Antragstellerin zu Grunde gelegt.
"Die Antragstellerin beantragt nach dem Inhalt ihrer Schriftsätze, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, 1. die Fahrtkosten der Antragstellerin zur täglichen Krankengymnastik und wöchentlichen Ergotherapie sowie zu notwendigen medizinisch indizierten Arzt- und Facharztuntersuchungen über den 31.12.2003 hinaus zu erstatten, 2. ihre an sie gerichteten Anfragen zur generellen Befreiung von Zuzahlungen bzw. der Zuzahlungshöchstgrenze unverzüglich zu beantworten, 3. die Durchführung vier Mal jährlicher Zahnreinigungen zu genehmigen, 4. der Antragstellerin ein vor zwei Jahren vorenthaltenes technisches Hilfsmittel zu bewilligen."
Zur Begründung hat das SG hinsichtlich des Antrages zu 1) eine Beschwer der Antragstellerin, hinsichtlich des Antrags zu 2) eine Anspruchsgrundlage nicht zu erkennen vermocht. Der Antrag zu 3) sei wegen Fehlens eines Anordnungsgrundes abzulehnen. Eine ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin sei nicht ersichtlich. Die Bescheidung konkreter Leistungsbegehren sei abzuwarten. Ein Anordnungsanspruch fehle auch hinsichtlich des begehrten Hilfsmittels, soweit es nicht bereits bewilligt worden sei. Eine Vorwegnahme der Hauptsache komme im Übrigen grundsätzlich nicht in Betracht.
Die Antragstellerin hat am 27.04.2004 Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 20.04.2001 eingelegt. Dieser Beschwerde hat das SG nicht abgeholfen (Nichtabhilfeentscheidung vom 27.04.2004).
Die Antragstellerin hat hinsichtlich des Antrages zu 4) erklärt, der begehrte Rollstuhl sei geliefert und das Verfahren abgeschlossen. Sie habe lediglich entsprechend vorgetragen, um die rechtswidrige und schikanöse Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin zu dokumentieren. Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, ein Klageverfahren sei ihr aus sozialen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar. Eine mündliche Erörterung unter Anordnung des persönlichen Erscheinens der Antragstellerin würde dies deutlich machen. Als Kind falle sie unter jegliche Ausnahmen. Die Antragsgegnerin sei hinsichtlich ihrer gesetzlichen Aufgaben durch die Sozialgerichte zu ermahnen. Hinsichtlich des Antrages zu 1) werde auf die vorgelegten Richtlinien und die Krankentransport-Richtlinien verwiesen. Es reiche hinsichtlich des Antrages zu 2) aus, wenn die Antragsgegnerin die Antragstellerin rechtzeitig am Jahresende über zu erbringende Anträge und Bescheinigungen aufkläre. Der Antrag zu 3) sei nach Absprache mit der Zahnärztin erforderlich. Sie hat diesbezüglich u.a. ein Schreiben der Universität X vom 20.04.2004 überreicht, wonach professionelle Mundhygiene im Abstand von drei Monaten zwingend erforderlich sei.
Die Antragsgegnerin hat erklärt, nach Überschreiten der zumutbaren Belastungsgrenze, und da die weiteren Voraussetzungen für die Übernahme der Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung vorlägen, erfolge eine Erstattung der notwendigen Fahrtkosten; die Antragstellerin sei schriftlich, telefonisch und durch Merkblätter über die Neuregelung von Zuzahlungen informiert worden ; ein konkreter Antrag auf Kostenübernahme für professionelle Zahnreinigung in Form eines Kostenvoranschlages oder einer Rechnung liege bisher nicht vor.
Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das SG hat die Anträge der Antragstellerin vom 09. Februar 2004 zu Recht abgelehnt. Auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses des SG Dortmund vom 20.04.2004 kann im Wesentlichen verwiesen werden.
Lediglich ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind in § 86 b Sozialgerichtsgesetz (SGG) geregelt. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nur in den geregelten Ausnahmefällen möglich und gerechtfertigt. Grundsätzlich haben alle Beteiligten das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren (inkl. Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren) einzuhalten. Der Grundsatz ist auch vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens. Soweit die Bevollmächtigte der Antragstellerin davon auszugehen scheint, aus der von niemandem bestrittenen Schwerstbehinderung der Antragstellerin und den daraus nachvollziehbar resultierenden Belastungen für die Antragstellerin selbst und ihr Umfeld ergebe sich grundsätzlich die Unzumutbarkeit etwa der Durchführung eines Hauptsachverfahrens, irrt sie. Selbst ein Erfolg ihrer Anträge im einstweiligen Rechtsschutz würde die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens nicht entbehrlich machen, da die Gerichte in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich lediglich vorläufige Regelungen zu treffen berechtigt sind. Im Übrigen hat bereits das SG darauf hingewiesen, dass die Sozialgerichte nicht berufen sind, losgelöst vom konkreten Begehren und Rechtsverhältnis das Verhalten der gesetzlichen Krankenkassen zu überprüfen, geschweige denn Ermahnungen auszusprechen.
Zu den einzelnen vom SG seiner Entscheidung zu Grunde gelegten Anträgen – mit Ausnahme des Antrages zu 4), den die Antragstellerin nicht weiterverfolgt – bleibt festzustellen:
1. Die Antragstellerin hat für das Jahr 2004 die für sie geltende Belastungsgrenze des § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB V überschritten. Dass auch die Antragstellerin grundsätzlich Zuzahlungen gemäß § 61 SGB V zu leisten hat, steht fest und ist der Bevollmächtigten der Antragstellerin nunmehr mehrfach erläutert worden. Die Antragsgegnerin hat mit Bescheid vom 31.03.2004 Fahrten zur Krankengymnastik und Ergotherapie bereits genehmigt. Sie hat bisher keinerlei Genehmigung versagt und bereits zuvor eine Zuzahlungsbefreiung (Bescheid vom 12.03.2004) erteilt. Dem Antrag der Antragstellerin fehlt insoweit bereits ein erkennbares Rechtsschutzbedürfnis.
Sollte die Antragstellerin eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Kostenübernahme ohne Genehmigung bzw. eine Genehmigung aller von der Antragstellerin für notwendig erachteten Fahrten begehren, müsste dem Antrag der Erfolg versagt bleiben.
Die in § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geregelte und hier einschlägige Regelungsanordnung setzt nämlich voraus, dass eine Regelung im einstweiligen Rechtsschutz zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierfür ist es grundsätzlich erforderlich, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vom Antragsteller bzw. von der Antragstellerin glaubhaft gemacht werden.
Schon ein Anordnungsanspruch wäre, das oben beschriebene besonders weitgehende Begehren unterstellt, nicht ersichtlich. Dies ergibt sich aus der Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB V, wonach Fahrtkosten zu einer ambulanten Behandlung nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen – in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 geregelten Ausnahmefällen – erstattet werden können.
Die Antragstellerin mag die Anregung der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 31.03.2004 aufgreifen und, soweit weitere Fahrtkosten entstehen bzw. sich ankündigen (etwa regelmäßig erforderliche ambulante Behandlungen), Kontakt mit der Antragsgegnerin aufnehmen, die dann die Voraussetzungen einer Genehmigung zu prüfen haben wird. Eine Genehmigung setzt das Gesetz auch bei Schwerstbehinderten voraus.
2. Soweit die Antragstellerin die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, sie "in einem angemessenen Zeitraum am Jahresende über zu erbringende Anträge und Bescheinigungen für das neue Jahr hinsichtlich ihrer zu berücksichtigenden Ausnahmen und Härten" zu informieren, weist der Senat darauf hin, dass die Antragsgegnerin gemäß §§ 14, 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) grundsätzlich zur Beratung und Auskunft verpflichtet ist. Es ist bereits nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin ihren diesbezüglichen Verpflichtungen, die regelmäßig ein konkretes Beratungsersuchen voraussetzen, in der Vergangenheit nicht nachgekommen wäre. Zutreffend hat das SG darauf verwiesen, dass eine "unverzügliche" Beantwortung im Übrigen nicht beansprucht werden kann; erst recht kommt die Antragsgegnerin ihren Verpflichtungen nicht erst dann nach, wenn ihre Auskünfte auch inhaltlich den Vorstellungen des Auskunftssuchenden bzw. des Versicherten entsprechen. Es kann daher dahinstehen, ob der Antrag nicht zu unbestimmt und wegen nicht absehbarer tatsächlicher und rechtlicher Änderungen auf etwas Unmögliches gerichtet ist. Auch ist nicht mehr entscheidend, dass ein Anordnungsgrund (d.h. eine besondere Eilbedürftigkeit) nicht ersichtlich ist.
3. Hinsichtlich der begehrten Verpflichtung der Antragsgegnerin, eine vier Mal im Jahr durchzuführende professionelle Zahnreinigung durchzuführen, bleibt festzuhalten, dass auch im Beschwerdeverfahren weiterhin jedwede abschlägige Entscheidung der Antragsgegnerin fehlt. Vielmehr hat diese bereits erstinstanzlich darauf hingewiesen, dass ihr konkrete Anträge nicht vorliegen. Zuletzt hat sie darauf verwiesen, dass eine abschließende Bewertung des Leistungsantrages bisher nicht erfolgt sei. Die Antragstellerin mag sich diesbezüglich an den gesetzlich vorgesehenen Verfahrensgang halten und die maßgeblichen Unterlagen direkt an die Antragsgegnerin übersenden. Für das Gericht ist aus den eingereichten Unterlagen der Fakultät für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität X nicht einmal ersichtlich, ob bereits eine kostenpflichtige professionelle Zahnreinigung durchgeführt wurde bzw. wann die nächste Behandlung anstünde. Jedenfalls ist nicht erkennbar, welche wesentlichen und irreparablen Nachteile entstünden, wenn die Antragsstellerin zunächst eine Entscheidung der Antragsgegnerin herbeiführen muss, so dass ein Anordnungsgrund nicht ersichtlich ist. Mit dem Institut der Untätigkeitsklage gibt das SGG den Versicherten zudem einen Rechtsbehelf an die Hand, mit dem über ohne sachlichen Grund nicht innerhalb der maßgeblichen Fristen beschiedene Anträge eine Entscheidung zeitnah herbeigeführt werden könnte.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 30.07.2004
Zuletzt verändert am: 30.07.2004