Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17. Juli 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der 1942 geborene Kläger hat den Beruf eines Schlossers erlernt und ihn zuletzt von 1994 bis Januar 1999 im Unternehmen seines Bruders X Montagebau GmbH in V ausgeübt. Ab Dezember 2000 bezieht er von der LVA Westfalen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Im November 1999 beantragte der Kläger die Anerkennung und Entschädigung seiner Hörstörung als BK bei der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft. Diese zog das Erkrankungsverzeichnis der AOK sowie Arbeitgeberauskünfte bei und befragte den Kläger zu den beruflichen Lärmeinwirkungen. Ihre Präventionsabteilung – Fachstelle Lärm – kam in einer Stellungnahme vom 25.04.2000 zu dem Ergebnis, der Kläger sei einem Beurteilungspegel von 85 dB(A) ausgesetzt gewesen. Die Lärmeinwirkung habe während der Beschäftigungszeit von Mai 1990 bis Mai 1993 bei der Stahlbaufirma H bei 90 dB(A) gelegen. Nachdem für die Bau-Berufsgenossenschaft deren technischer Aufsichtsbeamter (TAB) M in einer Stellungnahme vom 13.09.2000 auch in Bezug auf das letzte Beschäftigungsverhältnis des Klägers die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer Lärmschwerhörigkeit bejaht hatte, führte die Beklagte das Feststellungsverfahren fort und holte einen Bericht des behandelnden HNO-Arztes S ein. Darin beschrieb dieser am 17.09.2001 eine mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit mit Hochtonabfall bei positivem Sisi-Test. Er diagnostizierte unter Vorlage eines Audiogramms vom 13.04.2000 eine lärmbedingte Schwerhörigkeit. Sodann ließ die Beklagte den Kläger durch den HNO-Arzt Dr. T in E untersuchen und begutachten. Ihm gegenüber hatte der Kläger über eine seit 10 Jahren zunehmende Schwerhörigkeit beidseits geklagt und hervorgehoben, dass insbesondere bei einer Unterhaltung und bei Nebengeräuschen sich die Hörstörung bemerkbar mache. Dr. T beschrieb im Gutachten vom 20.12.2001 eine beidseitige symmetrische knapp geringgradige Innenohrschwerhörigkeit und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für den berufsbedingten Hörverlust mit 10 v.H. ab Beendigung der beruflichen Lärmtätigkeit ein. Gestützt auf diese Feststellungen erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 12.03.2002 als Folge einer BK 2301 der Anlage zur BKV eine knapp geringgradige Innenohrschwerhörigkeit beiderseits im Hochtonbereich an, lehnte zugleich aber die Gewährung einer Verletztenrente ab, weil eine MdE rentenberechtigenden Grades nicht vorliege.
Dem widersprach der Kläger am 20.03.2002 und machte geltend, die MdE von 10 v.H. sei zu niedrig. Der Gutachter habe nicht berücksichtigt, dass er ständig ein Rauschen auf beiden Ohren habe und er sei – im Gegensatz zu den Darlegungen des Dr. T – beim Fernsehen auf die Benutzung eines Hörgerätes angewiesen, das er seit 1995 habe. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 01.08.2002 den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 21.08.2002 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben, sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und geltend gemacht, die mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit müsse mindestens mit einer MdE von 20 v.H. bewertet werden. Zur Unterstützung seines Vorbringens hat der Kläger ein Attest des HNO-Arztes S vom 23.08.2002 vorgelegt, in dem dieser ausgeführt hat, nach seinen Unterlagen bestehe eine mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit, und es zeigten sich auch Ohrgeräusche. Der prozentuale Hörverlust liege beim Kläger nach der Tabelle von Röser zwischen 40 bis 60 %. Die MdE müsse dementsprechend unter Einschluss der Ohrgeräusche mit 45 bzw. 65 v.H. bewertet werden.
Das SG hat Prof. G E, Direktor der HNO-Klinik des Klinikums E mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In dem von dem Ltd. Oberarzt Priv. Doz. Dr. C am 15.02.2003 erstatteten Gutachten ist dieser zu dem Ergebnis gelangt, beim Kläger finde sich eine beidseitige, recruitment-positive, geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit mit beidseits kompensiertem Tinnitus. Unter Berücksichtigung der Beurteilungsgrundsätze des "Königsteiner Merkblattes" komme es entscheidend auf den sprachaudiometrischen Befund an, wobei das gewichtete Einsilberverstehen der MdE-Bestimmung Berücksichtigung finden müsse. Hiervon ausgehend bestehe ein prozentualer Hörverlust im Ausmaß einer beidseits geringgradigen Schwerhörigkeit, so dass die daraus resultierende MdE mit 15 v.H. festzustellen sei. Im Hinblick darauf, dass beidseits ein im Hochtonbereich lokalisierter knapp überschwelliger Tinnitus vorliege, der indes keine wesentliche Beeinträchtigung darstelle, sei die dafür anzunehmende MdE mit maximal 5 v.H. zu bewerten. Unter Berücksichtigung der gebotenen integrativen Bewertung sei die Gesamt-MdE für die Hörstörung unter Einschluss des Tinnitus mit unter 20 v.H. einzuschätzen.
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 17.07.2003 den Tinnitus als Folge der BK anerkannt. Mit Urteil vom gleichen Tage hat das SG die Klage auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 20.08.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12.09.2003 Berufung eingelegt. Er ist der Ansicht, dem Gutachten von Dr. T könne nicht gefolgt werden, weil dieser beim Gesamtwortverstehen einen Hörverlust von 30 % angenommen habe, während nach dem gewichteten Gesamtwortverstehen nur ein Hörverlust von 20 % bestanden haben solle. Darüber hinaus habe der Gutachter den lärmbedingten Tinnitus überhaupt nicht berücksichtigt. Das SG habe sich schließlich zu Unrecht auf das Gutachten von Priv.-Doz. Dr. C gestützt, denn dieser sei gar nicht zum Sachverständigen (SV) bestellt worden. Der dazu ernannte Prof. Dr. E habe das Gutachten aber nicht erstattet und auch nicht verantwortlich unterzeichnet. Im Übrigen sei der ernannte SV nach Maßgebe des § 118 Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 407a Zivilprozessordnung (ZPO) zur Übertragung des Gutachtenauftrages auch nicht berechtigt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. Q, HNO-Arzt in I. Dieser ist am 09.11.2004 zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt, beim Kläger bestehe als Folge der anerkannten BK 2301 eine beiderseitige geringgradige Innnenohrhochtonschwerhörigkeit. Während die in der Vergangenheit durch die Vorgutachter festgestellten Hörverluste im Tonaudiogramm im Wesentlichen konstant geblieben seien, hätten sich die Befunde des Sprachaudiogramms zwischenzeitlich verschlechtert. Die Verschlechterung des Sprachverständnisses als Leistung der zentralen Wahrnehmung und weniger des Ton- und Sprachgehörs sei nicht auf Folgen der beruflichen Lärmeinwirkung zurückzuführen, sondern stehe im Zusammmenhang mit dem beim Kläger bestehenden insulinpflichtigen Diabetes und einer behandlungsbedürftigen Hypertonie, die sich auf die Gehirndurchblutung und damit auf die zentralen Wahrnehmungsleistungen auswirkten. Das bei 1000 Hz lokalisierbare Ohrgeräusch sei als nicht lärmbedingt anzusehen, da es nach aller wissenschaftlichen Kenntnis im Bereich der maximalen Schädigung und damit im Hochtonbereich liegen müsse. Für das Ausmaß der berufsbedingten Hörstörung sei maßgeblich auf das zeitnah mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben erstattete Tonaudiogramm vom 13.04.2000 abzustellen, bei dem sich ein Hörverlust von 40 % rechts und links von 35 % ergeben habe. Zu diesem Zeitpunkt habe noch keine MdE in rentenberechtigendem Grade vorgelegen, denn dieser Befund habe im Bereich des späteren, gutachtlich erstellten Tondaudiogrammes gelegen. Die BK bedingte MdE sei mit 15 v.H. zu bewerten.
Der auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG gehörte HNO-Arzt Dr. H in M ist im Gutachten vom 21.03.2005 zu dem Ergebnis gelangt, beim Kläger bestehe eine lärmbedingte symmetrische, recuitment-positive leichtgradige Innenohrschwerhörigkeit beiderseits mit Ohrgeräuschen. Im Gegensatz zu Prof. Dr. Q lägen die Ohrgeräusche rechts bei 3 kHz und links bei ca. 2 kHz, also in den durch Berufslärm betroffenen Frequenzbereichen und seien daher als Folge der BK anzusehen. Eine deutliche Progredienz des Hörverlustes nach Ende der beruflichen Exposition sei in Übereinstimmung mit den Gutachten der HNO-Klinik E und von Prof. Dr. Q auf dem linken Ohr zu verzeichnen. Rechts habe sich das Hörvermögen dagegen nicht verschlechtert. Es sei daher davon auszugehen, dass im Zeitpunkt der Beendigung der Lärmtätigkeit eine annähernd symmetrische Innenohrschwerhörigkeit vorgelegen habe, wie sie sich in den Audiogrammen des behandelnden HNO-Arztes vom 13.04.2000 und in den Befunden des Gutachters Dr. T dargestellt habe. Der seinerzeit von ihm aus den sprachaudiometrischen Befunden beschriebene symmetrische Hörverlust habe beidseits bei 30 % gelegen, so dass sich nach dem "Königsteiner Merkblatt" eine MdE von 15 v.H. errechne. Die MdE für den Tinnitus sei mit 10 v.H. anzunehmen, da ein erheblicher Leidensdruck beim Kläger (Einschlafprobleme, Nervosität usw.) bestehe. Die BK-bedingte MdE sei danach mit insgesamt 20 v.H. zu bewerten.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. Q vom 06.05.2005 eingeholt, auf deren Inhalt verwiesen wird.
Der Kläger, der der Auffassung ist, die Ausführungen des vom Senat von Amts wegen gehörten SV Prof. Dr. Q könnten nicht überzeugen und seine Auffassung, der Tinnitus sei nicht Folge der beruflichen Lärmeinwirkung, stehe im Gegensatz zu den Feststellungen von Priv.-Doz. Dr. C und des SV Dr. H, beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 17.07.2003 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12.03.2002 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 01.08.2002 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der BK nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte, die den Ausführungen von Prof. Dr. Q beipflichtet und im Übrigen der Ansicht ist, dass dann, wenn das vom SG eingeholte Gutachten nicht zu verwerten sei, die Grundlage für die Anerkennung des Tinnitus als Folge der BK entfallen sei, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen. Die Verwaltungsakten der Beklagten lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn die beim Kläger als Folge der BK Nr. 2301 anerkannte knapp geringgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits im Hochtonbereich mit Ohrgeräuschen bedingt keine MdE in rentenberechtigendem Grade.
Anspruch auf Rente haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Versicherungsfälle sind gem. § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (BKen). Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet. Sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).
Der Kläger leidet an einer Hörstörung, die die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 12.03.2002 in Form einer knapp geringgradigen Innenohrschwerhörigkeit beidseits im Hochtonbereich als BK-Folge nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV anerkannt hat. Schließlich hat sie am 17.07.2003 zusätzlich anerkannt, dass die beim Kläger bestehenden Ohr-geräusche Folge der Lärmeinwirkungen am Arbeitsplatz sind. Auch diese Feststellung, die ihre medizinische Grundlage in den Darlegungen des Ltd. Oberarztes Priv. Doz. Dr. C hat, ist für den Senat bindend, unabhängig davon, ob dessen Ausführungen als Sachverständigen – oder als Urkundsbeweis zu qualifizieren oder unverwertbar sind, worauf noch einzugehen sein wird. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bedingen die vorgenannten BK-Folgen aber keine MdE von 20 v.H., wie dies hier bei fehlendem Stütztatbestand erforderlich ist (§ 56 Abs. 1 Satz 2 – 4 SGB VII).
Gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII richtet sich die MdE danach, in welchem Umfang die BK das körperliche und das geistige Leistungsvermögen des Versicherten beeinträchtigt und seine Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert. Steht die BK-bedingte Leistungseinbuße fest, ist zu bewerten, wie sie sich im allgemeinen Erwerbsleben auswirkt (BSGE 4, 147, 149; BSG SozR 3-2200 § 581 Nrn. 7 u. 8). Dabei sind die medizinischen und sonstigen Erfahrungssätze ebenso zu beachten wie die Gesamtumstände des Einzelfalles (BSG,. a.a.0.). Anschließend läßt sich erkennen, welche Arbeitsgelegenheit dem Betroffenen versperrt und welche ihm verblieben sind.
In wieweit die BK-Folgen die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Versicherten beeinträchtigen, beurteilt sich in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Um die MdE einzuschätzen, sind die Erfahrungssätze zu beachten, die die Rechtsprechung und das versicherungsrechtliche wie versicherungsmedizinische Schrifttum herausgearbeitet haben. Auch wenn die Erfahrungssätze das Gericht im Einzelfall nicht binden, so bilden sie doch eine Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis (BSG SozR 2200 § 581 Nrn. 23 u. 27; SozR 3-2200 § 581 Nr. 5; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung [Handkommentar] § 56 SGB VII Rdnrn. 10). Sie sind in Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und bilden die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische SV zur Höhe der MdE unterbreitet. Hierdurch wird gewährleistet, dass alle Betroffenen nach einheitlichen Kriterien begutachtet werden; insoweit bilden sie ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der MdE (BSG, Urteil vom 19.12.2000 – B 2 U 49/99 R – = HVBG-INFO 2001, 499 f.).
Die Zusammenhangsbeurteilung und MdE-Bewertung bei der BK 2301 richtet sich nach dem "Königsteiner Merkblatt" (Empfehlungen des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit, 4. Auflage, 1996), das im Zusammenwirken mit namhaften deutschen Audiologen entwickelt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1982 – 2 RU 55/81 – = Meso B 40/24; Senatsurteil vom 21.03.1990 = Breithaupt 1991, 112; siehe auch BSG SozR 32200, § 581, Nr. 8; Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, S. 435 f.). Von ihnen darf nur in wissenschaftlich begründeten Fällen abgewichen werden, weil es sich um ein antizipiertes Sachverständigengutachten handelt (so zur BK 5101: BSG SozR 3- 2200 § 581 Nr. 5; vgl. ferner Mehrtens, a.a.0. § 56 SGB VII Rdnr. 10.3).
Hiervon ausgehend ist nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren auch zur Überzeugung des erkennenden Senates nicht erwiesen, dass die beim Kläger bestehende und von der Beklagten anerkannte berufsbedingte Hörstörung unter Einschluss des Tinnitus eine MdE um 20 v.H. bedingt. Dafür sind folgende Erwägungen maßgebend:
Es entspricht der herrschenden medizinischen Lehrmeinung, dass eine Lärmschwerhörigkeit nach dem Ende der Lärmexposition nicht fortschreitet (vgl. statt aller: Schönberger u.a., a.a.0., S. 449). Darauf hat insbesondere der SV Prof. Dr. Q zutreffend hingewiesen. Bei der Bewertung der MdE ist mithin auf die Verhältnisse abzustellen, die unmittelbar nach dem Ende der beruflichen Lärmexposition vorgelegen haben. Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat er die lärmbelastende Tätigkeit im Januar 1999 aufgegeben. Als zeitnächster Befund ist insoweit das vom behandelnden HNO-Arzt erstellte Tonaudiogramm vom 13.04.2000 anzusehen, dessen Richtigkeit allerdings deshalb zu bezweifeln ist, weil darin eine bei den späteren Untersuchungen nicht mehr festzustellende Schallleitungskomponente der Schwerhörigkeit aufgezeigt wird und auch der abgeleitete Hörverlust im Vergleich zu den späteren Befunden nicht real erscheint, wie dies Prof. Dr. Q nachgewiesen hat. Nach diesem Audiogramm eine MdE-Bewertung vornehmen zu wollen ist aber auch deshalb problematisch, weil es sich nur um ein Tonaudiogramm handelt, für die Berechnung des prozentualen Hörverlustes, der dann für die MdE-Bewertung maßgebend ist, aber das Sprachaudiogramm Vorrang hat (siehe "Königsteiner Merkblatt", a.a.O. Abschnitt 4.2; Schönberger u.a., a.a.0., S. 435; BSG, Urteil vom 05.12.1982, a.a.0.). Gleichwohl ist Prof. Dr. Q von diesem Audiogramm ausgegangen, dem er nach den Knochenleitungsschwellen einen Hörverlust von rechts 40 % und links 35 % entnommen hat. Dass sich aus diesem Hörverlust zum damaligen Zeitpunkt (April 2000) noch keine MdE von 20 v.H. ergab, hat der SV zutreffend dargelegt. Die gegenteilige Auffassung des nach § 109 SGG gehörten SV Dr. H, wonach sich bei diesem Hörverlust nach dem "Königsteiner Merkblatt" aufgrund der Tabelle von Feldmann ohne die Berücksichtigung der Ohrgeräusche eine MdE von 20 v.H. ergeben soll, trifft nicht zu. Bei richtiger Anwendung dieser Tabelle (vgl. Abschnitt 4.3.2 des "Königsteiner Merkblatts") wird ein derartiger Verlust nur mit einer MdE von 15 v.H. bewertet. Erst ein beidseitiger Hörverlust von 40 %, wie er aber auf dem linken Ohr nicht vorlag, ergibt danach eine MdE um 20 v.H., wie Prof. Dr. Q in seiner ergänzenden Stellungnahme zutreffend dargelegt hat.
Im Übrigen hat aber auch Dr. H den aus den audiologischen Befunden ermittelten Hörverlust nicht konsequent mit einer MdE um 20 v.H. veranschlagt, wenn er im Gutachten davon ausgegangen ist, dass zum Zeitpunkt der Beendigung der Lärmtätigkeit eine "annähernd symmetrische Innenohrschwerhörigkeit" vorgelegen hat, wie er unter Bezugnahme auf das Audiogramm des Audiologen S vom 13.04.2000 und die im Gutachten von Dr. T am 20.12.2001 erhobenen Befunde angeführt hat. Soweit Letzterer, dessen Ausführungen urkundsbeweislich zu verwerten waren, aus den sprachaudiometrischen Befunden einen symmetrischen Hörverlust beidseits von 30 % errechnet hat, ist dies – wie Dr. H zutreffend erkannt hat – nach dem "Königsteiner Merkblatt" nicht als "knapp geringgradige" sondern als "geringgradige Schwerhörigkeit" einzustufen, bedingt aber nach der oben genannten Tabelle – wie der SV des Vertrauens ebenfalls zu Recht gesehen hat – nur eine MdE um 15 v.H …
Soweit sich seitdem das Hörvermögen des Klägers ausweislich der gutachterlich erstellten Sprachaudiogramme kontinuierlich verschlechtert hat – Prof. Dr. Q hat Hörverluste rechts wie links von 40 %, Dr. H solche von rechts 40 und links 50 % festgestellt – können diese Befundverschlechterungen – insoweit besteht zwischen den im Berufungsverfahren gehörten SVen auch Einigkeit – nicht der Lärmschwerhörigkeit angelastet werden. Dazu hat der vom Senat gehörte außerordentlich erfahrene, kompetente und abgewogen urteilende SV Prof. Dr. Q überzeugend darauf hingewiesen, dass die Verschlimmerung der Schwerhörigkeit des Klägers vorwiegend das Sprachverständnis als Leistung der zentralen Wahrnehmung und weniger das Ton- und Sprachgehör betrifft, das wesentlich von der peripheren Hörleistung abhängt. Beim Kläger bestehen nämlich mit einem insulinpflichtigen Diabetes und einer behandlungsbedürftigen Hypertonie Krankheiten, die sich auf die Hirndurchblutung und damit auch auf die zentralen Warnehmungsleistungen auswirken. Soweit der Kläger diese Ausführungen als spekulativ angesehen hat, berücksichtigt er nicht, dass auch Dr. H – wie dargelegt – eine weitere Verschlechterung des Hörvermögens im Vergleich zur Untersuchung durch Prof. Dr. Q festgestellt hat und sich derartige Veränderungen im Sprachaudiogramm bei nahezu gleichbleibenden Tonaudiogrammen nur als ein typisches Symptom einer retrocochleären, d.h. einer neuralen und zentralen Funktionsstörung erklären. Wenn sich der Gutachter des Vertrauens des Klägers bei seiner audiologischen Diagnostik ausschließlich auf den Nachweis eines Haarzellschadens beschränkt und differenzialdiagnostische Tests zur Erkennung des Vorliegens einer retrocochleären bzw. zentralen Signalverarbeitungsstörung, z.B. durch Langenbeck-Test oder andere Verdeckungsprüfungen oder Ermüdungstest nicht durchgeführt hat, ist sein Gutachten nicht geeignet, die diesbezüglichen Feststellungen von Prof. Dr. Q zu widerlegen.
Ist nach alledem der beim Kläger bestehende lärmbedingte Hörverlust mit einer MdE von 15 v.H. zu bewerten, wovon auch Dr. H letztlich ausgeht, hängt die Einschätzung der MdE für die BK-Folgen bzw. die Frage, ob die MdE einen rentenberechtigenden Grad erreicht, von der Wertung der beim Kläger bestehenden Ohrgeräusche (Tinnitus) ab. Die Beklagte hat den Tinnitus als Folge der BK im erstinstanzlichen Verfahren auf der Grundlage der Ausführungen von Priv. Doz. Dr. C anerkannt. Dieser war indes mit der Beweisanordnung des SG nicht zum SV bestellt worden. Da nach § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 407 a Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) die Übertragung des Gutachtenauftrags durch den bestellten SV auf einen anderen grundsätzlich nicht zulässig ist, würde dies bedeuten, dass das erstinstanzlich eingeholte Gutachten nicht als Sachverständigengutachten zu verwerten wäre (vgl. BSG SozR § 128 Nr. 93, BSG SozR 1500 § 128 Nr. 24; BSG, SozR 4 -1750 § 407 a Nr. 1; vgl. ferner: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 8. Auflage, § 118, Rdnr. 11h). Auch eine Verwertung im Wege des Urkundsbeweises wäre danach unzulässig (BSG SozR 1500 § 128 Nr. 24; Meyer-Ladewig u.a., a.a.0.). Hier spricht allerdings die Tatsache, dass der Kläger vor dem SG die Unverwertbarkeit des Gutachtens von Priv. Doz. Dr. C nicht geltend gemacht hat, dafür, dass er sein Rügerecht verloren hat (vgl. zum Folgenden BSG SozR 4 – 1750 § 407 a Nr. 1): Nach § 202 Abs. 2 SGG i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO, der im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbar ist (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 61), kann die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form der Prozesshandlung betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung verzichtet hat oder sich bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen wird, den Mangel nicht gerügt hat, obwohl sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein müsste. Das war hier der Fall, denn dem rechtskundig vertreten gewesene Kläger war erkennbar, dass das Gutachten nicht von dem beauftragten SV erstattet worden war. Wenn er diesen Mangel erst im Berufungsverfahren gerügt hat, kann er damit nicht mehr gehört werden.
Soweit Prof. Dr. Q die Ansicht vertreten hat, das Ohrgeräusch sei nicht Folge der BK – der SV Dr. H ist mit Priv. Doz. Dr. C gegenteiliger Ansicht – kann dieser Beurteilung, auch wenn sie wissenschaftlich zutreffend sein sollte, im Hinblick auf die bindende Anerkennung des Tinnitus als BK-Folge nicht beigetreten werden. Der Tinnitus ist daher bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen. Da Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche zwei Symptome des lärmgeschädigten Innenohres sind, ist nach Maßgabe des Abschnitts 4.3.5 des in "Königsteiner Merkblatts" der gesamte lärmbedingte Schaden des Innenohres (Hörverlust und Ohrgeräusche) bei der MdE-Einschätzung im Rahmen einer Gesamt-MdE zu bewerten, wobei der Tinnitus mit einer MdE von bis zu 10 v.H. – integrierend, nicht additiv – zu berücksichtigen ist (vgl. auch LSG NW, Urteil vom 10.10.1989 = Meso B 40/41; Urteil vom 28.08.1996 = HV-Info 1998, 1766; Schönberger u.a., a.a.0., S. 442). Hiervon ausgehend ist der Tinnitus des Klägers nicht so gravierend, dass er eine Bewertung der Gesamt-MdE mit 20 v.H. gebietet. Dafür sind folgende Gründe maßgebend: Im Gutachten von Dr. T wurde der Tinnitus mit keinem Wort erwähnt. Dies lässt nur den Schluss zu, dass der Kläger ihn bei der Untersuchung nicht angegeben hat, was Indiz dafür ist, dass er ihn nicht als sonderlich belästigend empfunden hat. In dem im Feststellungsverfahren eingeholten Bericht des behandelnden HNO-Arztes S vom 17.09.2001 wird der Tinnitus ebenfalls nicht erwähnt. In seiner Widerspruchsbegründung hat der Kläger dann zwar geltend gemacht, im Gutachten sei das Rauschen, welches er fast ständig auf beiden Ohren habe, nicht berücksichtigt worden. Aber auch dabei hat der Kläger die Ohrgeräusche für nicht als besonders belästigend oder störend oder gar als einen Leidensdruck erzeugend beschrieben. Das ist auch in der Klagebegründung nicht geschehen.
Im Attest des behandelnden HNO-Arztes vom 23.08.2002 ist insoweit lediglich davon die Rede, dass sich beim Kläger Ohrgeräusche zeigten, ohne dass diese nach ihrer Art und ihrer Auswirkung in irgendeiner Weise beschrieben worden wären. Das gilt auch noch für das im Berufungsverfahren von diesem Arzt übersandte, mit dem vorgenannten Attest inhaltlich identische Schreiben vom 24.09.2004. Bei dieser Sachlage ist das letzte Vorbringen des Klägers, er sei schon seit 30 Jahren in hno-ärztlicher Behandlung bei Herrn S und leide seit mehr als 10 Jahren unter einem Tinnitus, nicht glaubhaft und als Versuch zu werten, einen erheblichen Leidensdruck infolge des Tinnitus darzutun, wie dies insbesondere auch gegenüber Dr. H geschehen ist. Dabei bezweifelt der Senat – wie vorstehend dargelegt – nicht, dass es insoweit nach Beendigung der Lärmtätigkeit zu einer weiteren Verschlechterung des Hörvermögens gekommen ist, wie dies insbesondere Prof. Dr. Q überzeugend nachgewiesen hat.
Es kann insoweit auch nicht übersehen werden, dass die erstmalige Erwähnung eines Tinnitus im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung gegenüber Priv. Doz. Dr. C erfolgt ist und der Kläger seinerzeit eine wesentliche Beeinträchtigung durch die Ohrgeräusche nicht angegeben, sondern ausgeführt hat, dass er sich "daran gewöhnt habe" und keine wesentliche oder besondere Situation beschrieben hat, in der die Ohrgeräusche ihn über Gebühr beeinträchtigten. Dementsprechend hat dieser Gutachter die Gesamt-MdE auch zu Recht nur mit unter 20 v.H. eingeschätzt. Seinen urkundsbeweislich zu verwertenden Ausführungen tritt der Senat bei.
Nach alledem ist es daher nicht gerechtfertigt, für die Bewertung des Tinnitus den dafür vorgesehenen Rahmen einer MdE von bis zu 10 v.H. voll auszuschöpfen und bei der Bildung der Gesamt-MdE zu berücksichtigen, wie dies durch Dr. H geschehen ist. Im Hinblick auf die notwendige integrierende MdE-Bewertung wird deshalb eine rentenberechtigende MdE im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nicht erreicht.
Die Berufung musste daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG erfolglos bleiben.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Erstellt am: 14.11.2005
Zuletzt verändert am: 14.11.2005