Auf Rev. d.Bekl. wurde das Urteil des LSG vom BSG aufgehoben und zurückverwiesen.
Unter dem neuen Az. L 2 (16) KN 95/98 KR wurde die Sache am 02.09.1999 durch angenommenes Anerkenntnis erledigt.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24. Oktober 1995 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juni 1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07. September 1993 verurteilt, dem Kläger einen Betrag von 4.426,20 DM zu zahlen. Sie trägt die Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten für ein selbstbeschafftes Tandem-Therapiefahrrad in Höhe von 4426,20 DM zu erstatten hat.
Der am 00.00.1984 geborene Kläger ist bei der Beklagten familienversichert. Er leidet an einer geistigen Behinderung und einer alternierenden Hemiplegie. Diese Erkrankung ist mit unvorhersehbaren wechselnden Halbseitenlähmungen sowie einer durchgehenden Beeinträchtigung des Gleichgewichts und der Körperkoordination verbunden. In den zumeist mehrere Tage andauernden Schwächezuständen findet sich in schweren Fällen eine völlige Lähmung einer Körperseite. Leichtere Fälle sind mit einer erheblichen Beeinträchtigung des Gangbildes sowie der Fein- und Grobmotorik des betroffenen Armes verbunden. Der Kläger ist von der Beklagten bisher mit zwei Faltrollstühlen, von denen sich einer in der von dem Kläger besuchten Behindertenschule befindet, versorgt worden.
Der den Kläger langjährig behandelnde und an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Leiter der Neuropädiatrischen Abteilung der Kinderklinik der Städtischen Kliniken E, Dr. T, verordnete dem Kläger unter dem 10.03.1993 neben einem Faltrollstuhl ein individuell angefertigtes Therapiefahrrad und übersandte der Beklagten einen von der Fa. "tri-mobil" erstellten Kostenvoranschlag über ein Sesselradtandem. Er hielt es für dringend erforderlich, mit diesem Hilfsmittel die Selbständigkeitsentwicklung und die psychomotorische Entwicklung des Klägers zu unterstützen und zu verstärken.
Bei dem von der Fa. "tri-mobil" angebotenen Tandem-Therapiefahrrad findet der Behinderte auf einem niedrigeren Sitz vor dem Nichtbehinderten Platz. Der Sitz für den Behinderten hat eine große Unterstützungsfläche und eine hohe, breite Rückenführung, die zusätzlich zur Entlastung des Rumpfes nach hinten geneigt ist. Die Ausstattung mit einem Frontverlauf ermöglicht es dem vorne Sitzenden unabhängig von dem Hintermann in die Pedale zu treten. Die hinten sitzende Person lenkt das Tandem. Der vorne sitzende Beifahrer hat Haltegriffe. Der Rahmen ist so konstruiert, daß der Hintermann bei richtig eingestelltem Sattel im Stand mit beiden Füßen fest auf dem Boden steht. Die Rahmengröße läßt sich verstellen, so daß Personen mit einer Größe von 1,30 m bis 2,00 m auf dem Therapiefahrrad fahren können. Die Aufnahme des Tandem- Therapiefahrrades "Persikop-Sesselradtandem" in das Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht beantragt worden.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Bereitstellung eines Tandem-Therapiefahrrades mit Bescheid vom 17.06.1993 ab. Bei dem beantragten Therapiefahrrad handele es sich um einen Freizeit- und Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, dessen Anschaffung in die Eigenverantwortung des Versicherten falle. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.1993 wurde der Widerpruch vom 08.07.1993 zurückgewiesen und ausgeführt, unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes sei die Ausstattung mit dem begehrten Therapiefahrrad abzulehnen, da der mit dem Hilfsmittel verfolgte Zweck auf andere Weise mit geringerem finanziellen Aufwand ebenso wirksam erreicht werden könne. Eine Beseitigung von Ausfallerscheinungen oder Behinderungen könne nicht erreicht werden, da die bei dem Kläger im Vordergrund stehenden Schwächeanfälle nur zeitweise bzw. unwillkürlich aufträten.
Hiergegen hat der Kläger am 27.09.1993 Klage zum Sozialgericht Dortmund (SG) erhoben und sich auf eine weitere Stellungnahme von Dr. T vom 18.10.1993 bezogen. Dieser hat betont, das Therapiefahrrad diene dazu, die Bewegungskoordination der Beine des Klägers, den Haltungs- und Bewegungstonus der Muskulatur sowie seine Spastizität zu mindern und seine Gleichgewichtsprobleme zu verbessern.
Der Kläger hat das Angebot der Beklagten vom 04.07.1995, die Kosten für ein sog. "Rollfiets" abzüglich eines Eigenanteils von 500,- DM zu übernehmen (Herstellerpreis nach dem Hilfmittelverzeichnis 6300,- DM) abgelehnt und geltend gemacht, wesentliches Merkmal des begehrten Tandems sei seine aktive Teilnahme an der Fortbewegung.
Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Ltd. Arztes ihres Sozialmedizinischen Dienstes in N, Dr. L, vom 08.09.1994 vorgelegt. Dieser hat ausgeführt, bei dem beschriebenen Krankheitsbild halte er es für undenkbar, daß das beantragte Tandem-Therapiefahrrad dem Kläger eine wirkliche Rehabilitation oder therapeutische Hilfe biete. Eher müsse mit einer erhöhten Unfallgefährdung gerechnet werden, da eine seitliche Abstützung auf dem Therapierad nicht in ausreichender Weise gegeben sei. Bei den von der Kinderklinik geschilderten plötzlichen Schwächezuständen seien eine einseitige Gewichtsverlagerung und ein Umkippen des Therapierades denkbar.
Dr. T hat auf Anfrage des SG unter dem 08.11.1994 ausgeführt, eine Heilung der chronischen Erkrankung des Klägers sei nicht möglich. Die Behandlung müsse dessen Selbständigkeit fördern und darauf ausgerichtet sein, daß Kind und Familie mit der Behinderung leben und umgehen könnten. Mit dem Tandem-Therapiefahrrad sei es der Familie möglich gemeinsame Unternehmungen durchzuführen. Zudem werde die körperliche Entwicklung des Klägers gefördert. Dr. L sei zuzustimmen, daß die Unfallgefährdung bei der zweirädrigen Variante größer als bei der dreirädrigen Variante des "Rollfiets" sei. Hier sei allerdings die aktive Beteiligung des Kindes nicht möglich.
Mit Urteil vom 24.10.1995 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, das Tandem-Therapiefahrrad "Periskop" sei nicht erforderlich, da es zu einer erhöhten Unfallgefährdung des Klägers führe.
Gegen das am 29.11.1995 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.12.1995 Berufung eingelegt und geltend gemacht, eine erhöhte Unfallgefahr bestehe nicht. In einer von ihm eingereichten weiteren Stellungnahme von Dr. T vom 28.05.1997 führt dieser aus, wegen seiner Erkrankung könne der Kläger nicht selbständig am Straßenverkehr teilnehmen. Er beherrsche die Verkehrsregeln nicht und sei außerdem aufgrund seiner motorischen Entwicklung auch mit einem dreirädrigen Therapiefahrrad im Straßenverkehr zu sehr gefährdet. Durch die Bauweise des Tandem-Therapiefahrrades werde weitestgehend verhindert, daß der aktivere Partner die Kontrolle über das Fahrzeug verliere. Die Unfallgefährdung sei mit der jedes anderen Fahrrades gleichzusetzen.
Der Kläger hat im Januar 1996 das Tandem-Therapiefahrrad "Periskop Sesselradtandem" der Fa. "tri-mobil" angeschafft. Diese hat dem Kläger für das Tandem in straßentauglicher Ausstattung mit Zweibeinständer, Hosenträgergurt, Tacho und Kettenführung in einem Kunststoffrohr einen Betrag einschl. MwSt i.H.v. 4926,28 DM in Rechnung gestellt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24. Oktober 1995 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juni 1993 sowie des Widerspruchsbescheides vom 07. September 1993 zu verurteilen, ihm einen Betrag in Höhe von 4426,20 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie entgegnet, das in Frage stehende Produkt habe keine Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen gefunden. Dies sei jedoch Voraussetzung für eine Leistungsgewährung. Das begehrte Therapiefahrrad könne nicht die geforderten hohen therapeutischen Anforderungen erfüllen, wie sie z.B. bei zielgerichteten Behandlungsmethoden im Rahmen der physikalischen Therapie oder durch den Einsatz von therapeutischen Bewegungsgeräten gewährleistet seien.
Der Senat hat Dr. X, Kinderärztin im Kinderneurologischen Zentrum der Kliniken der Stadt E1, zur Sachverständigen bestellt. Dr. X hält die Versorgung des Klägers mit einem Tandem-Therapiefahrrad für erforderlich. Wegen der Einzelheiten ihres Gutachtens vom 20.01.1997 wird auf die Gerichtsakte verwiesen. Schließlich hat der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 12.06.1997 eine ausführliche Befragung der Eltern des Klägers vorgenommen. Insofern wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte verwiesen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des SG vom 24.10.1995 ist abzuändern. Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung der Kosten für das von ihm selbstbeschaffte Tandem-Therapiefahrrad "Periskop-Sesselradtandem" in der beantragten Höhe.
Nach § 13 Abs. 3 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) sind dem Versicherten die Kosten für eine notwendige selbstbeschaffte Leistung zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 SGB V ist gegeben, wenn die Beklagte verpflichtet wäre, eine entsprechende Sachleistung zu gewähren (vgl. § 13 Abs 1 SGB V). Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.06.1993 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 07.09.1993 hat es die Beklagte zu Unrecht abgelehnt, dem Kläger ein Tandem-Therapiefahrrad als Sachleistung zu gewähren. Der Anspruch des Klägers auf Versorgung mit diesem Hilfmittel ergibt sich aus dem materiellen Leistungs- und Leistungserbringungsrecht des SGB V.
Die Entstehung eines gesetzlichen Anspruchs auf Verschaffung einer Sachleistung setzt zunächst voraus, daß ein an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmender Arzt in Wahrnehmung kassenärztlicher Pflichten eine medizinisch nach Zweck oder Art bestimmte Sachleistung verordnet (BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 4; BSG, Urteil vom 18.01.1996 – 1 RK 8/95 -). Der nach §§ 115 ff. SGB V zur vertragsärztlichen Versorgung auch von Mitgliedern der Beklagten zugelassene Dr. T hat dem nach § 10 SGB V bei der Beklagten versicherten Kläger in seiner Funktion als Kassenarzt ein individuelles Therapiefahrrad verordnet und dies durch die Übersendung des Kostenvoranschlages der Fa "tri-mobil" auf ein Tandem-Therapiefahrrad konkretisiert. Das Tandem-Therapiefahrrad wird hier in seiner Funktion als Hilfsmittel von der gesetzlichen Leistungspflicht der Beklagten erfaßt.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V besteht ein Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzsstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind. Ein Anspruchsausschluß nach § 34 Abs. 4 SGB V greift nicht ein. In der aufgrund dieser Ermächtigung erlassenen Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis sind Tandem-Therapiefahrräder nicht erfaßt.
Allgemeine Gebrauchsgegenstände sind Gegenstände, die allgemein im täglichen Leben verwendet, d.h. üblicherweise von einer großen Zahl von Personen regelmäßig benutzt werden (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 5, 7, 16). Hierzu zählt das Tandem-Therapiefahrrad entgegen der offenbar von der Beklagten vertretenen Auffassung nicht, da es bauartbedingt zur gemeinsamen Fortbewegung einer gesunden mit einer behinderten Person bestimmt ist. Zwei gesunde Personen kommen nicht auf die Idee, ein Zweirad mit den Funktionsverteilungen des Tandem-Therapiefahrrades anzuschaffen und zu gebrauchen (s.a. Urteil des erkennenden Senats vom 22.08.1996 – L 2 Kn 6/96). Ein Gegenstand ist ein Hilfsmittel, wenn er den Ausgleich der körperlichen Behinderung selbst bezweckt, also unmittelbar gegen die Behinderung gerichtet ist. Die gebotene Unmittelbarkeit ist vor allem gegeben, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Funktion ermöglicht, ersetzt, erleichtert oder ergänzt (BSG, Urteil vom 18.01.1996 – 1 RK 8/95 m.w.N.). Das Tandem-Therapierad hat demgemäß den Zweck, die durch Einschränkungen des Bewegungsapparates beeinträchtigten Fortbewegungsmöglichkeiten auszugleichen.
Unter Berücksichtigung der subjektiven Verhältnisse des Klägers und seinem individuellen Bedarf – auf diese Gesichtspunkte kommt es für die Beurteilung der Hilfmitteleigenschaft wesentlich an (BSGE 51, 268, 270; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 16) – ist das Tandem-Therapiefahrrad erforderlich im Sinne der 2. Alternative des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Sein Einsatz wird zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse benötigt. Zu den allgemeinen Grundbedürfnissen ist auch ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum zu rechnen, der allgemein die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben umfaßt (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 1, 5, 16). Dies schließt die Erweiterung der Bewegungsmöglichkeiten des Klägers sowie seine Teilnahme an familären Aktivitäten ein.
Die bei dem Kläger vorliegende Krankheitsform der alternierenden Hemiplegie bedingt während häufig auftretender und über längere Zeiträume andauernder Schwächezustände erhebliche Einschränkungen seiner Bewegungsmöglichkeiten und Fortbewegungsfähigkeit bis hin zur Gehunfähigkeit. Auch in dem für ihn besten Zustand mit freier Beweglich-keit der Arme und Beine besteht eine Einschränkung des körperlichen Freiraumes durch eine Störung des Gleichgewichtsempfindens und der Körperkoordination sowie den Umstand, daß die Lähmungen plötzlich und unvorhersehbar eintreten können. Den mit diesen Behinderungen verbundenen Einschränkungen wirkt der Gebrauch des Tandem-Therapiefahrrades insofern entgegen, als der Kläger seine in gleicher Weise wie bei gesunden Kindern vorhandene Bewegungsfreude erleben kann und über die gemeinsamen Familienausflüge umfassende Umwelterfahrungen machen kann. Es ermöglicht ihm zudem das Erleben von Geschwindigkeit und Raumorientierung. Hinsichtlich dieser Feststellungen folgt der Senat der Sachverständigen Dr. X, deren Gutachten auf sorgfältigen Befunderhebungen beruht und schlüssig begründet ist. Dem Umstand, daß das Tandem-Therapiefahrrad im Gegensatz zu dem von der Beklagten angebotenen Rollfiets dem Kläger (auch in seinen Schwächezuständen) die aktive Teilhabe am Fortbewegungsprozeß ermöglicht, kommt entscheidende Bedeutung zu. Der Kläger kann so praktisch erleben, daß sein körperliches Handikap nicht mit Unbeweglichkeit gleichzusetzten ist. In größerem Umfang als bei gleichaltrigen gesunden Kindern steht bei ihm aufgrund seiner Behinderungen zudem nicht die soziale Einbindung in eine Gruppe gleichaltriger Kinder, sondern (anstelle der Teilnahme am gesellschaftlichem Leben) die Teilnahme am familiären Leben im Vordergrund. Der Senat folgt damit der Sachverständigen Dr. X und dem behandlenden Arzt Dr. T hinsichtlich ihrer Einschätzung des sozial-integrativen Nutzens des Tandem-Therapiefahrrades. In der konkreten Familiensituation des Klägers kommt den gemeinsamen Fahrradausflügen eine große Bedeutung zu. Der Vater des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung ausführlich und den Senat überzeugend dargelegt, daß der Kläger an den Tandemfahrten mit großem Interesse teilnehme und er ihm Erläuterungen zum Fahrweg und zur Umgebung geben könne. Das Tandem-Therapiefahrrad ermögliche dem Kläger die Teilhabe an dieser regelmäßigen Famlienaktivität, von der er ansonsten ausgenommen wäre.
Ein Ausschluß des Tandem-Therapiefahrrades aus der Leistungspflicht der Beklagten ergibt sich auch nicht aus den Vorschriften zum Hilfsmittelverzeichnis. Diese ermächtigen nicht dazu, den gesetzlichen Leistungsanspruch des Versicherten einzuschränken, sondern nur dazu, eine für Gerichte unverbindliche Auslegungshilfe zu schaffen (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 16, 19). Nach § 128 SGB V erstellen die Spitzenverbände der Krankenkassen ein Hilfsmittelverzeichnis (Satz 1), in dem die von der Leistungspflicht umfaßten Hilfsmittel aufzuführen sind (Satz 2). Mit ihrem Angebot, dem Kläger das in das Hilfmittelverzeichnis aufgenommene Rollfiets zur Verfügung zu stellen, geht auch die Beklagte offenbar davon aus, daß die bei dem Kläger behinderungsbedingten Einschränkungen der Beweglichkeit durch ein entsprechendes Hilfsmittel ausgeglichen werden sollen. Nicht ersichtlich ist, warum das Rollfiets hierfür besser geeignet sein soll. Die Argumentation, es handele sich bei dem Tandem-Therapiefahrrad um ein Hilfmittel mit einer erhöhten Unfallgefährdung kann nach dem Ergebnis der Sachaufklärung nicht überzeugen. Dem Kläger wird von der Sachverständigen Dr. X ein sehr dizipinierter Umgang mit seiner Erkrankung bescheinigt. Dies ermögliche es ihm, rechtzeitig vor Eintritt eines Schwächezustandes hiervon Mitteilung zu machen, so daß der Fahrer entsprechend hierauf eingehen könne. Unter weiterer Berücksichtigung der entsprechen den Sicherheitsvorkehrungen an dem Tandem-Therapiefahrrad sei die Unfallgefahr nicht erhöht. Der Senat macht sich diese Feststellungen zu eigen, zumal auch Dr. T in seiner letzten Stellungnahme vom 28.05.1997 nicht mehr von einer erhöhten Unfallgefahr ausgeht.
Die begehrte Leistung entspricht dem Gebot der Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit (§ 12 Abs. 1 SGB V). Das Tandem-Therapiefahrrad ist wirtschaftlich im Sinne einer begründbaren Relation zwischen den Kosten und dem Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels (vgl. BSG SozR 3-2500 § 33 Nr. 20). Der Senat geht entsprechend den Angaben der Eltern des Klägers gegenüber der Sachverständigen Dr. X und im Verhandlungstermin vom 12.06.1997 davon aus, daß die Tandem-Fahrten regelmäßig stattfinden. Entgegen den Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid ist auch davon auszugehen, daß ein Bedarf zum Ausgleich der behinderungsbedingten Defizite durchgehend vorhanden ist, da nach den ärztlichen Feststellungen die Lähmungszustände meist über längere Zeit fortbestehen und jederzeit mit ihrem Eintritt gerechnet werden muß. Der Umstand, daß dem Käger entsprechend den Angaben von Dr. T eine selbständige Teilnahme am Straßenverkehr nicht möglich ist, erhöht die Bedeutung der gemeinsamen Tandemfahrten. Das Tandem-Therapiefahrrad erweist sich auch deshalb als wirtschaftlich, weil seine Bauweise einen Gebrauch auch noch im Erwachsenenalter des Kranken ermöglicht. Der Einwand der Beklagten, das Hilfsmittelverzeichnis enthalte weniger aufwendigere Hilfsmittel in Form von therapeutischen Bewegungshilfen zum Durchbewegen der Extremitäten, betrifft lediglich preiswertere Varianten zum Tandem-Therapiefahrrad in seiner gleichfalls vorhandenen Funktion als Heilmittel zur Förderung des Gleichgewichts, der Körperkoordination und des Haltungs- und Bewegungstonus der Muskulatur. Nach dem oben Ausgeführten benötigt der Kläger das Tandem-Therapiefahrrad indes schon in seiner Funktion als Hilfsmittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
Liegen nach allem die Voraussetzungen der Umwandlung des Sachleistungsanspruchs in einen Kostenerstattungsanspruch vor, erstreckt sich dieser grundsätzlich auf die Erstattung der dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung entstandenen Kosten (Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Stand: Dezember 1996, § 13 SGB V Rdnr. 21; Hauck/Haines, Gesetzliche Krankenversicherung, Stand: April 1997, § 13 Rdnr. 21). Es ist nicht ersichtlich, daß die entstandenen Kosten überhöht sind, zumal der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 12.06.1997 dargelegt hat, daß die Anschaffung im Januar 1996 wegen eines besonders hohen Preisrabattes erfolgt sei und er vor Beschaffung des Gerätes Preisvergleiche angestellt habe. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß der Vater des Klägers bei der Beschaffung unseriös verfahren wäre. Die neben dem Tandem-Therapiefahrrad im einzelnen in Rechnung gestellten Kosten betreffen das von der Ausstattung mit dem Hilfsmittel umfaßte notwendige Zubehör i.S.v. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Auf die Verpflichtung des Klägers, einen Eigenanteil zu tragen, ist nicht näher einzugehen, da der Kläger einen solchen bereits bei der Fassung des Klageantrages im Berufungsverfahren berücksichtigt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 11.03.2008
Zuletzt verändert am: 11.03.2008