Die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 9) gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 15.11.1999 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin zu 9) trägt die Kosten der Antragstellerin.
Gründe:
Die Antragstellerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das u.a. unter dem Namen Accupro ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Quinapril vertreibt. Bei diesem Arzneimittel handelt es sich um einen sogenannten ACE-Hemmer. Die Antragsgegner zu 1) – 8) sind Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen, die Antragsgegnerin zu 9) ist die Bundesorganisation der Kassenärztlichen Vereinigungen, denen alle Kassenärzte angehören. Die Antragsgegnerin zu 10) ist die oberste Aufsichtsbehörde der Antragsgegner zu 1) – 9).
Nachdem sich im Verlauf des Jahres 1999 abzeichnete, dass die Arznei- und Heilmittelbudgets des laufenden Jahres überschritten würden, wenn die Vertragsärzte ihr Verordnungsverhalten nicht änderten, erarbeitete die Antragsgegnerin zu 9) ein sogenanntes Notprogramm. Dieses Notprogramm war nach Auffassung der Antragsgegner zu 1) – 8) und zu 10) rechtswidrig. Die Antragsgegnerin zu 10) versuchte zur Vermeidung aufsichtsrechtlicher Maßnahmen einen Konsens aller drei Beteiligten herbeizuführen. Resultat dieser Bemühungen war das von allen Beteiligten getragene "Gemeinsame Aktionsprogramm" (GAP), das am 16.09.1999 vorgestellt wurde. Kapitel 7 des GAP enthält unter der Überschrift "Vermeidung des Einsatzes teurer Schrittinnovationen mit nicht gesichertem therapeutischen Zusatznutzen" eine Klassifikation der Arzneimittel in 4 Gruppen:
A Neuartiger Wirkstoff/Wirkprinzip
B Verbesserung pharmakologischer Qualitäten bereits bekannter Wirkprinzipien
C Analogpräparate mit marginalen Unterschieden zu eingeführten Wirkstoffen
D Nicht ausreichend gesichertes Therapieprinzip
Ferner wird ausgeführt, die Auswahl der zu verwendenden Substanz aus einer analogen Wirkstoffgruppe sei nicht nur medizinisch, sondern auch ökonomisch zu treffen. Es folgt eine nach Wirkstoffgruppen geordnete Liste, die die einzelnen Wirkstoffe einer Wirkstoffgruppe auf der Grundlage von durchschnittlichen Tagesdosen (DDD = defined daily dosis) in preislicher Hinsicht miteinander vergleicht. Die Ermittlung der durchschnittlichen Tagesdosen beruht auf statistischem Material der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Neben dem Wirkstoff steht dabei jeweils die Bezeichnung, unter der das Arzneimittel vertrieben wird. Dabei wird in Form eines Balkendiagramms die prozentuale Abweichung der Kosten vom Gruppendurchschnitt angegeben. Die dritte Gruppe betrifft die der ACE-Hemmer. Hier wird ein mittlerer DDD-Preis in Höhe von 1,08 DM ausgewiesen. Für das Medikament Accupro mit dem Wirkstoff Quinapril weist das Balkendiagramm eine Abweichung des DDD-Preises um 50 % nach oben vom Gruppendurchschnitt aus. Als günstigsten Wirkstoff dieser Gruppe weist die Aufstellung den Wirkstoff Captopril mit den Medikamenten Lopirin und Tensobon aus, die danach den DDD-Preis um 25 % unterschreiten.
Entwickelt wurde die DDD-Klassifikation von der WHO für Studien über den Medikamentenverbrauch. Nach Ansicht der WHO ist die DDD-Klassifikation für Leitlinien zur Erstattungsfähigkeit, Preisbetrachtung oder therapeutische Substitution nicht geeignet, da therapeutisch äquivalente Dosen sehr schwer zu bestimmen seien.
Das GAP wurde als Beilage zu Heft 39/1999 des Deutschen Ärzteblattes am 01.10.1999 verschickt. Als Herausgeberin ist die Antragsgegnerin zu 9) genannt. Daneben kann das Programm von der Internet-Homepage der Antragsgegnerin zu 9) und der der Antragsgegnerin zu 1) heruntergeladen werden. Auch die Antragsgegnerin zu 10) sen det das Programm Interessierten auf Anfrage zu. Im Vorwort des Programms wird ausgeführt, dass es von entscheidender Bedeutung sei, seitens der Kassenärzte nachweisen zu können, alles getan zu haben, um Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen. Dieser Nachweis gelinge nur dann, wenn das Aktionsprogramm ohne Abstriche umgesetzt werde.
Zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens – wobei auf Seiten der Antragstellerin zusätzlich die H-AG, C, eine Schwesterfirma der Antragstellerin beteiligt war – ist ein Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Köln (Az S 19 KR 138/95) anhängig gewesen, in dem es um die Festbetragsfestsetzung für das Arzneimittel Accupro ging. Durch Urteil vom 06.10.1997 hob das Sozialgericht Köln rechtskräftig die Festsetzung des Äquivalenzfaktors für Quinapril durch den Beigeladenen zu 1) des damaligen Verfahrens, den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen auf. Dieser war zuvor mit 1,5 festgesetzt worden. Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Sozialgerichts setzte dann der Bundesausschuss den Äquivalenzfaktor für Quinapril auf 1,0 neu fest. Nachdem sich die Antragsgegnerin zu 9) außergerichtlich geweigert hatte, den Vergleich des Wirkstoffs Quinapril bzw. des Arzneimittels Accupro mit den übrigen Arzneimitteln bzw. Wirkstoffen im GAP dahingehend zu berichtigen, dass der Preis von Accupro nicht als überdurchschnittlich ausgewiesen werde, beantragte die Antragstellerin am 22.10.1999 bei dem Sozialgericht Köln den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Zur Begründung hat die Antragstellerin vorgebracht: Kapitel 7 des GAP enthalte eine sachlich unzutreffende Preisgegenüberstellung des von ihr vertriebenen Präparats Accupro im Rahmen der Präparategruppe der ACE-Hemmer. Die dem Preisvergleich zugrunde liegende Berechnung widerspreche den Feststellungen des Sozialgerichts Köln in dem rechtskräftigen Urteil vom 06.10.1997, Az.: S 19 KR 138/95. Die Preisgegenüberstellung enthalte faktisch die Aufforderung, aus der Gruppe der ACE-Hemmer das Präparat Accupro nicht mehr zu verordnen. Jedoch sei der genannte Preis für die rechnerisch mittlere Tagesdosis unzutreffend. Die in Kapitel 7 des GAP enthaltene Tabelle befasse sich mit den sechs umsatzstärksten Wirkstoffgruppen nach dem ATC-Code der WHO. Diese würden im Hinblick auf ihre Generikafähigkeit und die durchschnittlichen Tagestherapiekosten bewertet. Die nicht generikafähigen Wirkstoffe würden als Schrittinnovationen abqualifiziert, ihre durchschnittlichen Tagestherapiekosten fast durchgängig als über dem Durchschnitt liegend ausgewiesen. Zugleich werde der Kassenarzt als Adressat des Programms angewiesen, die Auswahl der zu verwendenden Substanz aus einer analogen Wirkstoffgruppe nicht allein medizinisch, sondern auch ökonomisch zu treffen. Ziel sei es, Präparate mit nicht generikafähigen Wirkstoffen nicht mehr zu verordnen. Die Zuordnung des Wirkstoffs Quinapril zu den sogenannten Schrittinnovationen sei medizinisch unhaltbar. Vielmehr weise dieser Wirkstoff gegenüber Captopril entscheidende Vorteile auf. Das ergebe sich aus dem Urteil des SG Köln vom 06.10.1997. Darüber hinaus würden die durchschnittlichen Tagestherapiekosten für Accupro falsch berechnet. Als mittlerer Preis für die durchschnittlichen Tagestherapiekosten werde für die Gruppe der ACE-Hemmer 1,08 DM angegeben. Danach sollten die Tagestherapiekosten für Accupro um 50 % höher sein und etwa bei 1,54 DM liegen. Hier sei man von der unzutreffenden Annahme einer durchschnittlichen Tagesdosis von 15 mg Accupro ausgegangen; richtig sei dagegen, wie sich aus dem Urteil vom 06.10.1997 ergebe, eine durchschnittliche Tagesdosis von 10 mg. Diese Diskrepanz entspreche genau der seinerzeit erstrittenen Korrektur des Äquivalenzfaktors von 1,5 auf 1,0 für Quinapril. Die einstweilige Anordnung sei zulässig und begründet, weil zum einen eine Rechtsgrundlage für das gemeinsame Aktionsprogramm fehle und zum anderen das gemeinsame Aktionsprogramm falsche Tatsachen zugrunde lege. Auch liege ein Anordnungsgrund vor, da von einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der entsprechenden Feststellungen des GAP auszugehen sei.
Die Antragstellerin hat beantragt,
den Antragsgegnern bis zu einer vollstreckbaren Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu untersagen, in Verbindung mit der Aufforderung, den Einsatz teuerer Schrittinnovationen mit nicht gesichertem therapeutischen Zusatznutzen zu vermeiden, die durchschnittlichen Tagestherapiekosten für die arzneiliche Wirksubstanz Quinapril (Präparat Accupro) unter Zugrundelegung einer mittleren Tagesdosis von 15 mg als über dem Durchschnitt liegend auszuweisen.
Die Antragsgegner haben beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegner zu 1) – 8) sowie die Antragsgegnerin zu 10) haben die Auffassung vertreten, dass das gemeinsame Aktionsprogramm ein Projekt allein der Antragsgegnerin zu 9) sei; sie seien deshalb nicht passiv legitimiert, auch wenn das gemeinsame Aktionsprogramm von ihnen unterstützt werde. Die von der Antragstellerin vermisste Rechtsgrundlage für das gemeinsame Aktionsprogramm finde sich in § 75 SGB V. Darüber hinaus verkenne die Antragstellerin, dass die Tagestherapiekostendarstellung im gemeinsamen Aktionsprogramm völlig unabhängig von geltenden Festbeträgen und Äquivalenzfaktoren gewählt worden sei. So würden in der Darstellung auch Wirkstoffe aufgeführt, die noch unter Patentschutz stünden und deshalb einer Festbetragsfestsetzung nicht zugänglich seien. Vielmehr habe man eine einheitliche Darstellung der Tagestherapiekosten für die gesamten Wirkstoffgruppen gewählt, um eine Bewertung nach einheitlichen Kriterien zu gewährleisten. Der ATC- Code der WHO sei fachlich unumstritten. Zudem sei zu beachten, dass das gemeinsame Aktionsprogramm lediglich eine Information und keine verbindliche Vorgabe für ärztliche Verordnungen darstelle.
Die Antragsgegner seien rechtlich nicht verpflichtet, für die Hinweise und Informationen im gemeinsamen Aktionsprogramm eine bestimmte Systematik des Tageskostenvergleichs zu wählen.
Durch Beschluss vom 15.11.1999 hat das Sozialgericht Köln der Antragsgegnerin zu 9) antragsgemäß untersagt, bis zu einer vollstreckbaren Entscheidung in der Hauptsache in Verbindung mit der Aufforderung, den Einsatz teuerer Schrittinnovationen mit nicht gesichertem therapeutischen Zusatznutzen zu vermeiden, die durchschnittlichen Tagestherapiekosten für die arzneiliche Wirksubstanz Quinapril (Präparat Accupro) unter Zugrundelegung einer mittleren Tagesdosis von 15 mg als über dem Durchschnitt liegend auszuweisen. Im übrigen hat das Sozialgericht den Antrag der Antragstellerin als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, das gemeinsame Aktionsprogramm sei im Hinblick auf die Preisangaben zum Wirkstoff Quinapril bzw. Präparat Accupro unrichtig und damit offensichtlich rechtswidrig. Äußerungen von Hoheitsträgern müssten inhaltlich zutreffend sein.
Gegen den ihr am 17.11.1999 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin zu 9) am 13.12.1999 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Zur Begründung hat die Antragsgegnerin zu 9) eingewandt: § 75 Abs. 10 SGB V – jetzt § 305a Absatz 1 SGB V – enthalte als Rechtsgrundlage für das gemeinsame Aktionsprogramm keinerlei Vorgaben, wonach eine Bindung an die Äquivalenzfaktoren des Festbetragssystems bestehe. Eine objektive Übersicht über den Arzneimittelmarkt sei nur aufgrund der Systematik des Vergleichs nach durchschnittlichen Tagesdosen möglich. Dieser müsse deshalb als sachgerecht beurteilt werden.
Die Antragsgegnerin zu 9) beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 15.11.1999 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 9) zurückzuweisen.
Sie hat den Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend gehalten und (ergänzend) erwidert: Die Antragsgegnerin zu 9) verweise in verschiedenen Veröffentlichungen nach wie vor auf das gemeinsame Aktionsprogramm 1999 und verbinde diese mit der Aufforderung, den dort ausgesprochenen Empfehlungen Folge zu leisten. Es bestehe deshalb durchaus weiterhin ein Rechtsschutzinteresse auf ihrer Seite, auch wenn sich formal das gemeinsame Aktionsprogramm nur auf das Jahr 1999 beziehe. Aus den Veröffentlichungen der WHO ergebe sich eindeutig, dass die im ATC-Code ausgewiesenen durchschnittlichen Tages-Therapiekosten (DDD) sich nicht für Preisvergleiche eigneten; die WHO spreche insoweit ausdrücklich von einem Missbrauch des Systems.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 9.) ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden. Der Antragsgegnerin ist es im Wege der einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung (§ 123 Absatz 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) analog) zu untersagen, in Verbindung mit der Aufforderung, den Einsatz teuerer Schrittinnovationen mit nicht gesichertem therapeutischen Zusatznutzen zu vermeiden, die durchschnittlichen Tagestherapiekosten für die arzneiliche Wirksubstanz Quinapril (Präparat Accupro) unter Zugrundelegung einer mittleren Tagesdosis von 15 mg als über dem Durchschnitt liegend auszuweisen.
Für den vorliegenden Rechtsstreit ist gemäß § 51 Absatz 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Sozialrechtsweg gegeben. Nach dieser Vorschrift entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch über Streitigkeiten, die in Angelegenheiten nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch entstehen, aufgrund von Entscheidungen der gemeinsamen Gremien von Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern oder anderen Leistungserbringern und Krankenkassen, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Bei dem GAP handelt es sich (zumindest auch) um eine Entscheidung der Antragsgegnerin zu 9.), die gemäß § 77 Absatz 5 SGB V eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Die Antragsgegnerin reklamiert für sich, das GAP in Erfüllung ihrer Aufgaben und Befugnisse nach dem SGB V (§ 75 bzw. § 305 a ) erlassen zu haben; der vorliegende Rechtsstreit wird darüber geführt, ob die Antragsgegnerin befugt ist, die von der Antragsstellerin monierten Aussagen über die Menge der durchschnittlichen Tagesdosis für den Wirkstoff Quinapril und damit für die durchschnittlichen Tagestherapiekosten für das Arzneimittel Accupro zu machen. Gegenstand des Rechtsstreits sind damit die der Antragsgegnerin nach den Vorschriften des SGB V eingeräumten Befugnisse, durch die die Antragstellerin als "Dritte" im Sinne des § 51 Absatz 2 Nr.2 SGG betroffen wird (vergl. insoweit auch BUNDESGERICHTSHOF, Beschluss vom 15.09.1999, Az. I ZB 59/98).
Ferner besteht auch das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin fort. Zwar bezieht sich das GAP formal lediglich auf das Jahr 1999, weil es (zunächst) nur das Ziel verfolgte, eine Einhaltung der Arznei- und Heilmittelbudgets im Kalenderjahr 1999 zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass die Situation, die im Jahre 1999 zur Verabschiedung des GAP führte, fortbesteht; hierauf bezieht sich die Antragsgegnerin zu 9) etwa in dem Vorwort zu ihrer Broschüre "Reform 2000". Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Kassenärzte als Adressaten sowohl des GAP wie auch der Broschüre "Reform 2000" die im GAP formulierten Empfehlungen bzw. Angaben weiter berücksichtigen werden. Außerdem hält die Antragsgegnerin zu 9.) gegenüber der Antragstellerin auch weiter an der Richtigkeit der im GAP getroffenen Aussagen fest.
Der Anordnungsanspruch der Antragstellerin ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 1004 BGB. Die Antragsgegnerin zu 9.) hat das Recht der Antragstellerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzt, indem sie im GAP die bei Verwendung des Arzneimittels Accupro entstehenden durchschnittlichen Tagestherapiekosten als um 50% über dem Durchschnitt liegend ausgewiesen hat. Hieraus resultiert der geltend gemachte Anspruch, dies der Antragsgegnerin zu 9.) – für die Zukunft – zu untersagen. Zwar schützt § 1004 Absatz 1 BGB unmittelbar – nach seinem Wortlaut – nur das Eigentum. Jedoch wird diese Vorschrift entsprechend auf die anderen absoluten Rechte, zu denen auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zählt, angewandt (vergl. Palandt, BGB, Kommentar, § 1004 Anm. 2b) mit weiteren Nachweisen). Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb umfasst alles was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des Betriebes ausmacht, also Bestand, Erscheinungsform, Tätigkeitskreis, Kundenstamm (Bundesgerichtshof, Der Betrieb, 71,571). Nach der Rechtsprechung schützt es auch vor geschäftsschädigender Kritik, etwa durch vergleichenden Warentest oder Preisvergleich außerhalb eines Wettbewerbsverhältnisses, wenn die Art dieser Kritik zu missbilligen ist (vergl. BUNDESGERICHTSHOF 45, 296). Nach Auffassung des Senats sind diese Grundsätze entsprechend auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin zu 9) besteht kein Wettbewerbsverhältnis, so dass die Anwendung von Vorschriften des Wettbewerbsrechts außer Betracht bleiben muss. Die Maßnahme der Antragsgegnerin, die durchschnittlichen Tagestherapiekosten für die Arzneimittelgruppe der ACE-Hemmer auf der Grundlage der durchschnittlichen Tagesdosen (DDD), also beruhend auf statistischem Material der WHO, zu berechnen und die Ergebnisse den Vertragsärzten mitzuteilen sowie diesen gleichzeitig ein auch Wirtschaftlichkeitserwägungen einbeziehendes Verordnungsverhalten nahe zulegen, stellt – darüber dürfte zwischen den Beteiligten Einigkeit bestehen – im Ergebnis einen derartigen Preisvergleich dar. Dieser ist zwar nicht grundsätzlich verboten. Indes muss – wovon auch bereits das Sozialgericht zu Recht ausgegangen ist – die tatsächliche Grundlage für den Preisvergleich zutreffend sein. Das ergibt sich zum einen daraus, dass die Antragsgegnerin zu 9) als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihr gesetzlich zugewiesen Aufgaben, also hoheitlich, gehandelt hat. Tatsächliche Behauptungen eines Hoheitsträgers müssen aber inhaltlich zutreffen sein (vergl. Bundesverfassungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung Band 40, 287ff; Bundesverwaltungsgericht, NVwZ 1994, 136). Darüber hinaus ist ein Preisvergleich auch allgemein zu missbilligen, wenn die tatsächlichen Grundlagen unrichtig sind (vergl. Bundesgerichtshof, NJW 1989, 1923; NJW 1997, 2593). Die Antragsgegnerin hat im vorliegenden Fall die durchschnittlichen Tagestherapiekosten auf der Grundlage der von der WHO ermittelten DDD, dem von der WHO statistisch ermittelten durchschnittlichen Tagesverbrauch eines bestimmten Wirkstoffs, berechnet. Es bestehen jedoch gewichtige Zweifel daran, dass dieser Ausgangspunkt für die vorgenommene Kostenberechnung sachlich zutreffend ist. Diese ergeben sich zunächst einmal daraus, dass die WHO in den von ihr herausgegebenen Richtlinien selbst darauf hinweist, dass die ermittelten DDD für einen Preisvergleich nicht geeignet seien, weil die DDD zum Zweck der Bestimmung des jeweiligen Medikamentenverbrauchs entwickelt worden sind. Zudem weist die WHO zur weiteren Begründung in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die therapeutische Gleichwertigkeit von Wirkstoffen nicht ohne weiteres zu bestimmen ist. Es hätte damit schon einer eingehenderen Begründung durch die Antragsgegnerin bedurft, um klarzustellen aus welchen Gründen sie hier dennoch diesen Ausgangspunkt für zutreffend erachtet. Nicht ausreichend ist aber jedenfalls der bloße Hinweis, der ATC-Code der WHO sei fachlich unumstritten, läßt die Antragsgegnerin zu 9.) doch die – entscheidende – Zweckbestimmung der Vorgaben der WHO insofern völlig außer Betracht.
Die Richtigkeit der tatsächlichen Grundlagen für den von der Antragsgegnerin zu 9.) vorgenommenen Preisvergleich wird nicht zuletzt durch das Ergebnis des Streitverfahrens S 19 Kr 138/95 vor dem Sozialgericht Köln erschüttert. Das Sozialgericht hat durch – rechtskräftiges – Urteil vom 06.10.1997 die Festsetzung des Äquivalenzfaktors Quinapril auf 1,5 aufgehoben. Der Beigeladene zu 1.) des damaligen Streitverfahrens, der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, hat schließlich den Äquivalenzfaktor für den Wirkstoff Quinapril auf 1,0 festgesetzt. Hieraus ist aber jedenfalls zu schließen, dass – wie auch die WHO ausführt – ein Vergleich der therapeutischen Wirksamkeit verschiedener Arzneimittel nicht unproblematisch ist. Ist aber die tatsächliche Grundlage für einen Preisvergleich derart unsicher, so ist es nicht zulässig, ohne weiteres auf Daten zurückzugreifen, deren Quelle, die WHO, selbst auf die grundsätzliche Ungeeignetheit für den von der Antragsgegnerin zu 9.) verfolgten Zweck hinweist. Bei dieser Sachlage bestehen an der Richtigkeit der tatsächlichen Grundlagen für den von der Antragsgegnerin zu 9) getroffenen Aussagen derartige gewichtige Zweifel, dass der Preisvergleich in dieser Form auch nicht mehr als vertretbar erscheint.
Die Antragsgegnerin zu 9) kann sich demgegenüber auch nicht mit Erfolg auf § 75 Absatz 10 SGB V a.F. bzw. § 305a SGB V berufen. Es kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen dieser Vorschriften überhaupt vorliegen. Jedenfalls kann das Recht der Antragsgegnerin zur Information nur soweit reichen, als es um die Übermittlung inhaltlich zutreffender Informationen geht. Zwar enthalten die genannten Normen – notwendigerweise – keine näheren Vorgaben, insbesondere nicht hinsichtlich eines Preisvergleichs. Dies kann indes nicht bedeuten, dass die Antragsgegnerin befugt wäre, Informationen an die Vertragsärzte herauszugeben, deren tatsächliche Grundlage zweifelhaft ist. Die Abwägung zwischen dem Interesse der Antragsgegnerin an einer Information der Vertragsärzte auch über die wirtschaftlichen Auswirkungen ihres Verordnungsverhaltens ist in einem solchen Fall geringer einzuschätzen als die wirtschaftlichen Belange der Antragsstellerin.
Da die Antragsgegnerin zu 9) an ihrer Auffassung festhält, die Vertragsärzte zu Recht über die durchschnittlichen Tagestherapiekosten für das Medikament Accupro unterrichtet zu haben, ist auch das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr nicht von der Hand zu weisen.
Schließlich ist auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu bejahen: Die gebotene Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile der Antragsstellerin anzuwenden. Ein Interesse der Antragstellerein an der Verbreitung von Informationen auf einer nicht gesicherten Tatsachengrundlage ist nicht zu erkennen; demgegenüber ist das Recht der Antragstellerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb höher einzuschätzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 03.05.2006
Zuletzt verändert am: 03.05.2006