Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 08.09.2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Der Antrag der Antragsteller, ihnen für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S B zu bewilligen, wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Antragsteller gehören der Volksgruppe der Roma an. Die Antragsteller zu 1) und 2) reisten im Jahre 1988 aus dem Kosovo in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten Asyl. Der Antragsteller zu 3) ist Kind der Antragsteller zu 1) und 2); der Antragsteller zu 4) ist Enkel der Antragsteller zu 1) und 2). Die Antragsteller zu 3) und 4) sind in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Die Antragstellerin zu 2) ist Vormund des Antragstellers zu 4).
Nach zwischenzeitlicher Ausreise nach Schweden (Oktober 2000 bis Mai 2001) beziehen die Antragsteller seit Mai 2001 erneut laufend Leistungen nach §§ 3 ff. Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Nach einem ununterbrochenen Leistungsbezug von 36 Monaten seit Mai 2001 (vgl. § 2 Abs. 1 AsylbLG) beantragten die Antragsteller bei der Antragsgegnerin erstmals im Juni 2004 die Gewährung von Leistungen nach Maßgabe der §§ 3 ff AsylbLG. Die Antragsgegnerin lehnte dies ab.
Mit einem am 08.07.2005 beim Sozialgericht eingegangenen Antrag haben die Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihnen uneingeschränkte Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 2 Abs. 1 und 3 AyslbLG nach Maßgabe des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Zeit ab Eingang des Antrags gemäß § 86 b Sozialgerichtsgesetz (SGG) bis zum Ende des Monats, in welchem die gerichtliche Entscheidung ergeht, zu bewilligen.
Sie haben im Einzelnen dargelegt, weshalb es ihnen aus ihrer Sicht derzeit nicht möglich sei, in den Kosovo auszureisen. Neben Gefahren für Leib und Leben für Angehörige ihrer Volksgruppe könnten sie auch deshalb nicht ausreisen, weil der Antragsteller zu 1) gesundheitlich erheblich beeinträchtigt sei und eine angemessene medizinische Versorgung im Kosovo nicht stattfinden werde. Vorgelegt wurde für den Antragsteller zu 1) u. a. ein Schwerbehindertenausweis mit einem GdB von 100 und der Zuerkennung des Merkzeichens "aG" vom 28.02.2003 und diverse ärztliche Bescheinigungen, aus denen sich ergibt, dass der Antragsteller zu 1) u. a. an einem hirnorganischen Psychosyndrom bei kernspintomographisch nachgewiesenem Hydrocephalus internus mit Ataxie, Gangunsicherheit, Wesensveränderung und symptomatischem cerebralen Anfallsleiden sowie an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ II leide. Wegen der Einzelheiten wird auf die von den Antragstellern beigebrachten medizinischen Unterlagen Bezug genommen. Die Antragsteller tragen u. a. weiter vor, ein von der Antragsgegnerin ins Feld geführter Abbruch einer stationären Diabetes-Behandlung jeweils im Jahre 1999 und 2001 liege schon so lange zurück, dass er für das vorliegende Verfahren unerheblich sei.
Mit Beschluss vom 08.09.2005 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, schon ein für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlicher Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Die den Antragstellern aktuell gewährten Leistungen von Unterkunft sowie 802,72 Euro monatlich wichen von den begehrten Leistungen nur um 302,28 Euro ab; zumindest vorübergehend würden den Antragstellern hinreichende Leistungen zum unerlässlichen Lebensbedarf gewährt. Einer Eilentscheidung bedürfe es deshalb nicht.
Gegen den ihren Bevollmächtigten am 12.09.2005 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 12.10.2005 Beschwerde eingelegt. Sie tragen u. a. vor, eine Eilbedürftigkeit für eine gerichtliche Entscheidung bestehe auch dann, wenn – wie in ihrem Fall – existenzsichernde laufende Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht in Höhe der Leistungen nach dem SGB XII, sondern nur in eingeschränkter Höhe i.S.v. § 3 ff. AsylbLG gewährt würden. Denn der abgesenkte Leistungsumfang entspreche nur dann dem Grundsatz der Menschenwürde, wenn er nur für die gesetzlich mit 36 Monaten vorgesehene vorübergehende Zeit gewährt werde. Bei ausreichend langer Aufenthaltsdauer widerspreche es jedoch dem Integrationsgedanken des Asylbewerberleistungsgesetzes, die höheren Leistungen nach dem SGB XII vorzuenthalten. Eine Verweisung auf die Entscheidung in der Hauptsache sei dann unzumutbar. Der Antragsgegnerin sei seit Jahren bekannt, dass ihnen – den Antragstellern – die höheren Leistungen zuständen. Dennoch gewähre die Antragsgegnerin diese Leistungen nicht und entscheide auch ohne zureichenden Grund nicht über den in dieser Sache eingelegten Widerspruch.
Mit Beschluss vom 10.10.2005 hat das Sozialgericht der Beschwerde der Antragsteller nicht abgeholfen.
Die Antragsgegnerin trägt vor, der unerlässliche Lebensbedarf der Antragsteller sei bereits durch die gewährten Leistungen gedeckt. Leistungen zur Erfüllung der Bedürfnisse einer besseren sozialen Integration, welche durch erhöhte Leistungen abgedeckt werden sollten, gehörten jedoch nicht zum unerlässlichen Lebensbedarf. Im Übrigen hätten die Antragsteller lange Zeit nicht den gebotenen Antrag für die begehrten Leistungen gestellt; hierauf seien sie auch in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren mehrfach hingewiesen worden. Anstelle des gebotenen Antrags sei vielmehr unter dem 30.06.2005 ein Widerspruch erhoben worden. Dieser Widerspruch werde derzeit noch bearbeitet. Im Übrigen sei auch mit der geltend gemachten Erkrankung des Antragstellers zu 1) eine Ausreise möglich; die gegen eine mögliche Ausreise geltend gemachten Gründe seien sowohl im aufenthaltsrechtlichen Verfahren, aber auch in dem Sozialhilfeverfahren vor dem Verwaltungsgericht widerlegt worden. Nachdem das Asylbewerberleistungsgesetz zum 01.01.2005 geändert worden sei, gebe es derzeit noch keine überarbeiteten Handlungshinweise des Landes. Deshalb hätten durchaus sachliche Gründe für den seit dem 30.06.2005 eingetretenen Zeitablauf in der Bearbeitung bestanden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Sozialgericht hat zu Recht die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung i.S.v. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verneint und die Antragsteller auf eine Klärung im Hauptsacheverfahren verwiesen.
Die Antragsteller beziehen derzeit Leistungen im Sinne von §§ 3ff. AsylbLG. Zwar sieht § 2 Abs. 1 AsylbLG höhere Leistungen entsprechend dem SGB XII vor, sofern Leistungen nach § 3 AsylbLG bereits für eine Dauer von insgesamt 36 Monaten bezogen wurden und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich vom Leistungsberechtigten selbst beeinflusst worden ist. Denn Antragstellern ist auch zuzugeben, dass sie seit Mai 2001 Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG bereits ununterbrochen über eine Dauer von (mehr als) 36 Monaten bezogen haben.
Ihnen ist auch zuzustimmen, dass das Gesetz nach der ihm zugrunde liegenden Wertung die geringeren Leistungen nach § 3 AsylbLG grundsätzlich nur für eine Höchstdauer von 36 Monaten als angemessen ansieht. Hiervon zu trennen ist jedoch die Frage, ob die Klärung der weiteren Leistungsvoraussetzungen i.S.v. § 2 Abs. 1 AsylbLG und damit die Frage einer nicht rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren zumutbar abgewartet werden kann, für dessen Dauer es bei den zwar geringeren, aber existenzsichernden Leistungen nach § 3 AsylbLG verbleibt. Denn im Falle eines Rechtsstreites um die Leistungsgewährung steht erst an dessen Ende rechtsgültig fest, ob der geltend gemachte Anspruch überhaupt zusteht. Auch wird sich die Frage stellen, ob durch die Ausreise nach Schweden und die Wiedereinreise nach Deutschland der leistungseinschränkende Tatbstand nach § 1 a Nr. 1 AsylbLG gegen ist.
§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG bestimm, dass einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig sind, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Bei der Beurteilung, ob ein solcher wesentlicher Nachteil und damit ein sog. Anordnungsgrund vorliegt, ist entscheidend, ob es nach den Umständen des Einzelfalles für die Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, wobei es auf eine Interessenabwägung ankommt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rz. 28). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen abzuwägen, die auf der einen Seite entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch besteht, und die auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die Anordnung erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht. In die Interessenabwägung einzubeziehende Gesichtspunkte sind dabei etwa die Intensität der drohenden Verletzung von Grundrechten, wirtschaftliche Verhältnisse, das Entstehen einer unbilligen Härte oder entgegenstehende überwiegende bzw. besonders gewichtige Gründe (Keller a.a.O. Rz. 29a m.w.N.). Dabei darf eine einstweilige Anordnung grundsätzlich die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen, was regelmäßig der Fall ist, wenn die eintweilig angeordnete Maßnahme nachträglich für die Vergangenheit nicht mehr korrigierbar ist. Bei Sozialleistungen ist letzteres in der Regel dann der Fall, wenn eine Rückforderung ausgeschlossen ist. Nur wenn sonst Rechtsschutz nicht erreichbar ist und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre, kann im Interesse der Effektivität gerichtlichen Schutzes ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlich sein (Keller a.a.O. Rz. 31).
Im Fall der Antragsteller bedeutet dies, dass kein Anordnungsgrund besteht, der ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache nicht zuließe.
Die tatsächliche Abklärung der Frage, ob die Antragsteller die Dauer ihres Aufenthalts i. S.v. § 2 Abs. 1 AsylbLG rechtsmissbräuchlich sellbst beeinflusst haben, ist im Blick auf mögliche Ausreisehindernisse schwierig und deshalb durch summarische Prüfung im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht erreichbar. So ist nicht ohne weitere Ermittlungen beurteilbar, ob der Antragsteller zu 1) tatsächlich aus medizinischen Gründen nicht ausreisen kann bzw. in seiner Heimat medizinisch nur unzumutbar versorgt wäre. Auch ist nicht ohne intensive Ermittlungen beurteilbar, ob derzeit eine Rückkehr von Mitgliedern der Volksgruppe der Antragssteller in den Kosovo Gefahren für Leib und Leben mit sich brächten.
Höhere Leistungen nach § 2 Abs. 1 , 3 AsylbLG aufgrund einstweiliger Anordnung wären bei lebensnaher Betrachtung nicht wieder rückholbar, sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass ein Anspruch auf diese höheren Leistungen gar nicht bestand. Aus diesem Grund würde ein Erfolg der Antragsteller die Hauptsache faktisch vorwegnehmen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache wäre jedoch nicht etwa ausnahmsweise notwendig, weil die von den Antragstellern verfolgten Interessen an der Gewährung der höheren Leistungen so überragend wären, dass ein Abwarten der Hauptsache schlechthin unzumutbar wäre. Dies gilt unabhängig davon, ob man diese Interessen vornehmlich unter dem Gesichtspunkt einer menschenwürdigen wirtschaftlichen Versorgung, einer besseren Integration oder unter sonstigen Aspekten betrachtet.
Denn die Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG stellen schon nach der gesetzlichen Wertung jedenfalls eine ausreichende Existenzsicherung dar. Dem kann nicht etwa entgegen gehalten werden, auch die Sozialhilfe nach dem SGB XII sichere allein einen nicht unterschreitbaren Grundbedarf. Das Bundesverfassungsgericht hat die um einen Abschlag gekürzte Gewährung von an sich auf Sozialhilfeniveau zu gewährenden Leistungen nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit Rücksicht auf die Besonderheiten der Unterhaltssicherung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes als zulässig angesehen (Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 zu II. 1.c. aa. 1); nichts anderes kann dann für das einstweilige Verbleiben auf niedrigerem Niveau anstelle der Voll-Beträge nach dem SGB XII gelten ( s. auch Beschluss des Senats vom 09.12.2005, Az.: L 20 (9) B 10/05 AY ER; LSG NRW, Beschluss vom 23.09.2005 – L 9 B 8/05 AY ER). Die Leistungen nach § 3 ff. AsylbLG haben schließlich auch in einer Vielzahl von Fällen (und in der Vergangenheit u.a. in der Zeit von Mai 2001 bis heute auch für die Antragsteller) auch praktisch als geeignet erwiesen, die notwendige Existenzsicherung für Asylbewerber zur Verfügung zu stellen. Die Leistungen halten sich im Übrigen auch im Rahmen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vom 27.01.2003 (AmtsBl. EU L 31/18, 06.02.2003), die in Art. 13 Abs. 2 Satz 1 den Mitgliedstaaten die Sicherung eines Lebensstandards der Asylbewerber aufgibt, der die Gesundheit und den Lebensunterhalt gewährleistet. Nach Art. 13 Abs. 5 können die materiellen Aufnahmebedingungen z.B. in Form von Sachleistungen, Geldleistungen oder Gutscheinen oder einer Kombination dieser Leistungen gewährt werden.
Sollten die Antragsteller tatsächlich, wie von ihnen vorgetragen, von der Antragsgegnerin durch ein Hinhalten des Bearbeitens von Leistungsanträgen bzw. von Widersprüchen gegen Leistungsversagungen in ein Abwarten von unzumutbarer Zeitdauer gedrängt werden, so sind sie auf die Möglichkeiten einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG zu verweisen. Sollte die Antragsgegnerin über einen Widerspruch nicht in einer Frist von drei Monaten entschieden haben, kann Untätigkeitsklage gem. § 88 Abs. 2 SGG erhoben werden. Das Gesetz stellt den Antragstellern damit ausreichende Möglichkeiten zur Verfügung, die Klärung der Leistungsgewährung auf Verwaltungsseite zu beschleunigen.
Steht den Antragstellern damit kein Anordnungsgrund zu Seite, so ist ihnen auch Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nicht zu gewähren. Denn die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt nach § 73 a SGG i.V.m § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Fehlt im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ein Anordnungsgrund, fehlt schon aus diesem Grund auch eine hinreichende Erfolgsaussicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Gegen diesen Beschluss findet eine Beschwerde nicht statt (§ 173 SGG).
Erstellt am: 10.05.2006
Zuletzt verändert am: 10.05.2006