Zurückverweisung ans LSG, jetzt: L 12 AL 16/08
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 11.01.2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Minderung des an den Kläger vom 06.04. bis 23.05.2004 gezahlten Arbeitslosengeldes (Alg) wegen verspäteter Meldung als arbeitsuchend.
Der 1974 geborene Kläger war seit dem 06.10.2003 bei dem Bauunternehmen H in F als Maurer beschäftigt. Der dem Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegende Arbeitsvertrag vom 01.10.2003 war befristet bis 05.04.2004. Am 25.03.2004 meldete sich der Kläger bei der Beklagten mit Wirkung zum 06.04.2004 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Mit Bescheid vom 01.04.2004 teilte die Beklagte dem Kläger ergänzend zu dem ihm noch gesondert zugehenden Bewilligungs-/Änderungsbescheid mit, er sei seiner Pflicht, sich unverzüglich beim Arbeitsamt arbeitsuchend zu melden, 79 Tage zu spät nachgekommen. Nach § 140 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch – (SGB III) mindere sich der Anspruch um 35,00 EUR für jeden Tag der verspäteten Meldung, längstens jedoch für 30 Tage. Damit ergebe sich ein Minderungsbetrag in Höhe von 1.050,00 EUR. Die Minderung erfolge, indem der Minderungsbetrag auf die halbe Leistung angerechnet werde. Die Anrechnung beginne am 06.04.2004 und ende voraussichtlich mit Ablauf des 05.06.2004. Mit weiterem Bescheid aus April 2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg ab 06.04.2004 unter Minderung des wöchentlichen Leistungssatzes von 245,56 EUR um 121,73 EUR. Der Kläger, der ab 24.05.2004 erneut als Maurer in einem Arbeitsverhältnis stand, erhob am 14.04.2004 mit der Begründung Widerspruch, dass man sich nach § 37 b SGB III frühestens 3 Monate vor Ende des Beschäftigungsverhältnisses melden müsse. Dies sei von ihm eingehalten worden. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2004 als unbegründet zurück.
Am 01.09.2004 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, aus dem Gesetzestext des § 37 b SGB III könne er nicht ersehen, welche Vorschrift er außer Acht gelassen habe. Er habe sich frühestens 3 Monate vor Ablauf des befristeten Beschäftigungsverhältnisses arbeitslos gemeldet, nämlich am 25.03.2004. Falls das Gesetz anders zu interpretieren sei, habe er keine Kenntnis davon erhalten können, da er sich zeitweise beruflich in der Schweiz aufgehalten habe. Dort sei er nicht auf das neue Gesetz und auch nicht auf die Tatsache hingewiesen worden, dass der Gesetzestext nicht wörtlich zu nehmen sei. Dem Vorbringen des Klägers, der schriftsätzlich keinen Klageantrag formuliert hat, ist eindeutig zu entnehmen, dass er die Klage auf Beseitigung der Minderung des Alg beschränkt und seine Klage sowohl auf Aufhebung des die Minderung festsetzenden Bescheides vom 01.04.2004 als auch auf Änderung des über den Minderungsbetrag verfügenden Bewilligungsbescheides aus April 2004 gerichtet ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer in den angefochtenen Bescheiden zum Ausdruck gebrachten Auffassung festgehalten.
Das SG hat durch Gerichtsbescheid vom 11.01.2005 den Bescheid der Beklagten vom 01.04.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2004 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger könne keine schuldhaft verspätete Arbeitsuchendmeldung vorgeworfen werden, wenn er das Gesetz gar nicht oder unrichtig ausgelegt habe.
Gegen den ihr am 20.01.2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 10.02.2005 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie unter Vorlage eines Musters eines Aufhebungsbescheides vor, die Arbeitsaufnahme des Klägers am 21.07.2003 habe den Versand eines Aufhebungsbescheides an ihn zur Folge gehabt, in dem er über die neue Rechtslage ab 01.07.2003 aufgeklärt worden sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 11.01.2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, der ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das SG hat zu Recht der Klage stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 01.04.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2004 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der versehentlich nicht in den Rechtsstreit einbezogene Bescheid der Beklagten aus April 2004, mit dem diese dem Kläger Alg ab 06.04.2004 bewilligte, ist hinsichtlich der Verfügung über den Minderungsbetrag ebenfalls rechtswidrig und wird von der Beklagten insoweit abzuändern sein, weil die Festsetzung im Bescheid vom 01.04.2004 und die Verfügung über die Minderung im Bewilligungsbescheid aus April 2004 eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen Bescheides über die Minderung des Alg-Anspruchs darstellen (vgl.: BSG Urteil vom 18.08.2005 – B 7 a AL 4/05 R – und Urteil vom 20.10.2005 – B 7 a AL 50/05 R -).
Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum vom 06.04.2004 bis 23.05.2004 Anspruch auf ungemindertes Alg.
Er hat ab 06.04.2004 Anspruch auf Alg, da er alle in § 117 SGB III i. d. F. bis 31.12.2004 geregelten Voraussetzungen eines Anspruchs auf diese Leistungen erfüllte und Fehler bei der Berechnung des Alg-Anspruchs für die Zeit ab 06.04.2004 weder vom Kläger vorgetragen noch ersichtlich sind.
Die Voraussetzungen für eine Minderung des Alg nach den §§ 37 b, 140 SGB III i. d. F. bis 31.12.2004 haben entgegen der Auffassung der Beklagte nicht vorgelegen.
Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob der Kläger, wie von ihm angegeben, den im Juli 2003 von der Beklagten versandten Aufhebungsbescheid nicht erhalten hat. Denn der Kläger hat jedenfalls den Aufhebungsbescheid der Beklagten bekommen aufgrund seiner Beschäftigung vom 12.08.2003 – 30.09.2003 in der Schweiz, der entsprechend dem von der Beklagten vorgelegten Muster eines solchen Aufhebungsbescheides folgenden wortgleichen Hinweis enthielt: "Stehen Sie in einem befristeten Arbeitsverhältnis oder in einem anderen Versicherungspflichtverhältnis, müssen Sie sich drei Monate vor dessen Beendigung arbeitssuchend melden. Bitte beachten Sie, dass eine verspätete Meldung zu einer Verringerung der Höhe ihres zukünftigen Leistungsanspruchs führen kann." Damit kann dem Kläger die Nichterfüllung der Verpflichtung nicht vorgeworfen werden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der sich der erkennende Senat anschließt, sprechen insbesondere systematische Gründe sowie Sinn und Zweck der §§ 37b, 140 SGB III dafür, dass der Arbeitnehmer seine Verpflichtung zur unverzüglichen Meldung nicht verletzt, wenn er sich aufgrund unverschuldeter Rechtsunkenntnis nicht innerhalb der gebotenen Handlungsfrist beim Arbeitsamt meldet (BSG, Urteil vom 25.05.2005 – B 11a/11 AL 81/04 R -). Insoweit kommt es auf die subjektive Kenntnis bzw. das Kennenmüssen des Arbeitssuchenden an sowie auf die Belehrungspflichten, die der Gesetzgeber dem Arbeitsamt auferlegt bzw. auf die faktisch an deren Stelle tretende Informationspflicht des Arbeitgebers nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III, bevor aus Obliegenheitsverletzungen des Arbeitslosen nachteilige Rechtsfolgen für seinen Anspruch auf Alg eintreten können (BSG a.a.O.). An diese Belehrungs- bzw. Informationspflichten aber hat die Rechtsprechung hohe Anforderungen gestellt, weil es Zweck des Erfordernisses der Rechtsfolgenbelehrung ist, dem Arbeitslosen die sich aus seinem Verhalten ergebenden Konsequenzen vor Augen zu führen und ihn in allgemeiner Form zu warnen (BSG, a.a.O). Daher darf sich die Rechtsfolgenbelehrung insbesondere nicht auf eine formelhafte Wiederholung des Gesetzestextes beschränken. Eine wirksame Rechtsfolgenbelehrung liegt daher nur dann vor, wenn sie konkret, richtig und vollständig ist und dem Arbeitslosen in verständlicher Form zutreffend erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen aus dem versicherungswidrigen Verhalten resultieren (BSG, a.a.O., m.w.N.). Die Voraussetzungen einer in diesem Sinne wirksamen Rechtsfolgenbelehrung erfüllt der Hinweis, dass die nicht rechtzeitige Arbeitsuchendmeldung "zu einer Verringerung der Höhe ihres zukünftigen Leistungsanspruchs führen kann", nicht. Denn bei dem Hinweis handelt es sich zum einen allenfalls um eine formelhafte und damit nicht ausreichende Wiedergabe des Gesetzestextes des § 140 Satz 1 SGB III. Zum anderen ist sie insbesondere aber unrichtig, weil sich nach dem Gesetzestext des § 140 Satz 1 SGB III das Alg zwingend mindert und nicht – wie nach dem Hinweis im Aufhebungsbescheid – möglicherweise ("kann dies zu einer Verringerung der Höhe ihres zukünftigen Leistungsanspruchs führen"). Ist dem Kläger mit diesem Hinweis aber nicht zutreffend erläutert worden, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen sich aus der nicht rechtzeitigen Arbeitsuchendmeldung ergeben, ist ihm die Nichterfüllung dieser Verpflichtung nicht vorzuwerfen mit der Folge, dass er für den streitigen Zeitraum vom 06.04.2004 bis 23.05.2004 Anspruch auf ungemindertes Alg hat.
An diesem Ergebnis ändert schließlich auch der Umstand nichts, dass das BSG in seiner Entscheidung vom 20.10.2005 – B 7a AL 50/05 R – ausgeführt hat, "das LSG wird auch dem erstmals mit der Revision vorgebrachten Hinweis der Beklagten Rechnung zu tragen haben, dass ihre Aufhebungsbescheide bereits zu diesem Zeitpunkt einen Hinweis auf die Obliegenheit nach § 37 b SGB III enthielten". Denn diese Formulierung enthält keine Bewertung bzw. Beurteilung hinsichtlich der an die Belehrungspflichten zu stellenden inhaltlichen Forderungen, zumal das BSG gleichzeitig darauf hinwies, dass aus den Akten ein Erhalt eines solchen Aufhebungsbescheides durch den dortigen Kläger nicht ersichtlich sei. Diesen Ausführungen ist aber erst recht nicht zu entnehmen, dass damit im Widerspruch zum Urteil des BSG vom 25.05.2005 – B 11a/11 AL 81/04 R – zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass auch ohne die dargelegten inhaltlichen Voraussetzungen jedweder Hinweis den Anforderungen an die Belehrungspflichten genüge.
Die Kostenentscheidung folgt den §§ 183, 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen gemäß § 160 Abs. 2 Ziffern 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Erstellt am: 30.04.2008
Zuletzt verändert am: 30.04.2008