Rev. erledigt durch Rücknahme
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.09.1995 wird zurückgewisen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist das Ruhen des Anspruchs auf Krankengeld bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in Bulgarien (§ 16 SGB V).
Der 1934 geborene Kläger war als Bezieher von Arbeitslosenhilfe bei der Beklagten versichert. Am 06.09.1993 meldete er dem Arbeitsamt, er wolle im September in Bulgarien Urlaub machen. Am 26.09.1993 erlitt er einen komplizierten Bruch des linken Fußgelenks, der in Bulgarien stationär versorgt wurde. Dies teilte er dem Arbeitsamt am 06.10.1993 mit dem Hinweis mit, er rechne mit Reisefähigkeit erst in ein bis zwei Monaten und bitte, das Schreiben als Krankmeldung zu betrachten. Atteste und Berichte vom 07. und 19.10. sowie 26.11.1993, vom 23.02.1994 und über die stationäre Behandlung in Sofia vom 13.12.1993 bis zum 31.01.1994 folgten. Die Beklagte lehnte gegenüber dem Arbeitsamt zunächst die "Anerkennung der Krankheitszeiten in Bulgarien" ab, da der Kläger sich außerhalb des Geltungsbereichs des SGB V aufhalte (Schreiben vom 22.11.1993). Daraufhin meldete das Arbeitsamt den Kläger zunächst wegen Erschöpfung des Urlaubsanspruchs ab 21.10.1993 bei der Beklagten ab. Im Dezember 1993 meinten Sachbearbeiter der Beklagten gegenüber der Tochter des Klägers, die Arbeitsunfähigkeit könne wegen des Aufenthaltes im Nichtvertragsausland nicht anerkannt werden. Die Beklagte bot dem Kläger an, wegen Beendigung der Mitgliedschaft mit dem 21.10.1993 sich ab 22.10.1993 freiwillig zu versichern (Schreiben vom 06. und 25.01. sowie 18.03.1994).
Am 12.03.1994 kehrte der Kläger in die Bundesrepublik zurück und beantragte am 14.03.1993 die Überprüfung seines Versicherungsverhältnisses. Er wies darauf hin, das Arbeitsamt begründe nunmehr das Ende seiner Eintrittspflicht damit, daß sechs Wochen nach dem 26.09.1993 der Anspruch auf Krankengeld entstanden sei. Die Beklagte erkannte Arbeitsunfähigkeit vom 26.09.1993 bis zum 25.02.1994 an, lehnte aber einen Anspruch auf Auszahlung von Krankengeld ab, da der Anspruch geruht habe (Bescheid vom 15.11.1994).
Zur Begründung seines Widerspruchs trug der Kläger vor, es werde nicht Sinn und Zweck des § 16 SGB V sein, einem Erkrankten die Existenzgrundlage zu entziehen. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 12.01.1995).
Zur Begründung seiner Klage zum SG Düsseldorf hat der Kläger vorgetragen, die Beklagte habe nicht über die notwendige Zustimmung zum Auslandsaufenthalt informiert, sondern einfach jegliche Leistung abgelehnt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.11.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.01.1995 zu verurteilen, ihm Krankengeld vom 06.11.1993 bis zum 13.03.1994 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, § 16 Abs. 4 SGB V greife nicht ein, wenn Versicherte während eines vorübergehenden Aufenthalts im Ausland erkrankten, sondern setze die Gelegenheit voraus, daß der Medizinische Dienst vor Beginn des Auslandsaufenthaltes das Bestehen, die Art, den Umfang und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit abkläre.
Das Gericht hat als Zeugin die Tochter des Klägers uneidlich vernommen und die Beklagte zur Krankengeldzahlung vom 06.11.1993 bis 25.02.1994 unter Abweisung der weiteren Klagen verurteilt (Urteil vom 25.09.1995).
Deshalb hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, Streitgegenstand sei allein das Ruhen der Zahlungspflicht.
Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, § 16 Abs. 4 SGB V sei nicht für die Fälle konzipiert, in denen erst im Rahmen des Auslandsaufenthaltes Arbeitsunfähigkeit eintrete. Das zeige auch die Systematik im Hinblick auf § 18 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Der Kläger sei auch erst ein bis zwei Monate nach dem Unfall reisefähig gewesen. Auf den Beschluss des LSG Rheinland-Pfalz L 5 K 39/93 vom 17.01.1994 werde verwiesen. Wäre die Beklagte von der Möglichkeit einer Zustimmung im Rahmen von § 16 Abs. 4 SGB V ausgegangen, hätte sie dem Aufenthalt des Klägers in Bulgarien bis zum 25.02.1994 im Sinne von § 16 Abs. 4 SGB V zugestimmt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.09.1995 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidungs für zutreffend.
Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Entscheidung der Beklagten insoweit aufgehoben, als sie das Ruhen des Krankengeldanspruchs bis zum 25.02.1994 festgestellt hat. Aus dem Beteiligtenvorbringen und dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe ergibt sich, daß der weitere Verfügungssatz der Entscheidung der Beklagten – "Anerkennung" der Arbeitsunfähigkeit vom 26.09.1993 bis 25.02.1994 – nicht angegriffen und nicht aufgehoben worden ist.
Dem Kläger steht der streitige Anspruch auf Zahlung von Krankengeld zu (§§ 44, 16 Abs. 4 SGB V). Der Kläger war unstreitig und in Einklang mit der Aktenlage bei der Beklagten versichert (§§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, dazu sogleich). Der vorübergehende Urlaub in Bulgarien (Nichtvertragsausland) änderte im Hinblick auf den Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers in N daran und an dem Leistungsrechts nichts (§ 30 Abs. 1 SGB I). Der Kläger war auch entsprechend der bestandskräftigen Entscheidung der Beklagten vom 26.09.1993 bis zum 25.02.1994 arbeitsunfähig. Danach entstand der Anspruch auf Krankengeld mit der Krankenhausbehandlung am 26.09.1993 (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), ruhte aber wegen der Zahlungen des Arbeitsamtes bis zum 05.11.1993 (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 SGB V).
Entgegen der Ansicht der Beklagten ruhte der Anspruch auf Zahlung von Krankengeld trotz Eintritts der Arbeitsunfähigkeit in Bulgarien nicht. Die Beklagte hätte zustimmen müssen, daß sich der Kläger bis zum 25.02.1994 in Bulgarien aufhielt (§§ 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 SGB V). Für den streitigen Anspruch bedurfte es der Zustimmung der Beklagten. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 ruht der Anspruch auf Leistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthaltes erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist. Etwas Abweichendes ergibt sich aus § 16 Abs. 4 SGB V. Danach ruht der Anspruch auf Krankengeld nicht, solange sich Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung der Krankenkasse im Ausland aufhalten. Entgegen der Ansicht der Beklagten war die Erteilung der Zustimmung nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Arbeitsunfähigkeit während eines vorübergehenden Auslandsaufenthalts eintrat. Schon der Wortlaut der Norm verdeutlicht, daß es allein auf den Zeitraum ankommt, in dem sich Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung der Krankenkasse im Ausland aufhalten (vgl. dazu Peters, Kasseler Kommentar, § 16 SGB V Rdnr. 7). Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich nichts anderes. Die Vorschrift lehnt sich, wie es in den Gesetzesmaterialien (BR-Drucksache 200/88, S. 164 und BT-Drucksache 11/2237, S. 164, jeweils zu § 16) heißt, an die Ruhensregelung des geltenden Rechts an (z.B. §§ 209 a, 313, 216 RVO). Nach der Gesetzesbegründung war für die Regelung maßgebend, daß Sachleistungen nur im Inland erbracht werden können und daß der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit häufig mit Schwierigkeiten verbunden ist. Deshalb sollte § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V die Kostenerstattung bei Erkrankung während des Auslandsurlaubs und die Gewährung von Krankengeld grundsätzlich ausschließen, ausgenommen im Fall des Abs. 4 oder 5 und bei § 18. Absatz 4, so heißt es, übernimmt mit redaktionellen Änderungen die Regelung des § 216 Abs. 1 Nr. 2 RVO. Eine bloße redaktionelle Änderung der Regelung des § 216 Abs. 1 Nr. 2 RVO lag im Hinblick darauf vor, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung über den Wortlaut dieser Norm hinaus auch Krankengeld für die Zeit des Auslandsaufenthaltes zuerkannte, in der Versicherte nachweislich arbeitsunfähig waren (vgl. BSGE 31, S. 100 ff., 101 f. = SozR Nr. 39 zu § 182 RVO; dementsprechend auch BSG, SozR 3-2200 § 182 RVO Nr. 12, S. 49 ff., 50). Im Einklang mit der Entstehungsgeschichte zeigt die Systematik, daß § 16 Abs. 4 eine Ausnahmebestimmung zu § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist (vgl. dementsprechend BSG, Urteil vom 11.10.1994, 1 RK 2/94, Bl. 5). Dies spricht dafür, daß die Ausnahme (Absatz 4) sich auf die Regel (auch: Erkrankung von Versicherten während eines vorübergehenden Auslandsaufenthalts) bezieht. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich nichts anderes aus § 18 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Die Norm regelt den Sonderfall der Kostenübernahme bei Behandlung im Ausland mit der Folge, daß automatisch in derartigen Fällen der Anspruch auf Krankengeld nicht ruht. Einer Ermessensentscheidung über die Zustimmung zum Auslandsaufenthalt bedarf es insoweit nicht. Auch Sinn und Zweck der Regelung des § 16 Abs. 4 SGB V sprechen dafür, den im Ausland arbeitsunfähig gewordenen Versicherten bei Zustimmung zum Auslandsaufenthalt nicht der Ruhensfolge auszusetzen. Die Regelung zielt darauf ab, eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Krankengeld zu vermeiden und damit den Schwierigkeiten der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit in Auslandsfällen Rechnung zu tragen (vgl. Gesetzesmaterialien, a.a.O.). Es spielen also praktische Erwägungen eine entscheidende Rolle (vgl. BSG, Urteil vom 08.06.1993, 1 RK 18/92, SozR 3-2500 § 58 SGB V Nr. 3, S. 2 ff., 4). Damit ist nicht beabsichtigt, klar überprüfbare Fälle der Arbeitsunfähigkeit vom Krankengeldbezug auszuschließen. Das verkennen die von der herrschenden Meinung (vgl. z.B. Mengert in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 16 SGB V, Rdnr. 78 ff.; Zipperer in GKV-Kommentar § 16 SGB V, Rdnr. 18; Jahn SGB V, § 16, Rdnr. 18; Hauck-Haines, § 16 SGB V, Rdnr. 67 f.; Igl in GK-SGB V, § 16, Rdnr. 29 f., m.w.N.) abweichenden vereinzelten Gegenstimmen (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17.01.1994, L 5 K 39/93; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, § 16 SGB V, Rdnr. 18; Bley, GKV-Kommentar, § 16 SGB V).
Die Beklagte hätte die Zustimmung nach § 16 Abs. 4 SGB V zum Auslandsaufenthalt vom 06.11.1993 bis 25.02.1994 erteilen müssen. Sie zieht selbst nicht in Zweifel, daß sie bei anderer Auslegung von § 16 Abs. 4 SGB V die Zustimmung erteilt hätte. Hierzu war sie auch gehalten, da nach ihrer eigenen Einschätzung die Arbeitsunfähigkeit für diesen Zeitraum ohne Zweifel bestand, sie vom Arbeitsamt hinreichend frühzeitig informiert werden mußte, die Vielzahl von Berichten eine hinreichend engmaschige Kontrolle erlaubte und während der Krankenhausaufenthalte auch die Transportfähigkeit des Klägers zweifelhaft war (vgl. zu diesem Gesichtspunkt bei der Ermessensentscheidung Mengert, a.a.O., § 16 SGB V Rdnr. 81, m.w.N.). Das Ermessen der Beklagten war in einem solch eindeutigen Fall auf Null reduziert.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Frage, ob § 16 Abs. 4 SGB V auch in den Fällen der Erkrankung während eines Auslandsaufenthalts eingreift, grundsätzliche Bedeutung beimißt.
Erstellt am: 31.08.2009
Zuletzt verändert am: 31.08.2009