Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 06. April 2006 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Bewilligung dieser Leistungen lehnte die Beklagte auf den Antrag der Antragstellerin vom 12.05.2005 im Anschluss an die Erschöpfung ihres Anspruchs auf Arbeitslosengeld im Hinblick auf das Einkommen des Ehegatten (Arbeitslosengeld in monatlicher Höhe von 1163,70 EUR) ab (Bescheid vom 10.07.2005; Widerspruchsbescheid vom 24.02.2006).
Hiergegen hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben und am 28.03.2006 den Antrag gestellt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zur Leistungsbewilligung zu verpflichten. Sie ist der Auffassung, die Bestimmungen des SGB II seien in weiten Teilen verfassungswidrig. Insbesondere erlaubten die Regelsätze kein menschenwürdiges Leben und die Anrechnung des Arbeitslosengeldes verstoße gegen die Bestandschutzgarantie. Das Arbeitslosengeld sei aber ohnehin nicht als Einkommen des Ehegatten anzurechnen, weil es kein Einkommen im Sinne des § 2 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) sei. Selbst wenn man es als Einkommen berücksichtige, seien die erforderlichen Abzüge unzutreffend berechnet. Zum einen müsse die Pauschale für Versicherungsbeiträge in Höhe von 30,- EUR für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft in Anrechnung gebracht werden. Die darüber hinaus gehenden Versicherungsbeiträge müssten bei entsprechendem Nachweis in vollem Umfang in Anrechnung kommen. Ferner sei ein besonderer Mehrbedarf wegen eines anerkannten Grades der Behinderung in Höhe von 50% sowie des Erfordernisses einer fettarmen Ernährung wegen Hyperlipidämie zu berücksichtigen. Hieraus resultiere insgesamt ein Absetzungsbetrag von 848,13 EUR vom Einkommen des Ehegatten. Des weiteren seien als Kosten für die Unterkunft die Betriebskosten in vollem Umfang einschließlich einer Garagenmiete von 24,- EUR und des Kabelanschlusses in Höhe von insgesamt 94,33 EUR zu berücksichtigen. Außerdem habe die Antragsgegnerin die Heizungskosten von monatlich 118,- EUR zuzüglich des für den Betrieb der Gasetagenheizung erforderlichen Stromes in Höhe von 76,- EUR monatlich in die Bedarfsberechnung einzubeziehen. Schließlich sei der befristete Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld gemäß § 24 SGB II von 320,- EUR bei der Entscheidung der Antragsgegnerin unberücksichtigt geblieben.
Mit Beschluss vom 06.04.2006 hat das SG den Antrag abgelehnt, weil im Hinblick auf den Arbeitslosengeldbezug des Ehemannes der Antragstellerin deren Lebensunterhalt hinreichend gesichert sei und ein Anordnungsgrund daher nicht vorliege.
Die dagegen gerichtete Beschwerde, der das SG unter Hinweis auf Zweifel an einem Anordnungsgrund im Hinblick auf die Bezugnahme der Antragstellerin auf die Aufzehrung ihrer Ersparnisse nicht abgeholfen hat, ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat den Antrag, wenn auch ohne die erforderliche Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Antragstellerin, im Ergebnis zu Recht, abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Das SG hat zu Unrecht die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes allein mit dem Hinweis auf das Einkommen des Ehemanns der Antragstellerin verneint, weil es weder den Hilfebedarf im Sinne des SGB II noch das anrechenbare Einkommen ermittelt hat und die Antragstellerin zu Recht rügt, die Antragsgegnerin habe im Feststellungs- und Widerspruchsbescheid unterschiedliche, in den Unterscheidungen aber nicht plausible Berechnungen vorgenommen. Nach dem Vorbringen der Antragstellerin ergibt sich aber offensichtlich ein das anrechenbare Einkommen übersteigender Bedarf. Soweit die Nichtabhilfeentscheidungen auf Vermögen der Antragstellerin abstellt, fehlen auch insoweit hinreichende Feststellungen, da die Antragstellerin gerade dessen absehbare Erschöpfung behauptet hat. Ob andererseits diese Angaben für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes ausreichend sind, kann vorliegend dahinstehen, weil jedenfalls ein Anordnungsanspruch nicht besteht.
Der Bedarf der Gemeinschaft der Antragstellerin mit ihrem Ehemann nach dem SGB II beträgt ohne Berücksichtigung des Zuschlags nach § 24 SGB II maximal 988,78 EUR (622,- EUR Regelleistungen nach § 20 SGB II plus 144,85 EUR Miete plus 65,93 EUR Nebenkosten plus 118,- EUR Heizungskosten plus allenfalls 38,00 EUR anteilige Stromkosten für den Betrieb der Gasheizung). Dabei sieht der Senat keinen Anlass, im vorliegenden Verfahren zu den insoweit streitigen Fragen zur Differenzierung der Kosten für Heizung und Warmwasserbereitung sowie des Stroms (vgl. dazu z.B. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. vom 05.07.2005 L 8 AS 71/05 ER Rdnr. 22, SozSich 2006, 143) Stellung zu nehmen. In den Nebenkosten sind dabei die Kosten für eine Garage und den TV-Kabelanschluss enthalten, so dass diese nicht nochmals zusätzlich Berücksichtigung finden können, wobei auch insoweit dahinstehen kann, inwieweit diese Kosten tatsächlich berücksichtigungsfähig sind. Ebenso wenig kann ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II Berücksichtigung finden, weil nach der Stellungnahme von Dr. E mehr gegen als für die Notwendigkeit einer Sonderernährung spricht. Warum die anerkannten Behinderungen der Klägerin einen Mehrbedarf begründen sollen, ist nicht ersichtlich, da die Voraussetzungen des § 21 Abs. 4 SGB II offenkundig nicht erfüllt sind. Diesem Bedarf ist das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.163,70 EUR gegenüber zu stellen. Dessen Anrechnung ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich um Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt. Das nach § 11 SGB II zu berücksichtigende Einkommen sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Nach dieser Legaldefinition ist das Arbeitslosengeld kein privilegiertes Einkommen. Das SGB II nimmt insoweit nicht Bezug auf den steuerrechtlichen Begriff des Einkommens nach § 2 EStG. Von diesem Einkommen sind Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, abzusetzen (§ 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II). Die lediglich angemessenen Versicherungsbeiträge sind gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Arbeitslosengeld II – Verordnung (ALG II-V) mit einer Pauschale von 30,- EUR monatlich anzusetzen. Diese Pauschale ist abschließend und kann auch nur bei demjenigen Berücksichtigung finden, der das Einkommen erzielt (vgl. Mecke in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II Rdnr. 61 zu § 11). Selbst wenn man aber den Beitrag für sämtliche angemessenen Versicherungen hier berücksichtigt – nicht anzuerkennen sind insoweit die Sterbeversicherungen als angemessen im Sinne des § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II (vgl. Brühl in LPK-BSHG Rdnr. 69 zu § 76) – bzw. eine doppelte Pauschale von 60,- EUR in Abzug bringt, überschreitet das anrechenbare Einkommen deutlich den Bedarf, weil von diesem zusätzlich lediglich noch die Gewerkschaftsbeiträge in Höhe von monatlich 18,68 EUR (zu deren Angemessenheit vgl. BVerwGE 95, 103, 104) sowie die gesetzlich vorgeschriebene Kfz-Versicherung in Höhe von 15,93 EUR abgesetzt werden können.
Ein dieses Einkommen überschreitender Bedarf käme daher nur in Betracht, wenn der Zuschlag nach § 24 SGB II bei der Bedarfsberechnung von vornherein anzusetzen wäre. Ob dies der Fall ist, oder ob der Zuschlag nur beansprucht werden kann, wenn ohne seine Berücksichtigung schon die Bedürftigkeit festgestellt werden kann, ist umstritten (für die generelle Berücksichtigung LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.0. Brünner in LPK-SGB II Rdnr. 6 zu § 24; gegenteiliger Meinung Müller in Hauck/Noftz Rdnr. 6b zu § 24; Rixen in Eicher/Spellbrink a.a.O. Rdnr. 3 zu § 24; Söhngen in JurisPK-SGB II Rdnr. 16 zu § 24). Der Senat sieht bei der hier erforderlichen Interessenabwägung im Rahmen des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG keinen Anlass, diese Frage zugunsten der Antragstellerin zu beantworten, weil selbst bei Anrechnung des Höchstbetrages für eine Person, ein nennenswerter Bedarf nicht erreicht würde und die doppelte Berücksichtigung jedenfalls im Hinblick auf die insgesamt der Bedarfsgemeinschaft zur Verfügung stehenden Mittel nicht als so wesentlich angesehen werden kann, dass sie eine Entscheidung dieser offenen Rechtsfrage im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugunsten der Antragstellerin notwendig erscheinen lässt.
Der Senat hat auch keinen Anlass, aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken dem Antrag stattzugeben. Nur erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes, die die Vorlage nach Art. 100 Grundgesetz (GG) an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erforderlich erscheinen lassen, rechtfertigen den Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfG, DVBl. 1996, 1367; Dumke in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, Rdnr. 85 zu § 361 m.w.N.). Derartige Bedenken teilt der Senat nicht.
Die Pauschalisierung von Leistungssätzen, auch wenn sie der Sicherung des Existenzminimums dienen, ist grundsätzlich zulässig, so lange diese nicht dem aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz – GG – (Schutz der Menschenwürde) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) folgenden Verpflichtung des Staates verstößt, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein ggf. durch Sozialleistungen zu sichern (vgl. BVerfG NJW 1990, 2869). Selbst wenn Zweifel daran bestehen sollten, ob die Erhebungen zur Ermittlung der Leistungssätze des SGB II ausreichend waren, um einen entsprechenden Bedarf festzustellen, so ist dem Gesetzgeber bei der Neuordnung des sozialen Leistungsrechts doch eine gewisse Übergangszeit zur Erlangung der notwendigen Erkenntnisse zuzubilligen, sofern seine Entscheidung nicht offensichtlich gegen die Verfassung verstößt,wofür bisher keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. auch Behrend in JurisPK-SGB II Rdnr. 31 zu § 20).
Die Anrechnung des Arbeitslosengeldes im Rahmen der Bedürftigkeit nach dem SGB II begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld unterliegt der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfGE 72, 9, 18f; BVerfG SozR 3-4100 § 111 Nr. 6 Seite 27). Dieser wird infolge der Anrechnung im Leistungsrecht nach dem SGB II in seinem Bestand jedoch nicht verändert.
Soweit die Antragstellerin einzelne Vorschriften des SGB II, die im Fall der Leistungsgewährung zum Tragen kommen können (z.B. Leistungsabsenkung nach § 31 SGB II), für verfassungswidrig erachtet, stellt sich diese Frage hier nicht, weil die nachträglichen Kürzungsmöglichkeiten nicht die hier allein bedeutsame Entstehung des Anspruchs dem Grunde nach berühren.
Ebenso liegt keine verfassungswidrige Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin vor, wonach ihre Entscheidungen grundsätzlich für sofort vollziehbar erklärt werden. Dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung haben, hat vielmehr der Gesetzgeber in § 39 Nr. 1 SGB II bestimmt.
Schließlich vermag die Antragstellerin auch keine Rechte daraus herzuleiten, dass sie während ihres Bezuges von Arbeitslosengeld eine Erklärung nach § 428 SGB III abgegeben hat. 0b im Zusammenhang damit die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zu Gunsten der Leistungen nach dem SGB II Verfassungsrechte der Arbeitslosen verletzt, ist Gegenstand mehrerer beim Bundessozialgericht (BSG) anhängiger Verfahren (BSG B 7b AS 4/05 R und 2, 4/06 R; B 11b AS 3, 9/06 R). Selbst wenn eine solche Verfassungswidrigkeit zu bejahen wäre, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt völlig offen, ob und gegen wen welche Ansprüche hieraus resultieren könnten. Die im Rahmen des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderliche Interessenabwägung gebietet es angesichts dieser Unwägbarkeiten nicht, den Interessen der Antragstellerin den Vorrang einzuräumen.
Die Beschwerde war daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 13.07.2006
Zuletzt verändert am: 13.07.2006