NZB als unzulässig verworfen
Auf die Berufung der Klägerin und des Beigeladenen zu 1) wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21. Februar 2002 geändert. Es wird festgestellt, dass der Beigeladene zu 1) ab 01.01.2005 der zuständige Träger der Unfallversicherung für die Klägerin ist. Die Beigeladene zu 2) hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Gemeindeunfallversicherungsverband Rheinland (Beigeladene zu 1.) oder die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft ab 01.01.2005 der für das Unternehmen der Klägerin zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ist.
Die Kreissparkasse E errichtete im Jahre 1997 als 100-prozentige Tochtergesellschaft die S-Beteiligungsgesellschaft E mbH, mit der ein Ergebnisabführungsvertrag geschlossen wurde. Die S-Beteiligungsgesellschaft E mbH gründete am 16.04.1998 die Klägerin, deren Gegenstand die Vermittlung von Produkten und Dienstleistungen der Sparkassen-Finanzgruppe und deren Kooperationspartnern ist. Alleinige Gesellschafterin der Klägerin ist die S-Beteiligungsgesellschaft E mbH. Auch zwischen der Klägerin und der S-Beteiligungsgesellschaft E mbH wurde ein Ergebnisabführungsvertrag geschlossen.
Mit Bescheid vom 12.05.2000 lehnte das beklagte Land den Antrag der Klägerin vom 07.06.1999 auf Übernahme in die Zuständigkeit des Beigeladenen zu 1) ab. Zur Begründung führte es aus: Bei in privater Rechtsform betriebenen Unternehmen sei als tatbestandliche Grundvoraussetzung für eine Übernahme gemäß § 129 Abs. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) stets eine überwiegende finanzielle Beteiligung der öffentlichen Hand erforderlich. Dass diese Voraussetzung hier vorliege, sei nicht nachgewiesen worden. Die Klägerin erhob Widerspruch und machte geltend, dass eine Beschränkung der Übernahmemöglichkeit bei privatrechtlich organisierten Unternehmen auf den Fall der überwiegenden Beteiligung am Stammkapital des Unternehmens sich aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht entnehmen lasse. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 129 Abs. 3 SGB VII lägen vor, da die Gemeinden auf die Sparkassen einen ausschlaggebenden Einfluss im Sinne der Vorschrift hätten und die Kreissparkasse E wiederum einen ausschlaggebenden Einfluss auf ihre 100-prozentige Tochtergesellschaft ausübe. Ein mittelbarer Einfluss der Gemeinde auf die Tochtergesellschaften der Sparkasse sei als ausreichend anzusehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.01.2001 wies das beklagte Land den Rechtsbehelf zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 05.02.2001 Klage erhoben und im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid des beklagten Landes vom 12.05.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2001 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, sie gemäß § 129 Abs. 3 SGB VII in die Zuständigkeit des Beigeladenen zu 1)zu übernehmen, hilfsweise, das beklagte Land zu verurteilen, ihren Antrag vom 07.06.1999 auf Übernahme in die unfallversicherungsrechtliche Zuständigkeit des Beigeladenen zu 1) unter Aufhebung der vorgenannten Bescheide und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die tatbestandliche Grundvoraussetzung einer überwiegenden Beteiligung der öffentlichen Hand am Unternehmen sei nicht gegeben. Im Übrigen übe die öffentliche Hand auf die Klägerin auch keinen ausschlaggebenden Einfluss aus.
Der Beigeladene zu 1) hat sich den Ausführungen der Klägerin, die Beigeladene zu 2) hat sich dem Antrag und den Ausführungen des beklagten Landes angeschlossen.
Mit Urteil vom 21.02.2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen die allen Beteiligten am 06.03.2002 zugestellte Entscheidung haben sowohl die Klägerin (am 04.04.2002) als auch der Beigeladene zu 1) (am 25.03.2002) Berufung eingelegt. Der Beigeladene zu 1), dessen Ausführungen sich die Klägerin angeschlossen hat, trägt unter Bezugnahme auf das von ihm vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. X aus März 2002 vor: Die Tatbestandsmerkmale des § 129 Abs. 3 SGB VII seien auch bei privatrechtlich organisierten Unternehmen alternativ erfüllbar. Die Tatbestandsvoraussetzung des ausschlaggebenden Einflusses sei hier erfüllt. Der ausschlaggebende Einfluss, der auch ein mittelbarer sein könne, müsse sich auf die Verwaltung und Führung des Unternehmens beziehen. Dabei genüge es, wenn eine Gemeinde den ausschlaggebenden Einfluss auf eine Sparkasse habe und die Sparkasse den ausschlaggebenden Einfluss auf eine in selbstständiger Rechtsform betriebene Tochtergesellschaft besitze. Der ausschlaggebende Einfluss könne auch auf einer überwiegenden Kapitalbeteiligung beruhen. Zusammengenommen folge daraus ein mittelbarer ausschlaggebender Einfluss der Gemeinde auf die Tochter der Sparkasse. In Ergänzung dieser Ausführungen weist der Beigeladene zu 1) im Hinblick auf die zum 01.01.2005 in Kraft getretenen Änderungen der §§ 125 ff. SGB VII darauf hin, aus den Gesetzesmaterialien sei ersichtlich, dass die Alternativität der Tatbestandsvoraussetzungen unabhängig von der Rechtsform der Unternehmen gegeben sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.02.2002 zu ändern und festzustellen, dass der Beigeladene zu 1) für die Zeit ab 01.01.2005 der für sie zuständige Versicherungsträger ist.
Der Beigeladene zu 1) schließt sich dem Antrag der Klägerin an.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und ist der Auffassung, dass sich auch durch die Änderung der Übernahmevorschriften der §§ 125 ff. SGB VII an der Zuständigkeit der Beigeladenen zu 2) für die Klägerin nichts geändert habe. Ein ausschlaggebender Einfluss einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes auf die Organe der Sparkasse sei nicht gegeben. Für die Gemeinde oder den Gemeindeverband bestehe in Bezug auf die Mitglieder des Verwaltungsrates, des Vorstandes und des Kreditausschusses kein Weisungsrecht. Demnach liege selbst ein mittelbarer ausschlaggebender Einfluss der öffentlichen Hand auf das Unternehmen der Klägerin nicht vor. Im Übrigen sei für die Bejahung des Tatbestandsmerkmals des ausschlaggebenden Einflusses ein unmittelbarer Einfluss erforderlich.
Die Beigeladene zu 2) schließt sich den Ausführungen und dem Antrag des beklagten Landes an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des beklagten Landes Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungen der Klägerin und des Beigeladenen zu 1) sind begründet. Der Beigeladene zu 1) ist für den noch streitbefangenen Zeitraum ab 01.01.2005 der für das Unternehmen der Klägerin zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung.
Dies folgt aus § 129 Abs. 1 Nr. laSGBVII in der ab 01.01.2005 geltenden Fassung. Die Übergangsregelung in § 218d Abs. 2 SGB VII, wonach für Unternehmen nach § 128 Abs. 1 Nr. 1a oder § 129 Abs. 1 Nr. 1a, die am 31.12.2004 bestanden haben, abweichend von §§ 128, 129 und § 129a die Unfallversicherungsträger zuständig bleiben, die an diesem Tag zuständig waren, findet keine Anwendung, weil vor dem 13.10.2004 ein Antrag nach § 129 Abs. 3 auf Übernahme in die Zuständigkeit eines Unfallversicherungsträgers der öffentlichen Hand gestellt war. Durch die durch Artikel 1 Nr. 9b Buchstabe a des Gesetzes zur Verbesserung des Unfallversicherungsschutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen vom 09.12.2004 (BGBI l S. 3299) in § 129 Abs. 1 SGB VII neu eingefügte Nummer 1a wird eine gegenüber § 121 SGB VII originär wirkende Regelzuständigkeit der Unfallversicherungsträger im kommunalen Bereich für selbstständige Unternehmen der öffentlichen Hand begründet. Voraussetzung ist, dass Gemeinden oder Gemeindeverbände an dem Unternehmen unmittelbar oder mittelbar überwiegend beteiligt sind (Buchstabe a) oder auf dessen Organe einen ausschlaggebenden Einfluss haben (Buchstabe b).
Ob der vom Sozialgericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Recht der Reichsversicherungsordnung (BSGE 27, 269 ff.; 63, 62 ff.) vertretenen Auffassung, dass bei privatrechtlich organisierten Unternehmen stets eine überwiegende Kapitalbeteiligung der Gemeinde oder des Gemeindeverbandes – die hier nicht vorliegt -zu fordern ist, für die nach altem Recht zu treffende Übernahmeentscheidung zuzustimmen ist, kann offen bleiben. Die Neuregelung in § 129 Abs. 1 Nr. 1a SGB VII ist jedenfalls in dem Sinne auszulegen, dass die Voraussetzungen unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens alternativ erfüllbar sind. Dies wird in der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich klargestellt (vgl. BR-Drs. 585/04 S.5; BT-Drs. 15/3439 S.9). Die zweite Alternative (Buchstabe b) des § 129 Abs. 1 Nr. 1a SGB VII ist hier erfüllt.
Ein ausschlaggebender Einfluss liegt vor, wenn auf Grund der gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung, namentlich auf Grund der Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag oder auf Grund anderer Regelungen dem öffentlichen Träger der entsprechende Einfluss auf die Organe oder sonstigen Entscheidungsträger des Unternehmens zukommt, so dass wichtige Entscheidungen nicht gegen den Willen des öffentlichen Trägers getroffen werden können. Der ausschlaggebende Einfluss muss sich auf die Verwaltung und Führung des Unternehmens beziehen und in einem den Ausschlag ermöglichenden Stimmanteil in den betreffenden Entscheidungsgremien zum Ausdruck kommen. Ausschlaggebend ist der Einfluss, wenn der öffentliche Träger in den betreffenden Entscheidungsgremien nicht überstimmt werden kann. Die Entscheidung ergeht im Einzelfall anhand der konkreten Verhältnisse in dem betroffenen Unternehmen (vgl. z.B. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII – Handkommentar -, 5. Auflage, § 125 SGB VII, Rn. 11.2; Kater/Leube, SGB VII, § 125 Rn. 25). Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist ein ausschlaggebender Einfluss des Trägers der Sparkasse E auf das Unternehmen der Klägerin zu bejahen.
Insoweit ist zunächst zu konstatieren, dass die beteiligten Gemeinden auf die Sparkasse E einen ausschlaggebenden Einfluss ausüben. Schon in dem Erlass des Reichsarbeitsministers vom 06.02.1943 (AN 1943, 65) ist für öffentliche Sparkassen ein ausschlaggebender Einfluss der Gemeinde auf die Verwaltung und Führung des Unternehmens angenommen worden. Auch das BSG hat in seinem Urteil vom 24.02.1988 – 2 RU 24/87 – (= BSGE 63, 62 ff.) ausgeführt, dass die Gemeinden unmittelbar satzungsgemäß einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Verwaltung und Geschäftsführung der Sparkassen ausüben. Hiervon ist aus den nachstehend aufgeführten Gründen weiterhin auszugehen.
Die Vertretung des Trägers der Sparkasse erlässt die Satzung, durch die die Rechtsverhältnisse der Sparkasse geregelt werden (§ 5 des Gesetzes über die Sparkassen sowie über die Sparkassen- und Giroverbände (Sparkassengesetz – SpkG -) in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.09.2004 (GV. NRW. 2004 S. 521), zuletzt geändert durch Gesetz vom 03.05.2005 (GV. NRW. 2005, S. 498)). Änderungen der Satzung fallen ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich der Vertretung des Trägers der Sparkasse (§ 7 Abs. 2d SpkG). Diese übt darüber hinaus durch die Wahrnehmung ihrer weiteren in § 7 SpkG geregelten Zuständigkeiten einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Verwaltung der Sparkasse aus. Die Vertretung des Trägers wählt das dem Verwaltungsrat Vorsitzende Mitglied und die übrigen Mitglieder des Verwaltungsrates (§ 7 Abs. 1 SpkG), der die Geschäftsführung überwacht und u.a. für die Wahl der Mitglieder des Kreditausschusses sowie die Bestellung und die Wiederbestellung der Mitglieder des Vorstandes zuständig ist (§ 14 Abs. 1, 2 SpkG). Weiterhin beschließt die Vertretung des Trägers u.a. über die Genehmigung der Bestellung und der Wiederbestellung von Mitgliedern des Vorstandes durch den Verwaltungsrat (§ 7 Abs. 2e SpkG), die Entlastung der Organe der Sparkasse (§ 7 Abs. 2f SpkG) sowie die Abberufung von Mitgliedern des Verwaltungsrates aus wichtigem Grund (§ 7 Abs. 2h SpkG). Insbesondere die Regelungen in § 7 Abs. 2 SpkG zeigen, dass der Vertretung des Gewährträgers ein unmittelbarer Einfluss auf die Organe der Sparkasse zukommt.
Die Sparkasse E übt wiederum einen ausschlaggebenden Einfluss auf das Unternehmen der Klägerin aus. Die Sparkasse E ist zu 100 % an der S-Beteiligungsgesellschaft E mbH beteiligt, die ihrerseits alleinige Gesellschafterin der Klägerin ist. Deren Gesellschafterversammlung, die die Richtlinien der Geschäftspolitik bestimmt und die Geschäftsführung überwacht (§ 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages), setzt sich aus den Vorstandsmitgliedern der Sparkasse zusammen, solange die S-Beteiligungsgesellschaft E mbH alleinige Gesellschafterin ist (§ 6 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages).
Aus dem ausschlaggebenden Einfluss der Vertretung des Trägers auf die Sparkasse E in Verbindung mit dem ausschlaggebenden Einfluss der Sparkasse E auf das Unternehmen der Klägerin folgt ein mittelbarer ausschlaggebender Einfluss des Trägers der Sparkasse E auf das Unternehmen der Klägerin. Auch ein solcher mittelbarer Einfluss genügt für die Bejahung des Tatbestandsmerkmals des ausschlaggebenden Einflusses (so auch X, SGb 2005, 257, 259). Wie der Beigeladene zu 1) zu Recht anmerkt, ist kein sachlicher Grund ersichtlich, den mittelbaren ausschlaggebenden Einfluss der Gemeinde auf die Organe eines Unternehmens nicht als ausreichend anzuerkennen, zumal auch die überwiegende Beteiligung nur mittelbar bestehen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Unter Berücksichtigung des Ausgangs des Verfahrens erschien es dem Senat angemessen, der Beigeladenen zu 2) die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen.
Der Senat hat gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst.
Erstellt am: 24.11.2009
Zuletzt verändert am: 24.11.2009