Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichtes Dortmund vom 28. Januar 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die bei dem Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen als Impfschadensfolge nach dem Bundesseuchengesetz (BseuchG)/Infektionsschutzgesetz (IfSG) anzuerkennen sind und ihm deshalb Versorgung zu gewähren ist.
Bei dem am 00.00.1971 geborenen Kläger erfolgte erstmals am 06.04.1972 eine Impfung mit Quatro-Virelon gegen Diphterie, Tetanus, Keuchhusten und Polio (sog. DTP-Pol-Impfung). Der vierfach Tot-Impfstoff wurde durch eine intramuskuläre Injektion verabreicht. Spätere Impfungen zwischen 1976 und 1996 betrafen nur noch Diphterie, Tetanus und FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis).
Zunächst war der Kläger nach der Quatro-Virelon-Impfung unauffällig. Die ersten Auffälligkeiten des Klägers traten nach Angaben seiner Eltern am 12.04.1972 auf. Er sei unruhig gewesen und habe schrill geschrien. Demgegenüber wurden diese Auffälligkeiten in einem an den Kinderarzt Dr. C gerichteten Bericht der Universitätsklinik C erstmals unter dem 16.04.1972 beschrieben. Am 17.04.1972 traten dünne wässrige Stühle auf. Wegen seines schlechten Zustandes fand am 18.04.1972 ein Hausbesuch von Dr. C statt. Dieser nahm den Kläger aufgrund toxischen Verfalls mit Zentralisationskollaps stationär im Ev. Krankenhaus in Q auf. Am Nachmittag des 19.04.1972 setzte eine Krampfneigung ein, die sich verstärkte. In der folgenden Nacht krampfte der Kläger mehrfach. Da die Elektrolytbilanz des Klägers nicht ausgeglichen werden konnte, wurde er von Dr. C am 21.04.1972 wegen einer Enteritis in die Universitäts-Kinderklinik und Poliklinik in C verlegt. Er wies darauf hin, dass in der Umgebung eine Gastroenteritis-Endemie bestehe. Die Impfung vom 06.04.1972 sei gut vertragen worden. Anschließend sei ein leichter Infekt der oberen Luftwege (Schnupfen) aufgetreten.
In der Universitäts-Kinderklinik und Poliklinik in C erfolgte die stationäre Behandlung in der Zeit vom 21.04. bis 11.08.1972. Im Entlassungsbericht lauten die Diagnosen: Dyspepsie, Exsikkose mit Verdacht auf Hirnödem und Schockniere, Ostitis li. Femur mit Spontanfraktur, Cerebralparese.
Der Beklagte stellte im Juli 1977 im Rahmen eines Schwerbehindertenverfahrens eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vom Hundert (v. H.) wegen einer Cerebralparese nach Enzephalotoxikose, Ataxie, Sprachstörung und geistiger Retardierung sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G, B, aG und H" fest.
Im August 1996 beantragte der Kläger Versorgung wegen eines Impfschadens. Der Beklagte zog zunächst einen Befundbericht von dem Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren Dr. L bei. Im Dezember 1996 gaben die Eltern anlässlich einer Befragung durch die Ltd. Ärztin Dr. C1 am P an, der Kläger sei bis zum Wochenende unauffällig gewesen. Zu einer vermehrten Unruhe und einem schrillen Schreien sei es ab dem 12.04.1972 gekommen. Ab dem 17.04.1972 habe der Kläger an Durchfall gelitten. Im häuslichen Umfeld und im privaten Bekanntenkreis habe absolut keine Häufigkeit von Durchfallerkrankungen bestanden.
Der Beklagte holte ein Gutachten nach Aktenlage von dem Neurologen Dr. O ein, der zu dem Ergebnis gelangte, dass mehr gegen als für einen ursächlichen Zusammenhang spräche: Nach Pertussis-Impfungen seien nach dem dritten Tag pathologische Erscheinungen selten, nach dem siebten Tag keine gesicherten impfbedingten Komplikationen bekannt. Gestützt auf diese Ausführungen lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 05.05.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.09.1997 ab.
Dagegen hat der Kläger am 15.10.1997 vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass der Beginn des schrillen Schreiens am 12.04.1972 innerhalb der Inkubationszeit des Keuchhustenimpfstoffs gelegen habe. Das Vorliegen einer Gastroenteritis oder einer Enzephalotoxikose werde nicht bestritten. Da der Erreger für eine Gastroenteritis nicht nachgewiesen sei, bleibe als auslösender Faktor nur die nachgewiesene Impfung. Gemäß der "Roten Liste 2000" sei der Quarto-Virelon-Impfstoff geeignet, Durchfälle hervorrufen. Im Übrigen sei es eine reine Spekulation, von einer impfunabhängigen Rotavireninfektion auszugehen. Sollte tatsächlich ein Zweitinfekt durch Rotaviren bestanden haben, so sei dieser nur zum Tragen gekommen, weil die Resistenz des Immunsystems bereits stark gemindert gewesen sei.
Der Kläger hat während des Klageverfahrens ein Privatgutachten von Frau Dr. G, Ärztin für Kinderheilkunde und Kinderkardiologie in Hildesheim, überreicht, die die Enzephalotoxikose des Klägers auf die Impfung zurückgeführt hat. Ihrer Auffassung nach hätten keine Vorschäden bestanden. Dr. C habe generell spät geimpft, so auch im Falle der Schwester des Klägers.
Das SG hat ein Gutachten nach Aktenlage von dem Neurologen und Epileptologen Prof. Dr. F vom 01.07.1999 sowie auf Einwendungen des Klägers ergänzende Stellungnahmen vom 29.11.2000 und 20.02.2001 eingeholt. Der Sachverständige ist zusammenfassend zu dem Ergebnis gekommen, dass eine impfbedingte Erkrankung des Klägers sehr unwahrscheinlich sei. Demgegenüber sei es hochwahrscheinlich, dass die Hirnerkrankung auf dem Boden einer impfunabhängigen Durchfallerkrankung mit Kreislauf- und Elektrolytstörungen entstanden sei. Unabhängig von der Impfung sei eine wohl viral durch Rotaviren bedingte Enteritis aufgetreten. Es habe sich eine hypertone Dehydration mit der Folge einer Enzephalotoxikose entwickelt, die zur Cerebralparese geführt habe.
Auf Antrag des Klägers hat das SG gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein Sachverständigengutachten nach Aktenlage von Prof. Dr. L1, ehemaliger Direktor der Landeskinderklinik O, vom 23.02.2000 sowie auf weitere Einwendungen des Klägers ergänzende Stellungnahmen vom 02.05.2003 und 19.08.2003 eingeholt. Der Sachverständige ist zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Impfschaden nicht mit der hierzu nötigen Wahrscheinlichkeit feststehe. An der Diagnose einer hypertonen Dehydration bestünde hingegen kein Zweifel. Es handele sich um eine mit hoher Wahrscheinlichkeit durch zufällige Virusinfektion ausgelöste Gastroenteritis mit einer sich daraus entwickelnden sog. Enzephalotoxikose. Er hat darauf hingewiesen, dass eine Resistenzminderung infolge von Impfstoffen nicht mehr ernsthaft diskutiert werde. Die Voraussetzungen einer Kann-Versorgung hat Prof. Dr. L1 verneint, weil über die Ursache des hier mit Sicherheit festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft keine Ungewissheit bestehe.
Des Weiteren hat das SG gemäß § 109 SGG ein Gutachten von Prof. Dr. F1, Professor für Impfwesen, ehemaliger Direktor des Instituts für Impfwesen und Virologie in I, nach Aktenlage vom 08.02.2002 sowie ergänzende Stellungnahmen vom 04.05.2002 und 24.03.2003 eingeholt. Dieser Sachverständige hat einen indirekten Impfschaden mit einer MdE um 100 v. H. bejaht. Nicht die Inkubationszeit, sondern die Resistenzminderung wegen der Keuchhustenkomponente sei vorliegend ausschlaggebend. Die Abwehrschwäche halte bis zu einem Monat an. Die zelluläre Immunität des Klägers sei entscheidend geschädigt worden. Insgesamt spreche mehr dafür als dagegen, dass bei dem Kläger ein indirekter Impfschaden eingetreten sei. Ergänzend hat er darauf hingewiesen, dass die Diphterie-, Tetanus- und Polio-Salk-Impfstoffe zu keiner Minderung der Abwehr des Impflings führen würden.
Unter Hinweis auf versorgungsärztliche Stellungnahmen von Prof. Dr. N vom 03.11.1998 und 24.09.1999 sowie von Prof. Dr. T vom 14.03.2002, 14.11.2002 und 24.05.2004 hat der Beklagte auch weiterhin einen Anspruch auf Versorgung verneint.
Mit Urteil vom 28.01.2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidung wird verwiesen.
Gegen das ihm am 25.02.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.03.2004 Berufung eingelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, dass ein mittelbarer Impfschaden vorliege. Als schädigendes Ereignis komme nur die allein bewiesene Impfung in Betracht. Durch die Impfung sei eine Schädigung der zellulären Immunität mit der daraus resultierenden Resistenzminderung eingetreten. Der Erreger für eine Gastroenteritis, die Prof. Dr. L1 als schädigendes Ereignis angesehen habe, habe nicht nachgewiesen werden können. Zudem sei eine Gastroenteritis-Epidemie oder -Endemie auszuschließen. Als Nachweis hat er eine Bescheinigung der Bezirksregierung Arnsberg vom 09.07.2004 zu den Akten gereicht. In dem Schreiben wird ausgeführt, dass nach den vorliegenden Unterlagen bei dem Vater des Klägers Dienstunfähigkeitszeiten von März bis Mai 1972 nicht festgestellt werden konnten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Dortmund vom 28.01.2004 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 05.05.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.09.1997 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der Impfung vom 06.04.1972 Versorgungsleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat er eine weitere gutachtliche Stellungnahme von Prof. Dr. T von 24.05.2004 zu den Akten gereicht.
Der Senat hat den Vater des Klägers als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10.02.2005 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 05.05.1997 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Der Bescheid ist rechtmäßig.
Streitgegenstand des Rechtsstreits ist die Gewährung von Entschädigungsleistungen nach § 51 Abs. 1 BSeuchG/§ 60 IfSG. Da das IfSG am 01.01.2001 bei zeitgleichem Außerkrafttreten des BSeuchG ohne Übergangsvorschrift in Kraft getreten ist, ist im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch bis zum Inkrafttreten des IfSG das BSeuchG weiterhin anzuwenden; vorliegend von der Antragstellung im August 1996 bis zum 31.12.2000. Für die Zeit danach sind der Entscheidung die im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des IfSG zu Grunde zu legen (vgl. BSG, Urteil vom 20.07.2005, B 9a/9 VJ 2/04 R).
Nach § 51 Abs. 1 BSeuchG (§ 60 Abs. 1 IfSG-) erhält derjenige, der durch eine Impfung, die gesetzlich vorgeschrieben oder auf Grund dieses Gesetzes angeordnet oder von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung von internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, einen Impfschaden erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. Ein Impfschaden ist gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG (§ 2 Nr. 11 IfSG) ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden.
Als anspruchsbegründende Tatsachen müssen die schädigende Einwirkung (die Impfung), die gesundheitliche Schädigung (unübliche Impfreaktion) und die Schädigungsfolge (Dauerleiden) nachgewiesen sein (BSG, SozR 3850 § 51 Nr. 9). Der Vollbeweis setzt voraus, dass die Tatbestandsmerkmale mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R m. w. N.). Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 52 Abs. 2 Satz 1 BSeuchG; § 61 Satz 1 IfSG). Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Urteil vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R; Nr. 38 Abs.1 AP 2004).
Die Legaldefinition des § 52 Abs. 1 BSeuchG (§ 2 Nr. 11 IfSG) stellt klar, dass ein Impfschaden nicht jede Gesundheitsstörung ist, die mit Wahrscheinlichkeit auf der Impfung beruht, sondern nur der über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende. Welche Impfreaktionen danach als Impfschaden anzusehen sind, lässt sich im Allgemeinen den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AP) entnehmen. Die Anhaltspunkte geben den der herrschenden medizinischen Lehrmeinung, das ist die sog. Schulmedizin, entsprechenden aktuellen Kenntnis- und Wissenstand wieder, unter anderem auch über die Auswirkungen und Ursachen von Gesundheitsstörungen nach Impfungen. Die als medizinische Sachverständige tätigen Gutachter und die Versorgungsverwaltungen sind an die in den AP enthaltenen Erkenntnisse für Begutachtungen bzw. Entscheidungen über Anträge auf Versorgung gebunden. Die AP wirken in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit, haben damit normähnlichen Charakter und sind im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen (BSG, Urteil vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R).
Ausweislich des Impfbuches ist der Kläger am 06.04.1972 gegen Diphterie, Tetanus, Keuchhusten und Polio geimpft worden. Zur Überzeugung des Senats ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Enzephalotoxikose, in deren Verlauf es zu einem schweren Hirnödem, zu Krämpfen und zu cerebralen Dauerschäden des Klägers gekommen ist, nicht auf die Impfung vom 06.04.1972 zurückzuführen.
Die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen stehen nicht im Zusammenhang mit der Keuchhustenkomponente. Eine unübliche Impfreaktion, also ein Impfschaden, ist nicht nachgewiesen. In Nr. 57 Ziffer 11 beschreiben die AP 1996 und 2004 die üblichen Impfreaktionen und Impfschäden des 1972 noch gebräuchlichen Vollbakterienimpfstoffs bei einer Keuchhustenschutzimpfung. Danach kann es als übliche Impfreaktion zwischen dem 1. und 3. Tage nach der Impfung zu einem Temperaturanstieg kommen. Des Weiteren sind Inappetenz und Erbrechen möglich. Außerdem sehr selten innerhalb weniger Stunden nach der Injektion sind schockähnliche Zustände. Impfschäden sind selten. Gelegentlich kann nach anhaltendem schrillen Schreien innerhalb von drei Tagen eine Enzephalopathie auftreten, oft mit hirnorganischen Anfällen und manchmal ein progredienter Verlauf. Nach einer Enzephalopathie treten auch selten Dauerschäden (spastische Lähmung und geistige Retadierung) auf. Insoweit fanden sich fast identische Ausführungen in den Anhaltspunkten von 1973 (Nr. 47 Ziffer 11) und von 1983 (Nr. 57 Ziffer 11).
Verhaltensauffälligkeiten des Klägers sind in dem Zeitrahmen von drei Tagen nicht aufgetreten. Schrille Schreie oder hirnorganische Anfälle im Sinne einer über das übliche Maß hinausgehenden Impfreaktion innerhalb der Inkubationszeit werden in den ärztlichen Unterlagen nicht beschrieben; ein schrilles Schreien innerhalb der ersten drei Tage nach der Impfung wird auch nicht von dem als Zeugen vernommenen Vater des Klägers bekundet; vielmehr sind die ersten Auffälligkeiten nach den Angaben der Eltern des Klägers am 12.04.1972 aufgetreten. Ein Zentralisationskollaps trat unter Berücksichtigung der ärztlichen Unterlagen erst in der Nacht vom 17. auf den 18.04.1972 (11. bis 12. Tag nach der Impfung) auf. Auf Grund der Bewusstseinstrübung wurde der Kläger sofort stationär von Dr. C aufgenommen. Eine Krampfneigung setzte erst am Nachmittag des 19.04.1972 (13. Tag nach der Impfung) ein.
Ist hinsichtlich der Keuchhustenkomponente eine Impfschädigung innerhalb von drei Tagen nach der Impfung nicht erwiesen, so kommt es insoweit auf eine behauptete Resistenzminderung nicht an, weil es an dem vollen Nachweis eines Impfschadens fehlt. Ohne eine gesundheitliche Schädigung, die über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehen muss, ist die Anerkennung eines Dauerleidens als Folge eines Impfschadens ausgeschlossen; dies gilt auch dann, wenn außer der Impfung eine bestimmte Ursache für den Dauerschaden nicht gefunden werden kann (BSG, Urteil vom 19.03.1986, 9a RVi 4/84).
Die Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. F1, dass die Inkubationszeit vorliegend nicht der entscheidende Punkt bei der Beurteilung sei und durch die Minderung der Abwehr infolge der Pertussis-Komponente der Quatro-Virelon-Impfung ein indirekter Impfschaden eingetreten sei, wird vom Senat nicht geteilt. Seine Auffassung steht im Widerspruch zu den Vorgaben in den AP. Auch in den aktuellen AP wird weiterhin an einer Inkubationszeit von ein bis drei Tagen festgehalten (Nr. 57 Ziffer 11 Seite 198 AP 2004).
Falls ein Sachverständiger, dem sich ein Gericht in einer Impfschadenssache anschließen soll, erstmalig Krankheitszeichen nach Ablauf der allgemein anerkannten Inkubationszeit als ausreichende Brückensymptome wertet, muss er diese Auffassung umso gründlicher und überzeugungskräftiger mit gesicherten medizinischen Erfahrungen begründen, je größer der zeitliche Abstand zur Impfung ist und je schwächer die Krankheitserscheinungen waren. Ein Gutachten, auf das eine Gerichtsentscheidung gestützt wird, muss medizinischen Erfahrungen in gleichen oder ähnlichen Fällen entsprechen, darauf den Sachverhalt des zu beurteilenden Einzelfalles beziehen und Abweichungen von allgemeinen Lehren mit nachprüfbaren medizinischen Erkenntnissen begründen. Anderenfalls ist es als Entscheidungsgrundlage nicht geeignet (BSG, Urteil vom 19.03.1986, 9a RVi 4/84).
Diesen Anforderungen genügen das Sachverständigengutachten und die ergänzenden Stellungnahmen von Prof. Dr. F1 nicht. Zur Überzeugung des Senats hat Prof. Dr. L1 die Ausführungen von Prof. Dr. F1 hinsichtlich einer Resistenzminderung überzeugend widerlegt. Prof. Dr. L1 hat darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit einer Abwehrschwäche nach einigen bestimmten Erkrankungen als gesichert gelte, aber nicht so für Impfstoffe. Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des SG im Urteil vom 28.01.2004, die er sich nach Überprüfung zu Eigen macht hat (§ 153 Abs. 2 SGG). Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit dem SG davon aus, dass die erste Lumbalpunktion am 20.04.1972 und nicht, wie vom Kläger behauptet, am 18.04.1972, stattgefunden hat. Dies ergibt sich aus dem Überweisungsschreiben von Dr. C an die Universitäts-Kinderklinik in C. Darin wird ausgeführt, dass am 19.04.1972 nachmittags eine Krampfneigung eingesetzt habe, die sich auch in der folgenden Nacht fortgesetzt habe. Der Kläger habe sich jedoch nach einer Lumbalpunktion, wobei der Druck nicht erhöht gewesen sei, beruhigt. Soweit bereits nach "sofortiger Aufnahme auf unserer Station" das Ergebnis der Lumbalpunktion mitgeteilt wird, handelt es sich nur um eine allgemeine Aufzählung des Krankheitszustandes. Das Datum 20.04.1972 ergibt sich insbesondere aus dem Beobachtungsbogen, der seit der stationären Aufnahme des Klägers geführt wurde. An dessen detaillierter und genauer Führung ist nicht zu zweifeln. Eine weitere Liquoruntersuchung schon am 18.04.1972 fand unter Berücksichtigung der Unterlagen nicht statt. Alle diesbezüglichen Folgerungen des Klägers sind mithin als gegenstandslos anzusehen.
Entgegen der Auffassung des Klägers widerspricht sich der Sachverständige Prof. Dr. L1 auch nicht selbst: Im Rechtsstreit vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 10 VJ 45/96 beschreibt der Sachverständige nur, dass zwar die AP 1996 eine enzephalopathische Akutsymptomatik nur für Pockenimpfschäden beschreiben. Unter anderem gilt nach seiner Ansicht diese Symptomatik auch für andere Impfschäden, so zum Beispiel nach Keuchhustenimpfung. Seine Ausführungen bedeuten aber nicht, dass die Inkubationszeit der Pockenimpfung auf die der Keuchhustenimpfung übertragbar ist. Dies ergibt sich aus dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12.09.2001 (L 10 VJ 45/96) und wurde durch Prof. Dr. L1 in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.08.2003 noch einmal klargestellt.
Die vorliegenden Gesundheitsstörungen des Klägers können auch nicht auf die drei weiteren Impfstoffe (Diphterie, Tetanus und Polio), bei denen auch Prof. Dr. F1 eine Resistenzminderung verneint, zurückgeführt werden. Es fehlt an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass die jetzt unstreitig vorhandenen schweren Leiden des Klägers auf eine überhöhte Impfreaktion zurückzuführen sind.
Hinsichtlich der Diphterie- und der Tetanuskomponente ist zu berücksichtigen, dass es beim Kläger die erste derartige Impfung gewesen ist. Nach den AP Nr. 57 Ziffer 12 und 13 Seite 198 AP 2004 (Nr. 57 Ziffer 12 und 13 Seite 234 AP 1996) sind bei diesen Komponenten entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems sehr selten. Ähnliche Angaben fanden sich in den AP von 1973 (Nr. 47 Ziffer 12 und 13 Seite 92) und von 1983 (Nr. 57 Ziffer 12 und 13 Seite 188).
Nach den Ausführungen von Prof. Dr. L1 gehören gastroenteritische Krankheitsbilder oder gar die Eskalation bis zur sog. Enzephalotoxikose nicht zu den Diphterie-Impfschäden und auch nicht zu den postvakzinalen Schäden nach einer Tetanus-Impfung. Zudem hat er darauf hingewiesen, dass beide Impfstoffe der Vorsensibilisierung durch
vorangegangene Impfungen bedürfen, da es sich bei den möglichen Impfschäden um eine allergische Reaktion handele.
Des Weiteren können die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Polioimpfstoff zurückgeführt werden. Bei einer Poliomyelitisschutzimpfung mit Impfstoff aus inaktivierten Viren sind bei den heutigen Impfstoffen Impfschäden nicht beobachtet worden (Nr. 57 Ziffer 2b Seite 195 AP 2004; Nr. 57 Ziffer 2b Seite 231 AP 96). Dagegen sahen die AP aus den Jahren 1973 und 1983 als Impfschäden noch selten flüchtige schlaffe Lähmungen und enzephalitische Bilder vor. Dauerschäden am zentralen Nervensystem seien sehr selten (Nr. 47 Ziffer 2b Seite 90 AP 1973 und Nr. 57 Ziffer 2b Seite 185 AP 1983).
Aufgrund des verwendeten Impfstoffes, der Anamnese, der klinischen Befunde und der Labordaten sowie der beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen ist nach Auffassung des Senats auch ein Polioimpfschaden zu verneinen. Prof. Dr. L1 hat dargelegt, dass es sich um einen Impfstoff nach Salk aus abgetöteten, nicht vermehrungsfähigen Viren und nicht um einen Schluckimpfstoff nach Sabin handelt, in dessen Gefolge es relativ häufig zu Durchfällen gekommen sei, die sich in extremen Einzelfällen bis hin zur Enzephalotoxikose steigern konnten. Der Salk-Impfstoff sei Anfang der 60er Jahre wesentlich verbessert und mit den AP 1996 sei davon auszugehen, dass Impfschäden mit dem heutigen Impfstoff nicht mehr beobachtet werden. Eine gleich lautende Formulierung enthält auch Nr. 57 Ziffer 2b Seite 195 AP 2004.
Der Hinweis des Klägers, Prof. Dr. L1 gehe selbst davon aus, dass es bei der Polioimpfung relativ häufig zu Durchfällen kommen könne, die sich in extremen Einzelfällen steigern können bis hin zu einer Enzephalotoxikose, geht fehl. Die Angaben des Sachverständigen zu den Durchfällen betreffen den Impfstoff nach Sabin mit lebenden Viren. Dieser Impfstoff ist jedoch beim Kläger nicht angewandt worden.
Der Hinweis des Klägers, dass die "Rote Liste 2000" und die neue Gebrauchsinformation des Herstellers zum Quatro-Virelon-Impfstoff Durchfall als möglich angeben, führt zu keiner anderen Beurteilung. Zur Überzeugung des Senats kann der Quatro-Virelon-Impfstoff keine Durchfallerkrankung auslösen, die geeignet gewesen wäre, eine hypertone Dehydration mit der Folge einer Enzephalotoxikose auszulösen. Prof. Dr. L1 hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Durchfall nach Quatro-Virelon-Impfung selten und insbesondere klinisch unbedeutend sei. Die Verminderung der Stuhlkonsistenz sei kaum der Art gewesen, dass tatsächlich von Durchfall gesprochen werden könne. Zum anderen sei der Durchfall flüchtig, folgenlos und niemals mündend in das Wasserverlustsyndrom einer hypertonen Dehydration. Seine Ausführungen stehen im Einklang mit den Angaben von Prof. Dr. F in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 29.11.2000, wonach eine ausführliche Literatursuche keine Hinweise auf eine Durchfallerkrankung nach Verabreichung des alten Quatro-Virelon-Impfstoffes oder der Pertussis-Ganzzellvakzine gebracht habe, die geeignet gewesen wäre, eine hypertone Dehydration mit der Folge einer Enzephalotoxikose auszulösen.
Zudem hat Prof. Dr. L1 überzeugend dargelegt, dass es sich bei dem Kläger unter Berücksichtigung der klinischen Symptomatik um eine infektiöse, und zwar mit großer Wahrscheinlichkeit viral ausgelöste Gastroenteritis mit einer sich daraus entwickelnden hypertonen Dehydration handelt. Seine Auffassung wird von dem Sachverständigen Prof. Dr. F geteilt.
Besteht aber, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, die Möglichkeit einer hypertonen Dehydration auf der Basis einer infektiösen Gastroenteritis, hervorgerufen so gut wie sicher durch eine Virusinfektion, zumindest gleichrangig neben der weiteren Möglichkeit, dass die Quatro-Virelon-Impfung zu den Gesundheitsstörungen geführt hat, überwiegen die für den Kausalzusammenhang sprechenden Gesichtspunkte nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gelten im Impfschadensrecht für die dem Tatrichter obliegende Feststellung von Ursachenzusammenhängen grundsätzlich die gleichen Maßstäbe wie in den Fällen des BVG, denn die Aufklärungsschwierigkeiten im Impfschadensrecht entsprechen insoweit denen des BVG. Lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs nicht ermitteln, wirkt sich dies zu Lasten des Antragstellers aus. Im Impfschadensrecht kommt bei unaufgeklärtem Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und dauerndem Gesundheitsschaden eine Beweislastumkehr nicht in Betracht. Nichts anderes gilt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Impfschaden, denn im Impfschadensrecht ist für die Anerkennung eines Impfschadens als anspruchsbegründender Umstand bereits gesetzlich eine Beweiserleichterung geschaffen worden, in dem die Wahrscheinlichkeit für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs zwischen Impfung und Impfschaden sowie der dauernden Gesundheitsstörung genügt (BSG, Urteil vom 27.08.1998, B 9 VJ 2/97 R).
Es bestand, wie das SG ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, auch keine Kontraindikation gegen die Impfung. Entgegen der Auffassung von Dr. O lagen bei dem Kläger in Übereinstimmung mit den Darlegungen Prof. Dr. L1, denen sich Prof. Dr. F1 diesbezüglich angeschlossen hat, in den ersten Lebensmonaten keine Entwicklungsauffälligkeiten vor.
Auch aus der späten Impfung des Klägers lässt sich kein Hinweis auf eine Vorschädigung herleiten. Nach Prof. Dr. L1 wird eine frühe Impfung nur empfohlen, um einen möglichst frühzeitigen Schutz gegen gefürchtete Infektionskrankheiten aufzubauen. Zudem haben die Eltern des Klägers gegenüber Frau Dr. G darauf hingewiesen, dass Dr. C insgesamt spät geimpft hat, so auch im Falle der Schwester des Klägers.
Nach den Unterlagen hat der Kläger vor der Impfung auch keinen Infekt gehabt. Laut Dr. C bestand lediglich nach der Impfung ein leichter Infekt der oberen Luftwege.
Soweit der Kläger aufgrund des Schreibens von Dr. C vom 16.09.1997 davon ausgeht, dass eine Gastroenteritis keine Gehirnerkrankung verursachen könne, so ist dieser Auffassung nicht zu folgen. Sie steht den früheren Ausführungen von Dr. C entgegen. So ging Dr. C in einem an das Versorgungsamt Dortmund im Mai 1977 verfassten Schreiben selbst davon aus, dass diese Möglichkeit bestehe. Im Übrigen hat Prof. Dr. L1 in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die im Schreiben vom 16.09.1997 geäußerte Auffassung von Dr. C aus medizinischer Sicht abwägig sei.
Auch die Voraussetzungen der Kann-Versorgung nach § 52 Abs. 2 Satz 2 BSeuchG (§ 61 Satz 2 IfSG) sind nicht erfüllt. Der Sachverständige Prof. Dr. L1 hat die Frage, ob die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge der Impfschädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben sei, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit bestehe, eindeutig verneint.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Erstellt am: 02.10.2006
Zuletzt verändert am: 02.10.2006