Die Restitutionsklage des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18.10.2000 wird abgewiesen. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Voraussetzungen für eine Restitutionsklage vorliegen.
Dem Kläger, der als Vertragszahnarzt tätig war, wurde mit Beschluss des Beklagten vom 25.02.1998 die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Tätigkeit entzogen. Die dagegen gerichtete Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 21.10.1999, Az.: S 14 KA 165/98, Urteil des LSG NRW vom 18.10.2000, Az.: L 11 KA 197/99). Die gegen das Urteil des LSG erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat das BSG zurückgewiesen (Beschluss vom 27.06.2001, Az.: B 6 KA 7/01 B).
Als Pflichtverletzungen, die die Zulassungsentziehung nach § 95 Abs. 6 des Sozialgesetzbuches (SGB V) rechtfertigten, wurden fortwährende Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot in der Zeit von 1983 bis zum 2. Quartal 1995 (mit Ausnahme eines Quartals) festgestellt, eine unzulängliche Mitwirkung im Gutachterverfahren, selbst dann noch, als dieses bereits Gegenstand einer disziplinarischen Maßnahme war, Vorlage und Verwendung mangelhafter Röntgenaufnahmen, die Weigerung, der Auflage nachzukommen, einen Kurs in Röntgendiagnostik zu besuchen, eine ungenehmigte Beschäftigung eines Praxisassistenten sowie die Vorlage einer manipulierten Urkunde in einem Berufungsverfahren, die Vorlage unvollständiger Abrechnungen sowie erhebliche Defizite in der Diagnosestellung und Vorbereitung der Behandlungsplanung in einem konkreten Behandlungsverlauf.
Am 28.02.2005 hat der Kläger Wiederaufnahmeklage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, ausweislich eines Artikels aus der Zeitschrift "Zahnärztliche Mitteilungen" (ZM) in der Ausgabe vom 01.02.2005 sei nach einer auf Prof. Dr. Claus Loest zurückgehenden Studie der Poliklinik für Zahnerhaltung am Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Uniklinik Tübingen eine Investition in endodontische Expertisen wirtschaftlich sinnvoll. Da auf Grund der in diesem Artikel wiedergegebenen Erkenntnisse der endodontische Behandlungsbedarf um Faktor 10 höher liege als der Umfang der tatsächlich erbrachten endodontischen Tätigkeit der Zahnärzteschaft, müsse zur angemessenen Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise die bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu Grunde gelegten Durchschnittswerte der Vergleichsgruppe entsprechend um diesen Faktor angehoben werden. Der in der Entscheidung zu Grunde gelegte statistische Vergleichsmaßstab könne unter dem Eindruck dieser Erkenntnisse nicht ohne erhebliche Einschränkungen aufrecht erhalten bleiben. Die Beweiswürdigung des Senats im Urteil vom 18.10.2000 sei daher nachweislich fehlerhaft. Die Frage der Wirtschaftlichkeit/Unwirtschaftlichkeit sei durch die Vereinbarung vom 14.11.1995, mit der die damals noch anhängigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen erledigt worden seien, offen geblieben. Im Übrigen hätten beim Kläger nur geringfügige Überschreitungen im Fallwert vorgelegen. Die statistische Vergleichsprüfung sei im Fall des Klägers ungeeignet gewesen, dies werde belegt durch seine ausweislich der Prüfergebnisse höhere Erfolgsquote im Bereich der Endodontien von 92 v. H. im Vergleich zu 80 v. H. beim Durchschnitt der Vertragszahnärzte. Unter dem Eindruck der in dem vom Kläger vorgelegten Artikel wiedergegebenen Erkenntnisse wäre eine ihm voraussichtlich günstigere Entscheidung in der Zulassungssache herbeigeführt worden, denn der Senat hätte sich bei richtiger Würdigung den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Wirtschaftlichkeit nicht verschließen können. Die Zulassungsentziehung sei im Wesentlichen auf dauernde Unwirtschaftlichkeit gestützt worden, das Urteil hebe zwar auch auf andere vermeintliche Pflichtverstöße ab, allerdings wirkten diese bei der Gesamtbeurteilung zusammen.
Die Restitutionsklage sei zulässig und begründet. Sie könne auf alle schriftlichen Beweismittel gestützt werden, sofern diese nicht die Funktion hätten, ein nach § 580 Nr. 7 b der Zivilprozessordnung (ZPO) ausgeschlossenes Beweismittel zu ersetzen. Zeitschriftenartikel über wissenschaftliche Erkenntnisse, die lediglich im Wege des Sachverständigenbeweises ins Verfahren eingeführt werden könnten, entsprächen diesen Anforderungen hinsichtlich einer Urkunde im Sinne der genannten Vorschrift. Das seien nämlich nicht nur formelle Urkunden, sondern auch solche, die für die zu beweisende Tatsache einen frei zu würdigenden Beweiswert hätten. Es komme auch nicht darauf an, dass die zeitlichen Voraussetzungen der geltend gemachten Urkunde nicht vorlägen, Urkunden im Sinne des § 580 Nr. 7 b seien auch erst nachträglich gefertigte Urkunden, wenn sie, so wie hier, Tatsachen beweisen könnten, die schon im maßgeblichen Zeitpunkt vorgelegen hätten. Der Zeitschriftenartikel befasse sich mit gutachterlich festgehaltenen Erkenntnissen, die bereits im Jahre 1997 gewonnen worden seien und im Verfahren vor dem LSG im Wege des Sachverständigenbeweises hätten eingeführt werden können. Im Übrigen sei der Senat einem Beweisantrag des Klägers, ein Sachverständigengutachten im streitigen Verfahren zur Feststellung seiner wirtschaftlichen Behandlungsweise einzuholen, nicht nachgegangen. Hinzu komme, dass in dem Zeitraum 1995 bis 2000, soweit der Kläger vertragszahnärztlich tätig gewesen sei, größtenteils keinerlei Prüfmaßnahmen gegen ihn verhängt worden seien oder nur vereinzelt ganz geringe und unauffällige Beträge gekürzt worden seien.
Der Kläger beantragt,
das durch rechtskräftiges Urteil des Landessozialgerichts vom 18.10.2000 L 11 KA 197/99 abgeschlossene Verfahren wieder aufzunehmen und unter Abänderung des Urteils des Landessozialgerichts vom 18.10.2000 und des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 21.10.1999 S 14 KA 165/98 den Bescheid des Beklagten vom 25.02.1998 aufzuheben.
Der Vorsitzende des Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladenen zu 1) bis 3) und 8) schließen sich dem Antrag des Beklagten an.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Wiederaufnahmeklage sei unzulässig, denn ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO läge nicht vor. Der zitierte Aufsatz des Prof. Dr. Loest vom 01.02.2005 sei keine Urkunde im Sinne dieser Vorschrift, weil die entscheidungserheblichen Tatsachen nicht im Wege des Urkundenbeweises gerade durch die Beurkundung und die ihr innewohnende Beweiskraft, sondern durch Schlussfolgerungen aus neuen Erkenntnissen bewiesen werden sollten. Abgesehen davon könnte eine günstigere Entscheidung nur durch eine Urkunde herbeigeführt werden, die zur Zeit des Vorprozesses schon vorhanden gewesen sei. Auch das sei hier nicht der Fall.
Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes, auch des Vorbringens der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten des Sozialgerichts Dortmund (Az.: S 14 KA 165/98; L 11 KA 197/99), deren Inhalt der Senat seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Restitutionsklage ist unbegründet. Die Voraussetzung des allein in Betracht kommenden Restitutionsgrundes des Auffindens einer Urkunde, die eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, liegen nicht vor.
Nach §§ 179 Abs. 1 SGG, 580 Nr. 7 b ZPO findet die Restitutionsklage statt, wenn die Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu Benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Urkunde im Sinne dieser Vorschrift ist nicht nur eine förmliche Urkunde, sondern kann auch jedes andere Schriftstück sein. Voraussetzung ist aber, dass das Schriftstück durch seinen eigenen Beweiswert einen Mangel des früheren Verfahrens offenbaren kann (vgl. hierzu Baumbach, Lauterbach, Albers, Hartmann, ZPO, 62. Aufl., 2004, § 580 Anmerkung 14). Weitere Voraussetzung ist, dass die schriftlichen Beweismittel, auf die eine Restitutionsklage gestützt wird, nicht nur die Funktion haben, ein nach § 580 Nr. 7 b an sich ausgeschlossenes Beweismittel (z. B. Sachverständigenbeweis) zu ersetzen. Schriftstücke, die Aufzeichnungen oder Aussagen eines Dritten enthalten, können eine Urkunde im Sinne der genannten Vorschrift sein, sofern es für die Entscheidung nicht auf die Richtigkeit des Inhalts, sondern lediglich darauf ankommt, dass der Betreffende dies gesagt oder geschrieben hat (Münchener Kommentar, Braun, 2. Aufl. 2000, § 580 Anmerkung 47).
1. Diesen Voraussetzungen entspricht der vom Kläger vorgelegte Artikel des Prof. Dr. Loest vom 01.02.2005 nicht. Der Artikel mit dem Titel "Endodontologie in Deutschland – Status quo und Perspektiven" stellt die Endodontologie als Wissenschaft, die sich mit Gestalt, Funktion, Gesundheit, Verletzungen und Erkrankungen der Pulpa und der periradikulären Strukturen sowie mit der Äthiologie und Diagnose des Zahnschmerzes und dentaler Erkrankungen beschäftigt vor und weist darauf hin, dass sie als traditioneller Grundpfeiler der Zahnerhaltung in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Imagewandel erfahren hat. Würde man dem Artikel überhaupt die Qualität einer Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO beimessen, könne ihr Beweiswert nur darin liegen, dass die Endodontologie im beschriebenen Sinne ein Grundpfeiler der Zahnerhaltung ist. Das ist aber unstreitig. Der Artikel befasst sich darüberhinaus – wie schon die Überschrift zeigt – mit Beschreibungen von status quo und Perspektiven, mit Wandlungen in Forschung und Lehre und der notwendigen Aus-, Fort- und Weiterbildung von Zahnärzten. Einen Bezug, erst recht nicht einen Beweiswert zur Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des Klägers von 1983 bis 1995 als Zahnarzt in Dortmund vermag der Senat darin nicht zu erkennen.
Der Kläger verkennt dabei, dass der Senat im Urteil vom 18.10.2000 die Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise für den o. g. Zeitraum nicht originär geprüft und überprüft hat, sondern seiner Bewertung bestandskräftige, zum Teil gerichtlich überprüfte Bescheide zu Gunde gelegt hat (Seite 7 des Urteils). Der Senat hat dazu schon ausgeführt: "Die vom Kläger vorgebrachten Einwände gegen die Kürzungen sind in diesem Verfahren unbeachtlich. Die Rechtskraft der ergangenen Entscheidungen schließt eine nochmalige Überprüfung der Kürzungsmaßnahmen im Verfahren über den Entzug der Zulassung aus (BSGE 34, 353)". Eine "Beweisführung" zur Unwirtschaftlichkeit in den Zeiträumen von 1983 bis 1995 hat in der Senatsentscheidung vom 18.10.2000 nicht stattgefunden; auch deswegen kann dem vom Kläger bezeichneten Artikel ein "Beweiswert" für das frühere Verfahren nicht zukommen. Soweit sich die Unwirtschaftlichkeit der vertragszahnärztlichen Behandlungsweise des Klägers aus der die Beteiligten bindenden Vereinbarung vom 14.11.1995 ergibt, hat der Senat bereits mit rechtskräftigem Urteil vom 12.02.2003 – L 11 KA 204/01 – entschieden, dass diese Vereinbarung wirksam ist.
Zu Unrecht geht der Kläger auch davon aus, der Artikel enthalte nicht nur wissenschaftliche, sondern auch statistische Erkenntnisse. Lediglich zur Thematik der Patientenversorgung wird ausgeführt: "Was die Wurzelkanalbehandlung anbetrifft, so geht man bei "vitalen" Fällen von einer Erfolgsquote von über 90 %, bei Zähnen mit appikaler Paradontitis von ca. 80 % aus (Friedmann 2002). Die in praxi erzielten Ergebnisse divergieren davon jedoch erheblich (Weiger et al.1997)". Darin können jedoch keine statistischen Erkenntnisse gesehen werden, vielmehr wird mit diesem Passus gerade belegt, dass wegen der Divergenz in der Praxis keine gesicherten statistischen Erkenntnisse vorliegen.
2. Darüber hinaus scheitert die Restistutionsklage auch an dem weiteren Erfordernis des Errichtungszeitpunktes. § 580 Nr. 7 b ZPO verlangt, dass der Beteiligte eine Urkunde auffindet oder zu Benutzen in Stand gesetzt wird, die eine günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte. Auch wenn das dem Wortlaut der Vorschrift nicht eindeutig zu entnehmen ist, wird grundsätzlich gefordert, dass die Urkunde in einem Zeitpunkt errichtet ist, in dem sie im früheren Verfahren noch hätte geltend gemacht werden können (Münchener Kommentar, a. a. O., § 580 Anmerkung 49). Das Verfahren L 11 KA 197/99, dessen Urteilsaufhebung der Kläger begehrt, endete mit dem Urteil vom 18.10.2000. Der Artikel des Prof. Dr. Loest datiert vom 01.02.2005 und wurde damit über vier Jahre nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens veröffentlicht. Wenn man der Ansicht des Klägers folgt, auch nachträglich gefertigte Urkunden seien Urkunden im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO, wenn sie Tatsachen beweisen könnten, die schon im maßgeblichen Zeitpunkt vorgelegen hätten, ergibt sich kein anderes Ergebnis, denn die Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die Gegenstand des Verfahrens L 11 KA 197/99 gewesen sind und deren nachträgliche Neubewertung der Kläger mit dem Artikel des Prof. Dr. Loest begehrt, erstrecken sich lediglich bis zum 2. Quartal 1995. Auf diesen Zeitraum bezieht sich der vorgelegte Artikel des Prof. Dr. Loest hingegen nicht.
3. Letztlich hätte der vom Kläger als Urkunde angesehene Artikel des Prof. Dr. Loest nicht zu einer für den Kläger günstigen Entscheidung i. S. d. § 580 Nr. 7 b ZPO geführt. Der Senat hat im Urteil vom 18.10.2000 nämlich als Pflichtverletzung i. S. des § 95 Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) festgestellt, – dass der Kläger zwischen dem Beginn seiner Niederlassung 1983 und dem Quartal II/1995 fortwährend – mit Ausnahme eines Quartals – Maßnahmen der vertragszahnärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgesetzt war, – dass er im Gutachterverfahren unzulänglich mitgewirkt hat und zwar auch dann noch, nachdem dieses Verhalten bereits Gegenstand einer disziplinarischen Maßnahme gewesen ist, – dass er mangelhafte Röntgenaufnahmen vorgelegt hat und der Auflage des ZA, einen Kurs in Röntgendiagnostik zu besuchen, nicht sachgerecht nachgekommen ist, – dass er einen Assistenten in seiner Praxis ohne die erforderliche Genehmigung der Beigeladenen zu 8) beschäftigt hat, – dass er 1997 im Berufungsverfahren B 11 KA 99/97 im Termin vom 10. Dezember 1997 eine manipulierte Urkunde vorgelegt hat, um Zweifel an der ordnungsgemäßen Zustellung der Entscheidung des ZA zu begründen, – dass er in der Vergangenheit keine vollständigen Abrechnungen vorgelegt hat – und dass er in einem konkreten Behandlungsfall aus jüngerer Zeit erhebliche Defizite in der Diagnosestellung und Vorbereitung der Behandlungsplanung gezeigt hat.
Auch beim Wegfall des Vorwurfs der Unwirtschaftlichkeit wäre der Entzug der Zulassung des Klägers als Vertragszahnarzt rechtlich nicht zu beanstanden gewesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183 und 193 SGG i. d. F. bis zum 01.01.2002.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 21.08.2006
Zuletzt verändert am: 21.08.2006