Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 14. April 2005 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin ein Versorgungsanspruch nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.
Die 1941 geborene Klägerin stellte am 23.10.2000 bei dem Beklagten den Antrag, ihr Versorgung nach dem OEG wegen eines Lendenwirbelsäulen-, eines Halswirbelsäulen- und eines Beckenleidens zu gewähren. Sie sei am 15.06.2000 auf dem Weg zu B von einem ihr unbekannten Mann völlig unerwartet und wortlos auf die Fahrbahn gestoßen worden, wo sie der Länge nach auf dem Rücken gelegen habe. Sie habe sich dann schnellstens wieder auf den Bürgersteig bewegt und dem Geschäftsführer von B den Vorgang geschildert. Dieser habe die Polizei alarmiert und der Täter sei festgenommen worden. Seit dem Vorfall leide sie an Dauerschmerzen, die durch ärztliche Behandlungen und Krankengymnastik nicht hätten gelindert werden können.
Der Beklagte holte Befundberichte des Neurochirurgen Dr. D vom 22.11.2000 und des Internisten Dr. D1 vom 26.05.2001 ein und zog die Akten des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens bei (Staatsanwaltschaft Bielefeld, 63 Js 166/01 – Verfahren eingestellt wegen Schuldunfähigkeit des psychisch kranken Täters). Anschließend ließ der Beklagte die Klägerin von dem Sachverständigen Dr. P fachorthopädisch begutachten. Dr. P gelangte in seinem Gutachten vom 22.08.2001 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin Prellungen der Wirbelsäule und des Rumpfes erlitten habe, die inzwischen abgeklungen seien. Die bei ihr bestehenden Veränderungen und Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) sowie ein aufgetretener Bandscheibenvorfall an der Lendenwirbelsäule (LWS) stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Sturz auf die Straße. Der Sturz sei in unfallmechanischer Hinsicht nicht geeignet gewesen, einen Bandscheibenvorfall zu verursachen. Für die geklagten Beschwerden seien anlagebedingte Schäden ursächlich.
Mit Bescheid vom 14.09.2001 erkannte der Beklagte "Prellungen der Wirbelsäule und des Rumpfes" als Schädigungsfolgen des Ereignisses vom 15.06.2000 und einen Heilbehandlungsanspruch für 6 Monate nach Schädigung an. Darüber hinaus lehnte er den Antrag der Klägerin auf Versorgung nach dem OEG ab.
Auf den ausführlich begründeten Widerspruch der Klägerin vom 08.10.2001 holte der Beklagte eine ergänzende Stellungnahme von Dr. P vom 07.02.2002 ein. Dieser bekräftigte seine vorige Auffassung, dass bei der Klägerin unzweifelhaft anlagebedingte Schädigungen bestünden. Die vorgefundenen Röntgenaufnahmen würden Veränderungen aufzeigen, die zu ihrer Entstehung Jahre bis Jahrzehnte benötigten. Im Hinblick auf diese Stellungnahme wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2002 zurück.
Die Klägerin hat am 23.04.2002 Klage beim Sozialgericht (SG) Detmold eingelegt und weiterhin Leistungen nach dem OEG geltend gemacht.
Das SG hat zunächst den Facharzt für Orthopädie, Dr. U, zum Sachverständigen bestellt. Auf die Beschwerde der Klägerin, dass nur ein Neurochirurg für die streitige Frage fachlich ausreichend qualifiziert sei, ist die Beweisanordnung geändert und der Neurochirurg Prof. Dr. C um die Erstellung eines Gutachtens gebeten worden. Dieser hat in seinem Gutachten vom 05.05.2003 die Auffassung vertreten, dass der Bandscheibenvorfall der LWS als Schädigungsfolge angesehen werden müsse. Das Schädigungsereignis erfülle die Kriterien eines adäquaten Traumas, weil die Klägerin aufgrund des Überraschungsmoments keine reflektorischen Abstützvorgänge habe vornehmen können. Zwar gehe aus den radiologischen Befunden hervor, dass bei der Klägerin im Bereich der LWS bereits vor dem Ereignis degenerative Veränderungen bestanden hätten. Ein gewisses Maß an Vorschädigung mit gesteigerter Verletzlichkeit der Bandscheiben sei aber bei jedem Menschen – vor allem im mittleren Lebensalter – vorauszusetzen. Es bestehe ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Ereignis und den Beschwerden, da die Klägerin vorher keine Beschwerden gehabt habe. Auch im Bereich der HWS seien degenerative Veränderungen nachzuweisen. Die hier noch bestehenden Beschwerden der Klägerin könnten nicht ursächlich auf die Gewalttat zurückgeführt werden. Für die Dauer des ersten Jahres nach dem Ereignis seien die glaubhaft angegebenen Beschwerden jedoch als schädigungsbedingt zu beurteilen. Für das erste Jahr nach der Schädigung werde eine MdE von 40 v.H., danach von 30 v.H. vorgeschlagen.
Das SG hat die Akten des Schwerbehindertenverfahrens beigezogen sowie einen weiteren Befundbericht von Dr. D1 vom 01.09.2003 eingeholt. Auf die Rüge der Klägerin, sie habe zu beidem ihr Einverständnis nicht erklärt, hat das SG die Schwerbehindertenakte zurückgesandt. Anschließend hat es den Sachverständigen Dr. U1 mit der Erstattung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt. Die Klägerin hat mitgeteilt, dass sie ein Gutachten eines Orthopäden ablehne, wohl aber bereit sei, sich von einem Neurochirurgen untersuchen zu lassen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.04.2005 hat die Klägerin neben dem Antrag in der Sache begehrt, einen Obergutachter zu der Frage zu hören, welcher Arzt mit welcher Fachrichtung zur Begutachtung in Betracht komme (Orthopäde oder Neurochirurg).
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14.04.2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Sturz und dem Bandscheibenvorfall nicht wahrscheinlich sei. Die Kriterien, die die herrschende medizinische Lehrmeinung für einen solchen Zusammenhang aufgestellt habe, seien nicht erfüllt. Das Ereignis sei zwar Anlass, nicht aber wesentliche Ursache im Sinne des sozialen Entschädigungsrechts gewesen. Die Ausführungen von Prof. Dr. C hätten nicht überzeugen können. Eine weitere Aufklärung durch ein orthopädisches Gutachten habe die Klägerin abgelehnt. Es sei nicht indiziert, ein neurochirurgisches Gutachten einzuholen, da Orthopäden die biomechanische Wirkung verschiedener Sturzabläufe besser beurteilen könnten. Ein Obergutachten zu dieser Frage habe nicht eingeholt werden müssen.
Die Klägerin hat gegen das am 20.05.2005 zugestellte Urteil am 30.05.2005 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass das Unfallereignis geeignet gewesen sei, einen Bandscheibenvorfall auszulösen. Anspruchsgrundlage sei § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. § 249 BGB. Da das OEG Ansprüche eines Geschädigten gegen den Schädiger auf die öffentliche Hand überleite, müsse auch im OEG vom Kausalitätsbegriff des Zivilrechts ausgegangen werden. An der naturwissenschaftlichen Ursächlichkeit zwischen Sturz und Bandscheibenvorfall bestehe kein Zweifel. Der Begriff der wesentlichen Bedingung des BVG gelte nicht. Soweit das OEG auf das BVG verweise, handele es sich lediglich um eine Rechtsfolgen-, nicht aber um eine Rechtsgrundverweisung. Die Tatsache, dass die Klägerin an Vorschäden gelitten habe, könne die Kausalität nicht ausschließen. Hier sei zunächst zu beachten, dass die Klägerin vor dem schädigenden Ereignis beschwerdefrei gewesen sei. Im Übrigen müsse nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) der Schädiger, der einen Kranken verletze, sogar ein Mehr an Schadensersatz leisten. Soweit der im Berufungsverfahren gehörte Sachverständige Prof. Dr. I diesen Grundsatz nicht berücksichtige, sei sein Gutachten menschenverachtend und damit nicht verwertbar.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 14. April 2005 zu ändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 14.09.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2002 zu verurteilen, bei ihr ein Halswirbelsäulenschleudertrauma und einen Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelsäulenbereich als Schädigungsfolge aufgrund der erlittenen Gewalttat vom 15.06.2000 anzuerkennen und Beschädigtenversorgung nach einer MdE von 40 v. H. und Heilbehandlung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen aufgrund der Antragstellung am 23.10.2000 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend und sieht sich im Übrigen durch die Beweisermittlung im Berufungsverfahren bestätigt.
Der Senat hat ein Gutachten des Neurochirurgen Prof. Dr. I vom 04.10.2005 eingeholt. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Annahme eines Ursachenzusammenhangs zwischen dem Sturz und dem Bandscheibenvorfall der LWS nicht gegeben seien. Zwar bestehe ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Gewalteinwirkung und dem Auftreten der Symptome. Allerdings stelle das Sturzereignis kein ausreichend schweres Trauma – nach der herrschenden Meinung entsprechend einem Sturz aus großer Höhe oder einem Autounfall mit Deformierung der Fahrgastzelle – dar. Auch sei bei der Klägerin von einer deutlichen Degeneration bzw. Vorschädigung auszugehen. Der Sturz habe den Bandscheibenvorfall nur ausgelöst, nicht aber wesentlich bedingt. Im Bereich der HWS könne es zu einer Prellung gekommen sein. Diese heile jedoch zügig ab. Dauerfolgen über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten ließen sich hieraus nicht ableiten.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 14.09.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2002 ist nicht rechtswidrig. Zutreffend hat es der Beklagte abgelehnt, weitere Schädigungsfolgen festzustellen, die über die bereits anerkannten Schädigungsfolgen "Prellungen der Wirbelsäule und des Rumpfes" hinausgehen sowie eine Versorgungsrente zu zahlen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug und sieht insofern von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Das SG hat die entscheidungserheblichen Kriterien zutreffend und den Senat überzeugend dargestellt. Die dort getroffenen Feststellungen werden durch das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten von Prof. Dr. I vom 04.10.2005 bestätigt. Obwohl ein Facharzt für Orthopädie die Beweisfragen hätte ebenso beantworten können, ist der Senat dem Wunsch der Klägerin nachgekommen und hat einen Arzt für Neurochirurgie gehört. Nach dem Gutachten des Sachverständigen kommen traumatische Bandscheibenschädigungen nur mit einer Häufigkeit von unter 2 % vor. Übereinstimmend mit allen anderen Gutachtern geht Prof. Dr. I im Weiteren von einer erheblichen Vorschädigung der Wirbelsäule der Klägerin aus. Schließlich bestätigt er die Ausführungen des SG dazu, dass der Sturz der Klägerin keine ausreichende Gewalteinwirkung für einen Riss der Bandscheibe darstellt, weil sich ein Sturz aus Körperhöhe auch dann nicht mit einem Sturz aus großer Höhe oder einer Autokollision mit Deformierung der Fahrgastzelle vergleichen lasse, wenn Schutzreflexe wegen des Überraschungsmoments vermindert seien.
Die vom SG getroffenen und von Prof. Dr. I bestätigten Feststellungen stimmen mit den für die Beurteilung im sozialen Entschädigungsrecht maßgeblichen "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004" (Anhaltspunkte) überein. Die Anhaltspunkte geben im Bereich der Kausalitätsbeurteilung die maßgebende herrschende medizinische Lehrmeinung wieder. Die Eigenart und Ausprägung der bei der Klägerin mit bildgebenden Verfahren aufgefundenen spondylarthrotischen Veränderungen an der Wirbelsäule, d.h. die Degeneration bzw. Hypertrophie der kleinen Wirbelgelenke zeigen nach der Beurteilung aller Sachverständigen, dass eine erhebliche Vorschädigung bestanden hat. Derartige Veränderungen setzen einen jahrelangen Veränderungsprozess voraus. Diese Auffassung wird durch Nr. 128 (7) der Anhaltspunkte bestätigt. Danach entsteht eine – wie bei der Klägerin vorgefundene – Spondylarthrose im Wesentlichen dann, wenn eine Bandscheibe durch einen Flüssigkeits- und Elastizitätsverlust degeneriert ist. Hier wird auch hervorgehoben, dass traumatische Bandscheibenschädigungen selten sind und insbesondere dann auftreten, wenn es zu weiteren Verletzungen im Umgebungsbereich gekommen ist, so z.B. bei Wirbelkörperbrüchen an der benachbarten Zwischenwirbelscheibe oder bei Stich- und Schussverletzungen, die die Bandscheibe direkt treffen. Nach aktueller medizinischer Lehrmeinung müssen mindestens minimale Begleitverletzungen vorliegen, damit ein Bandscheibenvorfall als unfallbedingt gewertet werden kann (vgl. LSG NRW, Urteil vom 08.06.2005, L 17 U 175/02 m.w.N.). Entsprechende Verletzungen sind bei der Klägerin nicht festgestellt worden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin genügt es im Opferentschädigungsrecht nicht, dass die Gewalttat den Bandscheibenvorfall im naturwissenschaftlichen Sinn verursacht hat (Conditio sine qua non). Vielmehr beurteilt sich der Ursachenzusammenhang allein nach der Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Mag sich ein weiterer Ursachenbegriff in der zivilrechtlichen Rechtsprechung dadurch rechtfertigen, dass im Zivilrechtsstreit ein Ausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem erzielt werden soll, so kann dies nicht gleichermaßen auf die Einstandspflicht des Staates im sozialen Entschädigungsrecht übertragen werden. Anderenfalls würde die persönliche Risikosphäre des Geschädigten unangemessen weit in den Verantwortungsbereich des Versorgungsträgers verlagert werden, mit der Folge, dass die Allgemeinheit einen Schaden finanziell zu tragen hätte, der eher zufällig durch eine "versicherte" Handlung ausgelöst worden ist.
Soweit die Klägerin ihre entsprechende Auffassung darauf stützt, dass das OEG Ansprüche eines Geschädigten gegen den Schädiger (Anspruchsgrundlage § 823 Abs. 1 i.V.m. § 249 BGB) auf die öffentliche Hand überleite, verkennt sie die Grundlagen des Opferentschädigungsrechts. Tatsächlich macht das OEG die Geltendmachung eines Anspruchs gerade nicht von zivilrechtlichen Ansprüchen abhängig, sondern begründet vielmehr einen originären Anspruch des Geschädigten gegen die öffentliche Hand. Dieser Anspruch hängt gerade nicht davon ab, ob ein Schädiger zu ermitteln ist, ob die Voraussetzungen für einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den Schädiger bestehen und ob der Geschädigte einen solchen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger tatsächlich geltend macht. Lediglich dann, wenn der Geschädigte Leistungen nach dem OEG erhält, geht ein etwaiger Regressanspruch gegen den Schädiger auf den Versorgungsträger über (§ 5 OEG). Dies aber beeinflusst die Voraussetzungen eines Anspruchs des Geschädigten gegen den Versorgungsträger nicht. Insoweit geht auch der Gedanke der Klägerin, das OEG stelle eine Rechtsfolgenverweisung auf das BVG dar, fehl.
Die Klägerin irrt auch, wenn sie meint, die bei ihr bestehenden Vorschäden könnten den Ursachenzusammenhang nicht ausschließen, sondern würden vielmehr zu einer stärkeren Haftung führen. Diese Auffassung verkennt die im Sozialrecht geltende Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung. Zwar ist eine vorgeschädigte Wirbelsäule leichter verletzungsanfällig, so dass auch eine geringere Gewalteinwirkung als bei einer Wirbelsäule mit gesunden Strukturen einen weiteren Schaden hervorrufen kann. Grundsätzlich ist auch jeder in dem gesundheitlichen Zustand geschützt, der im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bestand. Stets hat aber eine Abwägung stattzufinden, ob die Vorschädigung (Krankheitsanlage) die rechtlich allein wesentliche Ursache für den Schadenseintritt war oder dem schädigenden Ereignis trotz Vorschädigung wenigstens die Bedeutung einer wesentlichen Teilursache beizumessen ist (vgl. LSG NRW, Urteil vom 08.06.2005, L 17 U 175/02). Eine Krankheitsanlage ist als Ursache dann von überragender Bedeutung, wenn sie so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die (naturwissenschaftliche) Verursachung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die Erscheinungen verursacht hätte. War die Krankheitsanlage von überragender Bedeutung, so ist eine weitere naturwissenschaftliche Ursache nicht als wesentlich anzusehen und scheidet als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Sinne des Sozialrechts aus; sie ist dann lediglich eine sogenannte Gelegenheitsursache (BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in Breith 2005, 929 ff. m.w.N. zur st. Rspr.).
Zu Recht ist das SG davon ausgegangen, dass das schädigende Ereignis in seiner Bedeutung weit hinter die Vorschädigung der Wirbelsäule zurücktritt und durch diese als wesentliche Bedingung für den Eintritt des Bandscheibenvorfalls verdrängt wird. In Übereinstimmung mit der herrschenden medizinischen Lehrmeinung hat das SG ausgeführt, dass beim Bestehen von spondylotischen Veränderungen der Wirbelsäule – wie hier – in aller Regel bereits ein geringer Zusatzimpuls genügt, um aktuelle klinische Symptome auszulösen. Ausreichender Anlass seien bereits alltägliche Bewegungen wie etwa das Ausziehen eines Schuhs, das Umdrehen im Bett, ein heftiger Husten- oder Niesanfall oder das Anheben einer unbedeutenden Last in Körpervorneigung (vgl. hierzu auch Schönberger/Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 530; LSG NRW, Urteil vom 08.06.2005, L 17 U 175/02). Es ist daher davon auszugehen, dass entsprechende alltägliche Bewegungen den Bandscheibenvorfall der Klägerin hätten auslösen können. Damit ist der tätliche Angriff lediglich als rechtlich unbeachtliche Gelegenheitsursache zu werten.
Dem steht – anders als die Klägerin mit der Berufung meint – nicht entgegen, dass sie vor dem Ereignis keine Beschwerden gehabt hat. Ein pathologisches physisches Geschehen setzt nicht notwendigerweise voraus, dass sich dieses auch klinisch manifestiert (vgl. auch Nr. 42 (1) der Anhaltspunkte). Vielmehr gehört es zu den Besonderheiten gerade bandscheibenbedingter Veränderungen, dass diese auch bei ausgeprägtem morphologischen Befund klinisch stumm vorliegen können (vgl. LSG NRW, Urteil vom 08.06.2005, L 17 U 175/02). Wird eine solch stumme Krankheitsanlage symptomatisch, so belegt dies allein nicht die schädigungsbedingte Entstehung des Bandscheibenvorfalls sondern – bei Fehlen von Begleitverletzungen – vielmehr das Vorhandensein einer erheblichen und leicht ansprechbaren Anlage für die Entwicklung eines solchen Vorfalls.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Erstellt am: 08.06.2006
Zuletzt verändert am: 08.06.2006